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Das Bildnis des Dorian Gray

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Das Bildnis des Dorian Gray

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Mörderische Selbstliebe: Der schöne Dorian Gray tauscht mit seinem Bildnis den Platz und bleibt für immer jung – mit fatalen Folgen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Fin de siècle

Worum es geht

Das Kunstwerk als Spiegel der Seele

Oscar Wilde war ein Dandy, wie er im Buche steht: stets gut gekleidet, mit den besten Umgangsformen und ein brillanter Gesprächspartner. Die Oberschicht im London des Fin de Siècle (Ende des 19. Jahrhunderts) liebte ihn, auch wenn die Boulevardblätter über ihn spotteten. Doch dann änderte sich schlagartig alles mit der Veröffentlichung von Wildes einzigem Roman. Das Bildnis des Dorian Gray löste 1890 ein Skandälchen aus, das sich fünf Jahre später in einen handfesten Skandal verwandelte, als dem Schriftsteller eine homosexuelle Beziehung nachgewiesen werden konnte. Die Handlung des Dorian Gray ist einfach, aber genial: Der schöne Jüngling Dorian wünscht sich, dass sein Porträt an seiner statt altert und er selbst für immer jung und schön bleibt. Von einem aristokratischen Zyniker verführt, badet Dorian in Vergnügungen und Ausschweifungen, stürzt andere Menschen ins Verderben und schreckt auch vor Mord nicht zurück. Am Ende regt sich jedoch das schlechte Gewissen: Sollen Bild und Modell den Platz wieder tauschen, geht das nicht ohne persönliche Opfer ... Dank der witzigen Dialoge liest sich Wildes Roman locker und leicht. Der Jugend- und Schönheitskult und seine finsteren Konsequenzen sind auch im heutigen Zeitalter der Selbstdarsteller und Mediensternschnuppen noch höchst aktuell. Neben Wildes amüsanten Schauspielen gehört der Roman zu seinen tiefgründigsten Werken.

Take-aways

  • Das Bildnis des Dorian Gray ist Oscar Wildes einziger Roman.
  • Das Buch verursachte 1890 einen Skandal, da es als äußerst unmoralisch empfunden wurde.
  • Der Roman beschreibt einen Traum, der zum Alptraum wird: Der junge Dorian Gray wünscht sich, für immer jung und schön zu sein.
  • Sein Wunsch geht in Erfüllung: An seiner statt altert ein Bildnis, das der ihn verehrende Maler Basil Hallward von ihm angefertigt hat.
  • Unter dem Einfluss des zynischen Lord Henry Wotton führt Dorian fortan das Leben eines vollkommenen Ästheten und Hedonisten (Genusssüchtigen).
  • Der hemmungslose Genuss hinterlässt Spuren: nicht bei Dorian selbst, sondern in seinem Porträt, das immer grausamer entstellt wird und das er aus Angst vor fremden Blicken in einem verlassenen Zimmer seines Hauses versteckt.
  • Niemand ahnt, dass der ewig junge und schöne Dorian mehrere Menschen ruiniert und eine unglücklich verliebte Schauspielerin in den Tod getrieben hat.
  • Als der Maler Basil Hallward eines Tages einen Blick auf das furchtbar entstellte Gemälde wirft, ermordet ihn Dorian.
  • Schließlich will Dorian sein Bildnis vernichten: Doch dadurch tötet er sich selbst. Die Diener finden einen toten Greis, während das Gemälde wieder den schönen Jüngling zeigt.
  • Die Beziehung zwischen Dorian und seinem Bildnis ist eine Anspielung auf die Gestalt des selbstverliebten Narzissus in der griechischen Mythologie.
  • In der Vorrede des Romans gibt Oscar Wilde die Standpunkte der literarischen Bewegung des Ästhetizismus wider, deren Ikone er in England wurde.
  • Die offensichtlichen homoerotischen Elemente in dem Buch wurden später als Indizien für einen Prozess gegen Oscar Wilde herangezogen.

Zusammenfassung

Der bezaubernde Dorian Gray

In seinem üppig ausgestatteten Atelier enthüllt der Maler Basil Hallward sein neuestes Meisterwerk: das Bildnis eines überaus schönen jungen Mannes, eines wahren Adonis mit elfenbeingleicher Haut und einem Gesicht, wie aus Rosenblättern geformt. Lord Henry Wotton, der es sich Opium rauchend auf einem Diwan im Atelier gemütlich gemacht hat, applaudiert Hallward zu seinem gelungenen Werk. Eigentlich will der Künstler dem blasierten und zynischen Lord den Namen des Modells gar nicht verraten, doch schließlich kommt er ihm doch über die Lippen. Sein Name ist Dorian Gray, und Basil hat ihn auf einem Empfang kennen gelernt. Seit dieser ersten Begegnung prägt das ebenmäßige Antlitz des Jünglings sein Leben. Basil hat das Gefühl, dass mit Dorian eine neue Kunstepoche beginnt. Er möchte nicht, dass Lord Wotton Dorian kennen lernt, weil er befürchtet, die korrupte Art des Lords könnte Dorians unverfälschtes, naives Wesen verderben. Doch er kann es nicht verhindern: Plötzlich steht besagter Dorian Gray auf der Türschwelle.

Verlust der Unschuld

Dorian bittet Lord Wotton, entgegen Basils ausdrücklichem Wunsch, zu bleiben, während der Maler das Porträt fertig stellt. Dorian langweilt sich immer, weil Basil während seiner Arbeit kein Wort spricht. Doch Lord Wotton ergießt einen solchen Redeschwall über den jungen Dorian, dass dieser bald um Einhalt bittet. Entsagungen, so der Lord, würden den Körper und die Seele verkrüppeln: Versuchungen seien dazu da, ihnen nachzugeben, denn sonst werde die Seele krank vor Wollust. Dorian ist von solchen Erkenntnissen beeindruckt und innerlich aufgewühlt. Lord Wotton bemerkt dies mit Befriedigung. Er ist neugierig, wie weit Dorian wohl zu beeinflussen ist.

„Gewissen und Feigheit sind im Grunde ein und dasselbe, Basil. Gewissen ist nur der eingetragene Name der Firma.“ (Lord Wotton, S. 14)

In einer Pause gehen die beiden im Garten spazieren und Lord Wotton eröffnet Dorian, dass seine Jugend seine größte Gabe sei und er sie nutzen müsse. Er solle sich keine Gefühlserregung entgehen lassen, einen neuen Hedonismus leben, auf keinen Genuss verzichten und die Leidenschaften seiner Jugend auskosten. Die Worte des Lords scheinen Dorian stark zu imponieren, vor allem seine eindringliche Warnung, dass die Jugend nur von kurzer Dauer sei. Nach nur einer weiteren Viertelstunde ist das Porträt vollendet. Der Lord ist entzückt und selbst Dorian wird von einem Schauer ergriffen: Beim Anblick des Bildes und mit den Worten des Lords im Kopf wird ihm schlagartig seine eigene Schönheit bewusst - und ihre Vergänglichkeit. Er wünscht sich, dass er für immer jung und schön bleiben kann und dafür das Bildnis an seiner Stelle altern soll! Lord Wotton will das Bild kaufen, aber Dorian bittet selbst darum. Basil schenkt es ihm. Der Lord macht den Vorschlag, am Abend gemeinsam ins Theater zu gehen. Basil hat keine Lust, Dorian jedoch sagt zu.

Nachforschungen über Dorian

Der nächste Tag. Lord Wotton besucht seinen Onkel, Lord Felmor, der fast den ganzen Tag müßig im Club zubringt, der aber dafür auch jeden kennt, den es zu kennen lohnt. Lord Wotton will etwas über Dorian Grays Eltern herausfinden. Er erfährt: Dorian ist der Enkel des Lord Kelso. Dorians Mutter, Margarete Devereux, ist damals, so erinnert sich Lord Felmor, mit einem einfachen, armen Mann durchgebrannt. Ihr Vater war davon nicht angetan und bezahlte einen Gauner, der Dorians Vater zum Duell herausforderte und grausam abschlachtete. Margarete Devereux war bildschön, starb aber kurz nach Dorians Geburt. Unterdessen sitzt Dorian bei Lord Wottons Tante Agatha, einer bekennenden Philanthropin (Menschenfreundin), am Mittagstisch. Den gemeinsamen Lunch hat Lord Wotton arrangiert. Auf dem Weg zu seiner Tante überlegt er sich, was er alles mit dem jungen Dorian anstellen könnte. Der Junge reagiert so sensibel auf jedes Wort, dass es eine Freude ist, ihn nach seinem Bild zu formen. Und genau dies hat Lord Wotton vor: Dorian in seinem Sinn zu beeinflussen und ihm seinen Stempel aufzudrücken. Bei dem Lunch erfreut Lord Wotton die adligen Gäste seiner Tante mit näheren Ausführungen seiner Philosophie des Genusses und des Hedonismus. Mehr als alle anderen hängt Dorian gebannt an seinen Lippen und saugt jedes seiner Worte ein.

Die schöne Schauspielerin

Einen Monat später besucht Dorian Lord Wotton. Er eröffnet ihm, dass er sich in eine Schauspielerin verliebt hat, als er kürzlich im Theater Romeo und Julia gesehen hat. Das Stück war langweilig, aber Sybil Vane, die Darstellerin der Julia, war göttlich. Zum Abendessen kann Dorian nicht bleiben, weil er sie gleich wieder im Theater aufsuchen will. Als er verschwunden ist, reibt sich der Lord die Hände: Welch ein menschliches Experiment tut sich da vor seinen Augen auf! Noch am gleichen Abend verrät ihm ein Telegramm, dass sich Dorian mit Sybil verlobt hat. Diese berichtet ihrer Mutter von dem "Märchenprinzen", in den sie sich verliebt hat. Sybils Bruder Jim Vane traut dem Geliebten seiner Schwester jedoch nicht. Er muss sich auf eine Seereise nach Australien begeben, schwört aber, dass er den Kerl umbringt, falls dieser seine Schwester unglücklich macht.

Im Theater

Am nächsten Abend wollen sich Dorian, Basil und Lord Wotton zu einem Theaterbesuch treffen. Basil bespricht mit dem Lord das Gerücht von Dorians Verlobung. Er kann es nicht glauben, schließlich sei der Klassenunterschied doch zu evident. Lord Wotton ist da nicht so engstirnig: Dorian solle sie ruhig heiraten - in einem halben Jahr werde er sich sowieso einer anderen zuwenden. Dorian erscheint und strahlt über das ganze Gesicht. Basil ist angesichts der Heiratspläne nicht sonderlich entzückt, denn er spürt, dass "sein" Dorian sich immer weiter von ihm entfernt. Im übervollen Theater gibt es einen Eklat: Alle finden, dass Sybil wunderschön ist, ihr Schauspiel ist jedoch grässlich hölzern und einfach nur schlecht. Dorian schämt sich für die Buhrufe und Pfiffe vor seinen Freunden, die das Theater bereits nach dem zweiten Akt verlassen. Nach der Vorstellung geht er in Sybils Garderobe und beschimpft sie, weil sie auf der Bühne so miserabel gespielt hat. Sie fleht Dorian an, zu verstehen, dass sie nur deshalb so schlecht war, weil sie sich nach ihm sehnte. Doch Dorian hält sie nun nur noch für eine "drittklassige Schauspielerin mit einem hübschen Gesicht" und will sie nie wieder sehen.

Veränderungen

Auf dem Weg nach Hause ist Dorian hin- und hergerissen: Hat er Sybil zu grob angefasst oder ist sie selbst schuld an seiner Reaktion? Ein Blick auf sein Porträt lässt ihn erschauern: Das Bildnis hat sich verändert. Um den Mund herum hat sich ein Anflug von Grausamkeit in das Öl der Leinwand gebrannt. Dorian schiebt das zunächst auf seinen erregten Zustand. Doch als auch am nächsten Morgen der Schandfleck auf dem Gemälde zu sehen ist, erinnert er sich an seinen Wunsch, das Gemälde möge seine Sünden tragen, während er selbst jung und schön bleibt. Jetzt erscheint ihm das Bildnis wie eine Mahnung an sein Gewissen. Er fasst den Entschluss, sich bei Sybil zu entschuldigen und sie dennoch zu heiraten. Da jedoch wird er von Lord Wotton überrascht, der ihm mitteilt, dass Sybil sich in der Nacht das Leben genommen habe. Zunächst ist Dorian schockiert. Doch nach und nach kann Lord Wotton ihn davon überzeugen, dass ihr Tod ein künstlerisch gelungenes Finale war - wie in einer griechischen Tragödie. Trauer hält er für völlig unangebracht, und so verabreden sich die beiden für die Oper. Dorian findet langsam Gefallen daran, dass das Porträt für seine Sünden geradesteht. Daraus ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten ...

Paranoia

Am nächsten Abend besucht Basil Dorian und ist darüber verwundert, dass dieser sich nur wenig Gedanken über den Selbstmord der jungen Schauspielerin macht. Aber weil Dorian so unschuldig dreinblickt, wagt er es nicht, ihm eine Moralpredigt zu halten. Stattdessen würde er sich gern das Bildnis ansehen, denn er möchte es demnächst in Paris ausstellen. Doch Dorian verweigert dem Freund einen Blick auf das entstellte Bild. Nach Basils Abgang schafft er das Porträt in einen ungenutzten Raum des Hauses. Eine paranoide Angst packt den entsetzten Dorian: Niemand soll das Bild sehen, auch nicht sein Diener Victor.

Der neue Hedonismus

Viele Jahre lebt Dorian Gray das Leben eines Dandys, eines Ästheten, der sich nur um die schönen Dinge des Lebens kümmert. Der neue Hedonismus, den Lord Wotton einst gepredigt hat, manifestiert sich in Dorians Leben. Ein Buch über einen französischen Lebemann, das ihm Lord Wotton geschenkt hat, inspiriert ihn zu immer neuen Abenteuern. Er treibt sich in den Spelunken der Londoner Docks herum, tingelt mit Falschmünzern durch die Gegend, gibt sich seinen Gelüsten hin, was immer sie auch fordern. Moral spielt für ihn keine Rolle. Dabei ist er ein überaus kultivierter Gentleman, der bestgekleidete Herr der Stadt. Die bösen Gerüchte über sein ausschweifendes Leben werden von der feinen Gesellschaft nicht geglaubt: Sehen sie doch an seinem jugendlich strahlenden Äußeren, dass Dorian Gray völlig unbescholten sein muss.

„Die einzige Möglichkeit, eine Versuchung loszuwerden, besteht darin, dass man ihr nachgibt.“ (Lord Wotton, S. 26)

Einen Tag vor seinem 38. Geburtstag trifft Dorian zufällig Basil wieder, der gerade kurz vor seiner Abreise nach Paris steht, wo er ein Atelier beziehen möchte. Basil bestürmt Dorian, ob irgendetwas an den wilden Gerüchten über ihn wahr sei: Angeblich ist Dorian in einige der größten Skandale der Stadt verwickelt und hat den gesellschaftlichen Abstieg mehrerer Persönlichkeiten zu verantworten. Mit einem viel sagenden Lächeln führt Dorian Basil in die oberen Gemächer und enthüllt dem Maler seine "Seele": das Porträt. Angewidert zuckt Basil zurück. Eine grauenhafte Teufelsfratze blickt ihm von der Leinwand entgegen. Es scheint, als hätte die Sünde selbst wie ekliger Schimmel das ganze hübsche Gesicht auf dem Bild zerfressen, überwuchert, entstellt. Basil sinkt auf die Knie und fordert Dorian auf, mit ihm um seine Seele zu beten. In diesem Augenblick packt Dorian das Entsetzen: Er greift nach einem Messer und ersticht den Maler.

Die Sünden der Jugend

Um den Leichnam loszuwerden, erpresst Dorian seinen alten Freund Alan Campbell, mit dem er offenbar früher eine Beziehung unterhalten hat. Dem Chemiker gelingt es tatsächlich, die Leiche mit Salpetersäure zu zersetzen, sodass nichts von ihr übrig bleibt. Nachdem er sämtliche Spuren von Basils Anwesenheit verbrannt hat, lässt Dorian sich in eine Opiumhöhle fahren, um sein Gewissen zu beruhigen. Doch hier begegnet er mehreren Personen, die er zugrunde gerichtet hat, und flieht. Plötzlich spürt er einen Revolverlauf im Nacken: Jim Vane, der Bruder der Schauspielerin Sybil, glaubt in ihm den Mann zu erkennen, der seine Schwester in den Selbstmord getrieben hat. Mit seinem jugendlichen Aussehen gelingt es Dorian jedoch, Jim davon zu überzeugen, dass er sich irrt: Dorian ist doch offenbar viel zu jung, um vor 20 Jahren seine Schwester gekannt zu haben. Als eine alte Prostituierte Jim gegenüber beschwört, dass es sich doch um "den" Dorian Gray handele und dieser einen Pakt mit dem Teufel geschlossen habe, ist Dorian bereits auf und davon.

Die Ermordung des Gemäldes

Auch am nächsten Tag regt sich das schlechte Gewissen: Auf einem Empfang fällt Dorian in Ohnmacht, weil er überall die Gestalt von Sybils Bruder vermutet. Auch bei einer Party auf seinem Landhaus ist Dorian überzeugt, dass Jim in der Nähe ist. Dass er damit nicht ganz Unrecht gehabt hat, findet er bei einer Hasenjagd auf seinen Ländereien heraus. Dabei erschießt einer der Jäger einen Mann, den er für einen Hasen gehalten hat. Doch es stellt sich heraus, dass auf diese Weise Sybils Bruder ums Leben gekommen ist. Dorian ist erleichtert, denn nun muss er nichts und niemanden mehr aus seiner Vergangenheit fürchten. Dennoch offenbart er Lord Wotton, dass er sich ändern und ein gutes Leben führen wolle. Doch der Lord tut diese Bemerkung mit seinem üblichen Spott ab: Dorian werde sich nie ändern, er könne es gar nicht. Er habe ein Leben als Gesamtkunstwerk geführt, und wenn er jetzt gut sein wolle, dann nur deshalb, weil ihm dies neue Empfindungen beschere. Zu Hause sinnt Dorian über Lord Wottons Worte nach. Ist es denn wirklich unmöglich, sich zu ändern? Plötzlich fällt ihm das Porträt wieder ein: der einzige Zeuge seines Mordes an Basil. Er greift nach einem Messer und sticht auf das hässliche Bildnis ein. Im selben Augenblick hört sein Diener einen grässlichen Schrei. Als er später mit Polizisten das verschlossene Zimmer stürmt, hängt das Bildnis des Dorian Gray in seiner ursprünglichen Schönheit an der Wand. Auf dem Boden liegt ein alter, runzliger, zutiefst hässlicher Mann mit einem Messer im Herzen. Nur die Ringe an seinen Händen verraten, dass es Dorian Gray ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Oscar Wilde hat den Roman in 20 Kapitel unterteilt und mit einer Vorrede versehen, die wie ein Manifest des Ästhetizismus anmutet: Pointiert formuliert er hier Thesen über den Künstler, die Kunst, die Literatur und deren Ausdrucksmöglichkeiten. Thesen wie diese: "Alle Kunst ist zugleich Oberfläche und Symbol. Wer unter die Oberfläche dringt, tut es auf eigene Gefahr. Wer das Symbol entschlüsselt, tut es auf eigene Gefahr." Und schließlich: "Alle Kunst ist völlig unnütz." Unverkennbar sind die Sprache und Stimmung des Fin de Siècle, des ausgehenden 19. Jahrhunderts, mit seiner Genusssucht und dem Hang zur Dekadenz. Dorian Gray ähnelt über weite Strecken eher einem Schauspiel, das in Prosa gekleidet ist: Geistreich-witzige Konversationen bestimmen den Stil. Besonders die Aphorismen (pointierte Sinnsprüche), die Lord Wotton bei jeder beliebigen Situation zum Besten gibt, sind ein dominantes Stilmerkmal. Szenen und Dialoge sind so lebhaft gestaltet wie für ein Bühnenstück. Die Hauptakteure sind bloße Typen, denen je eine klare Funktion zugeschrieben werden kann: Basil Hallward vertritt die Moral, Lord Wotton den ungeschminkten Zynismus und Dorian Gray das Gesamtkunstwerk des "neuen Hedonismus".

Interpretationsansätze

  • Die Beziehung zwischen Dorian und seinem Bildnis ist eine Anspielung auf die Gestalt des Narzissus in der griechischen Mythologie: Der schöne Jüngling verliebt sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser und geht daran zugrunde.
  • Der gesamte Roman kreist um den Schönheits- und Jugendwahn, der nicht nur Ende des 19. Jahrhunderts aktuell war, sondern es auch heute noch ist. Dieser Wahn führt in Wildes Roman zu Egozentrik, moralischem Verfall und schließlich zu völliger Selbstzerstörung.
  • Schönheit junger Männer, verborgene Sündhaftigkeit, geheime Ausschweifungen, magnetische Anziehungskraft: Bei all diesen Motiven schwingt das Thema der Homosexualität mit, das schließlich beim Erscheinen des Romans einen Skandal ausgelöst hat.
  • Oscar Wilde spielt mit dem künstlerischen Gesetz der Renaissance, dass in einem schönen Körper immer auch ein schöner Geist, also ein moralisch tadelloser Mensch stecken soll. Dorian Gray gehorcht genau diesem Prinzip, pervertiert es aber zugleich: Indem er die körperlichen Makel seiner amoralischen Handlungen auf das Bildnis überträgt, kann Dorian - völlig unbemerkt und ungestraft - sein lasterhaftes Leben weiterführen. Darin ist auch eine Kritik an der bürgerlichen Moral versteckt, die sich allzu schnell vom schönen Schein blenden lässt.
  • Wildes Roman thematisiert zudem die Moralität von Kunst: Diese sei nämlich, wie Dorians Bildnis, weder gut noch böse, sondern gehorche ganz anderen Prinzipien. Wilde sagt es in der Vorrede: "So etwas wie ein moralisches oder unmoralisches Buch gibt es nicht. Bücher sind entweder gut oder schlecht geschrieben. Das ist alles." Dennoch wird Dorian Gray heute als sehr moralisches Buch betrachtet.

Historischer Hintergrund

Ästhetizismus im Fin de Siècle

"Ich habe die Gedanken der Menschen und die Farben der Dinge verändert. Es gab nichts, was ich sagte oder getan habe, das die Menschen nicht verwunderte. Ich betrachtete die Kunst als die höchste Realitätsstufe und das Leben als bloße Spielwiese der Fiktion. Ich forderte die Einbildungskraft meiner Zeit heraus und entspann Mythen und Legenden um meine Person. Alle Systeme bannte ich in einem Satz, die ganze Existenz in einem Epigramm." So betrachtete Oscar Wilde sich selbst und seine Wirkung auf seine Zeit, das Fin de Siècle, das Ende des 19. Jahrhunderts. Dieser literaturwissenschaftliche Begriff beschreibt den Zeitraum zwischen 1888 und 1914. Er stellt ein Sammelbecken unterschiedlicher Strömungen dar, die allesamt gegen den Naturalismus gerichtet waren und Elemente wie den Jugendstil, die Dekadenzliteratur oder den Impressionismus miteinander verbanden. Für Oscar Wildes eigene Sicht der Kunst waren Werke des Dekadenzschriftstellers Joris-Karl Huysmans und vor allem die Theorien des englischen Kunstkritikers John Ruskin von großer Bedeutung.

Oscar Wilde entwickelte sich zum wichtigsten Vertreter des Ästhetizismus in England. Dabei war es weniger sein Werk als vielmehr sein eigenes Leben, das ihn zur Ikone dieser Strömung machte: Reich, erfolgreich und berühmt, kokettierte er als Modegeck, als Dandy mit langer Mähne und dem ausgefallensten Chic, manipulierte die Medien nach seinem Gusto und verstand es, seine öffentlichen Auftritte geschickt zu inszenieren. Die Bewegung des Ästhetizismus richtete sich gegen die dumpfe Geschäftigkeit der bürgerlichen Existenz und gegen politische, moralische oder religiöse Normen. Mit anderen Worten: Sie richtete sich gegen den gesamten Wertekanon des viktorianischen England, das sich dem kapitalistischen Materialismus und Utilitarismus verschrieben hatte, dem Kolonialismus huldigte und das selbst erzeugte Elend unter der heuchlerischen Maske der Philanthropie versteckte. Nach Ansicht der Ästhetizismus-Anhänger sollte das Leben ganz dem Genuss des Schönen geweiht werden. "L'art pour l'art", die Kunst um der Kunst willen, wurde zur Maxime des Ästhetizismus, dem u. a. auch Charles Baudelaire, Stefan George und Hugo von Hofmannsthal zuzurechnen sind.

Entstehung

Noch bevor er den Höhepunkt seines literarischen Ruhmes erreichte, schrieb Oscar Wilde seinen einzigen Roman. Das Bildnis des Dorian Gray wurde im Sommer 1890 in Lippincott's Monthly Magazine veröffentlicht. Die Aufnahme beim Publikum war niederschmetternd, das Buch löste einen handfesten Skandal aus. Kunst, so war es im viktorianischen England üblich, sollte moralisch belehrend wirken. Und hier lag in den Augen von Wildes Kritikern ein ganz und gar unmoralisches Werk vor. Von der Kritik enttäuscht, überarbeitete Wilde das Werk noch einmal für die Buchveröffentlichung im Jahr 1891: Neben sechs zusätzlichen Kapiteln fügte er eine Vorrede hinzu, mit der er sich gegen die bereits vorgebrachte Kritik wehren und etwaigen neuen Angriffen vorbeugen wollte. Doch damit machte er es seinen Kritikern nur noch leichter: Im Licht der neuen Vorrede erschien Dorian Gray nicht nur als unmoralisch, sondern auch noch als ein Werk, das gar nicht moralisch sein wollte. Denn, so schrieb Wilde, die Kunst sei sich selbst genug und müsse keinem bestimmten Zweck dienen, sofern sie nur schön sei.

Wirkungsgeschichte

Wilde hat sich nach eigenen Aussagen in seinem Roman selbst porträtiert, und zwar indem er verschiedene Facetten seiner Person in unterschiedliche Figuren integriert hat. In einem Brief von 1894 erklärte er: "Dieses mein seltsames farbiges Buch enthält vieles von mir. Basil Hallward ist das, was ich zu sein glaube; Lord Henry das, wofür die Welt mich hält; Dorian das, was ich gerne sein würde - in anderen Zeiten vielleicht." Die Verstöße gegen die Moral und - wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand - die Enttarnung der "hypocrites", der Scheinheiligen in der gar nicht so braven Londoner Gesellschaft waren ein Verstoß, über dessen Ahndung die englische Presse große Einigkeit bewies. Nach der Veröffentlichung 1890 bemerkte der Daily Chronicle am 30. Juni: "Es gibt keinen einzigen guten und heiligen Impuls der menschlichen Natur, nicht einmal einen Hauch von dem Gefühl oder dem Instinkt, den Zivilisation, Kunst und Religion in all den Jahren als Barriere zwischen das Menschliche und das Tierische gesetzt haben, das im Dorian Gray nicht dem Spott und der Lächerlichkeit preisgegeben wird."

Wilde machte die in seinem Roman nur verschleiert angedeutete homosexuelle Beziehung zwischen dem Maler Basil und dem Modell Dorian zu seiner eigenen Realität: Im gleichen Jahr, als die Buchausgabe des Romans veröffentlicht wurde, begann er eine homosexuelle Beziehung mit Lord Alfred Douglas. Diese führte zu einem Skandal. Oscar Wilde verwahrte sich gegen die Anschuldigungen von Douglas' Vater, dem Marquis von Queensberry, der seine Anklagen öffentlich machte. Es kam zu einem Gerichtsprozess: Wilde wurde ein Verstoß gegen das "sodomy law" ("Sodomie" bezeichnet hier Homosexualität) nachgewiesen und er wurde 1895 zu zwei Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Der Roman Dorian Gray wurde bei dem Prozess als Indiz für die homophile Neigung des Autors herangezogen. Von dem Hass der Gesellschaft erholte sich Wilde, der einstige Liebling der High Society, Zeit seines Lebens nicht.

Über den Autor

Oscar Wilde wird am 16. Oktober 1854 in Dublin geboren. Seine Mutter ist Schriftstellerin, der Vater Chirurg. Wilde studiert in Dublin und Oxford klassische Philologie. Schon als Student begeistert er sich für die Ideale des Ästhetizismus und praktiziert mustergültig die Idee von der Ausdehnung des Schönheitskults auf alle Bereiche des Lebens. Sein exzentrisches Auftreten mit langer Mähne und exquisiter Garderobe macht ihn früh bekannt. 1879 zieht Wilde nach London um, lehrt dort Ästhetik und steigt schnell in die feine Gesellschaft auf. 1884 heiratet er die wohlhabende und gebildete Constance Lloyd, die 1885 und 1886 die beiden Söhne Cyril und Vyvyan zur Welt bringt. Zu dieser Zeit beginnt er seine Homosexualität auszuleben. Nach lyrischen Arbeiten, Essays und Märchen veröffentlicht er 1891 seinen einzigen Roman, den Skandalerfolg Das Bildnis des Dorian Gray (The Picture of Dorian Gray). Mit dem Theaterstück Lady Windermeres Fächer (Lady Windermere’s Fan) etabliert er sich 1892 endgültig als Erfolgsautor von sprühendem Witz und scharfem Intellekt – viktorianischen Vorbehalten gegen seine „Unmoral“ zum Trotz. Wildes Ruf festigt sich in den Folgejahren mit den Stücken Eine Frau ohne Bedeutung (A Woman of No Importance), Ein idealer Gatte (An Ideal Husband) und Die Bedeutung, Ernst zu sein (The Importance of Being Earnest). Dann wird ihm seine mehrjährige Beziehung mit dem jungen Snob Lord Alfred Douglas zum Verhängnis. Wilde wird 1895 wegen homosexueller Kontakte zu zwei Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis verfasst er De profundis. Die letzten Lebensjahre verbringt er in relativer Armut, von Freunden unterstützt, auf dem europäischen Festland. Bis zu seinem Tod am 30. November 1900 in Paris veröffentlicht er nur noch Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading (The Ballad of Reading Gaol), ein Text über seine Hafterfahrung.

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