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1984

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1984

Ullstein,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Der Albtraum totaler staatlicher Überwachung – in Orwells Roman wird er Wirklichkeit.


Literatur­klassiker

  • Dystopie
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Ein Plädoyer gegen totalitäre Herrschaft

„Big Brother is watching you!“ – der Slogan ist längst zum Synonym für totale staatliche Überwachung geworden. Als George Orwell 1948 seinen Roman 1984 fertigstellte, stand er unter dem Eindruck der Entwicklungen in der Sowjetunion unter Stalin. Da englische Intellektuelle dem Sozialismus sowjetischer Prägung zunehmend mit Akzeptanz begegneten, befürchtete Orwell, sie könnten sich vom totalitären Staatsdenken verführen lassen. Als Folge führte er ihnen in seinem Roman den Totalitarismus drastisch vor Augen. Lohnt es sich nach dem Untergang des Ostblocks noch, den Roman zu lesen? Auf jeden Fall, denn das Buch ist nicht nur ein eindringliches Plädoyer gegen totalitäre Herrschaft jeglicher Couleur, sondern hat auch literarische Qualitäten. 1984 verbindet fantastische mit realistischen Elementen, politische Satire mit einem spannenden Plot. Eindringlich führt der Roman vor, wie Sprache zum Instrument der Manipulation gerät und moderne Kommunikationsmittel die Privatsphäre der Menschen bedrohen. Orwells düsterer und pessimistischer Zukunftsroman war schon bei seinem Erscheinen nur wenige Schritte von der Gegenwart entfernt – und ist es auch heute noch.

Take-aways

  • George Orwells Roman
    1984 zählt zu den berühmtesten Antiutopien der Weltliteratur.
  • Inhalt: Winston Smith widersetzt sich der totalen Herrschaft des Staates Ozeanien: Heimlich beginnt er eine Liebesbeziehung und tritt einer Widerstandsbewegung bei. Zu spät erkennt er, dass die allmächtige Partei jeden seiner Schritte beobachtet hat. Durch Folter wird sein Denken und Fühlen ausgelöscht; er wird zum perfekten Parteisoldaten.
  • Der 1948 fertiggestellte Roman spielt auf die historische Entwicklung in der Sowjetunion unter Stalin an.
  • Da sich die englische Linke zunehmend mit dem Sozialismus sowjetischer Prägung anfreundete, fürchtete Orwell eine Ausbreitung totalitären Denkens.
  • 1984 prangert sowohl den Imperialismus wie auch die gesellschaftlichen Missstände an, die Orwell in seiner englischen Heimat vorfand.
  • Orwells Zukunftswelt hat fantastische und zugleich realistische Züge, in denen der Leser seine eigene Gegenwart wiedererkennt.
  • Die Sprache als Instrument der Manipulation spielt im Roman eine bedeutende Rolle.
  • Das Buch wurde schon bald nach seinem Erscheinen ein Welterfolg und mehrmals verfilmt.
  • Zahlreiche Begriffe und Wendungen des Werks sind in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen. Am bekanntesten: „Big Brother is watching you.“
  • Zitat: „Freiheit bedeutet die Freiheit, zu sagen, dass zwei und zwei vier ist. Gilt dies, ergibt sich alles Übrige von selbst.“

Zusammenfassung

Die totale Überwachung

Es ist der 4. April 1984. Oder doch nicht? Winston Smith hat schon seit Langem jedes Zeitgefühl verloren. Zudem erscheinen ihm seine Erinnerungen trügerisch, seit in Ozeanien Engsoz, der Englische Sozialismus, herrscht. In ganz London, der Hauptstadt der drittbevölkerungsreichsten Provinz Ozeaniens, hängen Plakate, von denen der Große Bruder herunterstarrt. Die Straßen sind überwacht, Kinder bespitzeln ihre Eltern. Nicht einmal in den eigenen vier Wänden entkommt man der Kontrolle der Partei. Dafür sorgt der Teleschirm, ein Apparat, über den die Bewohner mit Propaganda beschallt und gleichzeitig beobachtet werden. Mittels der Techniken Realitätskontrolle und Doppeldenk beherrscht die Partei das Gedächtnis der Menschen. Doch die Erinnerung des 39-jährigen Winston steht noch nicht völlig unter fremdem Einfluss. Gelegentlich flackern Bilder besserer Zeiten auf, in denen seine Eltern und seine Schwester, die vaporisiert wurden, noch lebten. Wenn er auch vieles vergessen hat, eines weiß Winston sicher: Er muss der Zukunft ein Zeugnis hinterlassen, ein Tagebuch, das er in einer vom Teleschirm nicht erfassten Nische seiner Wohnung führt. Während er darin schreibt, denkt er an einen Mann namens O’Brien, ein mächtiges Mitglied der Inneren Partei, von dem er glaubt, dass er auf seiner Seite steht.

Die Lügen der Propaganda

Winston ist Angestellter im Miniwahr, dem Ministerium für Wahrheit, das sich mit dem Nachrichtenwesen, der Erziehung und den schönen Künsten befasst. Seine Aufgabe ist es, schriftliche Zeugnisse der Vergangenheit der Gegenwart anzupassen. Unermüdlich schreibt er ältere Zeitungsartikel und Bücher um, korrigiert Statistiken und wirtschaftliche Prognosen, löscht die Namen von Personen, die vaporisiert wurden, und erfindet damit die Geschichte neu. Nach der Korrektur wirft er die alten Dokumente in das Gedächtnis-Loch, wo sie verbrannt und für immer aus dem Bewusstsein der Menschen gelöscht werden. Auch der Akt des Auslöschens sollte damit vergessen werden, doch das gelingt offenbar nicht immer: Ende der 60er Jahre etwa wurden in großen Säuberungsaktionen die ursprünglichen Führer der Revolution beseitigt. Drei von ihnen, Jones, Aaronson und Rutherford, legten umfangreiche Geständnisse ab und wurden hingerichtet. Etwa fünf Jahre später fiel Winston zufällig ein alter Zeitungsartikel in die Hände, der die drei entlastete. Zu dem Zeitpunkt, an dem sie angeblich Verrat begangen hatten, waren sie tatsächlich ganz woanders gewesen. Damit war bewiesen, dass ihre Geständnisse unter Folter erzwungene Lügen waren. Winston vernichtete das brisante Dokument, das die Macht der Partei hätte sprengen können, doch in seiner Erinnerung existiert es fort.

„KRIEG IST FRIEDEN. FREIHEIT IST SKLAVEREI. UNWISSENHEIT IST STÄRKE.“ (Parteiparolen, S. 10)

Syme, ein Kollege von Winston, mit dem er in der heruntergekommenen Kantine sein karges Mittagessen einnimmt, hat die Aufgabe, der Amtssprache – dem Neusprech – ihren letzten Schliff zu geben. Massenweise Wörter werden ausgemerzt; die Sprache wird so auf ihr nacktes Gerüst reduziert. Das Wort „schlecht“ etwa wird durch „ungut“ ersetzt, das Wort „hervorragend“ durch „plusgut“. Auf diese Weise sollen alle Gedankenschattierungen verschwinden und Gedankenverbrechen unmöglich gemacht werden, da es keine Worte mehr geben wird, mit denen man sie ausdrücken kann. Syme erklärt, die Literatur werde komplett umgeschrieben, der Begriff „Freiheit“ ausgelöscht und so werde Strenggläubigkeit schließlich das Denken ersetzen. Er wirft Winston vor, noch zu sehr im Altsprech – und damit in dem alten Denken – verhaftet zu sein.

Alltag in Ozeanien

Nach offiziellen Verlautbarungen herrscht in Ozeanien Überfluss, tatsächlich aber sind selbst alltägliche Gebrauchsgegenstände wie Rasierklingen Mangelware. Die Parteimitglieder sind entgegen dem propagierten Menschenideal überwiegend klein und hässlich. Sie tragen Trainingsanzüge, ernähren sich von Eintöpfen und Kunstfleisch. Ihre Häuser sind verfallen und schmutzig, die Möbel kaputt, Zigaretten und Schokolade rationiert, nur synthetischer Gin zur Betäubung der Sinne fließt reichlich. Der Alltag – vom Morgensport bis zu den Gemeinschaftsabenden – ist streng geregelt. Täglich werden Hass-Sendungen ausgestrahlt, deren Wirkung sich niemand entziehen kann. Sie dienen dazu, die Bevölkerung gegen Emmanuel Goldstein, einst ein Revolutionsheld und jetzt der Anführer der Untergrundorganisation „Die Brüderschaft“, und gegen den Kriegsfeind Eurasien aufzustacheln. Dass Eurasien bis vor wenigen Jahren der Verbündete Ozeaniens im Kampf gegen Ostasien war, wurde aus dem allgemeinen Bewusstsein gelöscht; Winston erinnert sich allerdings noch vage daran. Das einzige erlaubte Vergnügen für Parteimitglieder bieten Schauprozesse und öffentliche Hinrichtungen. Sex unter Genossen, selbst verheirateten, ist verpönt und dient allein der Fortpflanzung. Die Prostitution von Proles-Frauen dagegen wird stillschweigend geduldet, bei ihnen können Parteimitglieder ihre Instinkte ausleben.

Auf der Suche nach der Vergangenheit

Winstons ganze Hoffnung liegt auf der Unterschicht, den Proles – immerhin 85 % der Bevölkerung. Zwar erhebt die Partei den Anspruch, sie aus Armut und kapitalistischer Knechtschaft befreit zu haben, doch es geht ihnen nicht besser als vor der Revolution. Weitgehend unkontrolliert leben sie in ihren Elendsvierteln und lenken sich mit Lotto, Kino, Fußball und Bier von der schweren körperlichen Arbeit ab. Um sich ein eigenes Bild vom Leben der Proles zu machen, fährt Winston in eines ihrer Viertel. Hier herrscht buntes Treiben in den Straßen und Kneipen, wenngleich die Menschen abgestumpft wirken. Doch im Unterschied zu den Parteimitgliedern scheinen sie innerlich nicht verhärtet, sondern menschlich geblieben zu sein. Bei dem Antiquitätenhändler Charrington kauft Winston einen gläsernen Briefbeschwerer – ein verbotener Akt in einem Staat, der alles Alte und Schöne auszumerzen trachtet. Winston lässt sich ein Zimmer zeigen, das mit alten Möbeln und Bildern seine Sehnsucht nach der Vergangenheit weckt. Auf einem Stich ist eine Kirche zu sehen, von der nur noch eine Ruine übrig ist. Ein alter Kinderreim über die Glocken der Londoner Kirchen, den Charrington aufsagt, geht Winston nicht mehr aus dem Sinn. Draußen auf der Straße bemerkt er ein Mädchen aus der Literaturabteilung des Ministeriums, von dem er sich schon lange beobachtet fühlt. Kein Zweifel: Sie ist eine Agentin der Gedankenpolizei und spioniert ihm nach.

Verbotene Liebe

Eines Tages steckt ihm das Mädchen im Ministerium heimlich einen Zettel zu, auf dem „Ich liebe dich“ steht. Unter Lebensgefahr gelingt es Winston und ihr, sich im Wald zu treffen. Außer Reichweite von Mikrofonen und Bildschirmen gesteht das Mädchen – Julia –, sie habe in Winstons Gesicht gelesen, dass er gegen die Partei sei. Ihr Geständnis, schon mit Hunderten Parteimitgliedern geschlafen zu haben – und das gerne –, gefällt ihm, denn nichts hasst er mehr als Reinheit und Unschuld. Der animalische Trieb, da ist er sich sicher, wird einstmals die Macht der Partei brechen. Mit Julia zu schlafen, ist für ihn ein Akt des politischen Widerstands.

„Immer die Augen, die einen beobachteten, die Stimme, die einen umgab. Im Wachen oder im Schlaf, bei der Arbeit oder beim Essen, drinnen oder draußen, im Bad oder im Bett – es gab kein Entrinnen. Nichts gehörte einem, bis auf die paar Kubikzentimeter im eigenen Schädel.“ (S. 36)

Allmählich lernt Winston Julia besser kennen. Sie hasst zwar die Partei und verstößt gegen Gesetze, doch wie viele der Jüngeren, die nie etwas anderes erlebt haben, übt sie keine prinzipielle Kritik an den Doktrinen. Sie interessiert sich weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit, sondern will nur die Gegenwart unbeschwert genießen. Winston empfindet jetzt nicht mehr bloß Begehren, sondern eine tiefe Zärtlichkeit für sie. Um ungestört mit ihr zusammen sein zu können, mietet er das Zimmer über Mr. Charringtons Laden. Gemeinsam liegen sie im Bett, dösen und lauschen den Geräuschen von draußen – früher eine Selbstverständlichkeit, heute ein Verbrechen. Von einer Ratte erschreckt, gesteht Winston, dass er sich vor nichts mehr fürchtet als vor diesen Tieren.

Die Erkenntnis der Wahrheit

Mitten in einer Hasskundgebung gegen Eurasien wird den Demonstrierenden mitgeteilt, dass der bisherige Verbündete Ostasien nun der Kriegsgegner sei, Eurasien hingegen ein Verbündeter. Die Masse setzt ihre Demonstration fort, als sei nichts gewesen, nur die Zielscheibe ihres Hasses hat sich abrupt geändert. Eine Riesenaufgabe liegt vor den Angestellten des Wahrheitsministeriums: Alle Artikel, Geschichtsbücher, Flugblätter und Plakate der Vergangenheit müssen eilig korrigiert werden: Ozeanien stand immer schon im Krieg mit Ostasien, Eurasien war immer schon ein Verbündeter. Wie die anderen Angestellten arbeitet Winston ohne Pause bis zur Erschöpfung. Unterdessen hat O’Brien Kontakt zu ihm aufgenommen und ihn zusammen mit Julia für die Brüderschaft angeworben. Die Mitglieder dieser Widerstandsbewegung kennen einander nicht, und sie kämpfen für eine Idee, deren Verwirklichung in weiter Ferne liegt.

„Alles löste sich in einer Welt des leeren Scheins auf, in der zuletzt sogar die gültige Jahreszahl unsicher geworden war.“ (S. 40)

In seinem Versteck über dem Laden liest Winston Julia ein Buch vor, das O’Brien ihm hat zukommen lassen. Nach der Theorie des Verfassers Goldstein teilt sich die Menschheit seit jeher in eine Ober-, eine Mittel- und eine Unterschicht. Die Geschichte ist ein ewiger Kreislauf von Revolutionen. Sobald eine Schicht an der Macht ist, wird sie von den anderen gewaltsam verdrängt. Unter dem Banner von Freiheit und Gleichheit wurden stets neue Tyranneien errichtet. Erst der Sozialismus machte sich ab 1900 Unfreiheit und Ungleichheit bewusst zum Ziel. Goldstein beschreibt detailliert die Oligarchie der herrschenden Partei, die sich mithilfe von Terror und Gehirnwäsche an der Macht hält. All diese Gedanken sind Winston keineswegs neu. Trotzdem macht ihn die Lektüre glücklich. Nun weiß er endlich, dass es eine Wahrheit gibt und er nicht verrückt ist. Eines Tages, so meint er, werden die Proles, die sich unberührt von Lügen und Hass ihr Herz bewahrt haben, die Welt umstürzen. Im Augenblick dieser Erkenntnis werden Winston und Julia verhaftet. Der alte Charrington, in Wirklichkeit ein Spitzel der Gedankenpolizei, hat sie verraten.

Zwei und zwei ist fünf

In der Gefängniszelle im gefürchteten Ministerium für Liebe kreisen Winstons Gedanken unablässig um dieselben Fragen: Wann bekommt er endlich etwas zu essen? Was ist mit Julia? Wird O’Brien ihm helfen? Unter den Gefolterten und Verhungernden, die nacheinander in seine Zelle gebracht und wieder abgeholt werden, befinden sich auch Kollegen von ihm. Wie lange Winston selbst gefoltert wird, weiß er nicht. In den Tag und Nacht hell erleuchteten Räumen ist ihm jedes Zeitgefühl abhandengekommen. Zwischen den brutalen Schlägen und Tritten verliert er immer wieder das Bewusstsein. Nach stundenlangen quälenden Verhören unterschreibt er, was man von ihm verlangt, und gesteht Verbrechen, die er nie begangen hat. Winstons Ahnung, dass hinter allem der Parteiobere O’Brien stehen könnte, wird schließlich zur schrecklichen Gewissheit. Die Elektroschocks verabreicht dieser ihm selbst. Dabei erklärt er sanft, Winston leide unter Gedächtnisstörungen. Die Vergangenheit existiere nirgendwo sonst als in den Aufzeichnungen. Und da die Partei diese kontrolliere, habe sie auch die Macht über die Vergangenheit. Winstons Einwand, sie könne nicht das Gedächtnis kontrollieren, weist O’Brien zurück. Die Wirklichkeit sei nichts Objektives, sondern existiere nur im menschlichen Denken. Der Einzelne könne sich irren, nicht aber die Partei, deren kollektives Denken unsterblich sei. Winston müsse Selbstaufgabe und Demut lernen, um geistig gesund zu werden. O’Brien quält Winston so lange mit Elektroschocks, bis dieser aus tiefster Überzeugung anerkennt, das zwei und zwei fünf ist – wenn die Partei das behauptet.

Gehirnwäsche

Trotz allem bewundert Winston O’Brien, der sich als der wahre Verfasser von Goldsteins Buch entpuppt, der alles durchschaut und dennoch an die Lügen der Partei glaubt. Naturgesetze seien eine Fiktion, die Sonne drehe sich um die Erde, selbst Schwerkraft und Materie unterlägen der allmächtigen Partei. Diese verfolge – im Unterschied zu den alten Utopien – nicht das Wohl der Menschheit, sondern nur den eigenen Machterhalt. Macht bedeute, den menschlichen Geist zu kontrollieren und ihn nach eigenem Gutdünken neu zu erschaffen. Ziel sei die Zerstörung aller menschlichen Bindungen und eine Welt, in der Hass und Grausamkeit herrschten. O’Brien zwingt Winston, seinen nackten geschundenen Körper im Spiegel zu betrachten und anzuerkennen, dass er nur noch ein Wrack ist.

„Er fragte sich wie schon so oft, ob er nicht selbst irrsinnig war. Ein Irrer war vielleicht nichts weiter als eine Einmannminderheit.“ (über Winston, S. 99)

Nachdem er wieder hochgepäppelt worden ist, beginnt Winston seinen Geist im Parteidenken zu üben. Ozeanien stand immer schon im Krieg mit Ostasien, die Naturgesetze sind Unsinn, Jones, Aaronson und Rutherford waren schuldig, und der Zeitungsausschnitt, der das Gegenteil bewies, hat nie existiert. Es ist alles ganz einfach – warum hat er sich überhaupt dagegen aufgelehnt? Sein Verstand funktioniert zur Zufriedenheit O’Briens, doch in seinem Innersten lebt noch die Liebe zu Julia. Damit er lernt, nur den Großen Bruder zu lieben, wird ihm ein Käfig mit Ratten vors Gesicht geschnallt, die nur durch eine Drahttür von ihm getrennt sind. Bislang hat er Julia selbst unter dem größten Schmerz nicht verraten, doch nun ist es so weit: In seiner grenzenlosen Panik wünscht er ihr die eigenen Schmerzen. Sein Innerstes ist ausgebrannt. Als ein vom Wahn geheiltes, gefühlloses Wesen wird er in die Welt entlassen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Orwells Roman 1984 ist in drei längere Abschnitte unterteilt, von denen der letzte nahezu ausschließlich im Gefängnis und in den Folterräumen spielt. Zwei längere Exkurse – verfasst im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung – heben sich deutlich von der eigentlichen Romanhandlung ab: zum einen das angeblich von Emmanuel Goldstein verfasste Buch über die oligarchischen Tendenzen in der Geschichte, zum anderen die ans Ende angefügte Erläuterung zum Neusprech, der Amtssprache Ozeaniens.

Interpretationsansätze

  • Eine Kombination von fantastischen und realistischen Elementen zeichnet den Roman aus: Die Zukunft spielt nicht in einer ganz anderen, verfremdeten Welt, sondern ist nur wenige Schritte von der Gegenwart entfernt.
  • Die Sprache als Instrument der Manipulation spielt eine bedeutende Rolle: Immer wieder tauchen im Text propagandistische Slogans auf. Winstons Kampf gegen den totalen Überwachungsstaat ist auch ein Kampf gegen dessen Sprachdiktat. Die Freiheit des Individuums ist letztlich die Freiheit der Sprache. Alte Lieder und Abzählreime, die den Roman leitmotivisch durchziehen, symbolisieren Winstons Sehnsucht nach einer besseren Vergangenheit.
  • Zweifelsfrei ist 1984 ein Plädoyer gegen jede Art von Totalitarismus, ob faschistischer oder sozialistischer Prägung. Für Ozeanien stand aber unverkennbar die Sowjetunion der Stalin-Ära Modell. So wie der Große Bruder mit seinem dicken Schnauzbart und dem durchdringenden Blick die Züge Stalins trägt, hat der ehemalige Revolutionsheld und Abtrünnige Emmanuel Goldstein deutliche Ähnlichkeiten mit Leo Trotzki.
  • Schon bald nach seinem Erscheinen wurde der Roman von Konservativen vereinnahmt. Orwell verwahrte sich jedoch dagegen, 1984 als Waffe im Kampf gegen den Sozialismus einzusetzen. Er betonte, jede Zeile, die er seit 1936 zu Papier gebracht habe, sei direkt oder indirekt gegen den Totalitarismus und für den demokratischen Sozialismus geschrieben worden.
  • Orwells Staat hat auch etwas von einer Theokratie: Der Große Bruder, der jeden noch so versteckten Gedanken kennt und bedingungslose Liebe verlangt, besitzt göttliche Allmacht. Das den Parteimitgliedern abverlangte Glaubensbekenntnis, dass zwei und zwei fünf ergebe, steht im Widerspruch zu den Naturgesetzen und verstößt gegen jede Vernunft.
  • Die Überzeichnung der imperialistischen Tendenzen, der gesellschaftlichen Missstände und der Verelendung der Arbeiter, die Orwell in England und anderen westeuropäischen Ländern beobachtete, verleihen dem Roman zeitkritische, satirische Züge.
  • Der Titel 1984 und damit die zeitliche Verortung der Romanhandlung hat vermutlich keine tiefere Bedeutung, sondern geht allein auf eine Umkehrung von 1948, dem Jahr der Fertigstellung des Romans, zurück.
  • Aus psychoanalytischer Sicht wurde Winstons Kampf gegen die totalitäre Herrschaft als kindliche Abwehr gegen elterliche Kontrolle interpretiert: Demnach hat Orwell in 1984 u. a. die eigene Schulzeit in einem autoritär geführten Internat, das stupides Auswendiglernen und drakonische Prügelstrafen praktizierte, literarisch verarbeitet.

Historischer Hintergrund

Enttäuschung vom real existierenden Sozialismus

Nach Lenins Tod im Jahr 1924 setzten in der Sowjetunion Machtkämpfe zwischen Josef Stalin und Leo Trotzki ein. Mithilfe der Geheimpolizei gelang es Stalin, die eigene Position in Politbüro und Partei weiter auszubauen. Trotzki, der für eine Demokratisierung im Innern der Partei eintrat, musste von seinem Ministeramt zurücktreten und ins Exil fliehen, wo ihn die Geheimpolizei 1940 ermordete. Unter Stalins Alleinherrschaft geriet Russland in den 30er Jahren zu einem totalitären Staat, der jede Form von Opposition mit Folter und Tod bestrafte. Der Diktator nutzte seine Machtfülle zur Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft und zu einer rigorosen, an phantasmagorischen Fünfjahresplänen ausgerichteten Industrialisierung. In einer großen „Säuberungsaktion“ mit Schauprozessen und öffentlichen Hinrichtungen vernichtete Stalin zwischen 1936 und 1938 die letzten ehemaligen Mitstreiter der bolschewistischen Revolution. Im Zweiten Weltkrieg schloss die Sowjetunion 1939 einen Nichtangriffspakt mit Hitlerdeutschland, doch nach dem deutschen Übergriff auf Russland 1941 wurde der einstige Verbündete zum Kriegsfeind.

Als sozialkritischer Schriftsteller trat George Orwell von Beginn an vehement für den Sozialismus und die Sache der Arbeiter ein. Gegen einen linken Labour-Flügel, der mit der sowjetischen Spielart des Marxismus sympathisierte, hatte er jedoch seine Vorbehalte. Dem Anhänger eines humanistischen Sozialismus waren Leninismus und Stalinismus mit ihren diktatorischen Tendenzen zutiefst suspekt. Als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, meldete er sich sogleich als Freiwilliger und kämpfte auf der Seite der anarchistisch-marxistischen Partei gegen die faschistischen Truppen von General Franco. Orwell bewunderte die freiheitliche, an Michael Bakunin anknüpfende politische Haltung seiner spanischen Mitkämpfer, die ihn in seiner Ablehnung eines staatsgläubigen, hierarchisch strukturierten Sozialismus bestärkten. Hier sah er sein Ideal vom klassen- und herrschaftslosen, solidarischen Zusammenleben verwirklicht. Nachdem jedoch die Sowjetunion die republikanische Front in Spanien mit Waffen zu unterstützen und ideologisch zu infiltrieren begann, änderte sich die Situation schlagartig. Unter dem Einfluss moskautreuer Funktionäre begann die Hatz auf spanische Freiheitskämpfer, die nicht mit der Parteilinie konform gingen und angeblich Anhänger Trotzkis waren oder sogar Franco unterstützten.

Orwell, der nur knapp der Verhaftung entkam, fühlte sich in seiner Ablehnung des Bolschewismus bestätigt. Zurück in London musste er entsetzt feststellen, dass die sowjetische Version der Geschichte über spanische Anarchisten und Syndikalisten, die angeblich von Franco finanziert wurden, bei englischen Linken auf offene Ohren stieß. Mit dem Ziel, diese Lügen als russische Propaganda zu entlarven, veröffentlichte er 1938 Mein Katalonien. Nachdem sein linkssozialistischer Verlag das Manuskript ablehnte, fand Orwell in Frederic Warburg einen neuen Verleger. Von nun an verfolgte der Schriftsteller nur noch ein Ziel: den literarischen Kampf gegen den verhassten Bolschewismus.

Entstehung

Bereits Anfang der 40er Jahre trug sich Orwell mit dem Gedanken, einen Roman über den Totalitarismus zu schreiben, doch es sollte noch dauern, ehe er seinen Plan in die Tat umsetzte. Um in Ruhe arbeiten zu können, zog sich der an Tuberkulose Erkrankte in das abgelegene Haus eines Freundes auf den Hebriden vor der Küste Schottlands zurück, das weder Strom noch Wasseranschluss hatte. Schwer krank und fiebernd schrieb er den Roman die meiste Zeit im Bett liegend. Ursprünglich hatte Orwell für sein letztes Werk den Titel The Last Man in Europe vorgesehen. Auf Vorschlag Warburgs benannte er den Roman in Nineteen Eighty-Four um.

Wirkungsgeschichte

Nach seinem Erscheinen im Juni 1949 erlebte der Roman in englischsprachigen Ländern eine geradezu explosionsartige Verbreitung. Außerdem wurde er in 65 Sprachen übersetzt und erzielte weltweit Millionenauflagen. Neben Aldous Huxleys Schöne neue Welt ist 1984 der bekannteste und meistzitierte antiutopische Roman. Er hinterließ bis in den alltäglichen Sprachgebrauch hinein seine Spuren: So wurde „1984“ zum Synonym für totalitäre Herrschaft und der immer wiederkehrende Slogan „Big Brother is watching you“ zum Kampfbegriff gegen eine lückenlose staatliche Kontrolle und Verletzung der Privatsphäre. In der DDR und anderen Ostblockstaaten war das Buch verboten.

Literarisch beeinflusste 1984 Werke wie Ray Bradburys Fahrenheit 451 und Anthony Burgess’ Die Uhrwerk-Orange. Der Roman wurde 1956 von Michael Anderson und im „Orwell-Jahr“ 1984 erneut unter der Regie von Michael Radford verfilmt. 1985 schuf der britische Regisseur Terry Gilliam unter dem Titel Brazil eine eigene filmische Adaption des Werks. Mit der viel diskutierten Dokusoap Big Brother wurde Orwells Vision von der totalen Überwachung 1999 auf bizarre Weise in die Realität umgesetzt. Organisationen wie Big Brother Watch, die etwa die Totalüberwachung durch Straßenkameras kritisieren, zeugen davon, dass Orwells Roman immer noch aktuell ist.

Über den Autor

George Orwell wird am 25. Juni 1903 als Eric Arthur Blair im indischen Motihari geboren. Er besucht die englischen Eliteinternate Eastbourne und Eton. Danach lässt er sich, wie vor ihm sein Vater und Großvater, zum Polizeioffizier ausbilden und tritt in den britischen Kolonialdienst ein. Bis 1927 ist Orwell in Burma, dem heutigen Myanmar, für die Indian Imperial Police tätig. Dann quittiert er den Dienst aus Protest gegen die kolonialistischen Methoden. In den folgenden Jahren schlägt sich Orwell in London und Paris durch. Er arbeitet als Tellerwäscher, Buchhandelsgehilfe, Lehrer und Journalist. 1933 erscheint sein autobiografisches Buch über diesen Lebensabschnitt, Erledigt in Paris und London (Down and Out in Paris and London). 1936 heiratet Orwell Eileen O’Shaughnessy und reist als Reporter nach Barcelona, um am Spanischen Bürgerkrieg teilzunehmen. Wie viele andere Künstler auch kämpft er selbst an der Front gegen Francos Faschisten. Nach dem Sommer im Krieg kehrt er verwundet und desillusioniert nach England zurück. 1944 stellt Orwell den Roman Farm der Tiere (Animal Farm) fertig. Eine Veröffentlichung wird aber bis zum Ende des Krieges verhindert, weil die Kritik am Bundesgenossen Stalin zu jener Zeit in Großbritannien nicht opportun ist. 1945 stirbt Eileen während einer Operation. 1948 stellt der unabhängige Sozialist Orwell eine zweite Dystopie mit erschreckend hoffnungslosem Ende fertig, mit der er weltweit berühmt wird: 1984. In diesem Meisterwerk der politisch-philosophischen Science-Fiction treibt Orwell sein pessimistisches Geschichtsbild auf die Spitze. Am 21. Januar 1950, nur drei Monate nach seiner Heirat mit Sonia Mary Brownell, stirbt Orwell 46-jährig in London an Tuberkulose.

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