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Anton Reiser

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Anton Reiser

Ein psychologischer Roman in vier Teilen

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Einer der wichtigsten Bildungsromane deutscher Literatur, und doch: Anton Reisers leidvolle Reise endet im Nichts.


Literatur­klassiker

  • Entwicklungsroman
  • Empfindsamkeit

Worum es geht

Flucht in die Traumwelt der Bücher

Anton Reiser gilt als erster psychologischer Roman deutscher Sprache und ist zugleich eine maskierte Autobiografie seines Verfassers. Rund 100 Jahre vor Sigmund Freud gab Karl Philipp Moritz eine psychologische Zeitschrift heraus und fertigte Fallstudien dafür an, woraus dieser Roman hervorging. Akribisch forscht Moritz nach den Triebfedern, die seinen Helden – oder besser: Antihelden – Anton Reiser zu einem melancholischen Träumer werden lassen. Er macht gleich mehrere Ursachen ausfindig, darunter den Religionsfanatismus des Elternhauses und die bittere Armut und Unterdrückung, die Antons Künstlernatur immer wieder an den Rand der Selbstaufgabe treiben. Moritz warnt aber auch vor dem schlechten Einfluss, den die Literatur auf einen jungen Menschen haben kann, und relativiert damit unterschwellig das Bildungsideal seiner Zeit. Anton Reiser flüchtet sich aus der tristen Wirklichkeit in die Welt der Romane und des Theaters. Immer wenn er ansatzweise auf die Beine kommt, zieht ihm diese Leidenschaft wieder den Boden unter den Füßen weg. Sein Vorhaben, Schauspieler zu werden, misslingt ihm genauso wie alles andere. Der Roman ist ein Exempel des Scheiterns – und zieht den Leser doch auf eine Weise in seinen Bann, wie es nur ganz große Literatur vermag.

Take-aways

  • Anton Reiser gilt als der erste psychologische Roman deutscher Sprache.
  • Inhalt: Der junge Anton Reiser flieht vor Familienstreitigkeiten in die Traumwelt der Romane und des Theaters. Diese kleinen Fluchten behält er auch bei, als er durch zahlreiche Gönner und Fürsprecher Ausbildung und Studium finanziert bekommt. Letztlich scheitert er jedoch an dem Versuch, etwas aus seinem Leben zu machen.
  • Noch vor Goethes Wilhelm Meister, dem Prototyp des deutschen Bildungsromans, zeichnet Moritz die Lebenskarriere eines jungen Mannes.
  • Antons Theater- und Lesemanie führt dazu, dass er den Boden unter den Füßen verliert und im Alltag versagt.
  • Der Roman trägt autobiografische Züge: Viele Stationen erinnern an Moritz’ eigene Kindheit.
  • Ursprünglich konzipierte Moritz den Romanentwurf als Fallbeispiel für eine psychologische Zeitschrift, die er herausgab.
  • Der Roman ist Fragment geblieben und wurde in vier Teilen zwischen 1785 und 1790 veröffentlicht.
  • Man kann ihn als Studie einer schweren Depression lesen: Antons Minderwertigkeitsgefühlte werden ihm zum Verhängnis.
  • Von den Zeitgenossen wurde das Buch stark beachtet; heute steht es – zu Unrecht – im Schatten anderer Klassiker.
  • Zitat: „Unter diesen Umständen wurde Anton geboren, und von ihm kann man mit Wahrheit sagen, dass er von der Wiege an unterdrückt ward.“

Zusammenfassung

Einsame Kindheit mit Büchern

Anton Reiser wird in ein Elternhaus hineingeboren, in dem sich Vater und Mutter hassen. Während der Vater ein Anhänger des Quietismus ist, steht die Mutter treu zur Bibel und verachtet die Ansichten ihres Gatten. Anton fühlt sich zwischen den beiden hin- und hergerissen. Als sein Bruder zur Welt kommt, vernachlässigen die Eltern Anton komplett. Das einzig Gute, was der Vater ihm tut, ist, ihm zwei Bücher zu kaufen und ihn in die Grundkenntnisse des Lesens einzuweihen. Anton, der so gut wie keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern hat, flüchtet sich in eine eigene Welt; er liest Tag für Tag. Über die Literatur macht er sich sein eigenes Bild von der Welt.

„Unter diesen Umständen wurde Anton geboren, und von ihm kann man mit Wahrheit sagen, dass er von der Wiege an unterdrückt ward.“ (S. 15)

Ein Schreibmeister, der Anton unterrichtet, ermuntert ihn, eigene Schriften zu verfassen. Mit zwölf Jahren darf er, seinem Wunsch entsprechend, eine Lateinschule besuchen. Er genießt die Unterrichtsstunden: Hier bekommt er Anerkennung und Beachtung, anders als in seinem ungeliebten Elternhaus. Doch die glücklichen Zeiten währen nicht lange. Anton muss die Lateinschule verlassen und verliert auch seinen vertrauten Schreiblehrer. Sein Leben gerät gehörig durcheinander und er wird mehr und mehr zum Raufbold, der sich an der öffentlichen Schule, die er nun besucht, mit seinen Mitschülern prügelt. Schließlich soll er bei einem Hutmacher in die Lehre gehen. Das freut ihn sehr: Endlich kann er das verhasste Zuhause verlassen.

Lehrzeit am Rand des Abgrunds

Anton beginnt seine Ausbildung als Hutmacher und entwickelt eine freundschaftliche Beziehung zu seinem Lehrmeister. Er lebt förmlich auf, aber mit seinem neu gefundenen Selbstbewusstsein brüskiert er den Hutmacher: Dem gefällt Antons forsches Auftreten nicht. Er erklärt seinem Lehrling, dass er bei Gott in Ungnade gefallen sei. Anton muss fortan niedere und harte Arbeiten verrichten. Er freundet sich mit August, dem zweiten Lehrling, an. Gemeinsam besuchen sie den Gottesdienst. Anton ist fasziniert von den Worten des Predigers. Er stellt sich vor, später einmal auch vor vielen Menschen zu sprechen. Bald werden ihm die Schikanen des Hutmachers zu einer untragbaren Last, sodass er sogar versucht, sich zu ertränken. Im letzten Moment wird er gerettet und fortan mit Argusaugen beobachtet. Der zerknirschte Vater holt ihn bald darauf ab und bringt ihn in die Heimat zurück.

Zurück in der Schule

Zu Hause gelingt es Anton, sich gut mit seiner Mutter zu stellen. Seine Freizeit verbringt er mit den jüngeren Brüdern. Der Vater aber empfindet seit der Rückkehr nur noch Hass für seinen Sohn, von dem er denkt, er treibe auf ein schlimmes Schicksal zu. Um sich auf die Konfirmation vorzubereiten, besucht Anton eine geistliche Schule. Hier zeigt sich sein großes Talent für das Aufschreiben von Predigten. Von seinem Lieblingslehrer wird er besonders gefördert, während andere Pädagogen ihn wegen seines Talents beneiden. Als der Lehrer befördert wird und die Schule verlässt, rät er Anton, sich an den Schulinspektor zu wenden. Trotz anfänglichen Misstrauens gegenüber diesem Mann folgt Anton dem Rat. Der Inspektor glaubt, ihm ein Studium ermöglichen zu können. Antons Vater mag die Freude über diese Perspektive nicht teilen: Er versagt seinem Sohn für den Fall eines Studiums die Unterkunft und jede materielle Unterstützung.

Lust und Frust im Studium

Der Pastor, der Anton auf seine Konfirmation vorbereitet, erkennt das Talent des Jungen, nimmt sich seiner an und lässt ihm Latein beibringen. Dem Studium steht nun tatsächlich nichts mehr im Weg, denn der Regent persönlich bietet Anton Unterstützung an. Unterkunft findet er bei einem Oboisten aus der Armee des Regenten. Zur Verpflegung werden ihm diverse Freitische bei mehreren Familien angeboten.

„Wenn er in das Haus seiner Eltern trat, so trat er in ein Haus der Unzufriedenheit, des Zorns, der Tränen und der Klagen.“ (über Anton, S. 15)

Während des Studiums tritt Anton dem Schulchor bei. Im Umgang mit der lateinischen Sprache erweist er sich als sehr geschickt. Die Freitische sind ihm jedoch peinlich, weil er sich immer als Bittsteller fühlt. Als ihm seine Unterkunft gekündigt wird – Anton ist der pingeligen Frau des Oboisten lästig geworden –, findet er eine Bleibe bei seinem Rektor. Wegen seiner guten Leistungen wird Anton in die Prima versetzt. Hier allerdings schneiden ihn seine Mitschüler, weshalb er die Freude am Unterricht verliert. Immer mehr zieht er sich in die Welt seiner Bücher zurück. Gleichzeitig zwingen ihn mangelnde Einkünfte, Schulden zu machen. Er entschließt sich, in den Osterferien seine Eltern zu besuchen, um etwas Abstand vom Studium zu gewinnen.

Die Welt der Bücher

Als Anton zurückkehrt, wächst seine Melancholie. Doch er hört von einer Schauspielergesellschaft, die in Hannover gastiert, und der Gedanke daran muntert ihn auf. Abend für Abend vertreibt er sich von nun an die trübe Stimmung des Tages mit dem Besuch einer Komödie. Allerdings vernachlässigt er durch die Begeisterung für die Schauspielerei seine übrigen Pflichten immer mehr. Das Lotterleben bleibt nicht ohne Konsequenzen: Anton verliert das Wohlwollen des Rektors und seine Unterkunft. Der Besuch einer Operette inspiriert ihn derweil zu einem neuen Berufswunsch: Er möchte Bauer werden. Auch eine neue Bleibe findet er; er lebt nun in Gemeinschaft mit den Herren G. und M., die sich in ähnlich miserablem Zustand befinden wie er. Da erinnert sich sein Pastor an ihn. Er lässt ihn wissen, dass er den „verlorenen Sohn“ wieder aufnähme, falls dieser Abbitte leisten und Reue zeigen würde.

„Unter allen Empfindungen ist wohl der höchste Grad der Beschämung, worin jemand versetzt wird, eine der peinigendsten.“ (S. 147)

Es kommt zu einem Gespräch mit dem Pastor. Schuldbewusst kehrt Anton anschließend zum alten Studentenleben zurück. Befriedigung findet er darin allerdings nicht, sodass er sich immer tiefer in die Welt der Literatur eingräbt. Doch leiht er nun keine Romane mehr aus, wie er es bisher getan hat, sondern Sachbücher über Metaphysik. Zufällig landet aber auch eine Übersetzung eines Stücks von Shakespeare in seinen Händen. Es eröffnet ihm eine völlig neue literarische Welt. Anton verschlingt die Werke Shakespeares. Er will seine Neuentdeckung teilen und entsinnt sich seines alten Freundes und Namensvetters Philipp Reiser, mit dem er einst im Schulchor gesungen hat und der jetzt als Klavierbauer arbeitet. Gemeinsam erkunden sie die Welt Shakespeares und beginnen damit, selbst eigene kleine Aufsätze zu schreiben.

Erfolge in der Dichtkunst

Der Sohn des Kantors, ein Mitschüler Antons, der erfahren hat, dass dieser früher bereits Gedichte verfasst hat, möchte von ihm ein paar Verse für einen Geburtstag haben. Anton gelingt ein außerordentlich gutes Gedicht. Der kleine Erfolg weckt in ihm den Wunsch, die vernachlässigte Poesie wieder aufzunehmen. Die Anlässe für die Reime sind vielfältig, häufig dichtet Anton auch nur aus reiner Schreiblust. Philipp Reiser ist sein Kritiker und wäscht ihm oft genug den Kopf.

„An guten Vorsätzen war er unerschöpflich – Dies machte ihn aber auch beständig mit sich selbst unzufrieden, weil der guten Vorsätze zu viele waren, als dass er sich selber jemals hätte ein Genüge tun können.“ (über Anton, S. 214)

Als Anton wieder einmal ein hervorragendes Stück Lyrik gelingt, das den Tod eines ertrunkenen Freundes von Philipp zum Thema hat, fasst er den Mut, in der Deklamationsstunde zwei seiner Gedichte vorzutragen. Ein neuer Rock, der ihm vom Regenten finanziert wird, trägt zu seinem wiedergefundenen Selbstbewusstsein bei. Der Direktor erfährt, dass Anton die Gedichte selbst geschrieben hat, und ist voll des Lobes dafür, auch vor anderen Schülern. Antons Ansehen steigt, alle suchen Kontakt zu ihm, und bald kann er sich von den Unterrichtsstunden, die er anderen Schülern erteilt, ein angenehmes Leben leisten. Er erfährt Anerkennung, wie er sie bislang nicht erlebt hat. Als er auch noch den Auftrag erhält, zum Geburtstag der Königin von England ein Gedicht zu verfassen und selbst vorzutragen, ist das der vorläufige Höhepunkt seines Lebens. Sowohl seine Eltern wie auch der Pastor und der Direktor glauben wieder, dass aus Anton Reiser etwas werden kann.

Reise nach Bremen

Anton will sich einen Traum erfüllen und eine Reise nach Bremen machen. Bislang ist er noch in keiner so großen Stadt gewesen. Er trägt einen Brief eines Mitschülers bei sich, den er dessen Bruder, einem Kaufmannsdiener, übergeben soll. Fasziniert von den Schiffen, die ihm auf der Weser begegnen, macht er eine kleine Tour. Dabei gibt er beinahe sein ganzes Reisegeld aus. Als er in Bremen ankommt, ist er pleite. Zum Glück trifft er hier nach langem Warten auf den Diener, dem er den Brief abliefern soll. Anton wird herzlich empfangen, und der Kaufmannsdiener verspricht, ihn auch finanziell zu unterstützen. So erhält Anton genug Geld, um nach Hannover zurückkehren zu können. Dort erinnert ihn ein Flugblatt an seine alte Leidenschaft, das Theater. Bekannte und von ihm verehrte Schauspieler geben Aufführungen in der Stadt, die sich Anton nicht entgehen lässt. Bei den anstehenden Vorstellungen der Primaner erhofft er sich dank seiner neu gewonnenen Beliebtheit ein Rollenangebot. Dieser Wunsch wird ihm zunächst versagt, aber schließlich erhält er doch noch eine kleine Rolle.

Die Bretter, die die Welt bedeuten

Nun ist Anton Mitglied der Theatergesellschaft – und verfällt in seine alten Nachlässigkeiten. Er versäumt Unterrichtsstunden und träumt sich in seine Romanwelten. Er sieht sich als berühmten Autor und seinen Namen auf Komödienzetteln prangen, aber leider bekommt er nur kleine, in seinen Augen unbedeutende Rollen, die ihm zwar den Beifall des Publikums einbringen, ihn aber nicht zufriedenstellen. Langsam reift in ihm, wie auch in seinem Freund Philipp, der Wunsch, Hannover zu verlassen und sich in eine andere Stadt zu begeben. Er hofft, sich einer Schauspieltruppe anschließen und bedeutendere Rollen spielen zu können. Seine Leidenschaft für das Theater und fürs Reisen wächst ins Unermessliche. Als er sich wieder einmal den Demütigungen und Witzeleien anderer Schüler ausgesetzt sieht, hat er genug. Er packt seine Sachen, versucht seine wenigen Habseligkeiten zu Geld zu machen und verlässt Hannover – allerdings ohne Philipp Reiser, der sich nun doch nicht zu diesem Schritt entschließen kann.

Auf Wanderschaft

Das unmittelbare Ziel seiner Reise ist Erfurt, die Geburtsstadt seines Freundes Philipp. Danach will er weiter nach Weimar, denn er hofft, dort auf die Ekhof’sche Schauspielergemeinschaft zu treffen. Dieser möchte er sich anschließen, um seinen Traum zu verwirklichen und als Schauspieler zu arbeiten. Während der Wanderschaft begegnet er vielen freundlichen Menschen, die ihm das eigentlich beschwerliche Reisen zur Freude machen.

„Er stieß (...) laute Gotteslästerungen aus und war der Verzweiflung nahe – er wünschte sich wirklich vom Erdboden verschlungen zu sein – und der Fluch seines Vaters schien ihn im Ernst zu verfolgen.“ (über Anton, S. 223)

Schließlich gelangt er nach Erfurt und erfährt, dass die Ekhof’sche Schauspielergemeinschaft nicht mehr in Weimar weile, sondern sich nunmehr in Gotha befinde. Tatsächlich trifft er dort auf die Truppe. Anton bekommt jedoch eine Absage, selbst sein Angebot, kostenlos in der Theatergruppe zu arbeiten, wird abgelehnt. Der Akteur Ekhof rät ihm zu einer Wanderschaft nach Eisenach, wo eine andere Schauspielergruppe residiere. Sollte er erst einmal Erfahrungen an anderer Stelle gesammelt haben, könnte auch ein Engagement bei seiner Truppe Wirklichkeit werden. In Eisenach stellt sich heraus, dass die Schauspieler tags zuvor abgereist sind. Anton will ihnen nachreisen und irrt doch nur herum. Schließlich landet er wieder in Erfurt.

Ein Traum zerplatzt

Anton, enttäuscht und völlig mittellos, sieht keinen Sinn mehr im Leben. Erst der Umstand, dass er in einem Wirtshaus für einen Studenten gehalten wird, bringt ihn dazu, seine Studien wieder aufzunehmen. Durch einen Tipp gerät er an den Prorektor der Erfurter Universität, der tatsächlich finanzielle Unterstützung für ihn erwirkt. Wieder erwirbt sich Anton dank seines dichterischen Geschicks schnell die Gunst seiner Mitstudenten und macht sich auch unter der Bevölkerung einen Namen. Als die Kommilitonen einige Komödien aufführen, bekommt auch Anton Rollenangebote. Seine alte Leidenschaft flammt wieder auf. Abermals gerät er in einen Wahn, vergisst sich zwischen Dichtung und Schauspielerei und vernachlässigt seine Studien.

„(...) auch war ihm nun jener Beifall aus der ersten Hand, den ein Schauspieler einernten kann, so wichtig und so lieb geworden, dass sein Hang immer mehr nach dem Theater als nach der Universität war.“ (über Anton, S. 307)

Wieder wird ihm die finanzielle Unterstützung versagt, und Anton fasst den Entschluss, Erfurt ein weiteres Mal zu verlassen. Er nimmt Kontakt zu einer Schauspielgesellschaft auf, die in Erfurt gastiert. Hier bekommt er sein erstes Engagement. Endlich scheint er am Ziel seiner Träume zu sein. Er geht mit der Truppe nach Leipzig, wo ein Auftritt geplant ist. Dort angekommen, stellt sich jedoch heraus, dass der Anführer der Gruppe den Fundus verkauft und das Geld veruntreut hat. Die Truppe steht vor dem Aus.

Zum Text

Aufbau und Stil

Anton Reiser erscheint auf den ersten Blick als typischer Bildungsroman, wie er von Johann Wolfgang von Goethe mit seinem Wilhelm Meister zur Blüte gebracht wurde. Moritz bezieht sich in seinem Vorwort auf einen wichtigen Romantheoretiker seiner Zeit, Friedrich von Blanckenburg, der in seinem Versuch über den Roman festhält, dieser sei das „geeignetste Instrument, das Innere des Menschen in einer lückenlosen Kette von Kausalbegründungen nicht nur darzustellen, sondern diese Motivierungen durch Anschauung und Reflexion in ihrem ganzen Umfange selbst sichtbar zu machen“. Moritz tut dies, indem er Antons Empfindungen sorgsam aufzählt, analysiert und auch Kleinigkeiten nicht auslässt. Jede psychologische Entdeckung wird vom Erzähler kommentiert und mit Erinnerungen und früheren Erfahrungen Antons oder äußeren Ereignissen abgeglichen. Zuweilen zeigt sich der Erzähler auch als Pädagoge, der Antons Entwicklung als Warnung verstanden wissen will. Die Handlung des Romans verläuft passagenweise ziemlich monoton; das fortwährende Auf und Ab von Antons Theatermanie und seinen kurzfristigen gesellschaftlichen Erfolgen kann ermüden. Gleichzeitig wurden in der deutschen Literatur kaum je zuvor seelische Zustände so präzise und konkret erfasst. Moritz kann viel mit wenig Worten sagen, etwa, wenn er den gleichzeitig frommen und geizigen Hutmacher charakterisiert: „Seine Leute konnten ihm nie genug arbeiten – und er machte ein Kreuz über das Brot und die Butter, wenn er ausging.“

Interpretationsansätze

  • Der Roman trägt autobiografische Züge. Die Ähnlichkeiten zwischen Autor und Romanheld sind mehr als deutlich: Moritz stattet Anton Reisers Geschichte mit Elementen seiner eigenen Kindheit und Jugend aus und psychologisiert seine eigenen Schwächen.
  • Moritz versteht seinen Roman als psychologisches Fallbeispiel. Entsprechend ausführlich schildert er die Deformation der Persönlichkeit, die Anton durch die frühkindlichen Erfahrungen im Elternhaus erleidet.
  • Die Freiheiten der Aufklärung und der Leistungsdruck innerhalb der bürgerlichen Schicht setzen Anton Reiser zu. Mit seinem Auszug aus der muffigen elterlichen Religiosität tappt er zwar – ganz nach der Kant’schen Definition der Aufklärung – aus seiner eigenen Unmündigkeit, muss aber auch den Preis dafür zahlen: Orientierungslosigkeit.
  • Moritz übt Kritik an der Religion, insbesondere an deren buchstabengetreuer Ausübung. Reisers Eltern hängen zwei sich widersprechenden Glaubensrichtungen an, deren inneren Sinn sie jedoch nicht verstehen. Daher halten sie sich sklavisch an die Vorschriften und begreifen nicht, dass sie dadurch die Intention ihres Glaubens verfehlen.
  • Lesen bedeutet für Anton Reiser die Flucht in eine bessere Welt. Immer wieder flieht er in Lesewut und Theaterbegeisterung, um seinem tristen Dasein zu entgehen. Ähnlich wie bei einer Sucht verzettelt er sich hierdurch immer mehr und sinkt nur noch tiefer in seine Melancholie.
  • Anton Reisers Leben ist ein Beispiel für eine sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Weil er durch seine zahlreichen Schicksalsschläge weiß, was im Leben alles schiefgehen kann, erwartet er schon die nächste Katastrophe – und bereitet ihr damit unbewusst den Weg.

Historischer Hintergrund

Aufgeklärter Absolutismus und religiöse Gruppierungen

Als Karl Philipp Moritz 1756 geboren wurde, begann der Siebenjährige Krieg. 1763 ging Preußen daraus als europäische Großmacht hervor und durfte Schlesien, um dessen Besitz es ursprünglich ging, behalten. Friedrich II. (der Große) ließ sich vom Geist der Aufklärung leiten und machte aus Preußen einen Staat des aufgeklärten Absolutismus, was sich vor allem in verschiedenen Reformen zugunsten des Gemeinwohls ausdrückte. Die ständische Ordnung wurde allmählich aufgeweicht, das Bürgertum stärker. Trotz der Säkularisierung spielte die Religion weiterhin eine große Rolle im Leben vieler Menschen.

In Deutschland war es im Zuge der Reformation zu einem Nord-Süd-Gefälle gekommen: Der Norden war überwiegend protestantisch und der Süden katholisch. Beide Konfessionen bildeten unterschiedliche Sekten und Kongregationen aus. Zu den Sekten des Katholizismus gehörten die Quietisten, zu denen des Protestantismus die Pietisten. Beide Glaubensrichtungen spielen im Roman Anton Reiser eine wichtige Rolle, gehört doch Antons Vater der einen und die Mutter der anderen Überzeugung an. Der Pietismus (von lat. pietas = Frömmigkeit) entstand im 17. Jahrhundert und stellte die persönliche Bekehrung des Menschen, eine besondere Frömmigkeit und die Umsetzung des Glaubens im täglichen Leben in den Mittelpunkt. Der Quietismus (von lat. quietus = ruhig) forderte eine innere Ruhe und Gelassenheit dem Leben gegenüber; dadurch sollte der Gläubige eine größere Nähe zu Gott erlangen und mitunter sogar mystische Erfahrungen machen.

Entstehung

Anton Reiser wurde von Moritz zunächst als Fallstudie für ein psychologisches Projekt konzipiert. Von 1783 bis 1793 gab der Autor das Magazin zur Erfahrungsseelenkunde heraus, mit dem er ein Wegbereiter der empirischen Psychologie wurde. Das Magazin wollte die noch junge Disziplin strukturieren und ihr Profil schärfen und sammelte deshalb Modellfälle, anhand derer die Psyche des Menschen diskutiert wurde. Moritz rief seine Leser dazu auf, eigene Fallgeschichten einzusenden. 1784 publizierte er im Magazin zwei Auszüge aus Anton Reiser. Er wandte für den Roman eine Methode an, die er auch für die Fachartikel des seelenkundlichen Magazins benutzte: Er beschrieb genau, was in seinem Helden vorgeht, und bezog auch das engere und weitere soziale Umfeld in seine Betrachtungen mit ein. Geschickt verknüpfte Moritz immer wieder die Fiktion mit (autobiografischer) Wirklichkeit und inszenierte die Rückkopplung von Literatur und Leben. Die insgesamt vier Romanteile erschienen zwischen 1785 und 1790. Anton Reiser ist Fragment geblieben.

Wirkungsgeschichte

Die unmittelbare Reaktion des Publikums auf den 1785 erschienenen ersten Teil des Romans war Enttäuschung. Das lag vor allem an der Erwartungshaltung, denn von einem Roman versprachen sich die Leser vor allem Spannung und Unterhaltung. Im Vorwort zum zweiten Teil machte Moritz aber deutlich, dass es ihm genau darum nicht ging, sondern vielmehr um die psychologischen Aspekte in der Entwicklungsgeschichte seines Helden.

Ein Jahr nach Moritz’ Tod veröffentlichte sein Schüler Karl Friedrich Klischnig ein Büchlein mit dem Titel Erinnerungen aus den zehn letzten Lebensjahren meines Freundes Anton Reiser. Das Buch wurde als fünfter Teil des Anton Reiser verstanden und legte gleichzeitig eine Identität von Reiser und Moritz nahe.

Anton Reiser ist bis heute das bekannteste Werk von Moritz geblieben. Schon bei dessen gebildeten Zeitgenossen fand es große Beachtung. Goethe soll es sogar zur Umarbeitung seines Bildungsromans bewogen haben: Sein Wilhelm Meister betrachtet das Theater nicht mehr als Ziel, sondern nur noch als Durchgangsstation auf seinem Bildungsweg, ganz so als sei er von Anton Reisers Vorbild abgeschreckt worden. Heinrich Heine nannte das Werk „eines der wichtigsten Denkmäler jener Zeit“ und Arno Schmidt wertete es als „die grandioseste, nicht nur der deutschen, sondern aller Selbstbiografien“, als ein Buch, das „kein Volk der Erde sonst besitzt“. Dennoch entwickelte sich Moritz’ Roman eher zu einem Klassiker zweiter Wahl, der es lange nicht schaffte, gegen die übermächtigen Werke der Weimarer Goethe und Schiller zu bestehen. Erst im 20. Jahrhundert interessierte sich die Forschung verstärkt für Moritz’ Werk und konnte nachweisen, dass die meisten der im Roman erzählten Lebensstationen Anton Reisers tatsächlich mit der Biografie des Autors deckungsgleich sind.

Über den Autor

Karl Philipp Moritz wird am 15. September 1756 in Hameln geboren. Sein Vater, ein Militärmusiker, gehört der Sekte der Quietisten an und terrorisiert seine Familie, insbesondere den kleinen Karl Philipp, mit seiner religiösen Hysterie. Freundliche Worte oder Ermunterungen bekommt der Junge nicht zu hören. Seine Gedanken sind auf Flucht gerichtet, doch letztlich ist es nur eine Flucht in die Traumwelt der Bücher. Moritz entwickelt sich zur Leseratte und frönt seinem Hobby, wann immer es ihm möglich ist. Mit zwölf Jahren nimmt der Vater ihn von der Schule und steckt ihn bei einem ebenfalls quietistischen Hutmacher in Braunschweig in die Lehre. Moritz leidet unter dessen Erniedrigungen so, dass er einen Selbstmordversuch unternimmt. Der Vater wähnt Moritz bereits im „Tempel Satans“ und holt ihn nach Hannover. Auf Fürsprache des Pfarrers darf Moritz das Gymnasium besuchen, leidet aber unter seiner Armut. Wieder bietet ihm die Literatur eine Fluchtmöglichkeit. 1776 reist er heimlich aus Hannover fort, um Schauspieler zu werden, er wird jedoch abgewiesen. Moritz studiert ein Semester Theologie in Erfurt und beginnt ein Jahr später in einem Waisenhaus in Potsdam als Lehrer zu wirken. Hier gerät er erneut an den Rand des Selbstmords, weil er die Zustände im Waisenhaus nicht ertragen kann. An einem Gymnasium in Berlin ergeht es ihm besser: Moritz bringt es bis zum Konrektor, gibt eine Zeitschrift heraus und tritt mit anderen Veröffentlichungen hervor. In den folgenden Jahren unternimmt er eine Reise nach England und eine durch Deutschland. 1786 reist er nach Italien, wo er nach eigenem Bekunden die schönste Zeit seines Lebens verbringt. Dort trifft er auch Goethe, der ihn wie einen jüngeren Bruder aufnimmt und mit dem ihn fortan eine tiefe Freundschaft verbindet. Moritz blüht auf, gewinnt Selbstbewusstsein und macht sich mit seinen ästhetischen Schriften einen Namen. 1789 wird er Professor der Theorie der schönen Künste in Berlin. Wilhelm von Humboldt und Ludwig Tieck zählen zu seinen Schülern. Er ehelicht die 15-jährige Tochter eines Buchhändlers, trennt sich von ihr und heiratet sie erneut. Kurz darauf, am 26. Juni 1793, stirbt Moritz an Tuberkulose.

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