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Berliner Kindheit um neunzehnhundert
Buch

Berliner Kindheit um neunzehnhundert

Frankfurt/Main, 1950
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2006 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Autobiografie
  • Moderne

Worum es geht

Bruchstücke einer Kindheit

Wenn man sich an seine Kindheit und Jugend erinnert, dann geht das kaum, ohne die eigene Position im Hier und Jetzt mit einzubauen. So richtet auch der deutsche Philosoph und Literaturkritiker Walter Benjamin in Berliner Kindheit um neunzehnhundert seinen Blick in die Vergangenheit und verknüpft die Kindheitserinnerungen an mehreren Stellen mit seiner Gegenwart: Anfang der 30er Jahre, schon unter dem Schatten der heraufziehenden Nazidiktatur, zeichnete er in den Miniaturen verklärte Momentaufnahmen einer glücklichen, bürgerlich-sicheren Kindheit, aber er erkannte auch erste Anzeichen für die Saat der Barbarei, die ihm die Gegenwart vergällte. Intime Einblicke in das Schlafzimmer eines kranken Kindes, Odysseen durch Berliner Gärten und Parks, alte Kinderverse, missverstandene Märchen, heimelige Besuche bei Verwandten wechseln sich ab mit Beschreibungen des wilhelminischen Deutschland, wie beispielsweise eines Gangs zur Siegessäule oder der ruckartigen Reise um die Welt in der Bilderschau des "Kaiserpanoramas". Zu Recht gilt diese Sammlung von Momentaufnahmen aus der Kindheit im Kaiserreich als eine der eindrücklichsten deutschsprachigen Autobiografien.

Zusammenfassung

Die Lauben von Berlin

Erinnerungen an die Kindheit schlummern oft lange in einem Menschen, um dann irgendwann einmal wieder geweckt zu werden. Der Blick in einen Berliner Innenhof von einer markisenumschatteten Laube ist eine wichtige Erinnerung Walter Benjamins an seine eigene Kindheit. Er malt sich aus, dass die schlanken Säulenfiguren, die die Lauben trugen, damals zu ihm hinabstiegen, um ihm ein Lied zu singen. Das Rascheln der Bäume, der Anblick des Hofes, ja selbst das Hoch- und Herunterlassen von Jalousien sind Fixpunkte der Erinnerung. Den jungen Benjamin beschäftigte vor allem der in das Pflaster eingelassene Baum, den er immer wieder mit den Bäumen verglich, die in ganz ähnlicher Weise an den Haltestellen der Droschken verankert waren. An manchen Vormittagen schien der Sommer eingesperrt in die Höfe, wie es Benjamin später auch von anderer Position, namentlich vom Bahndamm aus, beobachtete. Berlin sieht in der Gegenwart des sich Erinnernden ganz anders aus, die Lauben jedoch haben sich am wenigsten verändert. Sie sind eingegraben in die Erinnerungen, wo sie wie ein Mausoleum erscheinen, in dem das Kind sich befindet.

Kaiserpanorama und Siegessäule

Über den Autor

Walter Benjamin wird am 15. Juli 1892 in Berlin geboren. Dort wächst er in einer großbürgerlichen jüdischen Familie auf, besucht das Gymnasium und macht 1912 sein Abitur. Anschließend nimmt er sein Studium der Philosophie, deutschen Literatur und Psychologie auf. Er studiert in Freiburg im Breisgau, München, Berlin und schließlich in Bern. 1915 lernt er den jüdischen Mystiker Gershom Scholem kennen. Mit ihm wird ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden. Zwei Jahre später heiratet er Dora Sophie Pollak, mit der er einen Sohn hat. 1919 schließt Benjamin seine Promotion über den Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik ab. Dann versucht er sich in Berlin als freier Schriftsteller, kommt aber mehr schlecht als recht über die Runden. Ein eigenes Zeitschriftenprojekt scheitert. In dieser Zeit entsteht u. a. sein Essay über Goethes Wahlverwandtschaften. Benjamin knüpft Kontakte zu Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer. Sein Habilitationsprojekt Ursprung des deutschen Trauerspiels an der Frankfurter Universität zieht er selbst zurück, als eine Ablehnung seitens der Universität absehbar ist. Benjamin sympathisiert mit der Sowjetunion, wird allerdings selbst nie Mitglied einer kommunistischen Partei. 1926 reist er nach Moskau, nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Paris, wo er mit Franz Hessel an der Übersetzung der Werke von Marcel Proust gearbeitet hat. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten flieht Benjamin endgültig nach Paris, arbeitet von hier aus für das Frankfurter Institut für Sozialforschung und an eigenen Projekten. Unter anderem entstehen der viel zitierte Aufsatz Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936), verschiedene Baudelaire-Studien und das so genannte Passagen-Werk, das unvollendet bleibt. 1932 beginnt er damit, seine Kindheitserinnerungen niederzuschreiben. Kurz nach Kriegsausbruch entsteht sein letzter Text, die Thesen Über den Begriff der Geschichte. Nach dem Einmarsch der Nationalsozialisten in Paris flieht er nach Lourdes und versucht im Herbst 1940 nach Spanien zu gelangen. Da ihm die Auslieferung an die Nazis droht, nimmt Benjamin sich am 26. September 1940 im spanischen Grenzort Portbou das Leben, wo heute ein Denkmal an ihn erinnert.


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