Unbekannt
Bhagavad Gītā
Der Gesang des Erhabenen
Verlag der Weltreligionen, 2007
Was ist drin?
Die Seele stirbt nie, und sie findet das Glück in sich selbst: die Bibel der Hindus und der Hippies.
- Religion
- Antike
Worum es geht
Durch Selbstbeherrschung zum Seelenfrieden
Was ist dran an diesem über 2000 Jahre alten religiösen Lehrgedicht, dass es Hindus und westliche Philosophen, Dichter, Hippies und Esoteriker gleichermaßen in seinen Bann zieht? Zum einen ist es wohl die archaische, poetische Sprache, die nach all den Jahrhunderten nichts an Kraft und Schönheit eingebüßt hat; zum anderen sind da die zeitlosen philosophischen Prinzipien, die Krishna als personifizierter Gott dem Prinzen Arjuna verkündet. Der Weg zum Glück liegt ihnen zufolge nicht in totaler Weltentsagung, sondern in einem auf Gott ausgerichteten Leben, das durchaus ein tätiges sein kann. Die Idee, mithilfe bestimmter Atem- und Meditationsübungen zu einem in sich ruhenden Menschen zu werden, der sich nicht von seinen Leidenschaften beherrschen lässt, macht bis heute den Reiz dieser schmalen Schrift aus. Nicht weniger interessant – allerdings auch bedenklich – ist die Konsequenz der Reinkarnationslehre, wie sie dem kriegsscheuen Arjuna dargelegt wird: Es ist nicht die Seele, die tötet oder getötet wird – also ist Krieg in Ordnung. Das steht in schroffem Gegensatz zu den Lehren, die etwa Mahatma Gandhi aus der Bhagavad Gītā gezogen hat. So haben denn auch verschiedene Kommentatoren angemerkt, dass in diesem Sammelsurium indischer Philosophie fast jeder findet, was er sucht.
Take-aways
- Das Lehrgedicht Bhagavad Gītā ist eine der wichtigsten Schriften des Hinduismus.
- Inhalt: Prinz Arjuna weigert sich, auf dem Schlachtfeld gegen seine Verwandten zu kämpfen. Daraufhin empfiehlt ihm der göttliche Krishna, sich durch Yoga von Selbstsucht und Begierden zu befreien. Krishnas Lehre: Wer die Gottesliebe zur einzigen Richtschnur seines Handelns macht, kann auch töten, ohne schuldig zu werden. Er befreit sich aus dem Kreislauf der Wiedergeburten und gelangt zu ihm, Krishna.
- Die Bhagavad Gītā entstand zwischen 200 v. Chr. und 300 n. Chr. und verschmilzt religiöse Traditionen miteinander, die viel weiter zurückreichen.
- Im Gegensatz zum Buddhismus fordert die Gītā keine Weltentsagung, sondern ein selbst- und absichtsloses Handeln.
- Nach der Bibel ist die Bhagavad Gītā das meistübersetzte Werk der Weltliteratur.
- In Deutschland hatte das Buch großen Einfluss auf die Sturm-und-Drang-Bewegung und die Frühromantik.
- Die Gītā ist aufgrund ihrer vielfältigen Quellen widersprüchlich. So ruft Krishna Arjuna zum Kampf auf, nennt aber an anderer Stelle Gewaltlosigkeit als Tugend.
- Mahatma Gandhi leitete aus der Schrift seinen Weg des passiven Widerstandes ab. Den Aufruf zum Kampf interpretierte er als Allegorie.
- In den 1960er Jahren galt die Gītā den Hippies als Evangelium der Selbstverwirklichung.
- Zitat: „Ein Mensch erlangt Vollkommenheit, wenn er in seinem je eigenen Handeln Genüge hat.“
Zusammenfassung
Arjunas Zwiespalt
Auf die Bitte des blinden alten Königs Dhritarāshtra berichtet sein Kundschafter Samjaya von dem Krieg, der wegen Streitigkeiten um die Thronfolge ausgebrochen ist. Samjaya erzählt von Prinz Arjuna, einem Neffen Dhritarāshtras, der, als die Heere schon zum Kampf bereitstehen, die Söhne des Königs und viele seiner eigenen Verwandten und Lehrer unter den feindlichen Kriegern erblickt. Zutiefst erschüttert wendet er sich an den göttlichen Krishna, der als Wagenlenker des Prinzen in Erscheinung tritt, und erklärt ihm, er werde seine Angehörigen nicht töten, selbst wenn diese Böses im Schilde führten. Eher wolle er auf die Königsherrschaft verzichten, als sich an seinen Nächsten zu vergehen. In der Zerstörung der Familie liege der Keim für Gesetzlosigkeit, Sittenverfall und eine schädliche Vermischung der Kasten.
Weisheit durch Gleichgültigkeit
Krishna, berichtet Samjaya weiter, rät Arjuna zu mehr Gleichmut. Die äußeren Dinge des Lebens, Sinneseindrücke, Lust und Leid – all das sei vergänglich wie der menschliche Körper. Das Selbst hingegen sei unzerstörbar. Nicht dieses Selbst töte oder werde getötet, sondern nur der Körper. Krishna erinnert den Prinzen an seine Pflicht als Angehöriger der Fürsten- und Kriegerkaste: Er habe für Gerechtigkeit zu kämpfen; sich seiner Kastenpflicht zu entziehen, wäre eine Schande. Vor allem aber soll Arjuna sein Handeln nicht an Ergebnissen orientieren und sich nicht von den Sinnen leiten lassen, sondern in tiefer Versenkung der Stimme der Vernunft lauschen. Der Weise, dem Erfolg oder Misserfolg seiner Handlungen gleichgültig sind, erlöst sich laut Krishna von dem Kreislauf der Wiedergeburten und ist frei von Leid. Er strebt keinen Besitz an, hat seine Sinne unter Kontrolle und verspürt weder Zorn noch Furcht, weder Begehren noch Hass. Wer diesen Zustand der Leidenschaftslosigkeit erreicht habe, genieße Gemütsruhe und inneren Frieden.
Yoga zur Selbstkontrolle
Auf Arjunas Einwand, Vernunft und Handeln würden einander widersprechen, reagiert Krishna, indem er zweierlei Arten von Handeln unterscheidet: einerseits das zielorientierte Handeln der Unwissenden, das auf Wirkung bedacht und in den ewigen leidvollen Kreislauf von Taten und Folgen eingebettet ist; andererseits das zweckfreie, absichtslose, von allen Begierden und egozentrischen Wünschen losgelöste Handeln des Weisen, das die Harmonie in der Welt befördert. Handeln an sich widerspreche also nicht der Erkenntnis, im Gegenteil: Würden die Menschen nicht handeln, so würde die Welt im Chaos versinken.
„Es gibt kein Werden aus dem Nicht-Seienden / und kein Vergehen des Seienden.“ (S. 18)
Jetzt erst gibt sich Krishna seinem Gegenüber als Schöpfer der Welt und Herr über alle Wesen zu erkennen, der immer dann in neuer Gestalt wiedergeboren wird, wenn die Weltordnung bedroht ist. Wer in ihm den Gott erkennt und seinem Vorbild folgt, indem er keine Absichten und Wünsche verfolgt und Erfolge ebenso gleichmütig hinnimmt wie Misserfolge, wer sich selbst beherrscht und seine Begierden zügelt, der befreit sich von dem unheilbringenden Kreislauf von Geburt und Tod. Er muss nicht wiedergeboren werden, sondern wird eins mit dem Höchsten, Absoluten, mit Gott. Krishna fordert Arjuna auf, mithilfe von Yoga seine Zweifel zu besiegen und so zur Erkenntnis zu gelangen.
„Wer das Selbst für den Tötenden / oder wer es für den Getöteten hält – / sie beide begreifen nicht, / dass das Selbst weder tötet noch getötet wird.“ (S. 19)
Wer sich in Yoga übt, entsagt laut Krishna allen Absichten und handelt, ohne sich um die Folgen, um das Gute oder Schlechte seiner Taten zu kümmern. Indem er sein Bewusstsein zu beherrschen und seine Sinne zu zügeln lernt, erkennt er, dass er selbst – wie alle Wesen – vom Brahman, vom Höchsten, Absoluten durchdrungen ist. Jenseits aller rein körperlichen, sinnlichen Genüsse, frei von Besitz und egozentrischen Wünschen findet der Asket Glück und Frieden in sich selbst. Durch bestimmte Meditations- und Körperübungen, durch Beherrschung des Atems wie auch durch die Mäßigung beim Essen und Schlafen gelingt es ihm, seine umherschweifenden Gedanken zu sammeln und zur Ruhe zu bringen. Alle Begierden werden ausgeschaltet, und er kann sich auf sein wahres Selbst konzentrieren. Wer Yoga praktiziert, ruht fest in sich selbst und wird in seinem Gleichmut weder von Freude noch von Leid erschüttert.
Das Ende der Wiedergeburten
Krishna offenbart dem immer noch zweiflerischen Arjuna seine wahre Natur, die nur wenige erkennen. Als Gott ist er in allen Elementen anwesend: in der Erde, im Wasser, im Wind, im Licht, in der Vernunft des Weisen, in der Kraft des Starken und in der Liebeslust. Er ist der Schöpfer der Welt, ihr Anfang und ihr Ende, er gleicht einer Schnur, auf der die Dinge des Universums aufgefädelt sind. Alle belebten und unbelebten Wesen befinden sich in ihm, zugleich ist er in seiner unvergänglichen Schöpferkraft mehr als nur die Summe der Wesen.
„So wie die Wasser in den Ozean fließen, / der gefüllt wird und doch unbewegt derselbe bleibt, / so erlangt Frieden jener, in den zwar alle Begierden einströmen / und der doch die Begierden nicht begehrt.“ (S. 26)
Die meisten Menschen, so Krishna, lassen sich vom Schein blenden, nur wenige erkennen Gott hinter den äußeren Dingen. Doch nach vielen Wiedergeburten gewinnt schließlich jeder diese Erkenntnis. Wer durch lange Yogapraxis zu einem höheren Bewusstsein gelangt ist und in seiner Todesstunde an Gott denkt, kommt zu ihm und braucht nicht länger wiedergeboren zu werden. Auch der genaue Zeitpunkt des Sterbens – Sommer oder Winter, abnehmender oder zunehmender Mond – bestimmt mit, ob ein Yogi leidvoll wiedergeboren oder mit dem Göttlichen eins wird. Sicher ist: Wer Gott liebt und bei ihm Zuflucht sucht, ist nicht verloren und kann das höchste Ziel der Vereinigung erlangen, selbst wenn er böse oder von schlechter Herkunft ist.
Gott als Weltschöpfer und Zerstörer
Auf Arjunas Frage, in welcher Gestalt er Gott erkennen könne, zählt Krishna verschiedene Erscheinungsformen auf – wie er betont, nur ein Bruchteil all seiner Entfaltungsmöglichkeiten: Unter den Buchstaben ist er das A, unter den Jahreszeiten der Frühling, unter den Männern der König, unter den Gestirnen der Mond, unter den Gewässern der Ozean, unter den Sinnen das Denken und vieles mehr. Ob Naturerscheinung oder Tier, Kämpfer oder mythologische Figur: Stets ist er der Erste, Beste und Größte.
„Deshalb tue ständig das, was zu tun ist, / ohne daran anzuhaften.“ (S. 29)
Krishna verleiht Arjuna als einzigem Menschen die Fähigkeit, ihn – jenseits seiner sichtbaren, materiellen Formen – einmal in seiner ganzen Macht und Grausamkeit betrachten zu können. Der Prinz staunt beim Anblick der riesigen, unbegrenzten, wunderbaren und zugleich furchterregenden Gestalt mit ihren vielen Mäulern, Armen, Bäuchen und Augen. In ihrem weit aufgerissenen Rachen blitzen schreckliche Zähne, zwischen denen Könige, die zermalmten Söhne Dhritarāshtras und auch Arjunas eigene Kämpfer hängen. Krishna erklärt seinem zitternden Gegenüber, er selbst, der Weltzerstörer, habe die Krieger schon längst getötet. Arjuna sei bloß sein Werkzeug und solle sie nun in der Schlacht besiegen. Der Prinz erkennt die grenzenlose, göttliche Allmacht Krishnas und bittet diesen um Verzeihung dafür, dass er ihn für einen Menschen gehalten und nicht mit der gebührenden Ehrfurcht behandelt hat. Nachdem Krishna wieder seine menschliche Gestalt angenommen hat, beruhigt sich Arjuna.
Tugenden und Charaktereigenschaften
Arjuna fragt, welche Menschen denn nun am höchsten stehen. Daraufhin unterscheidet Krishna drei Stufen der Vollkommenheit. Die Weisen, die ihr ganzes Denken auf ihn richten, sind ihm die Liebsten. Es folgen diejenigen, die durch Meditationspraxis ihr Handeln vollkommen an ihm orientieren. Wer dazu nicht fähig ist, der sollte zumindest selbstbeherrscht und frei von egozentrischen Motiven handeln sowie auf die Kraft Gottes vertrauen. Zu den höchsten Tugenden zählen Gewaltlosigkeit, Bescheidenheit und Beständigkeit, Entsagung und Begierdelosigkeit ebenso wie Geduld und Gottesliebe. Ob es sich nun um einen Freund oder einen Feind, um ein Stück Lehm oder um Gold handelt, der Tugendhafte muss alle äußeren Dinge des Lebens mit demselben Gleichmut behandeln und darf sich weder an Gegenstände noch an Menschen oder Ziele festklammern.
„Es ist besser, die eigene Pflicht unvollkommen, / als die Pflicht eines anderen gut zu erfüllen.“ (S. 32)
Die drei natürlichen Grundeigenschaften sind Reinheit, Energie und Trägheit. Alle drei, die in ihrer speziellen Mischung den Charakter eines Menschen ausmachen, lenken diesen in eine bestimmte Richtung. Überwiegt die Reinheit, so strebt er nach dem Angenehmen und nach Erkenntnis; die Energie dagegen, die aus Leidenschaft und Verlangen geboren ist, lässt ihn äußere Dinge wertschätzen und treibt ihn zum Handeln an; die Trägheit schließlich, die schlechteste dieser drei Eigenschaften, macht ihn nachlässig, antriebslos und faul, sie beschränkt seinen Wissensdrang und trübt sein Erkenntnisvermögen.
„Wer ohne Wünsche, mit gezügeltem Bewusstsein / und sich selbst beherrschend alles Habenwollen losgelassen hat / und nur mit dem Körper handelt, / lädt kein Übel auf sich.“ (S. 37)
Das individuelle Verhältnis dieser drei Grundeigenschaften entscheidet auch darüber, wie ein Mensch wiedergeboren wird: Wer zu einem Zeitpunkt stirbt, in dem er von Reinheit dominiert ist, wird in einer reinen Welt der Erkenntnis wiedergeboren. Wer in der Todesstunde von Energie oder Trägheit beherrscht ist, wird unter Menschen wiedergeboren, die ebenfalls gierig oder unwissend sind. Derjenige aber, der die drei Grundeigenschaften überwindet, der unbetroffen von Freude und Leid, Liebe und Hass, Ehre und Schande den Lauf der Dinge betrachtet, befreit sich vom Kreislauf von Geburt und Tod. Auch wer sich Gott konzentriert hinwendet und ihn liebt, legt diese Eigenschaften ab und erlangt Unsterblichkeit.
Göttliche und widergöttliche Existenzen
Wer sich von Stolz und Verblendung befreit hat, wer Selbstbezogenheit und Begierden überwunden hat, gelangt an den höchsten Ort, an den Wohnsitz des Göttlichen, von dem man nicht mehr in den Kreislauf der Geburten zurückkehrt. Gott existiert in den Seelen, wenn er körperliche Gestalt annimmt. Mithilfe der in der Natur schon vorhandenen sechs Sinne, dem Hören, Sehen, Tasten, Schmecken, Riechen und Denken, formt er die Seelen und tritt zugleich in ihnen in Erscheinung. Die Verblendeten sehen das Göttliche in sich selbst nicht, nur geübte Yogi erkennen Gottes Existenz in ihrem eigenen Wesen. Das Göttliche aber ist in der Welt allgegenwärtig: im Licht der Sonne, des Mondes und des Feuers, in den Kreaturen und Pflanzen, in der Lebensenergie aller Wesen, in ihrem Herzen, Gedächtnis und Verstand. Gott existiert in der Welt also auf doppelte Weise – zum einen in der wandelbaren Gestalt aller Lebewesen, zum anderen als höchster, unwandelbarer Geist.
„Wessen Selbst unberührt ist von der Berührung mit äußeren Dingen, / findet das Glück in seinem Selbst.“ (S. 44)
Neben den göttlichen Existenzen, zu denen Krishna auch Arjuna zählt, gibt es Wesen, die zu einer widergöttlichen, unreinen Lebensweise bestimmt sind. Nicht in Gott, sondern in der Begierde erkennen sie den letzten Grund und die treibende Kraft der Welt. Sie sind stolz, heuchlerisch und selbstgerecht. Gierig nach Lust und Reichtum begehen sie Grausamkeiten, die zum Untergang der Welt führen. Die Opfer, mit denen sie sich reinwaschen wollen, bestehen nur in leeren Riten. In Wirklichkeit hassen sie Gott, der doch in ihrem eigenen Körper wohnt. Gott schleudert solche unreinen, zornigen, habgierigen Menschen in den Kreislauf der Widergeburt zurück. Nach dem Tod werden sie jedes Mal in der niedrigsten Seinsweise, in der Hölle, wiedergeboren, aus der sie sich nicht befreien können.
Handeln ohne Berechnung
Entsprechend den drei Grundeigenschaften unterscheidet Krishna drei Arten des Glaubens. Menschen, bei denen die Reinheit dominiert, glauben an die wahren Götter. Die von Energie Geprägten dagegen beten Dämonenwesen an, während die von Trägheit Beherrschten Gespenstern Opfer bringen. Anders als die Energiemenschen, die mit ihren Opferriten stets einen bestimmten Zweck verfolgen, vollziehen die Reinen ihre Opfer aus Pflichterfüllung – ohne dabei auf Ergebnisse zu schielen. Auch bei der Askese und bei wohltätigen Handlungen kommt es auf die reine Haltung an. Beides muss in tiefem Glauben und ohne Blick auf Resultate vollzogen werden. Menschen, die mit Askeseübungen etwas erreichen wollen und sich auf grausame Weise selbst kasteien, sind heuchlerisch und handeln egozentrisch.
„Denn das Selbst allein kann einem selbst Freund sein, / und man selbst allein kann sich selbst Feind sein.“ (S. 46)
Der Schlüssel zum Glück liegt nicht etwa im Verzicht auf jegliches Handeln oder im Rückzug aus der Welt, sondern in einem Handeln, das nicht auf Resultate ausgerichtet ist. Frei von Hass und Begierde in Abgeschiedenheit leben, leichte Kost zu sich nehmen, Körper und Geist kontrollieren, Yoga und Meditation üben, sich von Eigennutz und Selbstsucht frei machen – das ist der Weg, um mit Brahman, dem Göttlichen, eins zu werden. Wer seine naturgegebenen Aufgaben und Kastenpflichten erfüllt und nicht aus einer egozentrischen Haltung heraus handelt, der kann sogar töten, ohne sich schuldig zu machen. Mit diesen Worten zerstreut Krishna Arjunas letzte Zweifel. In seinem Glauben gefestigt tritt der Prinz den Kampf an.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die 700 Strophen der Bhagavad Gītā sind eingebettet in das Epos Mahābhārata, das rund 100 000 Verse umfasst. Die Gītā unterteilt sich in 18 Kapitel, die verschiedene Formen von Yoga beschreiben. Die Zwischenüberschriften, die in den ältesten Fassungen fehlen und nachträglich von Kommentatoren eingefügt wurden, deuten den thematischen Schwerpunkt des jeweiligen Abschnitts an. Dennoch hat das Werk keine strenge Systematik: Zwar fügt fast jeder neue Abschnitt eine weiteren Aspekt hinzu, im Wesentlichen aber wird schon Gesagtes in ähnlichen Formulierungen wiederholt oder näher erläutert. Kurze Zwischenfragen Arjunas treiben Krishnas Monolog voran; der Charakter eines Gesprächs bleibt stets gewahrt. Die bisweilen ermüdenden Wiederholungen verleihen dem Text etwas Gebetsmühlenhaftes, bisweilen auch Meditatives. Das in Sanskrit verfasste Langgedicht besteht im Original aus achtsilbigen, gereimten Versen. Es ist reich an suggestiven Bildern, deren Kraft und Schönheit auch in der deutschen Übersetzung spürbar bleiben.
Interpretationsansätze
- Die Bhagavad Gītā (deutsch: „Gesang des Erhabenen“) lehrt eine liebende, mystische Verschmelzung von Gott und Mensch. Entgegen der frühromantischen Deutung vertritt sie kein pantheistisches, sondern ein theopanistisches Gottesbild: Die Welt ist in Gott, aber Gott ist nicht die Welt. Er ist zwar in all ihren Erscheinungen präsent, geht aber nicht ganz in ihr auf, sondern transzendiert sie.
- Der Fokus der Bhagavad Gītā liegt auf einer bestimmten Seinsweise des Menschen, aus der Tugenden und Untugenden sich ganz von selbst ergeben. Anders als etwa die Bibel stellt der Text keine konkreten Gebote und Verbote auf, sondern propagiert Gottesliebe und Gottvertrauen als Richtschnur allen Handelns.
- Wie in der indischen Philosophie im Allgemeinen ist auch in der Bhagavad Gītā das Konzept des Karmas von zentraler Bedeutung. Karma bedeutet, dass jede Handlung, jeder Gedanke auf seinen Urheber zurückwirkt – wenn auch erst im nächsten Leben. Der Mensch besitzt keinen freien Willen, sondern ist durch sein Karma konditioniert und in den ewigen Kreislauf eingebunden: Das Karma bestimmt von Geburt an sein Handeln wie auch seine nächste Verkörperung nach dem Tod.
- In deutlicher Abgrenzung zum Buddhismus verteidigt die Gītā Kasten als starre, unüberwindliche Größen. Wer aufgrund seines Karmas in eine bestimmte soziale Schicht hineingeboren wurde, ist sein Leben lang an deren Pflichten gebunden und kann erst mit seiner Wiedergeburt auf- oder absteigen.
- Obwohl die Gītā an manchen Stellen Gewaltlosigkeit als Tugend lobt, bleibt sie letztlich ein Aufruf zum Kampf. Der martialische Ton ist eine Konsequenz der Reinkarnationslehre: Es ist nur der Körper des Kämpfers, der tötet, seine Seele kann dabei rein bleiben. Umso erstaunlicher ist, dass die Gītā zum wichtigsten Buch des indischen Freiheitskämpfers Mahatma Gandhi werden konnte. Gandhi interpretierte die Erlaubnis zum Töten als Allegorie: Nicht auf einem äußeren Schlachtfeld, sondern im Herzen der Menschen finde der Kampf zwischen Gut und Böse statt.
Historischer Hintergrund
Brahmanismus und Buddhismus
Indien wurde vom fünften Jahrhundert v. Chr. bis zum vierten nachchristlichen Jahrhundert von teils widerstreitenden, teils sich überschneidenden Religionsbewegungen geprägt. Insbesondere der Jainismus und der Buddhismus stellten die traditionelle Religions- und Sozialordnung des Brahmanismus (des Vorläufers des Hinduismus) mit ihrem starren Kastensystem infrage. Angehörige der adligen Kriegerkaste wie auch zu Wohlstand gelangte Händler und Handwerker wandten sich selbstbewusst gegen die Vorherrschaft der Brahmanen, jener Priester, die als Experten für das Opferritual und als Vermittler zwischen Menschen und Göttern eine herausragende gesellschaftliche Rolle spielten.
Der Buddhismus, der sich ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. über den indischen Subkontinent hinaus in Asien ausbreitete, betonte die rigorose Askese als das einzige Mittel, sich von der karmischen Bindung und dem leidvollen Kreislauf von Geburt und Tod zu befreien. Erlösung findet nach dieser Auffassung außerhalb der Alltagswelt statt, und es bedarf keiner Priesterkaste, die durch komplizierte Opferrituale für die Fortdauer und den Wohlstand der Gesellschaft sorgt.
Entstehung
Vor dem Hintergrund des erstarkenden Buddhismus kann die Bhagavad Gītā als ein Versuch gesehen werden, zwischen Buddhismus und Brahmanismus zu vermitteln und eine Synthese herbeizuführen. Auf der einen Seite fordert die Gītā Entsagung von weltlichen Dingen, auf der anderen betont sie die Notwendigkeit, handelnd in das Weltgeschehen einzugreifen. Sie kennt individuelle Verantwortung, aber auch die Verpflichtung, als Angehöriger der Kriegerkaste zu kämpfen und die soziale Ordnung zu stützen. Einerseits spricht sie sich für die Werte der Brahmanenkaste aus, andererseits kritisiert sie die leeren, auf Wunscherfüllung zielenden Opferrituale. Der oftmals widersprüchliche Charakter des Werks zeugt von seinem langen Entstehungszeitraum und den verschiedenen religiösen Lehren, die sich darin niedergeschlagen haben.
Aufgrund der unsicheren Quellenlage ist es schwierig, die genaue Entstehungszeit der Bhagavad Gītā zu bestimmen; der Text wurde zunächst mündlich weitergegeben und stetig erweitert. Wahrscheinlich nahm das Gedicht zwischen 200 v. Chr. und 300 n. Chr. seine heutige Gestalt an. Auch darüber, ob die Gītā von Beginn an Teil des gewaltigen, über Jahrhunderte gewachsenen Epos Mahābhārata war oder ob sie nachträglich eingefügt wurde, besteht bis heute keine Einigkeit. Unter frommen Hindus wird dem sakralen Gedicht jedenfalls ein weitaus höheres Alter zugeschrieben. Nach indischer Überlieferung schrieb der mythische Weise Vyāsa einer göttlichen Eingebung folgend die Mahābhārata – und damit auch die Gītā – in grauer Vorzeit nieder.
Wirkungsgeschichte
Als wichtigste religiöse Schrift des Hinduismus hat die Bhagavad Gītā in Indien seit dem Mittelalter Hunderte von Kommentaren angeregt. Der früheste stammt aus der Feder des Wandermönchs Shankara (um 800 n. Chr.), der umstrittenste von Mahatma Gandhi, der aus der Gītā seine Theorie der Gewaltlosigkeit ableitete und darin nach eigener Aussage „einen Trost“ fand, „den ich selbst in der Bergpredigt vermisse“. Jenseits aller gelehrten Debatten prägt das Werk bis heute die Vorstellungswelt und das Lebensideal frommer Hindus. In allen Bevölkerungsschichten werden Verse der Gītā auswendig gelernt und rezitiert, sie sind ein beliebter Stoff populärer Bücher, Fernsehserien und sogar Comics.
Auch in Europa stieß das Werk auf großes Interesse und trug maßgeblich zum neuen Indienbild im späten 18. Jahrhundert bei. Auf die erste englische Übersetzung von 1785 folgten 1787 eine französische und 1802 eine deutsche Übertragung. In Deutschland wurde Indien im Zuge der Sturm-und-Drang-Bewegung und der frühromantischen Naturphilosophie zu einer Projektionsfläche für die Sehnsucht nach einem ganzheitlichen, ursprünglicheren Leben, nach spiritueller Erlösung und der Einheit von Körper und Geist. Johann Gottfried Herder, der verschiedene Nachdichtungen des Werkes anfertigte, rühmte die intuitive, antirationalistische Haltung in der altindischen Religion, die nicht alles mit abstrakten Vernunftbegriffen zu erklären versuche. August Wilhelm Schlegel, der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Indologie in Deutschland, ließ 1823 eine Sanskrit-Fassung mit lateinischer Übersetzung drucken, die unter den Gelehrten der Zeit große Verbreitung fand. Wilhelm von Humboldt nannte die Gītā „wohl das Tiefste und Erhabenste, was die Welt aufzuweisen habe“; ähnlich urteilten Arthur Schopenhauer und Hermann Hesse. In den 1960er Jahren erlebte die Bhagavad Gītā, die mit über 2000 Übertragungen in 70 Sprachen nach der Bibel das am häufigsten übersetzte Werk der Weltliteratur ist, in Europa und den USA eine Renaissance. Zivilisationsmüden Aussteigern, Esoterikern und Hippies galt sie als Evangelium der Befreiung und Selbstverwirklichung.
Über den Autor
Obwohl die Bhagavad Gītā offiziell nicht zu den vier Veden, also den archaischen, zunächst mündlich tradierten heiligen Schriften des Hinduismus zählt, kann sie doch eine ursprüngliche Gültigkeit für sich in Anspruch nehmen und wird oftmals sogar als fünfte Veda bezeichnet. Der Legende nach schrieb der Weise Vyāsa (wörtlich: „Ordner“, „Sammler“) im Zustand der Erleuchtung das Heldenepos Mahābhārata und das in ihr enthaltene Lehrgedicht Bhagavad Gītā nieder. Der genaue Zeitpunkt der Niederschrift spielt in der traditionellen indischen Überlieferung eine untergeordnete Rolle: Ihr zufolge wurde das Gedicht in einer nicht näher bestimmten Urzeit vor Zehntausenden von Jahren verfasst. Der Text, in dem sich Gott in der Person Krishnas dem Menschen offenbart und ihm das zeitlose, ewig gültige Weltgesetz verkündet, markiert nach sakraler Vorstellung überhaupt erst den Beginn der menschlichen Kultur. Religionswissenschaftler und Indologen sehen das freilich etwas anders: Die Bhagavad Gītā, die zunächst an Fürstenhöfen von Barden mündlich vorgetragen wurde und in mehreren Fassungen existierte, nahm vermutlich zwischen dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und dem dritten nachchristlichen Jahrhundert allmählich die heutige Gestalt an (wobei es auch hier abweichende Einschätzungen des Entstehungszeitraums gibt). Tatsächlich deuten die vielen Bruchstellen, redaktionellen Einschübe und auch inhaltlichen Widersprüche darauf hin, dass die Gītā im Lauf der Jahrhunderte aus vielen Quellen und Überlieferungen verschiedener Traditionen zusammengewachsen ist. Auch die frühen Kommentatoren des Werkes, unter ihnen Shankara, Rāmānuja und Bhāskara, drückten der Bhagavad Gītā mit ihren sich z. T. widersprechenden Interpretationen einen jeweils eigenen Stempel auf.
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