Voltaire
Candide
oder der Optimismus
Diogenes Verlag, 2005
Was ist drin?
Einer der bekanntesten satirischen Romane: Im Candide führt Voltaire die Behauptung ad absurdum, wir lebten „in der besten aller Welten".
- Satire
- Aufklärung
Worum es geht
Satire auf den Optimismus
„Wir leben in der besten aller Welten“, lässt Voltaire den Hauslehrer des Candide sagen. Und der naive Jüngling glaubt jedes Wort, das sein Meister von sich gibt. Doch schon bald brauen sich Unwetter über Candide und seiner geliebten Kunigunde zusammen: Weil er sie küsst, wird er aus dem Schloss geworfen, er gerät in die Armee, muss Spießruten laufen, wird gejagt, misshandelt, erleidet Schiffbruch, wird betrogen, von falschen Freunden verraten, kommt fast in einem Erdbeben um (dem berühmten von Lissabon), wird mehrmals gefangen genommen und trifft am Ende seinen alten Hauslehrer wieder – der immer noch mit festem Optimismus an das Gute in der Welt glaubt. Candide freilich hat inzwischen seine Lektion gelernt. Fortan huldigt er dem „ora et labora“ – wobei er das „ora“ auslässt. Voltaires satirischer Roman schildert auf fast jeder Seite neue Gräueltaten, die sich Menschen antun können. All diese Morde, Auspeitschungen, Verbrennungen, Verstümmelungen, dazu noch Naturkatastrophen, konfrontieren die auf Leibniz zurückgehende Philosophie des Optimismus mit der brutalen Wirklichkeit. Candide gehört zu den herrlichsten und bösesten Satiren der Weltliteratur und wurde zur Bibel der gebildeten Misanthropen.
Take-aways
- Candide ist das bekannteste Werk Voltaires. Es ist ein Abenteuerroman mit satirischen Seitenhieben auf Kirche, Politik und Philosophie.
- Das verheerende Erdbeben von Lissabon bestärkte Voltaire darin, dass er nicht „in der besten aller möglichen Welten“ lebte, wie es der Philosoph Leibniz lehrte.
- Im Roman verliebt sich der junge, naive Candide in die schöne Kunigunde, Tochter des westfälischen Grafen Thunder-ten-tronckh.
- Weil der Graf die beiden beim Tête-à-Tête ertappt, wird Candide aus dem Schloss gejagt.
- Gemäß der Philosophie seines Lehrers Pangloss, dass er in der „besten aller möglichen Welten“ lebe, glaubt Candide zunächst, dass alles, was ihm widerfährt, nur zu seinem Besten sei.
- In der bulgarischen Armee wird Candide mit dem Grauen des Krieges konfrontiert.
- Im Haus des Wiedertäufers Jacques begegnet Candide Pangloss wieder. Gemeinsam reisen sie nach Lissabon, das von einem gewaltigen Erdbeben erschüttert wird.
- Candide und Pangloss werden wegen einer Nichtigkeit von der Inquisition verurteilt: Candide wird verprügelt und Pangloss gehängt.
- Candide trifft Kunigunde wieder, muss aber fliehen, weil er im Affekt den Großinquisitor tötet, der sie zu seiner Mätresse gemacht hat.
- Nach einer Odyssee u. a. durch das glückliche Land Eldorado kann Candide Kunigunde – inzwischen hässlich und zänkisch – in Konstantinopel befreien und heiraten.
- Voltaire schrieb den Roman, der 1759 publiziert wurde, auf seinem Anwesen in Ferney am Genfer See.
- Candide wurde kurz nach Erscheinen verboten, erfreute sich aber, unter der Hand verkauft, großer Beliebtheit und gehört heute zu den wichtigsten Satiren der Weltliteratur.
Zusammenfassung
Die Lehre des Pangloss
Candide wächst in dem schönen westfälischen Schloss des Barons Thunder-ten-tronckh auf. Er ist der uneheliche Sohn der Schwester des Barons und entwickelt ein besonderes Faible für Kunigunde, dessen schöne Tochter. Der Hoflehrer Pangloss lehrt ihn die „Metaphysiko-Theologo-Kosmologo-Nigologie“, von der Candide jedes Wort eifrig aufsaugt. Pangloss’ Leitsatz lautet: „Keine Ursache ohne Wirkung.“ So habe der Mensch eine Nase, um Brillen zu tragen, und trage folglich Brillen. Und Steine seien zum Bau von Schlössern bestimmt, daher habe der Baron ein schönes Schloss. Diese Welt, in der alles perfekt eingerichtet sei, sei deshalb auch die beste aller Welten.
In der bulgarischen Armee
Erhitzt vom Feuer der Leidenschaft küssen sich Kunigunde und Candide hinter einem Wandschirm. Doch leider sieht das der Baron. Er bekommt einen Wutanfall und wirft Candide mit einem Fußtritt aus dem Schloss. Traurig wandert er herum und ist dem Hungertod nahe, als zwei freundliche Männer ihn zum Essen einladen. Candide denkt, dass Pangloss Recht gehabt hat und alles auf der Welt zum Besten stünde, doch die Schurken verkaufen ihn an die bulgarische Armee. Er lernt exerzieren und muss täglich Stockschläge einstecken. Später nimmt er am Krieg gegen die Avaren teil. Candide desertiert und sieht überall die grausigen Folgen des Krieges: abgetrennte Glieder und von Kugeln durchsiebte Leichname.
Wiedersehen mit Pangloss
Candide flieht nach Holland und bittet einen Mann, der gerade einen Vortrag über Wohltätigkeit hält, um Nahrung. Ärgerlich leert die Frau des Redners einen Nachttopf über unserem Helden aus. Doch wieder hat das Schicksal Erbarmen: Der Wiedertäufer Jacques nimmt Candide mit zu sich nach Hause, gibt ihm zu essen und vermittelt ihm eine Arbeit in seiner Manufaktur. Tags darauf begegnet er einem verwahrlosten Bettler, der sich als sein alter Lehrer Pangloss herausstellt. Erschüttert hört Candide, dass Bulgaren das Schloss überfallen haben und dass der Baron, die Baronin und ihre Kinder tot sind. Pangloss selbst hat sich die Syphilis zugezogen. Trotz seines schlimmen Leidens urteilt er, dass die Krankheit, die bis zu einem Begleiter von Christoph Columbus zurückverfolgt werden könne, notwendig sei: Hätte Columbus nicht Amerika entdeckt und die Syphilis mitgebracht, hätte man in Europa niemals Annehmlichkeiten wie z. B. Schokolade kennen gelernt. Jacques bezahlt einen Arzt, der Pangloss heilt, sodass er für den Wiedertäufer als Buchhalter arbeiten kann.
Das Erdbeben von Lissabon
Als Jacques geschäftlich nach Lissabon reisen muss, nimmt er Candide und Pangloss mit. Das Schiff gerät in ein heftiges Unwetter. Bei dem Versuch einen Matrosen zu retten ertrinkt Jacques. Candide, Pangloss und der Matrose sind die einzigen Überlebenden. Als sie Lissabon erreichen, wankt dort der Boden, ein heftiges Erdbeben erschüttert die Stadt. Während Pangloss und Candide Überlebenden helfen, sich aus den Trümmern zu befreien, stiehlt der Matrose alles Geld, dessen er habhaft werden kann. Pangloss und Candide speisen mit den trauernden Einwohnern der Stadt und Pangloss betont wieder einmal, dass alles seine Ordnung habe, denn: Wenn ein Vulkan in Lissabon sei, könne er sich ja nicht woanders befinden. Das hört ein Inquisitor und beschuldigt Pangloss der Ketzerei. Wenn alles zum Besten stünde, könne es schließlich keine Sünde geben! Eine für die Kirche sehr gefährliche Haltung. Damit die Erde in Zukunft nicht mehr bebt, will die Stadt Menschenopfer bringen. Pangloss wird für seine ketzerischen Ansichten kurzerhand gehängt und Candide wird kräftig verdroschen. Als aber am Abend wieder die Erde bebt, zweifelt Candide: Ist dies wirklich die beste aller Welten? Warum mussten Jacques, Kunigunde und Pangloss sterben?
Wiedersehen mit Kunigunde
Eine alte Frau nimmt Candide in ihrer Hütte auf und pflegt ihn. Nach zwei Tagen bringt sie ihn in ein einsames, aber prächtiges Landhaus, wo er zu seiner großen Überraschung Kunigunde wiedertrifft. Sie erzählt ihm, wie die Bulgaren ihre Familie ausgelöscht, sie vergewaltigt und mit Messerstichen verletzt haben. Ein bulgarischer Hauptmann nahm sie als Kriegsgefangene und verkaufte sie an den Juden Don Isaschar. Eines Tages wurde der Großinquisitor auf sie aufmerksam und verlangte von dem Juden, Kunigunde an ihn zu verkaufen. Man einigte sich schließlich darauf, dass der Großinquisitor vier Mal wöchentlich ein Anrecht auf Kunigunde habe und Don Isaschar die anderen drei Tage. In Begleitung des Großinquisitors wurde Kunigunde Zeugin von Pangloss’ und Candides Verurteilung. Während sie noch erzählt, erscheint Don Isaschar in der Tür. Er glaubt, dass Kunigunde eine zweite Liebschaft unterhält, und zückt wutentbrannt seinen Dolch. Doch Candide kommt ihm zuvor und ersticht ihn mit einem Degen. Kurz nach Mitternacht erscheint der Inquisitor, sieht die Leiche, schreit Zeter und Mordio und wird ebenfalls von Candide umgebracht – da es ja nun auf einen Mord mehr oder weniger auch nicht mehr ankomme.
Auf in die neue Welt
Die alte Frau schlägt vor, umgehend zu flüchten. Auf Pferden und mit Kunigundes Schmuckvorräten im Gepäck brechen sie auf. In einer Herberge in Badajoz stiehlt jedoch ein Franziskaner Kunigundes Diamanten. Sie reiten weiter nach Cadix, wo sich gerade Truppen nach Paraguay einschiffen. Diese sollen gegen Jesuitenpriester vorgehen, die einen Volksstamm gegen die Könige von Portugal und Spanien aufgehetzt haben. Candide führt sein militärisches Können vor und wird prompt zum Hauptmann einer Kompanie ernannt. Er, Kunigunde und die alte Dienerin gehen an Bord. In Buenos Aires angekommen, gehen Candide und seine Begleiterinnen zum Statthalter, einem arroganten, selbstsüchtigen Mann. Er schickt Candide zu seiner Kompanie und macht Kunigunde einen Heiratsantrag. Die Alte rät ihr zu, da eine solche Verbindung auch zu Candides Bestem sei. Unterdessen nähert sich ein Boot mit Polizisten, die es auf Candide abgesehen haben. Warum? Der räuberische Franziskaner hat versucht, Kunigundes Schmuck, der dem Großinquisitor gehört hat, zu verkaufen. Dabei ist er gefasst worden und hat die mutmaßlichen Mörder beschrieben, sodass die Polizei nun hinter ihnen her ist. Candide flieht, Kunigunde aber bleibt in Buenos Aires.
Die Ermordung des Kommandanten
Candide und sein treuer Diener Cacambo, den er aus Cadix mitgebracht hat, entschließen sich, das Lager zu wechseln und für die Jesuiten zu kämpfen. Bei den Truppen werden sie entwaffnet und erst zum Kommandanten vorgelassen, als sich herausstellt, dass Candide Deutscher ist. Zu Candides Erstaunen entpuppt sich der Kommandant als Kunigundes Bruder. Er ist überglücklich, zu erfahren, dass Kunigunde am Leben ist. Er selbst ist nach dem Überfall der Bulgaren bewusstlos auf einem Leichenkarren in ein Jesuitenkloster gebracht worden. Später wurde er ebenfalls Jesuit und ging nach Paraguay. Candide spricht von seinen Heiratsabsichten, worauf der Kommandant fuchsteufelswild wird und Candide mit der flachen Schwertklinge ins Gesicht schlägt. Ohne großartig nachzudenken, ersticht ihn Candide kurzerhand mit seinem Degen. Doch dann begreift er, was er angestellt hat, und bricht weinend zusammen. Cacambo ist Herr der Lage. Er zieht Candide die Kleider des Jesuiten an und flieht mit ihm.
Bei den Kannibalen
Rasch gelangen sie in ein seltsames Land ohne Straßen, schlafen im Wald – und finden sich beim Aufwachen gefesselt wieder. Die Einwohner des Landes, die „Ohrlöffel“, stehen mit Äxten und Keulen um sie herum. Sie wollen sich an den Jesuiten rächen und Candide verspeisen. Cacambo gelingt es jedoch, die Kannibalen zu überzeugen, dass Candide kein Jesuit, sondern der Mörder eines solchen ist. Da sie diesen Bericht bestätigt finden, können die beiden weiterziehen. Mit einem Kanu erreichen sie ein Dorf, in dem die Kinder mit Wurfscheiben aus Rubinen, Smaragden und Gold spielen. Hier speisen die Gefährten in einem Gasthaus. Der Versuch, das Essen mit den aufgehobenen Goldscheiben zu bezahlen, wird mit heftigem Gelächter der Wirtsleute quittiert – ob sie nicht wüssten, dass sie Straßensteine aufgehoben hätten. Glücklicherweise ist das Essen kostenlos. Candide denkt, hier sei alles nun wirklich viel besser eingerichtet als in Westfalen.
Eldorado
Sie befinden sich in Eldorado, wo alle Menschen einträchtig leben und es nie Zwistigkeiten gibt. Sie begrüßen den König, wie es sich nach Landessitte gehört, mit einer herzlichen Umarmung und staunen über das Land: Gerichte und Gefängnisse gibt es nicht, dafür ein naturwissenschaftliches Institut. Candide gefällt alles sehr gut, doch will er Kunigunde suchen und sie mit Gold freikaufen. Der König willigt ein, eine Maschine bauen zu lassen, mit der Candide und Cacambo den schwierigen Weg außer Landes bewältigen können, und gibt ihnen großzügig mehrere Hammel, Lebensmittel, Edelsteine und Gold, das er als „gelben Schmutz“ bezeichnet, mit auf den Weg. Unterwegs verenden allerdings die Hammel bis auf zwei. In Surinam will Candide sich nach Italien einschiffen, um dort auf Cacambo zu warten, der als der Geschicktere von beiden Kunigunde in Buenos Aires freikaufen soll. Da Candide bereit ist, für die Überfahrt einen sehr hohen Preis zu zahlen, wird der Eigentümer des Schiffs hellhörig. Er kassiert die Summe im Voraus, lädt die Hammel mit den Reichtümern auf das Schiff und fährt vor Candides Nase gen Italien ab. Niedergeschlagen sucht dieser sich ein anderes Schiff, das ihn wenigstens bis nach Frankreich bringen wird, und lässt in der Stadt verkünden, dass er einem Bewohner die Überfahrt nach Bordeaux bezahlen wolle. Die Voraussetzung hierfür: Der Mitreisende müsse vom Schicksal genauso gebeutelt sein wie er.
Der neue Reisegefährte
Mehrere Anwärter auf die Reise stellen sich bei Candide ein. Nachdem er alle traurigen Lebensgeschichten angehört hat, wählt er Martin, einen Gelehrten, dessen Frau ihn bestohlen und dessen Sohn ihn geschlagen hat, als Reisegefährten aus. Im Gegensatz zu Candide hält Martin die Welt und die Menschen für abgrundtief schlecht. Mitten in einem Disput beobachten sie die Kampfhandlungen zweier Schiffe. Ein Schiff sinkt und Candide erspäht einen seiner Hammel im Wasser. Es gibt eben doch Gerechtigkeit auf der Welt, denkt er. Martin argumentiert, solange Tiere andere Tiere fräßen, würden Menschen andere Menschen töten. Candide setzt dieser Ansicht seine Vorstellung vom freien Willen des Menschen entgegen. Doch noch bevor sie das Thema vertiefen können, erreicht das Schiff Bordeaux.
Falsche Freunde in Paris
In Paris wird Candide krank, und da er einen Diamanten am Finger trägt, kümmern sich neue Freunde ungefragt um ihn. Beim Kartenspielen mit einem Abbé und seinen Freunden verliert Candide viel Geld. Treuherzig erzählt er dem Abbé von Kunigunde. Schon am nächsten Tag erhält er einen Brief, in dem steht, dass sich Kunigunde krank in Paris befände. Candide wird zu einem Gasthof gelockt, wo er in ein stockdunkles Zimmer geführt wird und der vermeintlichen Kunigunde mehrere Edelsteine in die Hand gibt. Betrug liegt in der Luft, denn kurz darauf wird Candide verhaftet. Doch als er dem Polizeioffizier ebenfalls Diamanten gibt, wird er sofort entlassen und auf ein Schiff gebracht. Auf Umwegen gelangt er nach Venedig. Candide ist nun geneigt, Martins Philosophie des Pessimismus zu glauben: Es ist doch nicht alles gut auf der Welt. Während des Karnevals treffen Candide und Martin auf sechs Könige, die ihren Thron verloren haben. Zu Candides Überraschung hält einer der Unglücklichen Cacambo als Sklaven. Von diesem erfährt er, dass Kunigunde in Konstantinopel ist. Candide kauft Cacambo frei und sie reisen sofort gen Osten. Cacambo berichtet, wie er selbst, Kunigunde und die Alte von Piraten gekidnappt und verkauft worden seien. Kunigunde sei jetzt Tellerwäscherin bei einem verarmten Fürsten und noch dazu abgrundtief hässlich geworden. Auf einer Galeere entdeckt Candide zu seiner Überraschung seinen alten Lehrer Pangloss und Kunigundes Bruder und kauft sie frei. Candide erfährt, dass sein Degenstich Kunigundes Bruder nicht getötet und der Strick Pangloss nicht stranguliert hat.
In Konstantinopel
Zusammen treffen sie in Konstantinopel ein, wo Candide Kunigunde und ihre Dienerin freikauft. Obwohl Kunigunde wirklich furchtbar hässlich geworden ist, verspricht Candide, sie zu heiraten. Wieder will ihr Bruder dies nicht zulassen und wird kurzerhand zur Galeere zurückgebracht. Candide bewirtschaftet mit Kunigunde, der Alten, Pangloss, Martin und Cacambo einen kleinen Hof, doch alle sind unzufrieden, langweilen sich, und das Vermögen schmilzt dahin. Eines Abends treffen sie einen Derwisch, der sich intensiv um seinen Garten und den Verkauf der Früchte kümmert. Sie erkennen, dass sie nur durch ihrer Hände Arbeit glücklich werden können. Jeder entdeckt seine Talente und ihre kleine Wirtschaft floriert – auch ohne jede Philosophie.
Zum Text
Aufbau und Stil
Voltaire folgt in seinem Roman dem Vorbild des Picaro-Romans (von spanisch „picaro“: Schelm, Spitzbube), in dem der unbedarfte Held in eine Reihe von Abenteuern verwickelt wird. Candide ist aber auch ein philosophischer Roman, der – in den Gesprächen Candides mit Pangloss und Martin – verschiedene Weltanschauungen und Menschenbilder diskutiert. Candides Reiseroute bewegt sich zunächst auf die „neue Welt“ im Westen zu, erreicht ihren Höhepunkt im utopischen Eldorado und macht dann eine Kehrtwende: In Konstantinopel schließlich folgt Candide den einfachen Ratschlägen eines Derwisch – und wird glücklich. Im Grunde genommen ist Candide ein Roman über das Böse: Mord, Rache, Gier, Diebstahl, Vergewaltigung, Gemetzel sind alltägliche Erlebnisse des Helden und seiner wechselnden Gefährten. Damit das Düstere der Handlung aber nicht überhand nimmt, würzt Voltaire sie mit viel Humor und skurrilen Personenbeschreibungen. Die Sätze sind abgezirkelt und rhythmisch. Der Roman liest sich flüssig und ist dank seiner beißenden Satire stellenweise grotesk-komisch.
Interpretationsansätze
• Der Name Candide (von lat. „candidus“: weiß) bedeutet „unschuldig“, „arglos“ oder „aufrichtig“ und charakterisiert Voltaires Helden zutreffend: Mit seinem naiven Glauben an die Lehren des Pangloss erscheinen ihm selbst die schlimmsten Ereignisse als Elemente eines guten Heilsplanes. • In Pangloss kritisiert Voltaire einen weltfremden, vergeistigten Philosophen (vor allem Gottfried Wilhelm Leibniz ist gemeint), der Aussagen über die Welt macht, ohne sie jemals bereist zu haben. Schlimmer noch: der am Ende auf seinen Glaubenssätzen beharrt, obwohl er selbst das Gegenteil erfahren hat. Die Lehre des Pangloss von der „besten aller Welten“ wird durch Candides Erlebnisse ad absurdum geführt. • Unverkennbar sind die autobiographischen Bezüge, mit denen Voltaire seinen Helden ausstaffiert: Candide wird unschuldig gefangen genommen (wie Voltaire in der Bastille), von der Obrigkeit gedemütigt (wie Voltaire vom Chevalier de Rohan) und des Landes verwiesen (Voltaire wurde nach England verbannt). • Das Land Eldorado (spanisch: „das Vergoldete“) ist bei Voltaire eine soziale Utopie: Der Reichtum des Landes ist zweitrangig, viel wichtiger ist die Harmonie der Menschen in einer natürlichen Gesellschaftsordnung. Hier sieht Voltaire die wirkliche „beste Welt“. Bezeichnenderweise verlässt Candide Eldorado, um als reicher Mann in die fehlerhafte Welt zurückzukehren, statt als armer Mann in der perfekten Welt zu bleiben. • Der Schluss des Romans ist mehrdeutig: Einerseits lässt sich der Rückzug zur „Arbeit im Garten“ als Erlösung von der Philosophie und vom Übel der Welt deuten. Andererseits ist mit der Absage an „die Welt da draußen“ auch jede Aussicht auf Verbesserung derselben ausgeschlossen. • Voltaire übt Kritik an der Kirche, er nimmt jede Gelegenheit wahr, um Vertreter des Klerus der Falschheit zu bezichtigen: Der Papst hat eine Tochter, der Inquisitor hält sich eine Mätresse und ein Franziskaner entpuppt sich als Juwelendieb. • Das Erdbeben von Lissabon, das Voltaire im Roman beschreibt, hat wirklich stattgefunden. 1755 verwüstete es die portugiesische Hauptstadt und forderte über 60 000 Todesopfer. In der Philosophie und Literatur (z. B. auch bei Heinrich von Kleist) löste diese Naturkatastrophe eine Diskussion über die Sinnhaftigkeit des Daseins aus.
Historischer Hintergrund
Aufklärung und Theodizee
Voltaire war einer der Hauptvertreter der französischen Aufklärung. Die meisten Aufklärer gerieten in Auseinandersetzungen mit der Kirche, deren Dogmatismus und Machtmissbrauch sie kritisierten. Dabei lehnten sie nicht unbedingt die Religion ab: Auf die Aufklärung geht beispielsweise der Deismus zurück. Deisten glauben an Gott als Schöpfer der Welt, der sich jedoch nach dem Schöpfungsakt nicht mehr in die Geschehnisse der Welt einmischt. Die Aufklärung in Frankreich gab bedeutende Impulse vor allem auf dem Gebiet der Staats- und Gesellschaftslehre. Neben Voltaire selbst, der zahlreiche politische Essays über Toleranz, Glaubensfreiheit und politische Gleichheit (die ja als „egalité“ Teil der berühmten drei Forderungen der Französischen Revolution wurde) schrieb, spielten hier vor allem zwei Köpfe eine wichtige Rolle: Charles de Montesquieu kritisierte beispielsweise in seinen Lettres persanes (1721) die politischen Zustände unter Ludwig XIV. aufs Schärfste. Jean-Jacques Rousseaus Einfluss wirkte bis in die Romantik nach, insbesondere seine Theorie des Gesellschaftsvertrags.
Gottfried Wilhelm Leibniz, der ein halbes Jahrhundert vor Voltaire geborene deutsche Philosoph, hat ein idealistisches Modell über die Wirkungszusammenhänge zwischen den Erscheinungen der Welt und ihren Ursachen entwickelt. Diese wirkenden Kräfte bezeichnet er als Monaden. Die oberste Monade ist Gott. Das Zusammenwirken der Monaden schaffe eine „prästabilierte Harmonie“. Dies ist eine der Leibniz’schen Ideen, die Voltaire in seinem Candide scharf angreift. Die prästabilierte Harmonie bewirke, so Leibniz, dass alles, auch das Böse in der Welt, einem höheren Zweck diene und genau aufeinander abgestimmt sei, sodass eben eine vollkommene Harmonie entstehe. Diese Erkenntnis bewog Leibniz zu dem berühmten Satz, dass wir in der „besten aller möglichen Welten leben“: Eine bessere sei nicht denkbar – denn sonst müsste man sich ja fragen, warum Gott keine bessere geschaffen habe? Diese Philosophie ist daher gleichzeitig eine Theodizee, d. h. eine Rechtfertigung Gottes: Leibniz rechtfertigt auf diese Weise die Existenz eines guten, weisen Gottes, obwohl es Mord, Katastrophen, kurz: das Böse in der Welt gibt. Voltaire war damit ganz und gar nicht einverstanden.
Entstehung
Im November 1755 erreichte Voltaire eine schreckliche Nachricht: Ein Erdbeben hatte die Stadt Lissabon vollständig zerstört und rund 60 000 Menschen das Leben gekostet. Ein Jahr später brach der Siebenjährige Krieg aus. Angesichts solcher Katastrophen wandelte sich Voltaires Gesinnung. Aus dem einstigen Optimisten wurde ein Pessimist. Candide ist ein Zeugnis dieser Entwicklung. Die Entstehung des Romans ist in eine Auseinandersetzung mit Jean-Jacques Rousseau eingebunden. Rousseau kritisierte Voltaires Ablehnung der „prästabilierten Harmonie“, die dieser in einem Gedicht über das Erdbeben in Lissabon äußerte. Voltaires pessimistisches Gedicht verbreitete sich rasch, ebenso Rousseaus briefliche Retourkutsche, in der er den Optimismus verteidigte. Gespannt wartete die literarische Öffentlichkeit auf Voltaires Antwort. Diese kam in ungewöhnlichem Gewand daher: als Roman, einer Form, die in der Rangliste der literarischen Darstellungsmittel im 18. Jahrhundert eine ziemlich tiefe Stellung einnahm. Voltaire verteidigte den Schritt: Die öffentliche Meinung sei nicht mit dicken, gelehrten Büchern zu gewinnen. Wenn man sich dafür entscheide, Breitenwirkung zu erzielen, sei es zweckmäßig, den Texten die größtmögliche Chance zur Publizität zu geben: als Roman.
Wirkungsgeschichte
Candide erschien im Januar 1759 anonym in Genf und wurde schnell in ganz Europa bekannt; die Behörden wurden von diesem Siegeszug regelrecht überrumpelt. Ohne Zweifel war der Inhalt anstößig, sodass der Roman zwei Monate nach Erscheinen vom Rat der Stadt Genf vernichtet wurde. In Paris kam das Buch auf die schwarze Liste, 1762 auf den Index des Vatikans. Doch die Zensur nutzte nicht viel. Das Buch fand illegal eine rasante Verbreitung: Bis Ende 1759 wurden über 20 000 Exemplare verkauft. Bis zur Französischen Revolution 1789 wurde das Werk annähernd 50-mal nachgedruckt. 1761 erschien die erste deutsche Übertragung. Der Romantiker Novalis bemerkte später mit einer gewissen Ehrerbietung: „Voltaire ist einer der größten Minuspoeten, die je lebten. Sein Candide ist seine Odyssee. Schade um ihn, dass seine Welt ein Pariser Boudoir war. Mit weniger persönlicher und nationaler Eitelkeit wäre er noch weit mehr gewesen.“ Parodien und Persiflagen wie z. B. der Anti-Candide von Justus Möser gaben in der Folge die Art an, wie man sich mit Voltaires Werk auseinander setzte. 1768 komponierte der französische Komponist Jean-Benjamin de La Borde eine Oper mit dem Titel Candide. Auch Leonard Bernstein vertonte den Text, und zwar mit einer musikalischen Kunstform des 20. Jahrhunderts, dem Musical (Candide, 1956).
Über den Autor
Voltaire ist zeit seines Lebens ein Freigeist, der sich über Konventionen hinwegsetzt, jede Form von Dogmatismus hasst, sich gegen die Kirche wendet und für die Aufklärung einsteht, die absolutistische Monarchie verflucht und dafür mehrere Male in den Kerker geworfen wird. Er hat einen großen Gerechtigkeitssinn, ist aber auch reizbar, gewinnsüchtig und ehrgeizig. Voltaire kommt unter dem bürgerlichen Namen François-Marie Arouet am 21. November 1694 als Sohn eines Notars in Paris zur Welt. Seine Mutter stirbt früh, und auf Anraten eines Freundes wird er als Zehnjähriger in ein Jesuitenkolleg geschickt. Hier trifft er auf adlige Kinder aus den besten Familien und lernt „Latein und dummes Zeug“, wie er später einmal bemerkt. Sein Pate führt ihn in die höfische Gesellschaft ein. Das Leben im Luxus gefällt dem jungen Mann: In der Gesellschaft liebt man ihn für seinen intelligenten Witz, seinen bösartigen Humor und seine Frechheit, mit der er auch höhergestellten Personen begegnet. Das wird ihm schließlich aber zum Verhängnis: Mehrere Male wird er aus der Gesellschaft verbannt. 1718 erscheint seine überaus erfolgreiche Tragödie Oedipus (Oedipe). In die Pariser Gesellschaft zurückgekehrt, wird er 1726 in die Bastille gesperrt. Der Grund ist eine Auseinandersetzung mit dem Feldmarschall Chevalier de Rohan. Den Aufenthalt in der Bastille kann Voltaire abkürzen, indem er sich zum Exil in England bereit erklärt. In den Philosophischen Briefen (Lettres philosophiques, 1734) richtet er sich polemisch gegen französische Rückständigkeit, Dogmatismus, Willkürherrschaft und religiöse Herrschaftsansprüche. Natürlich zieht das einen erneuten Konflikt nach sich. Voltaire flieht ins Château de Cirey im Herzogtum Lothringen. Auf Vermittlung der Marquise de Pompadour steigt Voltaire 1746 zum Kammerherrn Ludwigs XV. auf, nimmt 1749 aber eine Einladung Friedrichs II. von Preußen an. Doch auch hier kommt es zum Zerwürfnis. 1758 kauft sich Voltaire das Gut Ferney in der Nähe von Genf, wo er 20 Jahre lang lebt und schreibt. 1778 reist er zur Uraufführung einer seiner Tragödien nach Paris, wo er am 30. Mai 1778 stirbt. Auf Volksbeschluss wird sein Leichnam 1791 ins Panthéon in Paris verlegt.
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