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Das Bevölkerungsgesetz

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Das Bevölkerungsgesetz

An Essay on the Principle of Population. As it Affects the Future Improvement of Society, With Remarks on the Speculations of Mr. Godwin, M. Condorcet, and Other Writers

Wirtschaft und Finanzen,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Malthus’ berühmtes Werk: Verelendet die Menschheit aufgrund der Bevölkerungsexplosion?


Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Frühe Neuzeit

Worum es geht

Das unerbittliche Bevölkerungsgesetz

Malthus spricht mit seiner Abhandlung eine Kernfrage der Menschheit an: Ist es möglich, eine Gesellschaftsordnung zu schaffen, die allen Menschen die Chance auf ein freies und gutes Leben garantiert, oder bestehen natürliche Gegebenheiten, die ein solches Unterfangen unter allen Umständen zum Scheitern verurteilen? Für Malthus ist das naturgegebene Bevölkerungsgesetz eine unüberwindliche Barriere, an der alle Utopien letztendlich scheitern müssen: Weil sich die Bevölkerung immer schneller entwickele als die zur Versorgung notwendigen Lebensgrundlagen, werde die Masse der Menschen langfristig immer in Elend und Lasterhaftigkeit leben. In einzelnen Gesellschaften könne dieser Bevölkerungsdruck zwar noch durch Auswanderung gemildert werden, global gesehen könne die Menschheit dem Druck aber auf Dauer nicht entkommen. Die - von Malthus kaum vorhersehbare - industrialisierte Landwirtschaft mit ihren enormen Produktionskapazitäten sowie die sinkenden Geburtenraten in den Industrieländern schienen Malthus' Thesen zu widerlegen. Aber ein zunehmender Bevölkerungsdruck in der Dritten Welt mit Verelendung der Massen, Zerstörung der natürlichen Ressourcen und entsprechenden Migrationsströmen bringt heute erneut die Frage auf: Hatte Malthus doch Recht?

Take-aways

  • Malthus' Essay on the Principle of Population ist die erste sachlich begründete Abhandlung über das Bevölkerungswachstum und seine sozialen und ökonomischen Folgen.
  • Die Grundannahmen: Die Menschen brauchen zu ihrer Existenz immer ausreichend Nahrung. Der Geschlechtstrieb wird auch in Zukunft unverändert stark bleiben.
  • Das Bevölkerungsgesetz besagt, dass sich die Bevölkerung in geometrischer Reihe (1, 2, 4, 8, 16 ...) vermehrt, während die Nahrungsmittelproduktion nur in arithmetischer Reihe (1, 2, 3, 4, 5 ...) zunimmt.
  • Das steigende Missverhältnis zwischen Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelproduktion führt zu Hungerkatastrophen und Seuchen.
  • Als Konsequenz wird der Großteil der Menschheit immer unter Elend und Laster zu leiden haben.
  • Die Präsenz von Elend und Laster für einen bedeutenden Teil der Gesellschaft lässt sich in allen Epochen der Menschheit nachweisen.
  • Eine wachsende Bevölkerung bewirkt außerdem einen Wertverlust der Arbeit.
  • Der Reichtum einer Nation kann zunehmen, ohne dass es der Masse der Armen zugute kommt.
  • Armengesetze können langfristig die Not der Arbeiterklasse nicht lindern.
  • Das Bevölkerungsgesetz macht alle Hoffnungen auf Sozialutopien zunichte.
  • Es ist Ausdruck des göttlichen Willens, weil es die Menschen zur geistigen Weiterentwicklung anregt.
  • Malthus' Ideen polarisieren bis heute: Sie stoßen auf schroffe Ablehnung genauso wie auf begeisterte Zustimmung.

Zusammenfassung

Das Bevölkerungsgesetz

In den letzten Jahren des ausgehenden 18. Jahrhunderts, u. a. unter dem Eindruck der Französischen Revolution 1789, mehren sich die optimistischen Stimmen, die eine zukünftige Vervollkommnung der menschlichen Gesellschaft für möglich halten. Aber steht tatsächlich ein unmittelbarer Durchbruch zu dauerhaft glücklichen Lebensumständen für alle bevor? Oder gibt es Fakten, die einen solchen Idealzustand permanent verhindern? In diesem Zusammenhang muss der Blick auf das Bevölkerungsgesetz fallen.

„I think I may fairly make two postulata. First, That food is necessary to the existence of man. Secondly, That the passion between the sexes is necessary, and will remain nearly in its present state.“ (S. 11)

Selbst unter Berücksichtigung nur einer begrenzten Anzahl von Fakten lässt sich ein Prinzip zweifelsfrei erkennen: Die Bevölkerung kann sich naturgemäß nie weiter entwickeln, als es die entsprechend vorliegenden Lebensgrundlagen erlauben. Diese Lebensgrundlagen sind aber von bestimmten natürlichen Gesetzmäßigkeiten abhängig, die einer idealistischen Sicht der Vervollkommnung der Menschheit entscheidend entgegenstehen.

„Population, when unchecked, increases in a geometrical ratio. Subsistence increases only in an arithmetical ratio.“ (S. 14)

Denn auch in Zukunft werden zwei Tatsachen unverändert bestehen bleiben:

  1. Um zu existieren, braucht der Mensch Nahrung.
  2. Der Geschlechtstrieb ist notwendig und wird auch in Zukunft stark bleiben.

Aus diesen beiden Gesetzmäßigkeiten lässt sich ableiten, dass das Bevölkerungswachstum immer stärker sein wird als die Möglichkeiten, menschliche Nahrungsgrundlagen zu schaffen.

„In the rudest state of mankind, in which hunting is the principal occupation, and the only mode of acquiring food; the means of subsistence being scattered over a large extent of territory, the comparative population must necessarily be thin.“ (S. 39)

Ohne äußere Beschränkungen wächst die Bevölkerung in geometrischer Reihe, d. h. sie verdoppelt sich in regelmäßigen Zeitabständen (nach dem Prinzip 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128, 256, 512 usw.) Die Nahrungsgrundlagen aber wachsen nur in arithmetischer Reihe, d. h. in den gleichen Zeitabständen wird selbst bei größten Anstrengungen immer nur ein entsprechendes Mehrfaches des Ausgangszustands hinzugefügt werden können (nach dem Prinzip 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 usw.).

„The labourer who earns eighteen pence a day, and lives with some degree of comfort as a single man, will hesitate a little before he divides that pittance among four or five, which seems to be but just sufficient for one.“ (S. 67)

Da die Menschen zu ihrem Überleben Nahrungsmittel brauchen, müssen diese beiden Entwicklungstendenzen - trotz ihrer krass unterschiedlichen Wachstumsdynamik - letztendlich immer in Einklang gebracht werden. Die Nahrungsmittelknappheit wird daher das Bevölkerungswachstum immer einschränken. Die unausweichlichen Begleiterscheinungen dieser Einschränkung sind: Elend und Laster.

„The poor-laws of England were undoubtedly instituted for the most benevolent purpose; but there is great reason to think that they have not succeeded in their intention.“ (S. 91)

In einzelnen Nationen kann der so entstehende Leidensdruck noch durch entsprechend große Auswanderungswellen ausgeglichen werden. Wenn man aber global die gesamte Menschheit betrachtet, dann sind die Auswirkungen des Bevölkerungsgesetzes langfristig unausweichlich. In 225 Jahren würde die Weltbevölkerung bei ungehindertem Wachstum um das 512-Fache zugenommen haben, während die Nahrungsmittelproduktion nur um das Zehnfache gestiegen wäre. Ein Großteil der Menschheit muss angesichts solcher Zahlen zwangsläufig im Elend leben.

Historische Belege

Obwohl der Großteil der überlieferten Menschheitsgeschichte nur die oberen Gesellschaftsschichten behandelt, lassen sich Beispiele für die Geltung des Bevölkerungsgesetzes in allen bekannten Epochen der Menschheit finden.

„The passion between the sexes has appeared in every age to be so nearly the same, that it may always be considered, in algebraic language, as a given quantity.“ (S. 128)

Die ursprünglichste Form des menschlichen Zusammenlebens ist durch die Zeit der Jäger gekennzeichnet. Als Beispiel können die nordamerikanischen Indianer dienen. Als Jäger hatten sich die Indianer scheinbar gut an ihre Situation angepasst. Sie schienen eine Balance zwischen Kinderzahl und verfügbaren Nahrungsmitteln gefunden zu haben, und Elend und Laster hatten sich anscheinend vermeiden lassen. Bei näherer Betrachtung ist das aber nicht der Fall. Der männliche indianische Krieger in der Blüte seiner Jahre kann nämlich nicht mit einem Arbeiter im England des 18. Jahrhunderts verglichen werden. Seine Situation entspricht vielmehr der eines Adligen der englischen Oberschicht. Leid und Elend fällt in einer solchen Gemeinschaft nicht auf den Krieger, sondern vor allem auf Schwache, Frauen, Kinder und Alte.

„Were every man sure of a comfortable provision for a family, almost every man would have one; and were the rising generation free from the ,killing frost' of misery, population must rapidly increase.“ (S. 150)

Bei den Hirtenvölkern wurde in guten Zeiten der zunehmende Bevölkerungsdruck oft dadurch gelöst, dass die jungen Krieger auf Eroberungszüge geschickt wurden, um sich so ihren eigenen Lebensraum zu schaffen. In diesen Fällen führte das Bevölkerungswachstum unausweichlich zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Leidtragende waren oftmals wieder die Frauen und Kinder, weil sie in Abwesenheit der Männer Raubzügen zum Opfer fielen und die Kinder zudem bei Nahrungsengpässen häufig von den Eltern in die Sklaverei verkauft wurden.

„Man cannot live in the midst of plenty. All cannot share alike the bounties of nature. Were there no established administration of property, every man would be obliged to guard with force his little store. Selfishness would be triumphant.“ (S. 179)

In den Zivilisationsgesellschaften herrscht meist eine Mischung aus Viehzucht und Landwirtschaft vor. In China, dem fruchtbarsten Land der Welt, überwiegt sogar fast ausschließlich der ertragreichere Landbau. Eine entsprechend umfangreiche Nahrungsmittelproduktion hat dazu geführt, dass die Bevölkerung praktisch ins Unermessliche angewachsen ist. Die Folge sind aber regelmäßige Hungersnöte bei Missernten sowie die Unsitte, Kinder in Notzeiten auszusetzen.

Das Bevölkerungswachstum einschränkende Faktoren

Da die Bevölkerung aufgrund der limitierten Nahrungsmittelmenge nicht unbegrenzt wachsen kann, muss es einschränkende Faktoren geben. In letzter Konsequenz sind dies Seuchen und Hungersnöte.

„Little or no doubt can exist, that the comforts of the labouring poor depend upon the increase of the funds destined for the maintenance of labour; and will be very exactly in proportion to the rapidity of this increase.“ (S. 305)

Meistens entwickeln Gesellschaften aber bereits vor diesem Stadium entsprechende Einschränkungen, die sich in die Bereiche Elend und Laster einteilen lassen. Zum einen verelendet die Masse der Bevölkerung zusehends, wenn das Bevölkerungswachstum zunimmt. Die Lebensbedingungen verschlechtern sich rapide, die Nahrungsmittelmenge pro Einwohner nimmt stetig ab. Die Mehrzahl der Menschen lebt trotz harter Arbeit in Armut und muss täglich ums Überleben kämpfen. Die Kindersterblichkeit nimmt vor allem unter den Armen zu.

„A capital employed upon land, may be unproductive to the individual that employs it, and yet be highly productive to the society. A capital employed in trade on the contrary, may be highly productive to the individual, and yet be almost totally unproductive to the society.“ (S. 333)

Zum anderen steigt die Anzahl unmoralischer Handlungen. Kollektiv äußert sich das durch zunehmende Kriege und durch Unterdrückung der Schwächsten in der Gesellschaft, vor allem der Frauen und Kinder. Wenn die Angehörigen der Arbeiterklasse sich eine Familiengründung aufgrund der gegebenen Umstände nicht leisten können, nimmt die Zahl der Ehen ab und die allgemeine sexuelle Unmoral nimmt zu.

Das unausweichliche Elend der Massen

Aufgrund des Bevölkerungsgesetzes wird gesamtgesellschaftlich immer ein Mangel an Nahrungsmitteln herrschen. Deshalb wird der Großteil der Menschheit immer im Elend leben.

„The sorrows and distresses of life form another class of excitements, which seem to be necessary, by a peculiar train of impressions, to soften and humanize the heart, to awaken social sympathy, to generate all the Christian virtues, and to afford scope for the ample exertion of benevolence.“ (S. 372)

Etwas Weiteres kommt hinzu: Eine steigende Bevölkerung führt auch zu einem Überschuss an Arbeitskräften. Entsprechend fällt der Wert der Arbeit im Vergleich zu den Lebensunterhaltskosten. Dies wird oft durch steigende Nominallöhne maskiert. Weil gleichzeitig aber die Preise für Nahrungsmittel noch schneller steigen, sinkt der Reallohn permanent. Dieser Zustand wird durch Lohnabsprachen unter den Arbeitgebern meist noch verlängert. Wird der soziale Druck zu groß, führt das oft zu Zugeständnissen an die arbeitende Bevölkerung. Sobald diese aber Luft verspürt, nimmt die Zahl der Familiengründungen zu, was erneut zu einem höheren Angebot an Arbeitskräften mit entsprechendem realem Lohnverfall führt.

Die negative Auswirkung der Armengesetze

Die Armengesetze, die durch die Unterstützung der Arbeiterfamilien die soziale Notlage eigentlich lindern sollten, erweisen sich langfristig als kontraproduktiv. Sie ermutigen die Arbeiter auch dann zur Eheschließung und Gründung einer Familie, wenn sie diese durch die eigene Arbeit eigentlich nicht ernähren können. Dies führt zu einem Bevölkerungsanstieg mit entsprechend negativen Auswirkungen auf dem Arbeitsmarkt und zur Nahrungsmittelknappheit.

Da die Menge der vorhandenen Lebensmittel durch die Armengesetze nicht erhöht wird, geraten immer mehr Arbeiter in staatliche Abhängigkeit. Die durch öffentliche Gelder unterstützten Arbeiterfamilien konkurrieren mit denjenigen, die sich noch allein durch eigene Arbeit ernähren, um die knappen Nahrungsressourcen, was die Lebensmittelpreise für alle in die Höhe treibt.

Das Bevölkerungsgesetz und die Sozialutopien

Die natürliche Ungleichheit zwischen der Entwicklung der Bevölkerung und der Nahrungsmittelproduktion ist ein unüberwindliches Hindernis für die Erreichung einer Gesellschaft, in der alle glücklich und frei von materiellem Mangel leben. Wären alle Menschen gleich, würden am Ende nur alle diesem Mangel an Lebensgrundlagen in gleichem Maß ausgesetzt sein. Das Elend an sich aber ließe sich nicht vermeiden.

Selbst wenn eine egalitäre, gerechte Gesellschaftsordnung etabliert werden könnte, in der jeder Mensch voller Wohlwollen und Nächstenliebe gegenüber seinen Mitmenschen ist, würde die unter solch positiven Umständen schnell wachsende Bevölkerung unweigerlich Mangelzustände hervorrufen und die Gesellschaft bald wieder in Verteilungskämpfe zurückwerfen. Not, Elend und die Angst vor Verelendung würden dem Idealzustand ein Ende bereiten und sehr schnell würde sich wieder eine Gesellschaft von wohlhabenden Besitzern und mittellosen Lohnarbeitern entwickeln.

Kein Wohlstand für alle

Adam Smith beschreibt in seiner Abhandlung Der Wohlstand der Nationen, wie eine Gesellschaft kollektiv wohlhabender werden kann. Dabei setzt er den Wohlstand der Nation mit besseren Lebensumständen für alle, auch die unteren Gesellschaftsschichten, gleich. Dem ist aber nicht unbedingt so. Eine Nation kann als Ganzes durchaus reicher werden, ohne dass es der Masse der Arbeiter besser geht. Das ist vor allem dann so, wenn der Reichtum zunehmend durch Fabrikarbeit und weniger durch Landarbeit erwirtschaftet wird. In diesem Fall steigt nämlich die insgesamt zur Verfügung stehende Lebensmittelmenge auch bei erhöhter kollektiver Arbeitsleistung nicht an. Höhere Arbeitslöhne werden dann durch entsprechend höhere Lebensmittelpreise so ausgeglichen, dass sich die Situation der arbeitenden Bevölkerung nicht verbessert, obwohl insgesamt der Wohlstand der Nation zunimmt.

Das Bevölkerungsgesetz als göttliches Prinzip

Das menschliche Leben ist letztlich ein von Gott angestoßener Prozess. Gottes Wille ist es, der aus der unbelebten Materie Wesen von überragendem Geist und Verstand entstehen lässt.

Durch seine Verwurzelung in der trägen Materie neigt der Mensch zum Müßiggang. Ohne äußeren - göttlichen - Ansporn hätte sich die Menschheit kaum seit ihren Anfangszeiten weiterentwickelt. Der erste Entwicklungsanstoß erwächst aus der Notwendigkeit, die Befriedigung der elementaren Bedürfnisse sicherzustellen. Für die Masse der Menschheit ist das immer noch der grundlegende Ansporn zum Einsatz der eigenen Kräfte und Talente. Selbst höchste kulturelle Leistungen entstehen nicht selten aus diesem elementaren Leidensdruck.

Das unerbittlich wirkende Bevölkerungsgesetz ist daher im Rahmen der göttlichen Ordnung das Mittel, mit dem die Menschheit ständig zu ihrer geistigen Höherentwicklung angespornt wird.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Essay on the Principle of Population besteht aus 19 Kapiteln in drei Abschnitten. In den ersten sieben Kapiteln wirft Malthus die Frage nach der möglichen Vervollkommnung der Menschheit auf, um sogleich, ausgehend von zwei einfachen Postulaten zur Bevölkerungsentwicklung, seine Argumentation für die unerbittliche Wirkung des Bevölkerungsgesetzes und die daraus erwachsenden Konsequenzen darzulegen. In den nächsten zehn Kapiteln demontiert er systematisch die Sozialutopien des Marquis de Condorcet und von William Godwin, die davon ausgingen, dass unter radikal neuen Gesellschaftsverhältnissen ein glücklicher Zustand für alle Menschen möglich sei, und zeigt die Absurdität ihrer Ideen angesichts des Bevölkerungsgesetzes auf. In den Schlusskapiteln setzt er sich mit dem Nationalökonomen Adam Smith kritisch auseinander und erklärt dem Leser schließlich den seiner Meinung nach göttlichen Ursprung des Bevölkerungsgesetzes. Vom Stil her ist das Werk eine theoretische Abhandlung, die jedoch leicht lesbar ist. Malthus präsentiert sich als objektiver Vermittler zwischen den Fronten der Sozialutopisten und der Verteidiger des herrschenden Gesellschaftssystems. Durch betonte Zugeständnisse und eine umfassende Behandlung aller möglichen Gegenargumente baut er gezielt Glaubwürdigkeit auf. Gegnerische Positionen werden gelegentlich mit feiner Ironie an Extrembeispielen in ihrer Absurdität vorgeführt, an vielen Stellen erscheint die Argumentation wissenschaftlich fundiert. Durch sprachliche Eleganz und emotionsgeladene Formulierungen gewinnt die Abhandlung zusätzlich an Überzeugungskraft.

Interpretationsansätze

  • Mit seiner Interpretation vorliegender Bevölkerungsdaten und der daraus gefolgerten Darlegung des Bevölkerungsgesetzes wird Malthus zum ersten Demografen und Bevölkerungstheoretiker. Im Versuch, die Wirkung des Bevölkerungsgesetzes seit den Uranfängen der Menschheit nachzuweisen, betätigt er sich zudem als Sozialhistoriker.
  • Malthus spricht als Moralphilosoph, indem er das Laster und die Sexualmoral als beschränkende Faktoren der Bevölkerungsentwicklung darstellt.
  • In seinen für die Politik Englands einflussreichen Ausführungen zum Wert und Schaden der Armengesetze greift Malthus auch in den sozialpolitischen Bereich ein.
  • Mit seiner Diskussion der ökonomischen Konsequenzen des Bevölkerungsgesetzes und seiner Kritik an den Ideen von Adam Smith nimmt Malthus zudem als Wirtschaftswissenschaftler Stellung.
  • Schließlich erweist sich Malthus als Theologe, wenn er das Bevölkerungsgesetz als Ausdruck des göttlichen Willens interpretiert.
  • Der Essay ist in seiner rigorosen Argumentation, ausgehend von einigen wenigen Postulaten und allgemein bekannten Fakten, eine philosophische Abhandlung. Der Einsatz von emotionsgeladener Sprache und Sarkasmus gibt der Abhandlung aber zugleich immer wieder das Flair einer polemischen Streitschrift.

Historischer Hintergrund

Die Sozialutopien der Aufklärungszeit

Thomas Robert Malthus lebte im Zeitalter der Aufklärung. Sein Vater war ein persönlicher Freund der Philosophen David Hume und Jean-Jacques Rousseau, die die Familie besuchten, um zur Geburt des Sohnes zu gratulieren. Die industrielle Revolution hatte in England gerade ihren Anfang genommen, und Adam Smith lieferte in seinem berühmten Werk Der Wohlstand der Nationen dem Kapitalismus seine liberal-ökonomischen Grundlagen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und Erfindungen weckten die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Gleichzeitig verelendeten aber immer mehr Fabrikarbeiter und ihre Familien in den Slums der englischen Großstädte.

Die Ideen der Aufklärung bildeten die Basis für die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Französische Revolution. Auch in England beeinflussten sie viele Intellektuelle. Gefeierte Autoren wie der Marquis de Condorcet oder William Godwin veröffentlichen Sozialutopien. Diese neuen Ideen bedrohten die bestehende Gesellschaftsordnung Englands. Malthus war seit 1788 ein ordinierter Geistlicher der anglikanischen Kirche. In jenem Spannungsfeld aus traditionellen Strukturen und neuen Ideen sah er sich – wie viele andere Autoren seiner Zeit – mit der Frage konfrontiert, welche neuen Wege für die Menschheit möglich waren.

Entstehung

Malthus war bei der Abfassung seines Essay on the Principle of Population Anfang 30 und verbrachte als Junggeselle viel Zeit im Haus seiner Eltern. Dort diskutierte er oft mit dem Vater, der anfangs den optimistischen Zukunftsmodellen zugeneigt war. Um den Vater endgültig und nachhaltig von der Unsinnigkeit solcher Utopien zu überzeugen, schrieb Malthus seine Ideen zur unüberwindlichen Dynamik des Bevölkerungsgesetzes in Form einer kurzen Abhandlung nieder. Nach der Lektüre ermutigte ihn der Vater, den Text zu veröffentlichen. Malthus vervollständigte sein Werk und veröffentlichte es 1798 in erster Ausgabe anonym. Die leicht lesbare und überzeugende Abhandlung machte Malthus über Nacht berühmt. Der Erfolg spornte ihn zu ausgedehnten Forschungsreisen auf dem europäischen Kontinent und insgesamt sechs erweiterten Ausgaben seines Werkes an.

Wirkungsgeschichte

Es ist sicherlich keine Übertreibung, zu behaupten, dass Malthus mit seinem Bevölkerungsgesetz einen entscheidenden Beitrag zur westlichen Ideengeschichte geleistet hat. In England machte ihn die Abhandlung über Nacht berühmt. Obwohl er selbst nie ein politisches Amt innehatte, wurde er zu einer politisch wichtigen Persönlichkeit und beeinflusste die dortige Sozialreform stark, vor allem im Hinblick auf die Armengesetze.

Sowohl Charles Darwin als auch Alfred Russel Wallace, die beide unabhängig voneinander eine Evolutionstheorie basierend auf der natürlichen Auslese entwickelten, führten in ihren autobiografischen Notizen ihre Kernidee auf die Lektüre von Malthus' Abhandlung und den darin skizzierten endlosen Existenzkampf zurück. Fälschlicherweise wurde Malthus später auch für die Auswüchse des Sozialdarwinismus verantwortlich gemacht.

Karl Marx und Friedrich Engels sahen sich durch den Einfluss von Malthus' Ideen und seine Ablehnung von utopischen Zukunftserwartungen zu harten Angriffen genötigt, weil Malthus eine langfristige Besserung des Zustands der Arbeiterklasse grundsätzlich infrage stellte. Während die klassischen Ökonomen (wie David Ricardo oder John Stuart Mill) Malthus' Sicht des Bevölkerungsgesetzes meist bereitwillig zustimmten, lehnten fast alle Intellektuellen und Dichter Englands (wie Percy Shelley, Thomas Carlyle, William Wordsworth, Samuel Taylor Coleridge, Lord Byron oder Charles Dickens) seine Thesen entrüstet ab.

Der Ökonom John Maynard Keynes urteilte über Malthus: "Wäre doch nur Malthus, statt Ricardo, die Stammwurzel der Nationalökonomie des 19. Jahrhunderts geworden, ein wie viel weiserer und wohlhabenderer Platz wäre die Welt dann heute!"

Malthus’ Ideen haben die Menschen bis in unsere Zeit immer wieder polarisiert. Er wurde entweder verteufelt oder mit Begeisterung aufgenommen. Die einflussreiche Studie des Club of Rome in den 70er Jahren zu den Grenzen des Wachstums bestand im Wesentlichen in einer Ausweitung von Malthus’ Ideen auf die modernen Menschheitsprobleme. Angesichts erodierender Böden, eines global zunehmenden Wassermangels und wachsender Umweltverschmutzung (u. a. durch den Versuch, die rapide wachsende Bevölkerung in der Dritten Welt zu ernähren) gewinnen das Bevölkerungsgesetz und die daraus abgeleitete „Bevölkerungsfalle“ auch heute wieder an Beachtung.

Über den Autor

Thomas Robert Malthus wird am 13. Februar 1766 in Dorking (Surrey) bei London geboren. Nach seinen Schuljahren, die nach den Ideen Rousseaus im Heimunterricht durch seinen Vater und eine Reihe von Tutoren erfolgen, beginnt er 1784 ein Studium am Jesus College der Universität Cambridge. Er studiert Mathematik, später auch Theologie. 1788 wird er zum Geistlichen der anglikanischen Kirche ordiniert, bleibt aber weiterhin, nun als Dozent, am Jesus College. Durch die Veröffentlichung seines Essay on the Principle of Population (1798) wird er auf einen Schlag berühmt und zu einer politisch einflussreichen Persönlichkeit. Um seine Theorien empirisch zu untermauern, unternimmt er zwei längere Reisen nach Skandinavien und Russland (1799) sowie nach Frankreich und in die Schweiz (1802). 1803 erscheint seine zweite Ausgabe des Essay mit umfangreichem zusätzlichem Material. Als er 1804 im Alter von 38 Jahren heiratet, muss er seine Stelle am Jesus College wegen des dortigen Zölibatsgebotes aufgeben. Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor. 1805 erhält er die weltweit erste Professur für politische Ökonomie am neu gegründeten College der East India Company in Haileybury (Hertfordshire), eine Stelle, die er bis zu seinem Lebensende innehat. Von 1811 an verbindet ihn eine innige Freundschaft und gleichzeitig sachbezogen eine entschiedene Rivalität mit dem einflussreichen Wirtschaftstheoretiker David Ricardo. Noch zu seinen Lebzeiten gelangt Malthus auch international zu Ehren und wird u. a. Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Am 29. Dezember 1834 stirbt Malthus bei einem Besuch seines Schwiegervaters in der Nähe von Bath (Somerset) an einem Herzleiden.

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