Vier Jahrzehnte Neoliberalismus und Eigennutz haben sich in Großbritannien politisch wie wirtschaftlich übel ausgewirkt, sagen Paul Collier und John Kay. Nicht nur der Brexit habe gezeigt, wie egoistische Motive den Zusammenhalt zerstören und Kompromisse unmöglich machen. Von Politikern geäußert, klingt der Ruf nach mehr Gemeinsinn oft hohl. Bei Collier und Kay gewinnt er neue Überzeugungskraft.
Neoliberale Ökonomen betrachten die Welt aus der Perspektive des Einzelnen. Die Autoren Paul Collier und John Kay sind ebenfalls Ökonomen. Ihr Blickwinkel ist jedoch ein anderer. Bei ihnen steht nicht maximaler Eigennutz als Antrieb des Menschen im Zentrum, sondern die Gemeinschaft. So individuell ein jeder von uns sein mag: Wir alle sind, so argumentieren die Autoren, soziale Wesen, die in Gruppen verbunden sind durch gemeinsame Interessen. Dadurch wird Wissen angesammelt und komplexe Vorhaben werden möglich. Wer könnte einen Airbus schon allein bauen?, fragen die Autoren. Arbeitsteilige Gesellschaften funktionierten aber nur, wenn die Mitglieder sich vertrauen. Das klappe vor allem unter Freunden, Verwandten und Nachbarn. Wo Verbindungen fehlten, kooperiere man weniger. Nach Überzeugung der beiden Entwicklungsökonomen sind reiche Länder somit nicht deshalb reich, weil sie individualistisch sind, sondern weil in ihnen Gemeinschaften existieren.
Wo die Stütze der Gemeinschaft fehlt, muss der Einzelne größere Lasten tragen
Gemeinschaftsinstitutionen haben Europa geprägt. Die Autoren zeigen dies mit dem Blick in die Geschichte und gehen zurück bis in die Antike. Eintrittszeremonien feierten den Beitritt Jugendlicher zur Erwachsenenwelt, seien es Kirche, Militär oder Gesellschaft. Heute dagegen feierten Teenager mit dem Schulabschluss lieber den Abschied von gemeinsamen Bindungen, stellen die Autoren fest. Gruppenzugehörigkeit komme für sie höchstens durch eine selbst gewählte Identität infrage, die sich scharf abgrenze und polarisiere. Ohne die Stütze der Gemeinschaft wachse die Last für den Einzelnen. Aus anthropologischer Sicht ist das ein Rückschritt, dessen Folgen die Autoren drastisch verdeutlichen: Sie führen die Zunahme an Depressionen und Suiziden britischer Teenager darauf zurück.
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