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Das Wesen des Christentums

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Das Wesen des Christentums

Reclam,

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10 Take-aways
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Was ist drin?

Glaube, Gott, Religion? Nichts als menschliche Konstrukte, sagt Ludwig Feuerbach in seiner berühmten Religionskritik.


Literatur­klassiker

  • Religion
  • Moderne

Worum es geht

Gott, unsere Erfindung?

Gibt es einen Gott oder nicht? Und wenn ja, welche Religion ist die richtige? Seit Jahrhunderten schlagen sich die Menschen mit diesen Fragen herum und haben ihretwegen blutige Kriege geführt. Gott ist nur eine Vorstellung, eine Projektion des Menschen, sagte dagegen der Philosoph Ludwig Feuerbach Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Mensch stellt sich Gott seinen eigenen Wünschen und Bedürfnissen entsprechend vor. Weil diese Vorstellungen kulturabhängig sind, haben sich unterschiedliche Religionen entwickelt. Darum sah Feuerbach auch keinen Grund, Menschen wegen ihres Glaubens oder Unglaubens auszugrenzen oder zu bekämpfen. Ihm selbst aber brachte sein kritischer Blick auf das Phänomen Religion eine Menge Ärger ein: In einer politisch unruhigen Zeit galt er bald als verdächtiger Umstürzler, seine Karriere fand ein rasches Ende. Zugleich aber wurde er zum Vorbild für viele Denker nach ihm. Seine provokative und dennoch profunde Analyse bleibt bis heute aktuell und kontrovers.

Take-aways

  • Das Wesen des Christentums ist das Hauptwerk des Philosophen Ludwig Feuerbach.
  • Inhalt: Religiöse Vorstellungen entspringen nur dem menschlichen Denken. Das Gottesbild des Menschen entspricht seinen eigenen Wünschen und Zielen. Deshalb ist der Glaube egoistisch geprägt und mit Intoleranz und Gewalt verbunden.
  • Bei seinem Erscheinen 1841 war das Werk ein großer Publikumserfolg, erregte aber das Misstrauen der Obrigkeit.
  • Feuerbachs Theorien bildeten eine wichtige Basis für die revolutionären Strömungen seiner Zeit.
  • Viele wichtige Denker der Moderne waren von Feuerbach beeinflusst, darunter Karl Marx und Sigmund Freud.
  • Mit seinem analytischen Blick auf das Innenleben des Menschen gilt er als ein Vorläufer der modernen Psychologie.
  • Das Wesen des Christentums kann auch als Plädoyer für mehr Toleranz und Menschlichkeit interpretiert werden.
  • Feuerbach wollte die Religion nicht abschaffen, sondern nur ihre anthropologischen Wurzeln aufdecken. Damit war er vielen Atheisten seiner Zeit nicht radikal genug.
  • Wegen seiner religionskritischen Haltung musste er seine akademische Karriere frühzeitig beenden und lebte danach jahrzehntelang von den Einkünften seiner Frau.
  • Zitat: „Erst schafft der Mensch ohne Wissen und Willen Gott nach seinem Bilde, und dann erst schafft wieder dieser Gott mit Wissen und Willen den Menschen nach seinem Bilde.“

Zusammenfassung

Das Wesen der Religion

Die Religion ist etwas spezifisch Menschliches; Tiere kennen keinen Glauben. Der Grund dafür ist, dass nur der Mensch ein tieferes Bewusstsein seiner selbst besitzt und über sich selbst nachdenken kann. Tiere werden vom Instinkt getrieben. Nur der Mensch ist in der Lage, sich so etwas wie Unendlichkeit vorzustellen. Deshalb ist auch nur er für religiöse Gedanken empfänglich. Der Mensch braucht etwas, womit er sich beschäftigen kann, er braucht eine Bestimmung. Wenn der Mensch sich einer Sache bewusst ist, ist er sich damit auch seiner selbst bewusst, ganz gleich, was er tut. Das heißt, alles Denken des Menschen führt ihn auf sich selbst zurück und sagt etwas über ihn aus. Das gilt auch für das Denken über Gott: Es ist im Menschen selbst begründet. Darum ist der Gott des Menschen eigentlich der Mensch selbst.

Religiöse Gefühle

Viele Menschen glauben, Gott über das Gefühl wahrzunehmen. Aber nüchtern betrachtet nehmen sie nur eines wahr: das Gefühl selbst. Dieses Gefühl wird ihnen heilig, es wird letztlich zu ihrem Gott. Der Mensch empfindet Gott nur in sich selbst. Dieser Gott, den wir denken und empfinden können, ist uns logischerweise gleich. Deshalb ist die Erkenntnis Gottes eigentlich nur Selbsterkenntnis. Etwas anderes wäre auch gar nicht möglich, weil der Mensch nur sich selbst denken und erfühlen kann. Er verlagert sozusagen sein eigenes Wesen nach außen in die Religion. Wenn ein Vogel sich Gott vorstellen wollte, hätte dieser Gott mit Sicherheit Flügel, einfach weil sich der Vogel nichts anderes denken kann. Auch der Mensch kann sich Gott nur als Ideal seiner selbst vorstellen: als weises, gütiges Wesen. Die Forderung, sich kein subjektives Bild von Gott zu machen, ist unerfüllbar.

„Die Religion beruht auf dem wesentlichen Unterschiede des Menschen vom Tiere – die Tiere haben keine Religion.“ (S. 37)

Weil Gottesbilder von den Menschen kreiert werden, sind sie von der Kultur geprägt, in der sie entstehen – deshalb gibt es so viele unterschiedliche Religionen. Wir glauben, dass Gott existiert, weil wir selbst existieren, und in einem vollkommenen Gott beten wir das an, was uns selbst erstrebenswert erscheint.

Menschliche, göttliche Vernunft

Der menschliche Verstand ist vollkommen und unberührbar und hat damit etwas Göttliches. Gefühle sind unbeständig und können den Menschen unglücklich machen; der Verstand dagegen lässt sich nicht antasten, er steht über allem. Was gut und vernünftig ist, wird als göttliches Gebot definiert: Der Mensch soll sich daran orientieren und sich nicht einfach von seinen schwankenden Gefühlen treiben lassen. Wir glauben an einen allmächtigen Gott, setzen aber zugleich voraus, dass er nur das tun wird, was vernünftig ist. Dann ist allerdings nicht der allmächtige Gott, sondern die Vernunft die höchste Macht, der sich selbst Gott unterordnen muss. Letztendlich betet der Mensch in Gott seinen eigenen, unendlichen, allmächtigen Verstand an.

Gebote und Liebe

Der Mensch findet Frieden in Gott. Das kann er nur, weil sein Gott ihm ähnlich ist. Was uns fremd erscheint, schenkt uns keinen Frieden, sondern beunruhigt uns. In Gott personifizieren wir unsere eigenen moralischen Gesetze und machen sie für uns fassbar. Würde es sich nur um nüchterne Vorschriften handeln, blieben sie uns fremd. Wenn wir ihnen aber das Gesicht eines liebenden Gottes geben, ist diese Distanz überwunden. So können wir auch unsere Schuld, unser moralisches Versagen ertragen. Gesetze würden uns verurteilen, ein liebevoller Gott hingegen geht gnädig mit uns um.

„Das absolute Wesen, der Gott des Menschen, ist sein eignes Wesen.“ (S. 43)

Ohne Liebe kann der Mensch nicht existieren, deshalb setzt er diese wichtige Fähigkeit mit Gott gleich. Aus Liebe ist Gott Mensch geworden, sagt das Christentum. Eigentlich ist es eher umgekehrt: Dass die Liebe im Glauben eine so große Rolle spielt, zeigt nur, dass unser Gottesbild von Menschen gemacht ist. Eine Religion ohne Liebe endet im brutalen Fanatismus, deshalb steht auch die Liebe letztlich höher als Gott.

Der leidende Gott

Das Christentum vertritt die Auffassung, dass Jesus Christus als der sündenlose Sohn Gottes für die Menschen gestorben ist. Das Leiden eines Unschuldigen, der sich für andere opfert, macht auf uns Menschen einen besonders starken Eindruck. Indem der Mensch den leidenden Gott verehrt, heiligt er zugleich sein eigenes Leiden. In den heidnischen Religionen spielte das Heldentum, die Verneinung des Leids, eine wichtige Rolle. Das Christentum dagegen akzeptiert das Leid im Leben. Damit geben wir selbst unseren Gefühlen einen göttlichen Stellenwert: Der Mensch braucht einen leidenden Gott, damit er sich in ihm wiederfinden kann.

Die Dreieinigkeit

Um leben zu können, braucht der Mensch ein Bewusstsein seiner selbst. Diese Selbstverdopplung spiegelt sich in der Vorstellung von Gott als Dreieinigkeit (die eigentlich nur eine Zweieinigkeit ist, denn der Heilige Geist repräsentiert lediglich die Liebe zwischen Vater und Sohn). Das Bild vom dreifachen und dennoch einen Gott stellt das menschliche Bewusstsein plastisch dar: Der Mensch kann über sich selbst reflektieren wie über eine andere Person, und er bleibt dennoch eine Einheit. Daneben hat die Vorstellung der Trinität noch eine weitere Bedeutung: Allein kann der Mensch nicht glücklich werden, er braucht immer ein Gegenüber. Da der Mensch in seinem Gottesbild seine eigenen Bedürfnisse auszudrücken sucht, schafft er einen Gott, der als Dreieiniger sein Gegenüber in sich selbst trägt und so nicht einsam werden kann.

Gott und Natur

Die Theologie stellt die Vollkommenheit Gottes oft in einen Gegensatz zur unvollkommenen, sündhaften Natur. Aber wenn Gott die Erde geschaffen hat, wieso sollte sie dann unvollkommen sein? Diesen Widerspruch versucht man aufzuheben, indem man sagt, Gott trage auch das Dunkle, Unvollkommene in sich. Wenn er wirklich der Ursprung von allem ist, muss er zumindest auch die Anlage zu allem in sich vereinen. Wir stellen uns Gott als reinen Geist vor, aber dann wäre er etwas völlig Abstraktes, was nicht wirklich existieren kann. Denn was existieren soll, braucht einen Körper, und damit gehört es zur Natur. Dass wir uns Gott als reines, von der Natur abgeschiedenes Wesen vorstellen, liegt nur daran, dass wir in unserer Vorstellung von Gott all das von uns selbst abgeschieden haben, was nicht geistig ist.

Der Glaube an die Schöpfung

Mit der Schöpfungsgeschichte vergöttlichen wir die Kraft des Willens. Gott hat die Welt aus dem Nichts geschaffen, heißt es. Das ist der kreativste, freiste Wille, den man sich als Mensch vorstellen kann, und diesen Willen beten wir in unserer Vorstellung von Gott an. Wenn aber die Welt aus einem Willensakt entstanden ist, kann sie auch durch einen solchen wieder verschwinden. Hier drückt sich unbegrenzte Subjektivität, Allmacht und Willkür aus. Mit unserer Vorstellung von Gott stellen wir unsere eigene Willkür in den Mittelpunkt.

„Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen.“ (S. 52 f.)

Wer nicht an einen Schöpfergott glaubt, freut sich an der Welt so, wie sie ist. Wenn jedoch ein Gott die Welt geschaffen hat, dann muss das einen Grund haben, die Schöpfung wird einem Zweck unterstellt. Die alttestamentarische Schöpfungsgeschichte spiegelt die Überzeugung wider, dass die Welt nur für den Menschen gemacht worden ist und er sie beherrschen soll – purer Egoismus, wieder dreht sich, wo von Gott die Rede ist, alles um den Menschen.

Wunder und Gebet

Alle Wunder der Bibel ereignen sich für Menschen. Dass Gott auch einmal ein Tier durch ein Wunder gerettet hätte, ist nicht bekannt. Mit seiner Überzeugung, dass sein Gott ihn retten wird, notfalls auch aus dem Maul eines hungrigen Löwen, stellt sich der Mensch über alle anderen Lebewesen. In den Wundergeschichten des Alten Testaments, also des Judentums, greift Gott in den Lauf der Welt ein, nur um sein Volk zu schützen. Alle anderen Völker sind ihm gleichgültig. Im Christentum fehlt diese Bindung an ein bestimmtes Volk, aber sonst ist es dem Judentum ganz ähnlich: Wunder geschehen wieder nur für die Gläubigen. Der Glaube an einen Gott, der nur die schützt, die ihn anbeten, hat etwas zutiefst Egoistisches. Wenn ich glaube, dass mir durch den Glauben alles gelingen kann, mache ich mich letztlich selbst zum Gott. Wo ein Wunder geschieht, gelten sogar die Gesetze der Natur nicht mehr – und das alles nur, um die Wünsche der Menschen zu erfüllen. So stellt der Mensch wieder sich und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt. Auch wenn er sie im Gebet ausspricht, dreht er sich nur um sich selbst.

Der Glaube an die Auferstehung

Die Welt ist vergänglich und wir mit ihr, weil wir zur Welt gehören. Doch der Mensch möchte nicht einfach ein Teil der Natur, ein Lebewesen unter vielen sein. Er sieht sich als etwas Besonderes und hat diesen Wunsch in seiner Vorstellung von Gott personifiziert. Wenn wir davon ausgehen, dass die Welt von Gott aus dem Nichts geschaffen wurde, dann ist alles möglich, es gibt keine Schranken mehr für unseren Verstand, unseren Willen und unsere Fantasie.

„Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst: Er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber.“ (S. 80)

Der Mensch strebt danach, sein Leben zu erhalten. Das ist ein wichtiger Trieb. Die Natur sagt uns aber, dass alle Lebewesen sterben müssen. Der Glaube versucht diese Notwendigkeit zu umgehen, indem er die Auferstehung propagiert. Der Mensch schätzt sein eigenes Dasein als so wertvoll ein, dass es nicht vergehen kann. Außerdem ist ihm der Tod – als etwas, was zur Natur gehört – suspekt.

Die individuelle Beziehung zu Gott

In den heidnischen Religionen hatte das Individuum keinen hohen Stellenwert. Hier war klar, dass der Einzelne sterben muss, aber die Gattung Mensch weiter bestehen wird. Im Christentum dagegen stehen das Individuum und seine Beziehung zu Gott im Mittelpunkt. Vor der Beziehung zu Gott tritt die Beziehung zum Mitmenschen zurück. Im Blick auf den Himmel verliert das Leben auf der Erde seinen Wert. Deshalb ist im Christentum das Mönchtum, die Abkehr von der Welt, so wichtig. Das Zölibat ist insofern folgerichtig, als das Christentum die Sexualität als etwas Unreines ansieht. Wo die Liebe zu Gott alles ausfüllt, hat die weltliche Liebe zu einem Partner keinen Platz mehr.

Glaube, Liebe und Intoleranz

Im Christentum gehören Glaube und Liebe zusammen, aber eigentlich widersprechen sie sich. Die Liebe neigt dazu, alles zu akzeptieren und Grenzen zu überwinden. Der Glaube dagegen grenzt aus, weil er zwischen Wahr und Falsch unterscheidet. Wo es Gläubige gibt, muss es auch Ungläubige geben, die nicht dazugehören. Weil er ausgrenzen muss, ist der Glaube notwendigerweise intolerant. So steht er im scharfen Gegensatz zur Liebe. Gottes Gnade ist nicht für alle Menschen da, sondern nur für einige Auserwählte. Nicht nur gehören die Ungläubigen nicht dazu – sie sind sogar verdammt. Auch wenn das Christentum eigentlich Zwangsbekehrungen ablehnt, so muss es, werden die Ungläubigen erst einmal als Feinde, als Verdammte gesehen, notwendigerweise Feindseligkeiten zwischen Christen und Nichtchristen geben. Das Christentum verlangt zwar, die Feinde zu lieben, aber merkwürdigerweise bezieht sich das nur auf die Feinde des Einzelnen, nicht auf die Gegner des christlichen Glaubens selbst.

„Spekuliert so viel als ihr wollt: Ihr werdet nie eure Persönlichkeit aus Gott herausbringen, wenn ihr sie nicht schon vorher hineingebracht habt, wenn nicht Gott selbst schon euer subjektives oder persönliches Wesen ist.“ (S. 183)

Der Glaube verspricht die ewige Seligkeit und nimmt deshalb im Leben der Menschen eine zentrale Stellung ein. Das heißt aber auch: Alles andere muss sich ihm unterordnen, selbst die Moral. Aus diesem Grund wird Religion immer mit positiven Verhaltensnormen verbunden. Das ist auch gut so, denn ohne diese Normen wäre der Glaube höchst gefährlich. Nun hat das Christentum die Liebe als höchstes Gebot für sich vereinnahmt. So ist die Liebe an die Grausamkeit des Glaubens gebunden. Damit aber verliert sie ihre Kraft. Liebe will frei sein, will sich nicht Beschränkungen auferlegen lassen. Im Christentum jedoch wird die Liebe durch den Glauben beschränkt. Dadurch wird sie unehrlich und scheinheilig.

Die Heiligkeit des Lebens

Das Leben selbst und alle Beziehungen zwischen Menschen sind an sich bereits heilig. Wir haben die Verpflichtung, menschlich und moralisch zu handeln; dafür braucht man keine Religion. Taufe und Abendmahl können als die wichtigsten Sakramente aber trotzdem erhalten bleiben. In der Taufe steht das Wasser im Mittelpunkt. Aus ihm kommt alles Leben, in der Taufe können wir dieses feiern. Auch Essen und Trinken sind für den Menschen zentral; daran denken wir beim Abendmahl. In dieser Art von Religion steht der Mensch endlich unmittelbar und wahrhaft im Zentrum.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Wesen des Christentums besteht aus insgesamt 28 Kapiteln, die in eine Einleitung und zwei Hauptteile untergliedert sind, sowie einem Anhang. In der Einleitung (Kapitel 1 und 2) entfaltet Feuerbach allgemeine Gedanken über den Menschen und die Religion. Im ersten Teil (Kapitel 3–19) geht er darauf ein, inwiefern die christliche Religion dem Wesen und den Wünschen des Menschen entspricht. Der zweite Teil (Kapitel 20–28) beschreibt dann die Widersprüche des Glaubens und ihre negativen Folgen für den Menschen. In einem ausführlichen Anhang zitiert Feuerbach aus der Bibel und den Werken wichtiger christlicher Denker, an deren Erkenntnisse er teilweise anknüpft. Auch im Text selbst verweisen zahlreiche Fußnoten auf Belegstellen in theologischen Werken, insbesondere von Martin Luther und dem Mystiker Jakob Böhme. Für ein wissenschaftliches Werk ist die Sprache recht einfach und der Text entsprechend leicht zu lesen. Feuerbach argumentiert ausführlich und führt seine Gedanken umfangreich aus. Mal bleibt er dabei sehr nüchtern, mal wird er offen polemisch.

Interpretationsansätze

  • In Das Wesen des Christentums nimmt Feuerbach eine anthropologische Perspektive in Bezug auf das Christentum und das Phänomen Religion im Allgemeinen ein: Für ihn ist Religion eindeutig menschlichen Ursprungs. Die Vorstellung von Gott ist dem menschlichen Geist entsprungen, Gott ist so beschaffen, wie ihn die Menschen sich wünschen. Entsprechend steht bei der Religion nicht ein höheres Wesen, sondern immer nur der Mensch im Mittelpunkt.
  • Für Feuerbach ist die Theologie keine eigenständige Wissenschaft. Er führt sie auf andere Wissenschaften zurück, die sich ebenfalls mit dem Menschen beschäftigen, etwa Psychologie oder Anthropologie.
  • Feuerbach vertritt ein positives, sehr selbstbewusstes Menschenbild. Als eigentlichen Gott des Menschen sieht Feuerbach den menschlichen Verstand. Ihm schreibt er göttliche Eigenschaften wie Unsterblichkeit und Unbegrenztheit zu. Statt religiösen Mythen anzuhängen, soll der Mensch sich auf seinen Verstand verlassen und nach der Wahrheit suchen.
  • Feuerbach vertritt einen rein verstandesmäßigen Umgang mit dem Phänomen Religion. Sie ist eine Form des menschlichen Verhaltens, neben mehreren anderen. In vielen Gedanken und Ritualen des Glaubens sieht er durchaus einen Sinn. Es ist aber notwendig, sie von ihrem metaphysischen Hintergrund zu lösen, und anzuerkennen, dass Glaube keine göttliche Wahrheit, sondern nur eine menschliche Erfindung ist. Dann erhält die Religion einen neuen Sinn und kann den Menschen nicht mehr schaden.
  • Das Wesen des Christentums ist auch ein eindringliches Plädoyer für Toleranz: Wenn das Gottesbild des Menschen seinem Inneren entstammt, gibt es keinen Grund, einen anderen Menschen wegen seiner Religion zu diskriminieren.
  • Feuerbach vertritt einen humanistisch geprägten Ansatz. Im Zentrum seines Denkens steht der Mensch: Alle Vorstellungen des Menschen entstammen aus ihm selbst und führen auch wieder auf ihn zurück. Entsprechend ist es die wichtigste Aufgabe der menschlichen Gemeinschaft, für das Wohlergehen der Menschen zu sorgen. Wenn dies das Ziel ist, haben Hass und Diskriminierung keinen Platz.

Historischer Hintergrund

Revolution und Restauration im 19. Jahrhundert

Nachdem Napoleon endgültig besiegt war, legten die Mächte Europas auf dem Wiener Kongress 1814/15 die politische Ordnung Europas neu fest. Ihr Ziel war die Restauration: die Wiederherstellung der Verhältnisse, wie sie vor der Französischen Revolution bestanden hatten; mit absolutistischen Monarchien, in denen Könige von Gottes Gnaden herrschten. Doch mit den französischen Truppen hatten sich die Ideen der Französischen Revolution in Europa ausgebreitet – auch in Deutschland, das damals noch in viele kleine Staaten zersplittert war. Liberale Kräfte forderten die nationale Einheit des Landes, eine stärkere Demokratisierung und religiöse Toleranz. Es waren vor allem die neu entstandenen Studentenverbindungen, die sich das revolutionäre Gedankengut zu eigen machten. Doch von der Obrigkeit wurden solche Bestrebungen rigoros unterdrückt. Mittels strenger Zensur und eines Verbots der Burschenschaften versuchte man die revolutionären Kräfte im Keim zu ersticken. Zugleich war diese Zeit eine Phase wichtiger wissenschaftlicher Entdeckungen und Erfindungen: Man experimentierte mit Licht und Elektrizität, und in Biologie, Chemie und Medizin wurden große Fortschritte erzielt. Für viele Menschen wurde die Wissenschaft zu einer Art Religionsersatz. Sie gingen davon aus, dass der wissenschaftliche Fortschritt alle Probleme der Menschheit lösen und den Menschen zum Glück verhelfen könne. Religiöse Vorstellungen passten für viele nicht mehr in dieses Weltbild und galten als überholt.

Entstehung

Ludwig Feuerbach schrieb Das Wesen des Christentums in den Jahren 1839–1841. Dabei kamen ihm seine theologischen Kenntnisse zugute; immerhin hatte er vor seinem Philosophiestudium ein Jahr Theologie studiert. Feuerbach stand mit seinen Thesen in der Tradition der Aufklärung, die bereits im 18. Jahrhundert der Religion kritisch gegenübergestanden und den Gebrauch des Verstandes propagiert hatte. Außerdem stellte er sich mit seiner atheistischen Haltung auf die Seite der Liberalen, die in der Zeit der Restauration für mehr Demokratie und Toleranz eintraten. In Das Wesen des Christentums griff Feuerbach Vorstellungen seines Lehrers Georg Wilhelm Friedrich Hegel auf, bei dem er in Berlin studiert hatte. Auch das Werk Martin Luthers war eine Grundlage für Feuerbachs Werk. Bereits Luther hatte ein sehr individualistisches Gottesbild vertreten: Die Existenz Gottes zeigt sich ihm zufolge in der Beziehung zwischen dem Einzelnen und Gott. Von hier aus wagte Feuerbach den Sprung zu einem Gott, der nur im Bewusstsein des Menschen existiert. Seine These, dass der Mensch glücklich werden könne, wenn er seinen Verstand gebrauche, passte in eine Zeit, in der man durch den Fortschritt alles menschliche Elend besiegen wollte.

Wirkungsgeschichte

Das Wesen des Christentums erschien 1841 in Leipzig und rief heftige Kontroversen hervor. Sein Verfasser, ein bis dahin eher unbekannter Philosoph und Privatgelehrter, war mit einem Schlag berühmt. Nicht nur Wissenschaftler, sondern auch einfache Menschen lasen das Buch und stellten sich auf Feuerbachs Seite. Die Staatsmacht wurde misstrauisch: Immerhin war der Atheismus mit den Ideen der Revolution und dem Streben nach mehr Demokratie verbunden, was man damals mit aller Kraft zu unterdrücken versuchte. So geriet Feuerbach schnell ins Visier der Zensur, die zweite Auflage konnte nur mit Mühe lanciert werden. Er fand jedoch den Beifall liberal und revolutionär geprägter Kreise. Mit seinen Thesen wurde er zum wichtigsten Denker des Vormärz und der Revolution von 1848. Zugleich war seine Religionskritik vielen radikalen Atheisten seiner Zeit noch zu fromm, denn Feuerbach erklärte die Religion zwar als menschliches Phänomen, lehnte sie aber nicht komplett ab.

Die Religionskritik von Karl Marx geht zu großen Teilen auf Feuerbach zurück. Marx schrieb: „Feuerbach ist unser größter Prophet, es gibt keinen anderen Weg zur Wahrheit als durch den Feuerbach. Er ist das Purgatorium der Gegenwart.“ Auch Richard Wagner war ein Anhänger Feuerbachs. Er widmete ihm seine Schrift Das Kunstwerk der Zukunft. Gottfried Keller verlor in der Begegnung mit Feuerbach seinen christlichen Glauben; diese Entwicklung schilderte er später in seinem Roman Der grüne Heinrich mit den Worten: „Jetzt griff ich zu den eben in der Verbreitung begriffenen Werken des lebenden Philosophen, der nur diese Fragen in seiner klassisch monotonen, aber leidenschaftlichen Sprache (...) um und um wendete und gleich einem Zaubervogel, der in einsamem Busche sitzt, den Gott aus der Brust von Tausenden hinweg sang.“ Friedrich Nietzsche, der Das Wesen des Christentums schon als junger Mann las, wies Feuerbachs Thesen zurück, weil ihm dessen Haltung noch zu religiös erschien. Mit seinem nüchternen Blick auf das Innenleben des Menschen gilt Feuerbach zudem als einer der Wegbereiter der modernen Psychologie; er beeinflusste auch das Denken Sigmund Freuds. Ein Denkmal für Ludwig Feuerbach in Nürnberg konnte nur gegen erheblichen Widerstand christlich-konservativer und rechtsextremer Kreise errichtet werden und wurde im Laufe der Zeit immer wieder von Tätern aus diesem Umfeld beschmiert.

Über den Autor

Ludwig Feuerbach wird am 28. Juli 1804 in Landshut geboren. Sein Vater ist ein renommierter Jurist. Die Familie ist protestantisch, aber nicht streng religiös. 1823 beginnt Feuerbach in Heidelberg ein Theologiestudium, das er jedoch schon nach einem Jahr wieder abbricht, um in Berlin bei G. W. F. Hegel Philosophie zu studieren. 1828 schließt er seine Promotion ab und habilitiert sich schon wenige Monate später. Ab 1829 lehrt er als Privatdozent an der Universität Erlangen. Als 1830 seine religionskritische Schrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit erscheint, gilt er in den politisch unruhigen Zeiten als Revolutionär und gerät in das Visier der Obrigkeit. Damit hat er auch keine Chancen mehr, seine Universitätslaufbahn fortzusetzen. Feuerbach beendet seine Tätigkeit in Erlangen und heiratet 1837 Bertha Löw. Sie ist Mitinhaberin einer Porzellanmanufaktur, und ihre Einkünfte reichen aus, um eine Familie zu ernähren. Er zieht sich auf den Landsitz seiner Frau zurück und veröffentlicht als Privatgelehrter philosophische Schriften. Sein Hauptwerk Das Wesen des Christentums (1841) macht ihn schlagartig berühmt. Als 1848 die Revolution ausbricht, steht Feuerbach auf der Seite der liberalen Kräfte. Er kandidiert sogar für das Paulskirchen-Parlament, unterliegt aber knapp einem anderen Kandidaten. So nimmt er als Beobachter an den Versammlungen des Parlaments teil. Als die Revolution schließlich scheitert, ist auch das Gedankengut Ludwig Feuerbachs nicht mehr gefragt; seine letzten Werke haben nur noch wenig Erfolg. Nur die Obrigkeit hat weiter ein Auge auf den revolutionären Philosophen. 1859 geht die Porzellanmanufaktur bankrott, und die Familie steht nun ohne Einkünfte da. Doch Feuerbachs Freunde sammeln Spenden, und einige reiche Gönner unterstützen ihn und seine Frau, mit der er nach Rechenberg bei Nürnberg zieht, von nun an finanziell. 1867 erleidet Feuerbach einen ersten Schlaganfall. 1869 tritt er in die gerade gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei ein. Nach einem zweiten, schweren Schlaganfall 1870 ist Ludwig Feuerbach gesundheitlich stark beeinträchtigt und stirbt schließlich am 13. September 1872.

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