Upton Sinclair
Der Dschungel
Unionsverlag, 2014
Was ist drin?
Elend und Ausbeutung der Arbeiter in den Schlachthöfen von Chicago.
- Entwicklungsroman
- Naturalismus
Worum es geht
Ausbeutung von Mensch und Vieh
Upton Sinclairs Enthüllungsroman Der Dschungel kann auch heute noch schockieren – mehr als 100 Jahre nach seiner Entstehung. Der Autor zeigt darin das erbärmliche Leben am Boden der amerikanischen Gesellschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dank realitätsnahen Dialogen und detailreichen Schilderungen kommt der Leser dem Geschehen näher, als ihm lieb sein kann. Die Hauptfigur, Jurgis Rudkus, verlässt mit seiner Verlobten seine Heimat Litauen, um sein Glück in den USA zu finden. Doch der amerikanische Traum platzt schnell. Wie viele andere findet Jurgis einen Job in den Schlachthöfen, wo die Arbeiter nicht mehr Wert haben als das Vieh, das sie schlachten. Jurgis’ Familie wird Opfer von Ausbeutung und Ungerechtigkeit, die Hälfte stirbt oder verschwindet. Sinclair prangert gnadenlos das frühkapitalistische System der USA an. Seine Kritik verpackt er gekonnt in eine so mitreißende wie bestürzende Geschichte. Gegen Ende verliert er sich leider in stereotyper sozialistischer Propaganda, mit der er den narrativen Rahmen zum Leidwesen des Lesers verlässt.
Take-aways
- Der Enthüllungsroman Der Dschungel verhalf seinem Autor Upton Sinclair zu Weltruhm.
- Inhalt: Der Litauer Jurgis Rudkus wandert mit seiner Verlobten und deren Familie nach Amerika aus. Statt des amerikanischen Traums findet er nur Ausbeutung und Elend in den Schlachthöfen von Chicago. Nach einer langen Kette von Ungerechtigkeiten und Schicksalsschlägen wendet er sich dem Sozialismus zu und versucht sich durch Bildung aus seiner Unmündigkeit zu befreien und für eine bessere Welt zu kämpfen.
- Zu Recherchezwecken arbeitete Sinclair sieben Wochen lang in den Schlachthöfen von Chicago.
- In Der Dschungel verwebt Sinclair äußerste sprachliche Nüchternheit mit durchaus poetischen Passagen.
- Teils verliert er sich jedoch in stereotype sozialistische Propaganda.
- Der Roman verursachte bei seinem Erscheinen 1906 einen Skandal und führte zur Einführung von Gesetzen zur Lebensmittelreinheit.
- Das Buch brachte Sinclair den Ruf als „Muckraker“ (Mistkratzer) ein.
- Sinclair war enttäuscht, dass die Leser sich mehr über die hygienischen Missstände aufregten als über die skrupellose Ausbeutung der Arbeiter.
- Die einzige Verfilmung des Romans ist verschollen.
- Zitat: „Erbarmungslos, brutal knallte über ihnen die Peitsche der Armut. Am Morgen nach der Hochzeit traf sie sie im Schlaf und trieb sie noch vor Morgengrauen hinaus zur Arbeit.“
Zusammenfassung
Von Litauen nach Amerika
Im Schlachthöfeviertel von Chicago wird ein rauschendes Fest nach altem litauischem Brauch gefeiert. Jurgis Rudkus darf endlich seine Ona Lukoszaite heiraten. In Litauen lebte Jurgis auf einem Bauernhof mit seinem Vater Antanas. Dann lernte er Ona kennen. Er hielt bei ihrem Vater um ihre Hand an, wurde aber abgewiesen, da Onas Familie wohlhabend war und er selbst nicht viel zu bieten hatte. Als er Monate später einen zweiten Versuch unternahm, hatte er mehr Glück: Onas Vater war gestorben und die Familie hatte den Hof aufgeben müssen. Deshalb erlaubten sie Ona, zu heiraten. Die wollte ihre Familie aber nicht verlassen und so schlug Onas Bruder Jonas vor, dass sie alle gemeinsam nach Amerika auswandern sollten. Außer Jurgis, Ona und Jonas kamen noch Onas Stiefmutter Teta Elzbieta und ihre sechs Kinder Stanislovas, Kotrina, Vilimas, Nikalojus, Juozapas, Kristoforas sowie Onas Cousine Marija mit. Sowohl bei der Überfahrt als auch bei ihrer Ankunft in New York wurden die Auswanderer schlecht behandelt und um viel Geld betrogen. Schließlich schafften sie es nach Chicago, wo ein Freund von Jonas angeblich in den Schlachthöfen reich geworden war. Sie trafen auf einen Landsmann, der ihnen eine vorläufige Unterkunft besorgte und sie mit der neuen Gegend vertraut machte. Jurgis bekam gleich am nächsten Tag einen Job bei der Firma Brown, einem Chicagoer Fleischproduzenten.
Arbeiten und leben in Packingtown
Jurgis’ Arbeit besteht darin, in den Schlachträumen Gedärme zusammenzufegen, doch er ist froh, überhaupt Arbeit zu haben. Marija bekommt einen Job als Büchsenanmalerin in einer Nebenfabrik. Auch Jonas hat Arbeit in Aussicht. Nur Antanas findet aufgrund seines Alters keinen Job mehr. Durch einen Prospekt kommen die Einwanderer auf die Idee, sich gleich ein Eigenheim zu kaufen, statt ewig Miete zu zahlen. Als sie ein Haus im Stadtteil Packingtown besichtigen, sind sie enttäuscht, denn es scheint baufälliger als auf den Fotos. Nach langer Diskussion lassen sie sich doch überzeugen, unterschreiben den Vertrag und machen die Anzahlung.
„Es ging alles so unerhört sachlich zu, dass man wie gebannt zuschaute. Es war Schweinefleischfabrikation auf maschinellem Wege, Schweinefleischfabrikation mit angewandter Mathematik.“ (S. 43)
Die Arbeit verlangt Jurgis viel ab, aber er weigert sich, Mitglied in einer Gewerkschaft zu werden. Erste Zweifel kommen ihm, als er hört, welches Ausmaß von Korruption in den Firmen herrscht. Auch erlebt er einige schlimme Vorfälle unter den Arbeitern mit und ist geschockt von den katastrophalen hygienischen Bedingungen, unter denen die Fabriken ihre Lebensmittel herstellen: Rattendreck und Gammelfleisch landen in den Konserven, und vom regelmäßigen Säubern der Arbeitsplätze kann nicht die Rede sein. Schließlich findet auch Antanas einen Job, muss aber ein Drittel des Lohns an seinen Vorarbeiter abgeben. Also müssen nun auch Ona und Stanislovas arbeiten gehen, damit die Familie ihr Leben bestreiten kann. Die Kosten für den Unterhalt des Hauses erweisen sich als unerwartet hoch.
Liebe und Leid
Nach einem arbeitsreichen Sommer können Jurgis und Ona endlich heiraten. Für die Hochzeitsfeier müssen sie sich verschulden. Als der Winter naht, kommt es wegen des schlechten Zustands des Hauses zu einer Insektenplage. Außerdem hat die Familie Schwierigkeiten, die Wohnräume einigermaßen warm zu bekommen. Sie werden ständig krank. Am schlimmsten erwischt es Antanas, der sich nicht mehr erholt und schließlich stirbt. Marija findet einen Verehrer, und die beiden wollen im Frühjahr heiraten und zusammenziehen. Sie beginnt bereits Dinge für ihr neues Heim zu kaufen, doch dann verliert sie ihre Stelle in der Konservenfabrik und bleibt wochenlang arbeitslos. Ein Gewerkschafter bemüht sich erneut um Jurgis, der nun auf dessen Angebot eingeht. Er ist so begeistert, dass er den Rest der Familie auch überzeugt, der Gewerkschaft beizutreten, in der Hoffnung, ihr Leid werde dadurch bald beendet sein. Jurgis geht zu Versammlungen und wirbt andere Litauer an. Er beginnt Englisch zu lernen, schreibt sich in der Abendschule ein und interessiert sich für amerikanische Politik. Er sieht immer klarer, wie die Fabrikanten mit ihren Arbeitern und den hergestellten Waren Schindluder treiben.
„Besucher (…) weinten gelegentlich, aber die Schlachtemaschine lief weiter. (…) Es war wie ein entsetzliches Verbrechen, das in einem Verlies begangen wurde, unbemerkt und unbeachtet, dem Blick verborgen und aus der Erinnerung gelöscht.“ (S. 43)
Marija bleibt arbeitslos, bis ihre Konservenfabrik wieder öffnet und sie ihren alten Job zurückbekommt. Doch kurz darauf verliert sie diesen wieder, weil sie sich gegen die unfaire Behandlung durch ihre Vorarbeiterin wehrt. Wenig später findet sie Arbeit als Rinderausschälerin. Auch Ona wird von ihrer Vorarbeiterin schlecht behandelt – und erfährt schließlich auch den Grund: Die Vorarbeiterin ist ledig und muss sich als Kupplerin etwas dazuverdienen. Einige von Onas Kolleginnen arbeiten für sie als Prostituierte. Diese und die Vorarbeiterin hegen einen Groll gegen Ona, weil sie verheiratet ist. Jurgis und Ona bekommen bald darauf ein Kind. Zusätzlich erwachsen der Familie aus dem Kleingedruckten des Kaufvertrags für das Haus noch weitere finanzielle Verpflichtungen. Deshalb muss Ona schon eine Woche nach der Geburt des kleinen Antanas wieder arbeiten gehen, was dazu führt, dass sie sich eine chronische Unterleibskrankheit zuzieht.
Missbrauch und Rache
Der Winter bricht herein. Jurgis verletzt sich am Knöchel und muss fast drei Monate zu Hause bleiben. Stanislovas verliert durch die Kälte Glieder an drei Fingern und muss fortan morgens aus dem Haus geprügelt werden, damit er arbeiten geht. Als der Frühling kommt, verschwindet Jonas – keiner weiß, wohin – und Jurgis verliert seine Arbeit aufgrund seiner langen Abwesenheit. Also müssen nun auch Vilimas und Nikalojus die Schule verlassen, um als Zeitungsjungen zu arbeiten. Dann stirbt Elzbietas jüngstes Kind, Kristoforas, aus unbekannten Gründen. Jurgis findet keinen Job und es bleibt ihm nichts anderes übrig, als in einer Düngemittelfabrik zu schuften – der schlimmste Arbeitsplatz überhaupt. Elzbieta findet Arbeit in einer Wurstfabrik, und ihre Tochter Kotrina muss von nun an den Haushalt führen und auf die Kleinen aufpassen.
„Erbarmungslos, brutal knallte über ihnen die Peitsche der Armut. Am Morgen nach der Hochzeit traf sie sie im Schlaf und trieb sie noch vor Morgengrauen hinaus zur Arbeit.“ (über Jurgis und Ona, S. 87)
Durch all das Elend wendet sich Jurgis dem Alkohol zu. Antanas wird oft krank und das Geld reicht nicht für einen Arzt. Auch Ona, die wieder schwanger ist, wird krank und wird zudem von hysterischen Anfällen geplagt. Eines Nachts kommt sie nicht nach Hause und behauptet am nächsten Tag, sie sei bei einer Freundin gewesen. Als sich das wiederholt, geht Jurgis zu dieser Freundin, in der Hoffnung, Ona dort zu finden. Er erfährt jedoch, dass sie nicht dort ist und es auch damals nicht war. Er stellt Ona zur Rede. Die muss zugeben, dass sie seit zwei Monaten zu einem der Bosse ihrer Firma – Phil Connor – geht und sich missbrauchen lassen muss, um zu verhindern, dass der die ganze Familie ruiniert. Wütend zieht Jurgis los und greift Connor brutal an. Die Polizei nimmt ihn fest.
Gefängnis und Tod
Jurgis muss eine Woche lang – über Heiligabend – im Stadtgefängnis ausharren. Dort lernt er den Gauner Jack Duane kennen und freundet sich mit ihm an. An Silvester wird Jurgis vor Gericht gestellt und bekommt nach einem kurzen, unfairen Prozess 30 Tage Gefängnis plus Gerichtskosten auferlegt. In der Haft bekommt er Besuch von Stanislovas, der ihm vom Leid daheim erzählt: Marija ist schwer verletzt, Elzbieta arbeitslos, Ona ist krank und arbeitslos, die Kinder müssen Zeitungen verkaufen und trotzdem sind alle kurz vor dem Verhungern. Stanislovas bittet Jurgis um Hilfe, doch der kann nichts tun. Erst als er seine Strafe abgegessen und seine Schulden im Steinbruch abgearbeitet hat, lässt man ihn wieder auf freien Fuß. Als er endlich nach Hause kommt, muss er feststellen, dass seine Familie das Haus verloren hat und in die Pension vom Anfang zurückgekehrt ist. Er stößt in just dem Moment zu ihnen, als Ona mit dem neuen Baby in den Wehen liegt – zwei Monate vor dem eigentlichen Termin. Alle Bewohner der Pension legen Geld zusammen, damit Jurgis Hilfe holen kann. Er findet eine Hebamme, doch es ist zu spät: Das Baby und Ona sterben. Daraufhin verlässt Jurgis die Wohnung, um sich zu betrinken.
„Hier aber fand er eine neue Religion – eine Religion, die ihn anging, die alle Fasern seines Herzens ergriff, und mit dem ganzen Eifer und Ungestüm des frisch Bekehrten zog er nun als Missionar aus.“ (über Jurgis und die Gewerkschaft, S. 106)
Elzbieta bittet Jurgis, sich aus Rücksicht auf die übrigen Kinder zusammenzureißen. Also sucht er wieder nach Arbeit. Da er wegen seiner Verurteilung auf einer schwarzen Liste gelandet ist und in Packingtown nicht mehr arbeiten kann, muss er ins Innere der Stadt. Ein Gewerkschaftsfreund verschafft ihm einen Job bei einer Landmaschinenfabrik, wo er gut verdient. Er hegt wieder Hoffnung für die Zukunft. Doch nach wenigen Tagen schließt seine Abteilung und er ist wieder arbeitslos. Der Winter wird schlimmer, und Juozapas beginnt auf der städtischen Müllkippe nach Essbarem zu suchen. Dort greift ihn eine wohlhabende Frau auf, die Mitleid mit ihm hat. Sie schenkt ihm und der Familie einen Korb mit Lebensmitteln. Außerdem verschafft sie Jurgis Arbeit in einem Schienenwerk. Auch Marija kann wieder arbeiten, und die Lage entspannt sich. Doch dann stirbt der kleine Antanas bei einem Unfall.
Unterwegs
Statt zu weinen oder zu trinken, verlässt Jurgis Chicago ohne ein Wort und geht aufs Land. Dort schläft er in Scheunen und kauft Bauern etwas zu essen ab. Er verbringt Zeit mit anderen Landstreichern und lernt von ihnen die Grundlagen des Überlebens. Er arbeitet nur so viel und so oft wie unbedingt nötig, lässt sich mit Prostituierten ein und trinkt reichlich. Im Herbst kehrt er nach Chicago zurück, ohne jedoch die Familie aufzusuchen. Er behauptet, noch nie in Chicago gearbeitet zu haben, und bekommt einen Job im Tiefbau. Doch dann verletzt er sich und muss zwei Wochen ins Krankenhaus, worauf er seinen Job verliert und sich nun als Bettler durchschlagen muss. Eines Nachts trifft er auf der Straße Freddie Jones, den Sohn eines Fleischkonservenmagnaten. Der gibt ihm im Suff einen Hunderter und nimmt ihn mit zu sich nach Hause, wo er ihn bewirten lässt. Als Jones schließlich einschläft, wirft der Butler Jurgis wieder auf die Straße. In einer Kneipe will der den Hunderter wechseln lassen und wird eiskalt betrogen. Daraufhin beginnt er eine Schlägerei und wird wieder verhaftet.
Streik
Im Gefängnis trifft Jurgis erneut auf Jack Duane, dem er sich nach Verbüßung seiner Haft anschließt. Er wird in die kriminelle Gesellschaft eingeführt und lernt den gesamten Korruptionsapparat in Chicago verstehen. Doch sehr bald hat er keine Lust mehr auf die Unsicherheiten der Ganovenexistenz. Er lässt sich von Bush Harper anheuern, einem Handlanger des einflussreichen Politikers Mike Scully. Jurgis wird in die Schlachthöfe geschickt, um dort zu arbeiten, einen Posten in der Gewerkschaft anzunehmen und für den republikanischen Kandidaten zu werben. Jurgis ist fleißig und liefert das gewünschte Ergebnis. Er bleibt daraufhin in Packingtown und lässt es sich gut gehen.
„So hart waren ihre Lebensbedingungen, dass sie nie auch nur eine ganz kurze Atempause von ihren Sorgen finden oder erhoffen konnten, dass es keinen einzigen Augenblick gab, in dem der Gedanke an Geld sie nicht bedrückte.“ (über die Familie, S. 117)
Im Juni kommt es zu Streiks in den Fleischfabriken und Jurgis ersucht Scully um einen neuen Job. Der kann ihn jedoch nicht brauchen und schlägt ihm vor, er solle als Streikbrecher weiterarbeiten. So verdient Jurgis mehr als zuvor und steigt zum Vorarbeiter auf. Die Fronten verhärten sich und es kommt zu immer neuen Streiks. Immer mehr neue Arbeiter werden aus dem ganzen Land herbeigekarrt, um die Streikenden zu ersetzen. Sie werden in den Fabriken untergebracht, wo bald Chaos ausbricht.
Ein neuer Anlauf
Jurgis trinkt wieder. Im Suff trifft er unverhofft auf Phil Connor, den er sofort aufs Neue anfällt und verprügelt, worauf er verhaftet wird. Da Connor ein Freund von Scully ist, bleibt Jurgis nichts anderes übrig, als sich auf Kaution rausholen zu lassen, um dann ans andere Ende von Chicago zu verschwinden. Dort irrt er wieder durch die Straßen, bis er eine alte Bekannte trifft, die ihm sagt wo er Marija findet: als Prostituierte in einem Bordell. Diese erzählt ihm, dass inzwischen auch Stanislovas verstorben ist. Sie schickt Jurgis zu Elzbieta, der er verspricht, so schnell wie möglich Arbeit zu suchen, um wieder seinen Teil zum Unterhalt der Familie beitragen zu können. Während der Suche stößt er zu einer sozialistischen Versammlung, von deren Hauptredner er völlig ergriffen ist. Er sucht diesen im Anschluss auf und wird mit einem Genossen bekannt gemacht, der Litauisch spricht. Dieser Ostrinski nimmt Jurgis mit nach Hause und erklärt ihm den Sozialismus. Schließlich findet Jurgis Arbeit in einem Hotel, dessen Besitzer sich ebenfalls als Sozialist herausstellt.
„Diese mitternächtlichen Stunden waren für Jurgis schicksalhaft: Aus ihnen wuchs der Keim für seine Rebellion, seine Missachtung des Gesetzes und seine Glaubenslosigkeit.“ (über Jurgis im Gefängnis, S. 186)
Jurgis möchte dem Alkohol abschwören und Marija aus dem Bordell holen. Die weigert sich, da sie drogensüchtig ist und keine Hoffnung mehr hat. Jurgis beginnt, seine Geschichte mit anderen zu teilen und Werbung für den Sozialismus zu machen. Er liest alles, was er in die Hände bekommt, und versucht, sich so gut wie möglich zu bilden. Eines Tages lädt man ihn sogar zu einer Diskussion ein, bei der unter anderem ein Redakteur und ein Professor über die Nachteile des Kapitalismus und die Vorzüge des Sozialismus diskutieren. Als schließlich der Wahltag kommt, sind alle ganz euphorisch über den Erfolg der Sozialisten im ganzen Land. Allein in Chicago haben sie über 50 000 Stimmen bekommen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der Dschungel ist ein Enthüllungsroman in 31 Kapiteln. Bis auf einen einzigen Rückgriff in die Vergangenheit folgt die Geschichte einer linearen Erzählweise. Der allwissende Erzähler ist nicht Teil der Handlung, obwohl er des Öfteren von „unseren Freunden“ spricht, wenn er über Jurgis und seine Familie berichtet. Generell pflegt Sinclair einen sehr nüchternen und direkten Stil und setzt auf detailreiche Beschreibungen. Daneben gibt es immer wieder längere poetische Passagen. Deren Ton ist zunächst hoffnungsvoll, dann melancholisch und schließlich unheilschwanger – parallel zum Untergang von Jurgis’ Familie. Realitätsnähe und Lebendigkeit erreicht Sinclair, indem er viel wörtliche Rede einfließen lässt. Dabei versucht er, die verschiedenen Akzente der Akteure einzufangen. Oft verwendet er litauische Wörterund Sätze, ohne sie zu übersetzen. Das Ende des Romans besteht zu einem großen Teil aus überlangen Monologen. Hier gelingt es Sinclair nicht mehr, die stereotypen sozialistischen Litaneien organisch in die Handlung einzubetten. Über weite Strecken liest sich der Roman hier wie eine Vorlesung.
Interpretationsansätze
- Der Dschungel kann als Entwicklungsroman gelesen werden: Jurgis verlässt als junger Naivling seine Heimat und muss durch Schicksalsschläge und Ungerechtigkeiten lernen, dass er sich selbst durch Bildung aus seiner Unmündigkeit befreien muss.
- Jurgis durchläuft verschiedene Stadien des Glaubens: Er beginnt mit dem Glauben an sich selbst und an den amerikanischen Traum – er glaubt an das System. Als ihn dieses im Stich lässt, legt er seine Hoffnung voll und ganz in seine Familie, im Glauben, dass diese Beziehungen ihn am Leben erhalten. Als er aber Frau und Kinder verliert, glaubt er, nur noch dann überleben zu können, wenn er sich in die Kriminalität stürzt und das System betrügt. Schließlich findet er zum Sozialismus – er glaubt, das System ändern zu müssen – und zu können.
- Der Dschungel ist ein Paradebeispiel dafür, wie sich Literatur und Gesellschaft gegenseitig beeinflussen: Sinclair war sieben Wochen lang Teil der Kultur, die er in seinem Roman beschreibt. Er arbeitete und lebte in und bei den Schlachthöfen von Chicago und sprach mit unzähligen Leuten. Nach dem öffentlichen Aufschrei, den der Roman verursachte, wurden neue Gesetze und Vorschriften eingeführt, die die Qualität der massenproduzierten Lebensmittel und, zumindest zeitweise, die Lebensumstände der Arbeiter verbesserten.
- Zwei bestimmende Motive ziehen sich durch den Roman: die Korruption, von der sämtliche Schichten und Instanzen befallen sind, und, als Gegensatz dazu, die Familie. Es sind zwei entgegengesetzte Kräfte: Die eine zersetzt die Gesellschaft, die andere gibt ihr Stabilität.
- Der Titel des Romans steht als Symbol für die Härte und die Gefahren, die in der Großstadt lauern, wo die Starken die Schwachen ausbeuten.
- Es bestehen Parallelen zu Dantes Göttlicher Komödie: Sowohl Dantes als auch Jurgis’ Reise beginnt in der Hölle (bzw. im Großstadtdschungel) und endet mit der Erlösung – für Dante im Paradies und für Jurgis im Sozialismus, dem Paradies des städtischen Proletariats.
Historischer Hintergrund
Muckrakers in den USA
Durch die immer schneller fortschreitende Industrialisierung in den USA gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde der wirtschaftliche Wettbewerb, sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene, immer härter. In einzelnen Industriezweigen bildeten sich Syndikate und Trusts, die sich in ihrem Kampf um Geld, Macht und Marktdurchdringung auch unlauterer Mittel bedienten. Ein rapides Abfallen des Lohnniveaus war nur eine der verheerenden Folgen für die einfache Bevölkerung. Dies führte dazu, dass sowohl die urbanen als auch die ländlichen Gegenden immer mehr verelendeten. Die Schere zwischen Arm und Reich wurde immer größer. Im ganzen Land, besonders aber in den Ballungszentren, herrschte immer mehr soziale Ungleichheit.
In dieser Zeit begannen einige Journalisten, sich mit diesen Missständen zu beschäftigen. Sie selbst stammten meistens aus den ärmeren Bevölkerungsschichten und fühlten sich berufen, die Fehler des Systems, die für die prekären Lebensumstände eines großen Teils der Bevölkerung verantwortlich waren, aufzudecken. Dabei scheuten sie nicht vor langwieriger und akribischer Recherchearbeit zurück. Als Erfinder des investigativen Journalismus deckten sie korrupte Machenschaften in Politik und Wirtschaft auf und rückten Ausbeutung und soziale Ungleichheit ins Licht der Öffentlichkeit. Der damalige amerikanische Präsident Theodore Roosevelt bezeichnete sie als „Muckrakers“ (Mistkratzer).
Auch etliche Romanschriftsteller begannen, sich zu diesen Muckrakers zu gesellen. Sie behandelten in Enthüllungsromanen aktuelle Themen und Probleme der Gesellschaft. Dabei blieben sie jedoch meistens an der Oberfläche und kritisierten lediglich die Symptome, nicht aber deren Ursprung. Kaum einer dieser Autoren drang so weit unter die Oberfläche der ersichtlichen Missstände wie der überzeugte Sozialist Upton Sinclair.
Entstehung
Nachdem Sinclairs erste Romane erfolglos geblieben waren, wurde der Autor von der sozialistischen Zeitung Appeal to Reason für sieben Wochen nach Chicago geschickt, um dort das Leben der Arbeiter in den Schlachthöfen zu untersuchen. Tatsächlich arbeitete und lebte er dort als einer von ihnen und brachte somit viele Details hinsichtlich der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der untersten Bevölkerungsschicht in Erfahrung. Außerdem erfuhr er alles über die Hygienestandards – oder besser gesagt deren Fehlen – in den fleischverarbeitenden Betrieben und über die korrupten Machenschaften innerhalb der Fabriken sowie zwischen den Fabrikanten und der Politik. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen bildeten das Fundament von Der Dschungel. Um seinen Fakten einen passenden fiktionalen Rahmen zu geben, ließ sich Sinclair von realen Personen inspirieren. Tatsächlich erlebte er selbst durch Zufall die Hochzeit einer Einwandererfamilie mit und nahm diese zum Vorbild für die Hochzeit von Jurgis Rudkus und Ona Lukoszaite.
Der Roman wurde 1905 zunächst als Serie in Appeal to Reason veröffentlicht. Da die Beschreibungen recht schockierend waren, hatte Sinclair Mühe, einen Verlag zu finden, der die Geschichte als Ganzes veröffentlichte, und musste die erste Auflage selbst finanzieren. 1906 erschien der Roman, nach strenger Prüfung der Fakten, bei Doubleday, Page and Company.
Wirkungsgeschichte
Schon bei der Serienveröffentlichung in Appeal to Reason wurde jede neue Fortsetzung sehnlichst erwartet – wie man der Unmenge von Leserbriefen entnehmen konnte. In Buchform wurde Der Dschungel sofort ein internationaler Erfolg und führte zu einem riesigen Aufschrei in der amerikanischen Bevölkerung. Präsident Theodore Roosevelt sah sich gezwungen, eine Untersuchungskommission einzuberufen, und der Kongress verabschiedete noch im selben Jahr ein neues Lebensmittelgesetz.
Sinclair selbst war von den Reaktionen der Menschen jedoch enttäuscht. Er sagte: „Ich zielte mit meinem Roman auf das Herz und auf das Gewissen der Amerikaner, aber ich traf nur ihren Magen.“ Statt sich über die Ausbeutung und die scheußlichen und menschenunwürdigen Umstände, unter denen die Arbeiter leben mussten, aufzuregen, beklagte sich die Bevölkerung über die Verunreinigung ihrer Lebensmittel.
1914 wurde Der Dschungel von George Irving verfilmt. Sinclair wirkte bei der Produktion des Stummfilms mit. Die bislang einzige Verfilmung des Romans ist verschollen.
Über den Autor
Upton Sinclair wird am 20. September 1878 in Baltimore, Maryland geboren. Sein Vater, ein Vertreter für Spirituosen, ist Alkoholiker. Upton Sinclair ist ein Einzelkind und wächst in Armut auf. Da seine strenggläubige puritanische Mutter aber aus einem reichen Elternhaus stammt, lernt er bei häufigen Besuchen der Großeltern auch gehobenere Verhältnisse kennen. Sinclair betrachtet die Sucht des Vaters und den rigiden Puritanismus der Mutter gleichermaßen mit Abscheu. Schon als 14-Jähriger beginnt er zu schreiben. Nach der Schule studiert er eine Weile an der Columbia University. Mit 21 Jahren heiratet er die drei Jahre jüngere Meta Fuller. Die beiden haben einen Sohn, die Ehe scheitert aber bald. Sinclairs Bemühungen, durch Groschenromane und andere Unterhaltungsliteratur zu Wohlstand zu gelangen, bleiben erfolglos. In Chicago arbeitet er 1904 wochenlang im Schlachthaus, um für den Roman Der Dschungel (The Jungle, 1906) zu recherchieren, der ihm endlich den ersehnten literarischen Durchbruch bringt. Mit Teilen des Gewinns finanziert er eine sozialistisch-utopische Kommune in New Jersey namens Helicon Hall, die jedoch abbrennt. Bei den Wahlen zum Repräsentantenhaus 1920 kandidiert er erfolglos für die Sozialisten. Nebenbei schreibt er Kinderbücher, Theaterstücke und unzählige journalistische Beiträge. Mit seiner zweiten Frau Mary Craig Kimbrough zieht Sinclair während des Ersten Weltkriegs nach Kalifornien; 1926/27 veröffentlicht er seinen Roman Öl! (Oil!). Bei den Gouverneurswahlen 1934 scheitert er als Kandidat der Demokraten nur knapp. Mit Welt-Ende (World’s End, 1940) beginnt der Autor eine erfolgreiche Romanserie, für deren dritten Teil Drachenzähne (Dragon Harvest) er 1943 den Pulitzerpreis erhält. Prominente Schriftsteller wie George Bernard Shaw schlagen ihn wegen seines politisch engagierten Schreibens für den Nobelpreis vor. Nach dem Tod seiner Frau 1961 heiratet Sinclair erneut. Er stirbt am 25. November 1968 in Bound Brook in New Jersey.
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