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Der Mann ohne Eigenschaften

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Der Mann ohne Eigenschaften

Rowohlt,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Jahrhundertwerk der deutschen Literatur – viel gerühmt, aber wenig gelesen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Leben in einer dem Untergang geweihten Welt

Der Mann ohne Eigenschaften ist einer der gewaltigsten Romane der deutschen Literatur. Mit seinem Helden Ulrich schuf Robert Musil eine Figur, an deren innerem Dilemma sich die Zerrissenheit der Moderne demonstrieren lässt. Er ist ein Mann ohne Eigenschaften, weil er keine für ihn selbst geeignete erkennen kann. In einer groß angelegten Aktion zur Vorbereitung der Feier des kaiserlichen Thronjubiläums stößt Ulrich auf die unterschiedlichsten Vertreter der damaligen österreichischen Elite. Deren Zusammenwirken bei der „Parallelaktion“ führt aber ins Leere, denn man kann sich auf keine Maßnahmen einigen. Aus den vielen Gesprächen und philosophischen Überlegungen im Roman wird deutlich, dass die rationale, moderne Welt keinen seelischen Halt mehr bietet. Man ahnt, dass das Ganze nur in den Abgrund des Ersten Weltkriegs führen kann, in dem sich das unterdrückte Nichtrationale gewaltsam entlädt. Wer von dem Buch eine stringente, zielgerichtete Geschichte erwartet, wird enttäuscht sein: Der Roman ist zum einen unvollendet, zum anderen lebt er vor allem von philosophischen Abschweifungen und essayistischem Schreibstil. Wer sich aber darauf einlässt, kann wertvolle Einsichten gewinnen und wird durch die feine Ironie Musils auch noch köstlich unterhalten.

Take-aways

  • Der Mann ohne Eigenschaften ist einer der wichtigsten Romane des 20. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Der Mathematiker Ulrich will ein Jahr lang „Urlaub vom Leben“ nehmen. Er wird Sekretär bei seiner Cousine Diotima, in deren Haus die so genannte Parallelaktion entwickelt wird: Eine große Idee zum Thronjubiläum des österreichischen Kaisers soll das Jubiläum des deutschen Amtsinhabers überflügeln. Die Parallelaktion entwickelt sich aber zu einem Misserfolg. Nach Jahren begegnet Ulrich seiner jüngeren Schwester wieder, zu der er eine starke Verbindung spürt.
  • Trotz seines Umfangs ist das Buch äußerst handlungsarm.
  • Ein zentrales Thema ist das Dilemma des modernen Menschen, der in einer entzauberten Welt nach einem tieferen Lebenssinn sucht.
  • In essayartigen Einschüben werden immer wieder philosophische Fragen behandelt.
  • Die Biografie der Hauptfigur Ulrich weist zahlreiche Parallelen zu Musils Leben auf.
  • Der Mann ohne Eigenschaften ist Musils Hauptwerk. Er arbeitete die letzten 17 Jahre seines Lebens und noch an seinem Todestag daran.
  • Musil überarbeitete seine Texte immer wieder. Einzelne Kapitel schrieb er bis zu 20-mal um.
  • Der Roman blieb unvollendet, Teile wurden später aus dem Nachlass veröffentlicht.
  • Zitat: „Ein Mann ohne Eigenschaften sagt nicht Nein zum Leben, er sagt Noch nicht!“

Zusammenfassung

Ein Mann ohne Eigenschaften

Ulrich ist ein Mann ohne Eigenschaften. Er ist 32 Jahre alt und hat immer noch eine Art Wartehaltung gegenüber dem Leben. Von scharfem analytischem Verstand, erkennt er sehr genau die Unzulänglichkeiten im Dasein seiner Zeitgenossen, er selbst hat aber auch noch keinen Lebensansatz gefunden, auf den er sich festlegen möchte. So lebt er mehr oder weniger in den Tag hinein.

„Wenn es aber Wirklichkeitssinn gibt, (...) dann muss es auch etwas geben, das man Möglichkeitssinn nennen kann (...) So ließe sich der Möglichkeitssinn geradezu als die Fähigkeit definieren, alles, was ebenso gut sein könnte, zu denken und das, was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist.“ (S. 16)

Früher hatte er noch die Vision, einmal ein bedeutender Mann zu werden. Auf drei Wegen hat er probiert, diese Idee umzusetzen: Da er in der Schule von Napoleon beeindruckt war, versuchte er sein Glück zuerst beim Militär. Er trat einem Reiterregiment bei, hatte Affären, duellierte sich und brachte es in kurzer Zeit bis zum Leutnant. Als er aber mit einem Finanzmann wegen einer Frauengeschichte aneinandergeriet, gewann dieser die Auseinandersetzung, indem er mit dem Kriegsminister sprach. Ulrich wurde zurechtgewiesen, er erkannte, dass er es eigentlich nur zu einem betrunkenen Rabauken gebracht hatte, und gab diese undankbare Laufbahn auf.

„Es ist eine Welt von Eigenschaften ohne Mann entstanden, von Erlebnissen ohne den, der sie erlebt, und es sieht beinahe aus, als ob im Idealfall der Mensch überhaupt nichts mehr privat erleben werde und die freundliche Schwere der persönlichen Verantwortung sich in ein Formelsystem von möglichen Bedeutungen auflösen solle.“ (S. 150)

Als Nächstes wurde Ulrich Ingenieur. Aber auch hier stieß er nur auf viel Borniertheit, ohne einen Lebenssinn zu finden. Die Techniker sind in seinen Augen zwar in ihrem Bereich erfolgreich, versagen aber dabei, daraus einen überzeugenden Lebensentwurf zu entwickeln. So sah er seine letzte Chance darin, sich als Mathematiker zu bewähren. Auch auf diesem Feld leistete er Beachtliches und galt als Hoffnungsträger. Als er aber eines Tages in der Zeitung las, dass ein Reitpferd als genial bezeichnet wurde, gab er die Hoffnung auf, als Genie Zufriedenheit zu finden. Er mietete sich ein kleines Schlösschen am Stadtrand von Wien und beschloss, ein Jahr lang „Urlaub vom Leben“ zu nehmen.

Jugendfreunde

Gelegentlich verbringt Ulrich etwas Zeit mit seinem Jugendfreund Walter und dessen Frau Clarisse, die ein ungewöhnliches Paar abgeben. Clarisse hat von Jugend an geglaubt, dass sie zu Großem berufen sei. In Walter, der als angehendes musikalisches Genie galt, sah sie ihre Chance, dieses Bestreben zu verwirklichen. Mittlerweile hat Walter aber eine Stelle als kleiner Beamter im Kulturamt angenommen und sein Talent ist mehr oder weniger am Versiegen. Obwohl er früher schwülstige Musik ablehnte, schließt er sich immer öfter in sein Zimmer ein und spielt dann am Klavier ungehemmt Wagner. Clarisse sieht das als eine Gefahr für sein Genie. Zur Strafe verweigert sie sich ihm. Gleichzeitig will sie damit auch vermeiden, von Walter ein Kind zu bekommen: Sie hat Angst davor, dann in der erdrückenden Enge der normalen bürgerlichen Welt zu enden.

Der Prostituiertenmörder

In dieser Zeit findet der Prozess gegen den offensichtlich schwachsinnigen Zimmermann Moosbrugger statt, der eine Prostituierte, von der er sich gleichzeitig angezogen und dann wieder belästigt fühlte, auf bestialische Weise ermordet hat. Moosbrugger hat bereits früher Gewalttaten begangen und wird nun zum Tod verurteilt. Ulrich wohnt dem Prozess bei und findet, dass Moosbrugger eigentlich wegen Unzurechnungsfähigkeit in die Psychiatrie hätte eingewiesen werden sollen. Er fasst vage den Entschluss, sich irgendwie für den Verurteilten einzusetzen. Als er Clarisse von Moosbrugger erzählt, ist diese von dessen Schicksal ungewohnt berührt. Sie setzt sich als Ziel, irgendwie eine Begnadigung für Moosbrugger zu erwirken, und erhofft sich davon eine innere Erlösung.

Der Brief des Vaters

Im Gegensatz zu seinem Sohn ist Ulrichs Vater ein Musterbeispiel an Erfolg durch Anpassung an die bestehenden Machtverhältnisse. Als Hauslehrer hat er sich beim österreichischen Adel eingeschmeichelt, obwohl er dies aufgrund seines eigenen Vermögens nicht nötig gehabt hätte. Durch diese Beziehungen hat er es am Ende aber zu einer Rechtsprofessur, der Mitgliedschaft in angesehenen Akademien und sogar zur Erhebung in den erblichen Adelsstand gebracht.

„Es ist nicht schwer, diesen zweiunddreißigjährigen Mann Ulrich in seinen Grundzügen zu beschreiben, auch wenn er von sich selbst nur weiß, dass er es gleich nah und weit zu allen Eigenschaften hätte und dass sie ihm alle, ob sie nun die seinen geworden sind oder nicht, in einer sonderbaren Weise gleichgültig sind.“ (S. 151)

Der Vater schreibt Ulrich einen Brief, in dem er ihn ermahnt, sich mehr um seine gesellschaftliche Stellung zu kümmern. Er hat erfahren, dass Vorbereitungen für die Feier zum 30-jährigen Thronjubiläum des deutschen Kaisers im Jahr 1918 bei österreichischen Patrioten das Bestreben ausgelöst haben, die Deutschen durch eine im gleichen Jahr stattfindende Feier zum 70-jährigen Thronjubiläum des österreichischen Kaisers zu übertrumpfen. Es sei schon eine entsprechende Aktion in Wien im Gange und man habe Ulrich bei diesem Unterfangen eine ehrenvolle Stellung zugedacht. Ulrich solle entsprechende Verbindungen aufnehmen und auch endlich den Kontakt zum Haus des Sektionschefs Tuzzi suchen, der es, obwohl er nur bürgerlicher Herkunft sei, im Außenministerium zu einer einflussreichen Position gebracht habe. Dessen Frau Ermelinda Tuzzi sei in der Gesellschaft hoch angesehen und eine entfernte Cousine von Ulrich.

Die Parallelaktion in Kakanien

Der eigentliche Erfinder der „großen vaterländischen Aktion“ in Österreich ist Graf Leinsdorf. Als Patriot übt der Graf in Kakanien (der k. u. k. Monarchie) hinter den Kulissen erheblichen Einfluss aus, obwohl er kein offizielles Amt am Hof oder im Staat bekleidet. Ein wichtiges Ziel von Graf Leinsdorf ist es, die Einheit des Vielvölkerstaats Kakanien durch Einbindung des Großbürgertums nach dem Motto „Bildung und Besitz“ voranzutreiben. Er sieht die inoffizielle vaterländische Aktion zur Vorbereitung der Jubiläumsfeiern für den eigenen „Friedenskaiser“ als willkommene Gelegenheit, die wesentlichen Volkskräfte zu einen. Als er Ulrich später kennen lernt, ernennt er ihn zum Generalsekretär dieser „Parallelaktion“.

„Unsere Anschauung von unserer Umgebung, aber auch von uns selbst, ändert sich mit jedem Tag. Wir leben in einer Durchgangszeit. Vielleicht dauert sie, wenn wir unsere tiefsten Aufgaben nicht besser anpacken als bisher, bis zum Ende des Planeten.“ (Ulrich zu Walter und Clarisse, S. 215 f.)

Ulrich macht aber zuerst seiner Cousine seine Aufwartung. Ermelinda Tuzzi (deren eigentlicher Vorname Hermine ist) führt in ihrem Haus regelmäßig einen Salon, in dem alle Teile der gehobenen Bevölkerungsschichten verkehren. Sie gilt als eine Art „Seelenfürstin“, die mit Geist und Schönheit alle in ihren Bann zieht. Auch Ulrich ist von seiner Cousine sehr angetan, die, etwas korpulent und mit langen schwarzen Haaren, dem Schönheitsideal vieler Männer entspricht. Ulrich gibt ihr den Spitznamen Diotima, nach der berühmten Lehrerin der Liebe.

„Er hat sich augenblicklich zu der Erkenntnis durchgerungen, dass es in der Geschichte der Menschheit kein freiwilliges Zurück gibt. Aber das Erschwerende ist, dass wir ja auch kein brauchbares Vorwärts haben.“ (Ulrich über Graf Leinsdorf, S. 272)

Weil Diotima auch eine enge Freundin des Grafen Leinsdorf ist, beschließt dieser, ihren Salon zum Mittelpunkt der Parallelaktion zu machen. So treffen sich von nun an die wichtigsten Vertreter aus Staat, Wirtschaft und Gesellschaft regelmäßig im Hause Tuzzi, um eine große Idee für das kaiserliche Thronjubiläum zu entwickeln. Aber leider gibt es zu jedem Vorschlag immer irgendwelche Bedenken und die Aktion dreht sich zusehends im Kreis.

Ein Neuankömmling

Verkompliziert wird das Ganze noch durch das Eintreffen des preußisch-jüdischen Industriemagnaten und „Großschriftstellers“ Dr. Paul Arnheim. Von diesem wird gemunkelt, dass er sagenhaft reich sei. Sein Vater besitzt viele Fabriken und Handelshäuser und ist geschäftlich äußerst erfolgreich. Arnheim selbst liegt vor allem die Verknüpfung von Seele und Wirtschaft am Herzen. Er macht Diotima seine Aufwartung, weil er schon viel von ihr gehört hat. Sie ist von dem Neuankömmling begeistert. Die beiden entbrennen in kurzer Zeit in platonischer Liebe zueinander und Diotima schleust Arnheim in ihren Salon ein, wo er zunehmend Einfluss auf die Diskussionen über die Parallelaktion gewinnt.

„Ein Mann ohne Eigenschaften sagt nicht Nein zum Leben, er sagt Noch nicht!“ (Clarisse über Ulrich, S. 444)

Sektionschef Tuzzi hat als erfahrener Diplomat weniger romantische Vorstellungen und versucht herauszufinden, was Arnheim wirklich in seinem Haus treibt. Tuzzi hat zuerst die Idee, dass Arnheim im Auftrag des russischen Zaren pazifistische Ideen bei den Österreichern verbreiten soll. Wie sich später aber herausstellt, hat Arnheim es vor allem auf die galizischen Ölquellen abgesehen. Als entsprechende Verhandlungen in die Wege geleitet sind, zieht sich Arnheim auch tatsächlich wieder von Diotima zurück. Diese befasst sich mittlerweile aber sowieso statt mit der Seele mit sexualwissenschaftlichen Themen und beschließt, erst einmal ihren Mann zu einem besseren Liebhaber zu erziehen.

„Es erging Arnheim nicht anders wie seinem ganzen Zeitalter. Dieses betet das Geld, die Ordnung, das Wissen, Rechnen, Messen und Wägen, alles in allem also den Geist des Geldes und seiner Verwandten an und beklagt das zugleich.“ (S. 509)

Weil die Parallelaktion keine große Idee zustande bringt, erregt sie im Volk zunehmend Misstrauen. Als Graf Leinsdorf dann auch noch den gebürtigen Polen Baron Wisnieczky zum Haupt des Propagandakomitees beruft, welches die Parallelaktion in Kakanien populär machen soll, reagieren vor allem viele aus dem deutschen Bevölkerungsanteil unwillig. Es kommt sogar zu einer lautstarken Demonstration vor dem Palais des Grafen.

Die verlorene Schwester

Kurz nach diesem Aufruhr, den Ulrich im Grafenpalais miterlebt, erhält er die Nachricht vom Tod seines Vaters. Bei seiner Reise zur Beerdigung in der Provinzstadt wird Ulrich klar, dass er im Elternhaus auf seine jüngere Schwester Agathe treffen wird. Die beiden haben sich in der Kindheit kaum gekannt, weil Ulrich nach dem frühen Tod der Mutter die meiste Zeit außer Haus erzogen worden ist. Auch bei der ersten Hochzeit seiner Schwester konnte Ulrich nicht anwesend sein, weil er nach einem Duell mit einer Schussverletzung im Krankenhaus lag. Agathe heiratete damals sehr jung einen Mann, den sie abgöttisch liebte, der aber noch auf der ausgedehnten Hochzeitsreise an Typhus starb. Vor fünf Jahren hat sie dann auf Drängen ihres Vaters dem Werben des langweiligen Mittelschullehrers Gottlieb Hagauer nachgegeben und noch einmal geheiratet. Hagauer ist zwar eine anerkannte Autorität in Erziehungsfragen und hat viel beachtete Bücher verfasst, Agathe findet ihn aber banal und langweilig und ist seiner praktisch von Anfang an überdrüssig gewesen. Sie beschließt nun, nicht mehr zu Hagauer zurückzukehren.

„Der grobe Erwerbstrieb für die Vorteile des Lebens fehlte Ulrich noch mehr als ihm, und der sublime Erwerbstrieb, der Wunsch, sich die Würden und Wichtigkeiten des Daseins zu eigen zu machen, fehlte ihm in einer geradezu ärgerlichen Weise. Dieser Mensch war ohne Bedürfnis nach Gewicht und Substanz des Lebens.“ (Arnheim über Ulrich, S. 547)

Für ihre erste Begegnung im Elternhaus haben beide Geschwister unabhängig voneinander einen geschlechtslos wirkenden Hausanzug angezogen, sodass sie beim ersten Treffen fast wie Zwillinge aussehen. Auch innerlich fühlen sie gleich eine tiefe Seelenverwandtschaft und verbringen Stunden des Gesprächs miteinander. Ulrich erzählt Agathe viel vom andersartigen Erleben der Mystiker. Schließlich verspricht er ihr, dass sie beide einst zusammen in einem so paradiesischen Zustand, einem „Tausendjährigen Reich“, leben werden.

„Alte Zeiten haben versucht, sich ein solches Leben schon auf Erden vorzustellen: das ist das Tausendjährige Reich, geformt nach uns selbst und doch keins der Reiche, wie wir sie kennen! Und so werden wir leben!“ (Ulrich, S. 801)

Der Beerdigung des Vaters, zu der auch Hagauer erscheint, wohnen viele Würdenträger bei. Anschließend überreden die Geschwister Hagauer, erst einmal ohne Agathe in seine Provinzstadt zurückzukehren. Bevor Ulrich wieder nach Wien abreist, vereinbaren sie, dass Agathe bis zu ihrer Scheidung bei Ulrich wohnen wird. Aus Abscheu gegenüber Hagauer beschließt sie, das väterliche Testament so zu fälschen, dass Ulrich alles erbt. Dadurch erhält Hagauer keinen Zugriff auf das väterliche Erbe. Ulrich gelingt es nicht, sie vor seiner Abreise von ihrem Vorhaben abzubringen.

Die Geschwister in Wien

Nach seiner Rückkehr erfährt Ulrich, dass die Parallelaktion immer mehr versandet. Graf Leinsdorf hat in seiner Verzweiflung über den sich anbahnenden Misserfolg eine „Parole der Tat“ ausgegeben – aber ohne klare Ideen sind effektive Handlungen schwierig durchzuführen.

Als Agathe in Wien ankommt, leben die Geschwister in einem innigen Verhältnis auf engstem Raum in einem Teil des vom Bruder gemieteten Schlosses. Bei gesellschaftlichen Anlässen erklären sich Ulrich und Agathe als „siamesische Zwillinge“. Obwohl sie es nicht ausleben, wächst zwischen den beiden eine erotische Spannung heran. Ulrich ignoriert Briefe von Hagauer oder antwortet ihm abweisend. Dann schreibt dieser direkt an Agathe. Die Art und Weise, wie er ihr darlegt, dass es falsch von ihr war, ihn zu heiraten und ihn dann ohne triftigen Grund einfach zu verlassen, erschüttert Agathe. Als Ulrich sie nicht ausreichend in Schutz nimmt, läuft sie mit der Absicht davon, sich das Leben zu nehmen. Nachdem sie dann doch zu Ulrich zurückkehrt, nehmen beide an der großen Gesellschaftsveranstaltung im Hause Tuzzi teil, durch die der Parallelaktion noch einmal Leben eingehaucht werden soll. Aber das Unterfangen misslingt. Während eines intimen Gesprächs in der Küche werden Ulrich und Agathe von Diotima, Arnheim und anderen gestört. Als Ulrich mit ihnen die Unterhaltung weiterführt, verlässt Agathe allein und von ihrem Bruder unbemerkt das Haus.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der erste Teil des Romans, der noch zu Musils Lebzeiten veröffentlicht wurde, besteht aus zwei Büchern. Das erste Buch enthält in 19 Kapiteln „Eine Art Einleitung“, in der vor allem Ulrich und sein Hintergrund vorgestellt werden. Darauf folgt dann unter dem Titel „Seinesgleichen geschieht“ der zweite Teil mit über hundert Kapiteln. Dort stehen Ulrich und die Parallelaktion im Mittelpunkt. Wie der Titel schon sagt, geschieht dabei immer das Gleiche, die ganze Angelegenheit dreht sich im Kreis. In den Diskussionen zwischen den Figuren gibt es keine echten Fortschritte, jede bleibt irgendwo in ihrer eigenen Unzulänglichkeit gefangen. Der zweite Teil enthält das dritte Buch des Romans mit 38 Kapiteln. Dieser Teil trägt den zeitgeschichtlich fast prophetischen Titel „Ins Tausendjährige Reich (Die Verbrecher)“. Hier kommt etwas Bewegung ins Leben der Figuren: Ulrich entdeckt seine Schwester Agathe, und die schöne Diotima schreitet von Fragen der Seele zu eher praktischen Fragen der Sexualwissenschaft fort. Stilistisch ist das ganze Werk von höchster literarischer Brillanz. Mit präziser Sprache und feiner Ironie präsentiert Musil jede einzelne Figur in ihrer eigenen Gedankenwelt. Die Dialoge spiegeln die hochgestochene Sprechweise der Elite jener Zeit überzeugend wider, die Bildsprache ist plastisch und die Analogien und Vergleiche sind von oft erstaunlicher Treffsicherheit. Das Ganze ist also durchaus ein literarisches Lesevergnügen, auch wenn die Handlung oft nicht recht vom Fleck kommt.

Interpretationsansätze

  • Der Roman bietet eine genaue Analyse des Dilemmas des modernen Menschen, der sich in einer entzauberten Welt trotz aller Logik und Rationalität auch nach einem tieferen Lebenssinn sehnt.
  • Musil nutzt vor allem das Stilmittel der „konstruktiven Ironie“, wie er es selbst nennt: Spott und Sarkasmus sind nicht selbstgefällig gegen andere gerichtet, vielmehr können wir uns selbst in den Schwächen und der Lächerlichkeit der Musil’schen Figuren wiedererkennen.
  • Musil führt den Leser auf glaubwürdige Weise in die Gedankenwelt seiner Figuren ein. Egal ob es sich um eine hysterische Dame, einen schwachsinnigen Mörder oder einen feudalistischen Landbesitzer handelt – die psychologischen Studien sind genau und treffend.
  • Das Werk vermittelt eine gute Einsicht in den Zeitgeist vor dem Ersten Weltkrieg. Zudem werden in kurzen, essayartigen Einschüben wichtige philosophische Fragen aufgeworfen und interessante Sichtweisen und Denkmöglichkeiten eröffnet.
  • Der Mann ohne Eigenschaften ist auch ein utopischer Roman: Die Titelfigur Ulrich bemüht sich um die Ergründung anderer, mystischer Lebenssichten als Ausweg aus der Krise der Moderne.
  • Der Roman trägt stark autobiografische Züge; vieles im Leben von Robert Musil spiegelt sich in der Person des Ulrich wider.
  • Angesichts der hoffnungslosen Verzettelung Musils bei der Gestaltung des (unvollendeten) Romans kann man das Werk, so wie es etwa Marcel Reich-Ranicki tut, auch als gescheitertes Romanprojekt eines gescheiterten Autors sehen.

Historischer Hintergrund

Die Krise der Moderne

Während die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts noch weitgehend von Fortschrittsglauben und Begeisterung für die technischen und wissenschaftlichen Neuerungen geprägt war, begann sich spätestens zur Jahrhundertwende eine umfassende Ernüchterung abzuzeichnen. Die systematische Entzauberung der Welt, die mit der Aufklärung ihren Anfang genommen hatte, die Diskreditierung von Religion und Tradition führte zu einem Werteverfall, ohne dass die logisch und rational ausgerichtete moderne Welt einen neuen festen Halt zu bieten hatte. Gleichzeitig wurde der Mensch im Zuge der Industrialisierung und Massenproduktion immer mehr zu einem Rädchen im großen Getriebe, zu einem reinen Funktionsträger reduziert. In den USA führten die Studien von Frederick Taylor zu einer bis ins Letzte ausgeklügelten Instrumentalisierung der menschlichen Arbeitskraft. Der zunehmend um sich greifende bürgerliche Kapitalismus erzwang das Primat des Profits, und in den Verwaltungen erlebte die Bürokratie durch neue Methoden einen Höhenflug.

Viele Menschen begannen sich vor diesem Hintergrund nach neuen Quellen von Lebenssinn zu sehnen. Die unterdrückten Gefühle, die in der modernen Welt keinen Platz mehr zu haben schienen, bahnten sich anderweitig ihren Weg. Zum einen führte das in Teilen Europas zu einer sentimentalen, romantisch verklärten Empfindsamkeit in weiten Kreisen des Adels und des Großbürgertums. Andererseits kamen auch irrationale Elemente wie Rassismus, Antisemitismus und übersteigerter Nationalismus zum Zuge. Am Ende stand die Katastrophe des Ersten Weltkriegs, der gerade auch deshalb so viele Menschenleben kostete, weil schwere Waffen in industrieller Massenproduktion hergestellt werden konnten.

Nach dem Krieg musste der deutsche Kaiser Wilhelm II. 1918, ausgerechnet im Jahr seines 30-jährigen Thronjubiläums, abdanken, und auch die österreichisch-ungarische Monarchie fand im gleichen Jahr ihr Ende, in das das 70-jährige Thronjubiläum von Kaiser Franz Josef I. gefallen wäre (wenn der nicht ohnehin schon 1916 gestorben wäre).

Entstehung

Robert Musil soll sich bereits 1905 erste Notizen zu seinem Mammutroman gemacht haben. Die eigentliche Arbeit an Der Mann ohne Eigenschaften begann er aber erst nach 1920. Zu der Zeit hatte Musil mit dem Verleger Ernst Rowohlt einen Vertrag geschlossen, der ihm ein jährliches Honorar zusicherte, sodass er sich ganz der Arbeit an dem Roman widmen konnte. Musil hatte Erfahrungen als Offizier im Krieg und als Techniker gesammelt. Sein Studium der Mathematik, Philosophie und Experimentellen Psychologie vermittelten ihm wichtige theoretische Erkenntnisse. Die Philosophien von Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, Ernst Mach, Ludwig Klages und Ralph Waldo Emerson kommen in den Äußerungen und Selbstreflexionen von Musils Protagonisten Ulrich zum Ausdruck. Viele der Figuren aus dem Buch sind an wirkliche Personen angelehnt. Besonders deutlich wird das bei Dr. Paul Arnheim, der Ähnlichkeiten mit einem deutsch-jüdischen Industriellensohn, nämlich dem Schriftsteller und späteren Reichsaußenminister Walther Rathenau aufweist. Auch für Agathe, Walter, Clarisse und Diotima gibt es Vorbilder in Musils Freundes- und Bekanntenkreis.

1930 veröffentlichte Robert Musil das erste Buch des Romans, 1933 Buch zwei. Nach seinem Tod brachte seine Frau 1943 noch einen dritten Teil aus dem Nachlass heraus. Das gesamte Romanfragment wurde dann wiederum in bearbeiteter Form, bei der auch von Musil noch angefertigte Kapitelentwürfe einbezogen wurden, 1952 von Adolf Frisé publiziert. Als kanonische und von Robert Musil in ihrer endgültigen Form abgesegnete Veröffentlichungen gelten aber nur das erste und zweite Buch. Musil war für die akribische Überarbeitung seiner Kapitel bekannt, die er teilweise bis zu 20-mal umschrieb. Es bleibt also offen, wie das Material aus seinem Nachlass am Ende tatsächlich ausgesehen hätte.

Wirkungsgeschichte

Obwohl der Roman Der Mann ohne Eigenschaften unvollendet blieb und sein Autor die letzten Lebensjahre in bitterer Armut verbrachte, begründete das Werk Musils Weltruhm. Es gilt als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts und hat durch seine Struktur mit den charakteristischen essayartigen Einschüben Einfluss auf die Literatur ausgeübt. Das Werk wird von Kritikern oft als deutsches Gegenstück zu Ulysses von James Joyce oder zu Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust gesehen.

Ende 2004 sendete der Bayerische Rundfunk ein 20-stündiges Hörspiel auf Basis des Romans, ein Projekt, an dem sich Künstler wie Elfriede Jelinek, Alexander Kluge oder Volker Schlöndorff beteiligten.

Über den Autor

Robert Musil wird am 6. November 1880 in Klagenfurt geboren. Die Eltern schicken ihn 1892 auf die Militär-Realschule und 1897 auf die Technische Militärakademie in Wien. Musil, alles andere als ein folgsamer Sohn, bricht die von den Eltern gewünschte Offiziersausbildung ab und studiert Maschinenbau, nebenbei betätigt er sich auch schriftstellerisch. 1901 schließt er das Studium als Ingenieur ab und wird später wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Hochschule Stuttgart. Während dieser Zeit beginnt er an seinem Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß zu arbeiten, veröffentlicht diesen aber erst 1906. Der Roman wird ein großer Erfolg. Musil studiert erneut, diesmal in Berlin Philosophie, Mathematik und Psychologie; dieses Studium schließ er 1908 mit einer Dissertation über Ernst Mach ab. Musil beschließt, auf eine Universitätslaufbahn zu verzichten und stattdessen als freier Schriftsteller zu arbeiten. 1911 heiratet er die Witwe Martha Marcovaldi, die einige Jahre älter ist als er und bereits zwei Kinder hat. Im Ersten Weltkrieg dient Musil als Hauptmann. 1917 wird sein Vater geadelt und Musils offizieller Name lautet nun Robert Edler von Musil. Er verfasst Erzählungen und Essays; Berühmtheit erlangt er aber erst 1930 wieder, als er das erste Buch von Der Mann ohne Eigenschaften veröffentlicht, auf das 1933 das zweite Buch folgt. Von 1931 bis 1933 lebt er in Berlin, dann kehrt er wieder nach Wien zurück. Im Sommer 1938 zieht er mit seiner jüdischen Frau in die Schweiz. Obwohl ihm der Rowohlt Verlag längst keine Vorschüsse mehr zahlt, arbeitet Robert Musil, mittlerweile völlig verarmt und auf Almosen angewiesen, weiterhin täglich an der Fortsetzung seines großen Romans. Am 15. April 1942 stirbt er im Genfer Exil.

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