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Der menschliche Faktor

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Der menschliche Faktor

dtv,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Ein Agent wird aus Liebe zu seiner Frau zum Verräter: Graham Greenes spannender Thriller über Spione wie du und ich.


Literatur­klassiker

  • Spionageroman
  • Moderne

Worum es geht

Ein Spion wie du und ich

Graham Greenes Der menschliche Faktor wird vielleicht so manchen Spionagethriller-Fan enttäuschen: Es gibt hier weder furchtlose Agenten à la James Bond noch als Kugelschreiber getarnte Schusswaffen oder langbeinige Verführerinnen. Im Gegenteil: Der Geheimagent Maurice Castle hat einen ziemlich langweiligen Bürojob. Er ist 62 Jahre alt, ein heimlicher Trinker und wünscht sich nichts sehnlicher als die Pensionierung. Doch Castle ist auch wieder nicht so gewöhnlich, wie es zu Beginn den Anschein hat ... Wie mit einem Seziermesser dringt der Autor Schicht für Schicht in die Psyche seiner Figuren ein und gibt Einblick in ihre verwüsteten Seelen. Sie leiden an dem strikten Schweigegebot in "der Firma", an der rücksichtslosen Politik während des Kalten Krieges und an einem Mangel an zwischenmenschlicher Wärme. Greene wollte den Geheimdienst nach eigener Aussage so unromantisch darstellen, wie er ihn selbst als Agent während des Zweiten Weltkriegs erlebt hatte. Der graue Dienstalltag und die menschlichen Schwächen seiner Protagonisten erzeugen eine ganz eigene Atmosphäre. Sie führen dem Leser brutal vor Augen, was so manche Geheimdienst-Opfer schmerzhaft erfahren mussten: Der beste Spion ist meist der unscheinbare Typ von nebenan.

Take-aways

  • Graham Greenes Der menschliche Faktor ist einer der bekanntesten Spionageromane. Er stellt die menschliche Seite der Geheimdienstler in den Vordergrund.
  • Der alternde britische Agent Maurice Castle gerät mitten im Kalten Krieg in einen schweren Loyalitätskonflikt.
  • Jahre zuvor hat er sich in Südafrika in eine schwarze Frau verliebt und musste mit ihr aus dem Apartheidstaat fliehen. Ein kommunistischer Freund half ihm dabei.
  • Aus Dankbarkeit arbeitet Castle seitdem als Doppelagent auch für die Russen.
  • Castles Kollege Davis wird irrtümlich verdächtigt, für die undichte Stelle in der Abteilung verantwortlich zu sein.
  • Um einen Skandal zu vermeiden, wird Davis von einem für den Geheimdienst arbeitenden Arzt kurzerhand vergiftet.
  • Castle bricht daraufhin seine Verbindung zu den Sowjets ab. Doch dann erfährt er, dass die Südafrikaner schwarze Aufständische mit Mini-Atombomben bekämpfen wollen.
  • Als er diese Information weiterleitet, fliegt seine Tarnung auf. Im letzten Moment gelingt ihm die Flucht nach Moskau.
  • Seine Frau und ihr Sohn bleiben ohne Hoffnung auf ein Wiedersehen in England zurück.
  • Graham Greene hat selbst für den britischen MI6 gearbeitet und war mit dem berühmten Doppelagenten Kim Philby befreundet.
  • Er betonte jedoch stets, alle seine Romanfiguren seien frei erfunden.
  • Wie kaum ein anderer Schriftsteller vereint Greene in seinen Werken spannende Unterhaltung mit literarischem Anspruch.

Zusammenfassung

An einem Tag wie jeder andere

Maurice Castle, ein einfacher Beamter in der Afrika-Sektion des britischen Geheimdienstes MI6, isst Tag für Tag in derselben Londoner Kneipe zu Mittag. Es stört ihn nicht gerade wenig, als eines Tages ein interner Sicherheitscheck seine Mittagspause verkürzt: Colonel Daintry behauptet zwar, dass es sich um eine Routineuntersuchung handele. Doch Castle traut ihm nicht. Sein Kollege Arthur Davis wurde dabei erwischt, wie er einen Bericht mitnehmen wollte, um ihn beim Mittagessen zu lesen - eine Schlamperei, die ebenso streng verboten wie allgemein üblich ist. Als Castle am Abend nach Hause kommt, sind seine Nerven angespannt. Weshalb steht die Whiskyflasche nicht wie gewohnt auf dem Seitentisch? Wo ist seine Frau Sarah? Doch da kommt sie schon die Treppe herunter. Ihr Sohn Sam ist krank, deshalb hat sie Maurice nicht wie gewohnt begrüßt. Sie reicht ihrem Mann einen vierfachen Whisky. Nur sie weiß, wie viel er wirklich trinkt. Verdacht auf Alkoholismus ist in seinem Beruf gefährlich.

„Ich liebe Sam, weil er dein Kind ist. Und nicht das meine. Weil ich, wenn ich ihn ansehe, nichts von mir an ihm erkennen muss.“ (Castle zu Sarah, S. 32)

Vor dem Abendessen geht Castle noch kurz zu seinem schlafenden Sohn hinauf. Sams Hautfarbe ist noch dunkler als die seiner Mutter. Tatsächlich ist der 62-jährige Castle nicht Sams leiblicher Vater, liebt ihn aber dafür nicht weniger. Er hat Sarah während seiner Tätigkeit für den MI6 in Südafrika kennen gelernt. Weil ihre Beziehung gegen die Rassengesetze des Apartheidregimes verstieß, mussten sie aus dem Land fliehen. Sams leiblichen Vater, so beteuert Sarah immer wieder, habe sie nie geliebt.

Die undichte Stelle

Colonel Daintry ist von seinem Vorgesetzten Hargreaves zu einem Jagdwochenende aufs Land eingeladen worden. Hargreaves hat viele Jahre als hoher Kolonialbeamter in Afrika verbracht und denkt voller Nostalgie an den "wilden" Kontinent aus längst vergangenen Zeiten zurück. Nach unzähligen Whiskys kommen er und Dr. Percival, der für die Abteilung Bakteriologische Kriegsführung arbeitet, zur Sache: In der Sektion 6A, die sich mit Afrika beschäftigt, gibt es eine undichte Stelle. Informationen aus der Abteilung sind nach Moskau durchgesickert. Als mögliche Doppelagenten kommen nur Castle, Davis und deren Vorgesetzter Watson in Frage. Daintry erhält den Auftrag, sie beschatten zu lassen, ihre Telefone abzuhören und Wohnungen zu verwanzen. Hargreaves und Percival möchten vor allem einen Skandal vermeiden. Sie teilen dem schockierten Daintry mit, dass sie den Schuldigen deshalb nicht vor Gericht bringen, sondern einfach "eliminieren" wollen.

Operation "Onkel Remus"

Auf dem Weg zum Büro geht Castle beim Buchhändler Halliday vorbei, um zwei Ausgaben von Tolstois Krieg und Frieden zu besorgen. Gegenüber unterhält Hallidays Sohn ein, so glaubt Castle, als Buchladen getarntes Geschäft mit Pornographie-Artikeln. Castle wollte den jungen Halliday schon immer mal kennen lernen und bedauert, dass es noch nie zu einem Treffen gekommen ist; er bittet den alten inständig, seinem Sohn unbedingt eine Nachricht zu überbringen, was dieser wie immer freundlich verspricht. Im Büro trifft Castle auf Davis, der verkatert ist und sich über alles und jeden beklagt: sein unfreiwilliges Junggesellendasein - er ist in seine Sekretärin Cynthia verliebt, die ihm jedoch die kalte Schulter zeigt -, das langweilige und kalte London, die unspektakuläre, stupide Büroarbeit. Die Arbeit für "die Firma", wie der Geheimdienst auch genannt wird, hat er sich aufregender vorgestellt.

„Wenn an die Öffentlichkeit gelangen würde, dass es eine undichte Stelle gibt, könnte das für uns vernichtender sein als die undichte Stelle selbst.“ (Hargreaves, S. 41)

Castle wird zu einer Besprechung mit Hargreaves gerufen. Er erfährt, dass er sich mit Cornelius Muller vom südafrikanischen Geheimdienst BOSS treffen soll, um die streng geheime Operation "Onkel Remus" zu besprechen. Es handelt sich um eine britisch-amerikanisch-südafrikanische Kooperation, die schwarze Aufständische in Südafrika unter Kontrolle halten und ihre Unterwanderung durch Kommunisten verhindern soll. Castle ist alles andere als erfreut, denn er kennt Muller noch aus seiner Zeit in Pretoria. Der aalglatte Apartheidbeamte hat ihm damals wegen seiner Beziehung zu Sarah gedroht und sie in die Flucht getrieben.

Die Schlinge zieht sich zu

Castle und Davis gehen zusammen mit Dr. Percival in eine Londoner Stripteasebar. Der Doktor warnt Davis vor übertriebenem Alkoholkonsum, da sein Blutdruck bereits zu hoch sei. Castle, der bei seinem Kollegen übernachtet, vermutet eine Bespitzelung durch ihren Arbeitgeber: Er habe das Gefühl, dass Davis’ Telefon abgehört werde. Außerdem hält er es für möglich, dass Percival Davis eine so genannte gezinkte Note zugespielt hat, als er ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit von einem geheimen Projekt der bakteriologischen Kriegsführung erzählte. Die Sicherheitsprüfer des Geheimdienstes könnte ein solcher Trick zur vermuteten undichten Stelle führen. Doch Davis wischt alle Befürchtungen sorglos beiseite. Am Montag geht er unter dem Vorwand, er müsse zum Zahnarzt, zwischen 11 und 13 Uhr mit seiner Flamme Cynthia in den Zoo. Just zu dieser Zeit wird er von seinem Vorgesetzten verlangt. Dr. Percival ist nun so gut wie überzeugt, den richtigen Mann zu haben. Er holt sich von Hargreaves die Vollmacht zum Mord, sobald er Beweise hat. Eine unverdächtige Methode hat er sich bereits überlegt: Der Schimmelpilz verdorbener Erdnüsse, Aflatoxin, hat schon in geringen Dosen eine verheerende Wirkung auf die Leber. Als offizielle Todesursache, erklärt der Arzt augenzwinkernd, komme dann nur Leberzirrhose aufgrund starken Alkoholkonsums in Frage.

Alte Feinde und Freunde

Muller sucht Castle zu Hause auf, um die Operation "Onkel Remus" mit ihm zu besprechen. Der Besuch ruft in Castle schlimme Erinnerungen an Südafrika wach: das Kreuzverhör, nachdem seine Beziehung zu Sarah bekannt wurde; seine Flucht und die Angst, dass Sarah es nicht schaffen würde. Castle war in Pretoria offiziell für Kontakte zu den Kommunisten zuständig. Einer von ihnen, der Anwalt Carson, wurde sein Freund. Er war es auch, der Sarah zur Flucht verhalf. Und nun erzählt ihm Muller scheinbar beiläufig, dass Carson verhaftet worden und vor einem Jahr an einer Lungenentzündung im Gefängnis gestorben sei. Castle ist bestürzt. Er ist überzeugt, dass sein Freund ermordet wurde.

„Wissen Sie, dass ich nur zum Geheimdienst gegangen bin, weil ich etwas Aufregendes erleben wollte. Abenteuer hab’ ich gesucht, Castle. Was war ich für ein Idiot.“ (Davis, S. 65)

Wenige Tage später steigt Castle auf dem Weg zur Arbeit frühzeitig aus seinem Pendlerzug aus. Ein Unbekannter weist ihm mit Hilfe geheimer Signale den Weg zu einem unscheinbaren Haus. Spätestens jetzt wird klar, dass Castle etwas zu verbergen hat. Die Tür geht auf - und Boris, Castles Kontaktmann beim KGB, erscheint im Türrahmen. Die undichte Stelle ist also nicht Davis, sondern niemand anders als der unscheinbare und bescheidene Maurice Castle. Doch dieser fühlt sich immer unwohler in seiner Haut. Er ist kein überzeugter Kommunist und hat sich ursprünglich nur aus Dankbarkeit zu Carson als Doppelagent anheuern lassen. Nun denkt er daran auszusteigen. Es sei ein Fehler, erklärt er Boris, allzu viele Gefühle in diesen Job hineinzutragen. Er hasse Muller und die Apartheid, und Hass verleite zu Fehlern. Boris beruhigt ihn und verspricht, ihm und seiner Familie notfalls zur Flucht zu verhelfen.

Tod in der Firma

Eines Tages kommt Davis nicht ins Büro. Es heißt, er sei verkatert, da er am Vorabend mit Dr. Percival zu viel getrunken habe. Castle besucht ihn in der Mittagspause zusammen mit Cynthia. Davis macht keinen guten Eindruck, doch er verspricht, bald wieder auf die Beine zu kommen. Am Wochenende darauf begleitet Castle Colonel Daintry zur Hochzeit von dessen Tochter. Der Colonel ist geschieden, lebt einsam und hat - wie so viele Mitglieder des Geheimdienstes - kaum Freunde. Auf dem Hochzeitsempfang erreicht die beiden die Nachricht von Davis’ Tod. Sie eilen zu dessen Wohnung und treffen dort Dr. Percival sowie einige Männer, die Davis’ Wohnung durchsuchen. Offenbar forschen sie nach Beweisen, die seine Identität als undichte Stelle belegen sollen. Doch sie finden nichts Kompromittierendes. Daintry ist sichtbar verstört. Er glaubt Percivals Version nicht, dass Davis an seiner mutmaßlichen Trunksucht gestorben sei. Castle wiederum weiß, dass sein nächster Bericht an den KGB der letzte sein muss. Denn wenn weiterhin Informationen aus der afrikanischen Sektion durchsickern, fällt das nun zwangsläufig auf ihn zurück. Zu Hause nimmt er Krieg und Frieden zur Hand und verschlüsselt seinen letzten Bericht mit Hilfe eines Buchcodes. Er beendet den Text mit "Lebt wohl". Dann geht er mit seinem Hund spazieren und deponiert das Papier ein letztes Mal in dem toten Briefkasten, einer Vertiefung in einem alten Baumstamm. Castle glaubt, nach sieben Jahren als Doppelagent seine Schuld an Carson abgeleistet zu haben.

Castles Beichte

Doch seine Entschlossenheit währt nur so lange, bis Muller ihm Einzelheiten über die Operation "Onkel Remus" berichtet: Diese sieht u. a. vor, die "schwarzen Terroristen" notfalls mit taktischen Atomwaffen zu bekämpfen. In einem Papier, das Muller dem deutschen Geheimdienst unterbreitet hat, prangt die Zwischenüberschrift "Eine Endlösung". Castle fröstelt es. Er nimmt den Bericht gegen alle Vorschriften mit nach Hause und kopiert ihn handschriftlich Wort für Wort. Am Tag darauf geht er direkt zum jungen Halliday, von dem er glaubt, dass er die Berichte weiterleitet. Doch dieser hat wegen seines Pornogeschäfts Probleme mit der Polizei, und so übergibt Castle den Bericht dem alten Halliday, mit der Bitte, ihn seinem Sohn auszuhändigen. Dass er mit niemandem über seine wahre Identität sprechen kann, belastet ihn stärker als je zuvor. Verzweifelt sucht er einen katholischen Priester in einem Beichtstuhl auf. Doch dieser setzt ihn schroff vor die Tür, als er erfährt, dass Castle keiner Kirche angehört. Am Abend erzählt er schließlich alles seiner Frau. Ein Wochenende der Entscheidungen liegt vor ihnen.

Flucht nach Moskau

Am Samstagmorgen hört Castle in den Lokalnachrichten, dass der junge Halliday verhaftet und auf Kaution wieder freigelassen wurde. Castle vermutet das Schlimmste: ein bedrängter Halliday, der der Polizei als Pfand für eine gewisse Nachsicht Mullers Bericht überreicht ... Dann würde Castle als Doppelagent auffliegen. Er schickt Sarah und Sam mit dem Zug zu seiner Mutter nach East Sussex und sendet ein SOS an die Telefonnummer, die Boris ihm für den Notfall gegeben hat. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig als zu warten. Am Nachmittag schaut Daintry bei ihm vorbei. Hargreaves hat ihn geschickt, weil Muller von seinem intuitiven Misstrauen gegenüber Castle berichtet hat. Dieser verleiht in dem Gespräch seiner Überzeugung Ausdruck, dass Davis unschuldig war, lässt sich aber von Daintry nicht zu einem Geständnis bewegen. Anschließend ruft Daintry voller Wut bei Dr. Percival an und erklärt, dass dieser den Falschen ermordet habe. Percival bleibt gelassen. Alle Flug- und Seehäfen seien verständigt, sagt er kühl. Ein Fluchtversuch wäre ein starkes Indiz für Castles Schuld.

„Wir sind dir dankbar, Maurice, aber Dankbarkeit muss wie die Liebe tagtäglich erneuert werden, sonst stirbt sie ab.“ (Boris, S. 367)

Castle hat seine Hoffnung auf eine Reaktion der KGB-Leute fast aufgegeben, als es am Abend an der Tür klingelt: Der alte Halliday steht draußen. Tatsächlich war er selbst die ganze Zeit über Castles Kontaktmann. Er fährt ihn in ein Hotel am Flughafen, wo ein Unbekannter ihm einen gefälschten Pass aushändigt, einen Bürstenschnitt und Schnurrbart verpasst und ihm aufträgt, sich als Blinder zu tarnen. Die Verkleidung ist so gut, dass Castle sogar einen Bekannten vom CIA täuscht, als er das Hotel in Richtung Flughafen verlässt.

Trennung ohne Hoffnung

Die Flucht nach Moskau ist gelungen. Doch was nun? Castle sitzt in einem für seine Verhältnisse dürftig eingerichteten Apartment und sehnt sich nach Sarah und Sam. Eigentlich hätten sie sofort nachkommen sollen. Stattdessen erhält er wochenlang keine Nachricht von ihnen. Offenbar wird er noch "unter Verschluss" gehalten, bis eine von den Russen organisierte Pressekonferenz ihn stolz als Überläufer präsentieren wird. Er erhält Besuch von einem anderen britischen Überläufer, der sich in Moskau inzwischen pudelwohl fühlt und ihn zum Frühjahr in seine Datscha einlädt. Endlich kommt Boris mit Nachrichten aus England zu ihm: Leider gebe es Probleme mit Sam. Der Junge habe keinen Pass und werde unter diesen Umständen auch keinen erhalten. Außerdem drohten die Briten, Sarah festzunehmen, wenn sie versuchen sollte, das Land zu verlassen.

„Sie sagte: ‚Maurice, Maurice, gib die Hoffnung nicht auf!’ Doch in der langen, durch nichts unterbrochenen Stille, die ihren Worten folgte, begriff sie, dass die Leitung nach Moskau tot war.“ (über Sarah, S. 375)

Tatsächlich hat Dr. Percival sich mit Sarah getroffen und versucht, sie einzuschüchtern. Als Castle im britischen Fernsehen als Verräter erscheint, kündigt seine entsetzte Mutter an, dass sie die Vormundschaft für ihren Enkel beantragen und verhindern werde, dass Sam England verlasse. Am Abend nach der Pressekonferenz funktioniert erstmals das Telefon in Castles Moskauer Wohnung. Er ruft Sarah an. Sie beschwört ihn, Geduld zu bewahren, bis eine Lösung gefunden sei. Sie könne ihren Sohn einfach nicht zurücklassen, zumal er gerade an Keuchhusten erkrankt sei. Castle zeigt Verständnis. Doch seine Stimme klingt wie die eines alten Mannes, der nicht mehr lange zu leben glaubt.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Autor dehnt den Spannungsbogen bis aufs Äußerste, indem er von Anfang an mit wechselnden Erzählperspektiven spielt. Meist ist es Castle, der seine Umgebung beobachtet und beurteilt. Sein Blickwinkel wird aber immer wieder durch den Daintrys, Hargreaves’ oder Sarahs unterbrochen. Die Romanfiguren umschleichen sich so in einer Atmosphäre tiefen Misstrauens wie Raubkatzen, die auf den geeigneten Moment zum Angriff warten. Zum Spannungsaufbau trägt außerdem bei, dass der Leser erst in der Mitte des Buchs über Castles wahre Identität als Doppelagent aufgeklärt wird. Greene nimmt zukünftige Ereignisse durch Träume und Alpträume seiner Protagonisten verschlüsselt vorweg und benutzt zahlreiche Metaphern und Symbole, wie etwa das einer zerbrochenen Porzellaneule für den aus Dummheit begangenen Mord. Seine Sprache ist knapp und schnörkellos. Das Fortbestehen der kolonialen Mentalität im Nachkriegsengland und die Grausamkeit des Apartheidregimes entlarvt er durch eine vielschichtige Charakterzeichnung und brillante Dialoge. So fragt z. B. Castle den gläubigen Christen und Apartheidbeamten Muller, ob er keine Angst vor dem Leben nach dem Tod habe, wenn ihm dort die schwarzen Opfer eines Atomschlags begegnen würden. Mullers Antwort darauf: "Ich nehme an, die haben ihren eigenen Himmel."

Interpretationsansätze

  • Der menschliche Faktor ist ein Spionagethriller mit Tiefgang: Er kommt ohne die üblichen 007-Zutaten wie Gewalt und Verfolgungsjagden aus und schöpft seine Spannung stattdessen aus dem zerrissenen Innenleben der Romanfiguren, aus der Komplexität menschlicher Beziehungen und moralischer Fragen.
  • Im Roman herrscht eine düstere Grundstimmung. Fast alle Beteiligten trinken mehr Alkohol, als gut für sie ist. Zu Beginn des Romans wird es Herbst, und zum Schluss friert Maurice Castle im Moskauer Winter. Obwohl das Ende offen bleibt, scheint es für ihn wenig Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit Sarah und Sam zu geben.
  • Castles Dilemma: Aus Liebe zu Sarah und ihrem Volk gibt er die Information weiter, die zu seiner Enttarnung und Flucht führt und ihn damit ausgerechnet die Liebe seines Lebens verlieren lässt. Die eindringliche Schilderung dieser ausweglosen Situation ist eine der großen Stärken des Buchs.
  • Der Roman enthält autobiographische Elemente; er basiert auf Erfahrungen, die Greene während seiner Tätigkeit für den britischen Geheimdienst gewann. Verschiedene Biographen haben die Übereinstimmungen mit Greenes Leben bis in Details nachgewiesen. Er selbst betonte jedoch stets, dass alle Figuren und Ereignisse frei erfunden seien.
  • Die Geheimdienstarbeit erscheint banal und gänzlich unromantisch. Sie macht einsam und fordert einen ständigen ideologisch-moralischen Spagat - wie etwa den zwischen dem Gleichheitsanspruch aller Menschen einerseits und der Unterstützung des südafrikanischen Apartheidregimes durch westliche Demokratien andererseits.
  • Aus dem Roman spricht die Stimme eines alternden, desillusionierten Autors. Maurice Castles erfolgloser Versuch, bei einem katholischen Priester die Absolution zu erhalten, kann als Hinweis auf die zunehmende religiöse Ambivalenz des Katholiken Greene gedeutet werden.
  • Graham Greene gelang es stets, politisch und psychologisch tief schürfende Themen in spannenden Thrillern zu behandeln. Er gilt vielen deshalb als unübertroffener Meister der anspruchsvollen Unterhaltungsliteratur.

Historischer Hintergrund

Apartheid im Kalten Krieg

Der menschliche Faktor erschien 1978 zu einer Zeit, als der Kalte Krieg der Großmächte USA und UdSSR seinen langen Schatten auf den afrikanischen Kontinent warf und dort zu blutigen Stellvertreterkriegen führte. In Angola und Mosambik wüteten nach dem Ende der portugiesischen Kolonialherrschaft im Jahr 1975 schreckliche Bürgerkriege, die von den USA und dem südafrikanischen Apartheidregime auf der einen, von der Sowjetunion auf der anderen Seite angeheizt wurden. In den Nachbarstaaten Südafrikas - Südwestafrika (später Namibia) und Rhodesien (später Simbabwe) - führten marxistisch orientierte schwarze Befreiungsbewegungen langjährige Guerillakriege gegen die weißen Minderheitsregierungen. Obwohl die UN-Vollversammlung die Apartheid 1973 offiziell ächtete, kooperierten die USA und Westeuropa in dieser Zeit militärisch und wirtschaftlich mit dem Regime in Südafrika. In ihren Augen war es als Bollwerk gegen den Kommunismus das geringere Übel. Die Angst der südafrikanischen Regierung vor den Aufständischen im In- und Ausland war so groß, dass sie mit israelischer Hilfe ein geheimes Programm zum Bau von Atomwaffen durchführte. 1977 bereiteten Wissenschaftler einen unterirdischen Atomtest in der Kalahari-Wüste vor. Das Vorhaben wurde jedoch von den Sowjets entdeckt und musste auf Druck der USA, Frankreichs und der Sowjetunion wieder aufgegeben werden. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges und dem darauf folgenden Sturz des Apartheidregimes bestätigte Präsident Frederik Willem de Klerk 1993, dass Südafrika Atomwaffen besessen habe. Als einziges Land seit der Entwicklung der Atombombe hat Südafrika sein Arsenal freiwillig vernichtet, um sich wieder in die internationale Gemeinschaft einzugliedern.

Entstehung

Graham Greene begann über zehn Jahre vor der Veröffentlichung mit der Arbeit an dem Buch. Nach zwei oder drei Jahren und 20 000 Wörtern gab er verzweifelt auf. Seiner Ex-Geliebten Catherine Walston schrieb er später, dass das Buch ihm zu jener Zeit wie ein "Klotz am Bein" gehangen habe. Ein Grund für die Schreibblockade mag der Wirbel um seinen Freund, den berühmten Doppelagenten Kim Philby, gewesen sein. Philby hatte Greene während des Zweiten Weltkriegs als Agent für den britischen Geheimdienst rekrutiert und war 1963 kurz vor seiner Enttarnung in die Sowjetunion übergelaufen. Der Autor fürchtete, dass seine Leser in Maurice Castle den berühmten Doppelagenten personifiziert sähen. Erst im Dezember 1975 nahm er die Arbeit an dem Roman wieder auf und beendete ihn im April 1977.

In seiner Autobiographie Ways of Escape (Fluchtwege) schrieb Greene 1980, dass die Hauptfiguren seiner Romane niemals auf wirklichen Persönlichkeiten basierten, weil das seiner Phantasie Grenzen setzen würde. Dennoch hätten sie zu ihm eine ähnliche Verbindung wie das Kind zu seiner Mutter: "Sie kommen aus seinem [des Autors] Körper wie das Kind aus der Gebärmutter; dann wird die Nabelschnur durchschnitten und sie werden langsam unabhängig." Greene ließ verschiedene Aspekte aus seinem Leben in sein Werk einfließen. Maurice Castle wohnt beispielsweise mit seiner Familie in Berkhamsted, Greenes Geburtsort. In der Person Daintrys verarbeitete er die Zeit während des Zweiten Weltkrieges, als er in London für den britischen Geheimdienst arbeitete.

Wirkungsgeschichte

Der menschliche Faktor hielt sich sechs Monate auf der Bestsellerliste der New York Times und wurde von der Kritik gelobt. Kim Philby, dem Greene gleich nach der Veröffentlichung ein Exemplar zuschickte, hielt sich bedeckt: Zwar habe er sich prächtig amüsiert, schrieb er im April 1978 aus Moskau, doch die im Roman geschilderte Behandlung Castles durch die Russen sei schäbig und äußerst unrussisch: "Ich bekam alles, bis hin zum Schuhanzieher, einen Artikel, den ich niemals zuvor besessen hatte." Das Buch wurde bereits 1979 von Otto Preminger verfilmt.

Greenes Spionageromane erschienen nach der Veröffentlichung von Norman Sherrys monumentaler Biographie The Life of Graham Greene in einem neuen Licht: Sherry berichtet darin, dass der Autor bis an sein Lebensende sporadisch für den MI6 arbeitete. Er mutmaßt, dass Greene seine lebenslange Freundschaft zu Kim Philby nur vorgetäuscht habe, um dessen Briefe an die Briten weiterzuleiten. Einige Romane könnten demnach als Tarnung für seine Spionagetätigkeit gedient haben. Durch seine kompromisslose Art und sein unverhohlen ausschweifendes Privatleben schuf sich Greene viele Feinde. In der unautorisierten Biographie Graham Greene versucht Michael Shelden einen posthumen Denkmalsturz, indem er dem Autor u. a. unstillbaren sexuellen Appetit, versteckte Homosexualität, politische Ambiguität und religiösen Zynismus vorwirft. Für viele bleibt Graham Greene dennoch einer der bedeutendsten englischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Obwohl er mehrmals als aussichtsreicher Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt wurde, blieb ihm diese Auszeichnung zu seiner eigenen großen Enttäuschung zeitlebens verwehrt.

Über den Autor

Graham Greene wird am 2. Oktober 1904 in Berkhamsted (Hertfordshire) in England geboren. Als Kind ist Greene ein schüchterner Junge, der sich schnell einigelt und von Gleichaltrigen abwendet. Dass sein Vater Schuldirektor ist, macht ihm den Kontakt zu anderen Kindern nicht einfacher. So wird Greene zum Einzelgänger und Außenseiter, der sich immer öfter in die fantastische Welt der Literatur flüchtet. Die Schule wird für ihn zur Qual: Sein Hass darauf wird so stark, dass er sogar Selbstmordversuche unternimmt und seine Eltern mit 15 Jahren mit dem Entschluss konfrontiert, die Schule nicht mehr zu besuchen. Die Eltern schicken ihn zu einem Therapeuten nach London, der Greene dazu ermutigt, zu schreiben. Greene beginnt ein Geschichtsstudium am Balliol College in Oxford, das er nach eigenen Angaben „betrunken und schuldengeplagt“ 1925 beendet. Es folgen mehrere Anstellungen bei unterschiedlichen Redaktionen, unter anderem beim Nottingham Journal, wo er seine spätere Frau Vivien Dayrell-Browning kennenlernt. In diese Zeit fällt auch seine Konversion zur katholischen Kirche, die sein weiteres Werk entscheidend beeinflussen wird. Eine Anstellung bei der Times führt ihn nach London. Sein erster veröffentlichter Roman Zwiespalt der Seele (The Man Within, 1929) wird so erfolgreich, dass sich Greene fortan ganz auf die Schriftstellerei konzentriert. Um neues Material zu finden und seine Abenteuerlust zu befriedigen, begibt er sich auf größere Reisen: Seinen Aufenthalt in Schweden verarbeitet er in dem Buch Ein Sohn Englands (England Made Me, 1935); Der Weg nach Afrika (Journey Without Maps, 1936) resultiert aus seiner Reise durch Liberia; seine Arbeit für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 in Sierra Leone findet Niederschlag in Das Herz aller Dinge (The Heart of the Matter, 1948); und die Erlebnisse in Mexiko fließen in Die Kraft und die Herrlichkeit (The Power and the Glory, 1940) ein. Viele von Greenes Romanen werden verfilmt, Der dritte Mann (The Third Man, 1950) wird sogar direkt für die Verfilmung geschrieben. Greene stirbt am 3. April 1991 in Vevey in der Schweiz.

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