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Der Prozess

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Der Prozess

S. Fischer,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Das ist schlicht „kafkaesk“: Josef K. wird verhaftet und in einen mysteriösen Prozess verwickelt, ohne dass er sich einer Schuld bewusst ist. Oder vielleicht doch?


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Moderne

Worum es geht

Der Prozess des Josef K.

Josef K. wird verhaftet. Nicht nur, dass dies unter obskuren Umständen im Schlafzimmer seiner Wohnungsvermieterin geschieht; er kann sich auch überhaupt nicht erklären, welches Verbrechen er begangen haben soll. Doch hierüber bekommt er keine Auskunft, denn Josef K. befindet sich bereits mittendrin: im Prozess. Ein Jahr seines Lebens verbringt er nun damit, vor Spionen zu fliehen, merkwürdige Richter und noch merkwürdigere Anwälte aufzusuchen, bis er schließlich ohnmächtig das Todesurteil erdulden muss. Franz Kafka schuf seinen Roman an der Schwelle zur literarischen Moderne: Aus Groteske, Surrealismus und Expressionismus kreierte er eine unheimliche Atmosphäre der Ohnmacht des Individuums, die als "kafkaesk" in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist. Der Roman wurde von Kafka 1914 unvollendet liegen gelassen, sein Freund Max Brod veröffentlichte ihn jedoch posthum 1925. Kritiker feierten das Werk als Beispiel für die existenzialistische Not des modernen Individuums, das "schuldlos schuldig" ist und in einen Strudel unwirklich-irrationaler Ereignisse hineingezogen wird. Der Prozess ist Kafkas einflussreichstes Werk. Dank seiner unkomplizierten Sprache und leichten Lesbarkeit erfreut sich das Buch auch heute noch großer Beliebtheit.

Take-aways

  • Franz Kafkas Roman Der Prozess ist mysteriös und beängstigend: einer der wichtigsten Romane der Moderne.
  • Auf seine unheimliche und groteske Weise schildert Kafka, wie der Alltag von Josef K. durch den Einbruch einer fremden Macht vollkommen auf den Kopf gestellt wird.
  • Ohne zu wissen warum, wird Josef K. am Morgen seines 30. Geburtstags von Beamten einer nebulösen Behörde verhaftet.
  • Obwohl er sich anfangs noch darüber lustig macht, nimmt der anrollende Prozess immer mehr die Aufmerksamkeit von K. in Anspruch.
  • Er vernachlässigt seinen Beruf als Prokurist in einer Bank und schart Verbündete um sich, die ihm aber in seinem rätselhaften Prozess letztlich nicht nützlich sind.
  • Einen Tag vor seinem 31. Geburtstag wird er von zwei Gesandten des Gerichts abgeholt und exekutiert.
  • Kafka gelingt es mit seinem hypothetischen Erzählstil, der erlebten Rede und nüchternen Detailbeschreibungen, den Leser in den Bann der grotesken Ereignisse zu ziehen.
  • Diese Stilmerkmale haben den Begriff "kafkaesk" geprägt: als unbestimmte Angst vor einer unheimlichen, absurden Macht.
  • Im Prozess gelingt Kafka eine wunderbare Entlarvung der modernen Bürokratie.
  • Bereits 1914 in einem wahren Schaffensrausch geschrieben, erschien das Buch erst 1925, ein Jahr nach Kafkas Tod.
  • Kafkas Freund Max Brod ordnete die Einzelteile und veröffentlichte den Fragment gebliebenen Roman, sodass heutigen Lesern keine Lücken auffallen.
  • Seit der Nachkriegszeit erfreut sich Kafka einer außerordentlichen Beliebtheit. Hunderte von Interpretationen zeugen von seinem Einfluss und Stellenwert für die Literatur der Moderne.

Zusammenfassung

Verhaftung im Morgengrauen

Josef K., der Prokurist einer Bank, wacht am Morgen seines 30. Geburtstags gut gelaunt auf und läutet nach dem Frühstück. Er wohnt bei Frau Grubach in einem möblierten Zimmer zur Untermiete. Doch heute kommt niemand, der ihm das Frühstück ans Bett bringt. Stattdessen erklären ihm Franz und Willem, zwei Beamte einer nebulösen Behörde, dass er verhaftet ist! Eine Begründung können sie nicht geben, weil sie ja lediglich auf der niedrigsten Stufe der Behörde stünden. Eilig rafft K. seine Papiere zusammen und zeigt sie den beiden Wächtern, verlangt aber im Gegenzug, dass auch sie sich bei ihm ausweisen und den Haftbefehl vorzeigen. Dafür haben die beiden nur ein müdes Lächeln übrig: Ihre Behörde mache niemals Fehler. Sie suche auch keine Verbrechen, sondern werde von diesen regelrecht angezogen. K. ist erbost und hält die beiden Wächter für strohdumm. Er verlangt, ihren Vorgesetzten zu sprechen. Diese Bitte wird abgelehnt. Fest steht: Er ist verhaftet. Den Grund kann ihm aber niemand nennen. Immerhin darf Josef K. seinem normalen Lebenswandel nachgehen, bis es zu einer Verhandlung kommt. Drei Beamte aus seiner Bank werden ihn an seine Arbeitsstätte begleiten und ein Auge auf ihn haben.

Frauenbekanntschaften

Nach einem anstrengenden Arbeitstag besucht Josef K. seine Vermieterin Frau Grubach. Er will sich bei ihr für das Durcheinander am Morgen entschuldigen. Seltsamerweise ist die Wohnung jetzt wieder in dem Zustand, wie er sie vor dem Besuch der Wächter kannte. Die alte Frau hält die Entschuldigung für unnötig. Sie gibt zu, dass sie an der Tür gelauscht habe und ihr die Verhaftung doch nicht wie eine Gaunerei, sondern eher wie "etwas Gelehrtes" vorgekommen sei. K. besucht am Abend noch die andere Mieterin, Fräulein Bürstner, und entschuldigt sich bei ihr ebenfalls für die Unordnung, die seine Wächter vielleicht auch in ihrer Wohnung angerichtet haben. Fräulein Bürstner kann aber keine Unordnung feststellen. Daraufhin schildert K. ihr, was vorgefallen ist. Während des Gesprächs wird K. immer zudringlicher: Erst küsst er Fräulein Bürstner nur auf die Stirn, dann aber auch auf Hals und Mund. Schließlich wirft sie ihn förmlich aus ihrem Zimmer. Erst jetzt bewahrt K. Haltung - und verabschiedet sich mit einem Handkuss.

Die Vorladung

Als K. einen Telefonanruf von jemandem bei Gericht erhält, der ihn zu einer ersten Untersuchung am folgenden Sonntag in einen entlegenen Stadtteil bestellt, ist er wild entschlossen, dort zu erscheinen, um den albernen und seltsamen Vorwürfen - ja, welche eigentlich? - endgültig ein Ende zu machen. Am kommenden Sonntag geht K. in die angegebene Straße, findet dort allerdings kein Gerichtsgebäude, sondern nur ärmliche Mietskasernen. Im Haus mit der richtigen Hausnummer muss er sich von Wohnung zu Wohnung durchfragen. Weil er sich nicht traut, nach dem Gericht zu fragen, erfindet er kurzerhand etwas, wonach er sich erkundigen kann: den "Tischler Lanz". Wie erstaunt ist er da, als im fünften Stock eine Bewohnerin (die sich später als Frau des Gerichtsdieners erweist) seine Frage nach dem Tischler Lanz tatsächlich positiv beantwortet und ihn eintreten lässt.

Eine Farce bei Gericht

Unversehens landet K. in einer Art Versammlungszimmer, in dem es von Menschen nur so wimmelt. Der Untersuchungsrichter führt ihn auf ein Podium und rügt ihn für sein spätes Kommen. Daraufhin ergreift K. das Wort und versucht mit einer unglaublichen Überheblichkeit den Untersuchungsrichter und das ganze Verfahren der Lächerlichkeit preiszugeben. Seine Ausführungen ernten von der einen Hälfte der Anwesenden heftigen Beifall, von der anderen jedoch nicht. K. gerät richtig in Fahrt: Er greift den Richter, seine Wächter und das ganze törichte Verfahren an. Auf dem Höhepunkt seines Vortrags wird er jedoch jäh unterbrochen. Alle Augen im Saal sind auf die Tür gerichtet, wo die Frau, die ihn hereingelassen hat, und ein Mann hemmungslos miteinander "herummachen". Erst jetzt fällt K. auf, dass alle Anwesenden das gleiche Abzeichen wie der Richter tragen, also alle zum Gericht oder zu der Behörde gehören, die ihn verurteilen will. Erzürnt verlässt er den Sitzungssaal.

Hinter den Kulissen des Gerichts

Die ganze Woche wartet K. darauf, wieder vom Richter angerufen zu werden. Weil aber niemand sich bei ihm meldet, geht er am folgenden Sonntag erneut in das Gerichtsgebäude. Die Frau, die ihn vor einer Woche hereingelassen hat, weist K. darauf hin, dass heute keine Sitzung sei. Das will der aber nicht glauben - und sieht zu seinem Erstaunen, dass sich der Sitzungssaal in ein gediegenes Wohnzimmer verwandelt hat. Die Frau klärt ihn darüber auf, dass sie mit ihrem Mann, dem Gerichtsdiener, im Gericht wohnt und ihre Wohnung für Verhandlungen räumen muss. Jetzt ist K. erst recht schockiert: Warum habe sie denn seine Rede vor einer Woche so unflätig unterbrochen? War das etwa ihr Mann, mit dem sie es wie toll im Sitzungssaal getrieben habe? Die Frau schüttelt den Kopf: Es habe sich um einen Studenten der Juristerei gehandelt, der sie begehrte. Ihr Mann habe sich damit abgefunden, schließlich gehe es ja um Brot und Unterkunft. Für K. passen diese scheußlichen Umstände zum ganzen Bild, das er sich vom Gerichtsapparat gemacht hat, der ja wohl mehr ein Bordell als ein Hort des Rechts sei. Die Frau lässt ihn einen Blick in die streng verbotenen Gesetzestexte des Richters werfen. Doch zu seinem Erstaunen findet K. zwischen den vergilbten Buchdeckeln nur pornographische Bilder und Texte.

In den Kanzleien

K. hat fast schon Mitleid mit der Frau und bietet ihr an, sie in Schutz zu nehmen. Das belohnt sie mit der Zusage, den Richter in seinem Sinne zu manipulieren. Sie wolle sogar mit K. fliehen, weil sie ihn sehr gern habe, doch in diesem Augenblick erscheint der Student, um die Frau zu einem Schäferstündchen mit dem Untersuchungsrichter abzuholen. K. versucht zwar, die Frau gewaltsam zu befreien, sie will dies aber gar nicht, um die Stellung ihres Mannes nicht in Gefahr zu bringen. Dieser kommt wenig später auf K. zu und beklagt sein hartes Los. Der Gerichtsdiener ersucht K., den Studenten zu verprügeln, schließlich habe er ja nichts mehr zu verlieren. Das sieht Josef K. aber ganz anders, denn sein Prozess ist ja noch völlig offen. Der Gerichtsdiener steigt mit ihm eine schmale Wendeltreppe hinauf, um ihm dort die Kanzleien zu zeigen. Dabei kommen sie in einen Saal, in dem mehrere Leute auf ihren Prozess warten. K. spricht einen Mann an, der ihm von seinem Verfahren berichtet und der - nach mehreren Monaten des Wartens - schon völlig zermürbt ist. Josef K. wird schwindelig. Ein Mädchen und ein vornehm gekleideter Mann, der "Auskunftgeber", erklären ihm, dass er wohl noch nicht an die muffige, schwülheiße Luft in der Kanzlei gewöhnt sei, und bringen ihn zum Ausgang bei der Treppe. Durch die frische Luft kommt K. wieder zu sich - und hat den Eindruck, dass seine Begleiter nun ihrerseits an Atemnot leiden. Schnell schließt er die Tür und schwört sich, keinen Sonntagvormittag mehr in diesem muffigen Gerichtsgebäude zu verbringen.

Juristischer Beistand

Josef K.s Onkel hat von dem Prozess gegen seinen Neffen erfahren. Er drängt ihn dazu, den Fall ernst zu nehmen, und bietet ihm einen Besuch bei seinem Anwalt, Herrn Huld, an. Die beiden werden jedoch erst nach einem zähen Verhandlungsgespräch mit dessen Haushälterin Leni zu Huld gelassen, der alt und krank im Bett liegt. Seltsamerweise weiß Huld bereits über K.s Prozess Bescheid. In einer Ecke des Zimmers hockt eine düstere Gestalt: der Kanzleidirektor. Unter dessen Vorsitz besprechen die Männer K.s Fall, der sie alle ganz besonders interessiert. Josef K. selbst ist jedoch nicht recht bei der Sache: Er denkt an Leni, die ihm offensichtlich Zeichen gegeben hat. Wie auch jetzt wieder: Sie wirft im Nebenraum einen Teller gegen die Wand und liefert Josef auf diese Weise einen Vorwand, das Zimmer zu verlassen. Leni erwartet ihn schon und sitzt nach kurzer Zeit auf K.s Schoß. Obwohl er eine Geliebte mit Namen Elsa hat, lässt K. sich die Zärtlichkeiten von Leni gefallen, die ihn wild und hemmungslos küsst, ja ihm sogar schon den Hausschlüssel in die Hand drückt. Später, draußen im Regen, macht ihm sein Onkel schwere Vorwürfe, dass er sich offenbar überhaupt nicht um seinen Prozess kümmere, den Advokaten und den Kanzleidirektor verprellt und ihn selbst bitter enttäuscht habe.

Nervenbündel

Josef K. schleppt sich durch seine weiteren Arbeitstage. Es fällt ihm schwer, sich auf seine täglichen Aufgaben als Prokurist zu konzentrieren. Seine Gedanken kreisen unaufhörlich um den Prozess. Er überlegt sogar, selbst eine Verteidigungsschrift einzureichen, weil ihm sein Anwalt Huld inkompetent erscheint. Dieser erzählt wirres Zeug: Das Gericht sei nicht öffentlich, er habe deswegen auch keine Einsicht in die Anklageschrift, seine Verteidigungsunterlagen würden gewöhnlich bei Gericht verlegt oder doch zumindest nicht gelesen ... und ähnliche unerhörte Dinge. K. ist so in seinen Fall versponnen, dass er einen wichtigen Kunden, einen Fabrikanten, links liegen lässt und der Stellvertreter des Bankdirektors prompt seine Chance beim Schopf ergreift. Das hat er also nun davon: Sein Fall raubt ihm jede Chance, seine Karriere voranzutreiben. Der Fabrikant kommt nach dem Gespräch mit dem Direktorstellvertreter noch einmal zu K. und empfiehlt ihm, den Maler Titorelli aufzusuchen: Dieser porträtiere Richter und habe einen großen Einfluss auf sie. K. wundert sich schon gar nicht mehr darüber, dass der Fabrikant offenbar auch - wie eigentlich alle - über seinen Fall Bescheid weiß, und begibt sich zu besagtem Maler.

Verschleppung und Demütigung

Titorelli klärt K. in seiner muffigen Kammer darüber auf, dass er die Richter beeinflussen könne und es drei Möglichkeiten gäbe: Den "wirklichen Freispruch" gibt es nur in der Theorie. Dem Maler ist kein solcher Fall bekannt. Den "scheinbaren Freispruch" kann Titorelli für K. erwirken, indem er eine Unterschriftenaktion bei den Richtern macht. Allerdings kann jeder höhere Richter den Fall jederzeit wieder aufnehmen. Die "Verschleppung" schließlich versucht, den Prozess ständig in seinem Anfangsstadium zu halten. Dafür müssten die Richter fortwährend mit persönlicher Fürsprache umsorgt werden. Aber, das bemerkt K. sofort, keines der Verfahren kann einen wirklichen Freispruch erwirken. Aus Höflichkeit kauft er dem Maler drei identische Bilder ab und schreitet durch eine Tür, die sich seltsamerweise direkt hinter dem Bett befindet. Zu seiner Überraschung steht er unvermittelt in einer Gerichtskanzlei. Später entzieht K. seinem Rechtsanwalt den Fall. Dabei lernt er den Kaufmann Block kennen, der schon seit 20 Jahren im Prozess steckt, sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hat und neben dem Anwalt Huld noch mehrere andere Advokaten beschäftigt. Der Anwalt Huld, verärgert über den Entzug des Mandats, demonstriert an Block, wie man bei Gericht mit anderen Angeklagten umgeht: Block gehorcht jedem Wink des Anwalts wie ein Hund und kriecht auf dem Boden herum, ja er küsst dem Anwalt sogar die Schuhe.

Die Türhüterlegende

Josef K. wird in der Bank dazu abgestellt, einem italienischen Kunden den Dom der Stadt zu zeigen. Hier findet er allerdings nicht besagten Italiener vor, sondern einen Pfarrer, der allein für ihn zu predigen beginnt und sich ihm als der Gefängniskaplan vorstellt. Er verweist darauf, dass es um den Prozess schlecht stehe, vor allem auch deshalb, weil Josef K. immerzu Hilfe von anderen Menschen suche, insbesondere von Frauen, und damit das Gesetz und die Richter manipulieren wolle. Der Gefängniskaplan erzählt K. die Legende vom Türhüter, der einem Mann vom Lande den Zutritt zum Gesetz verweigert. Der Mann versucht jahrein, jahraus den Türhüter zu überlisten und durch die Pforte zu schreiten. Als er alt und grau ist und stirbt, schließt der Türhüter das Tor und erklärt ihm, dass dieses Tor nur für ihn bestimmt war. Josef K. versteht die Legende als einen Betrug des Gesetzes an dem Mann vom Lande. Doch der Kaplan erläutert, dass ebenso gut der Türhüter der Getäuschte sein könnte. Schließlich war er ja der Diener des Mannes. Verwirrt verlässt K. die stockfinstere Kirche.

Das Ende

Am Abend vor seinem 31. Geburtstag besuchen zwei schwarz gekleidete Herren Josef K. Sie laufen mit ihm quer durch die Stadt zu einem verlassenen Steinbruch. Dort legen sie ihn auf einen Felsbrocken und bohren ihm ein Messer ins Herz. Josef K. fühlt sich dabei fast schon versucht, das Urteil selbst zu vollstrecken.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman deckt ziemlich genau ein Jahr im Leben von Josef K. ab. Die Ereignisse werden stets chronologisch erzählt. Es gibt also keine Zeit-, dafür aber andere Sprünge: skurrile, traumartige Handlungselemente, bei denen beispielsweise Türen ganz woanders hinführen, als man vermutet, und Orte wie aus dem Nichts auftauchen. Die Erzählweise, die Kafka verwendet, ist ausnahmslos eine subjektive, personale, auf Josef K. zugeschnittene Perspektive. Je weiter K. in den Prozess hineingezogen wird, desto klaustrophobischer und bedrückender gestaltet sich die Szenerie: Alle Erfahrungen führen in die Irre, zu Verunsicherung und Entwürdigung. Durch den hypothetischen Erzählstil und die seltsam schwammigen, unbeweisbaren Aussagen (z. B. der Richter und Anwälte) wird eine bedrohliche Atmosphäre erzeugt. Die Kombination von erlebter Rede (Darstellung von Gedanken), ironischer Distanz und Groteske verstärkt diesen Effekt. Schließlich versteht sich der Jurist Kafka auf genaueste Beschreibungen von Details: Diese "Übergründlichkeit" schafft einen starken Kontrast zur Unsicherheit und dem Gefühl des Ausgeliefertseins des Helden. Der häufige Wechsel zwischen Indikativ und Konjunktiv (Wirklichkeits- und Möglichkeitsform) erzeugt beim Leser eine große Verunsicherung darüber, was real und was bloß vorgegeben ist. Kafka schreibt kühl und distanziert, in einfachen, klaren Sätzen. Durch diesen "Kanzleistil", den er von seiner Arbeit als Jurist sehr gut kannte, gelingt es ihm, das Kalte und Herzlose des Gerichtsverfahrens sprachlich einzufangen. Die Lektüre dürfte auch ungeübten Lesern keine Schwierigkeiten machen - wohl aber die Deutung der mehr als seltsamen Ereignisse.

Interpretationsansätze

  • Kafkas Roman wurde mehrere hundert Mal interpretiert: Eine allumfassende und für jeden zufrieden stellende Interpretation gibt es jedoch nicht. Kafka zu interpretieren ist ungefähr so aussichtslos wie K.s Versuch, das Gesetz zu interpretieren.
  • Die ältesten Deutungsversuche gehen auf Max Brod zurück und sind theologisch-religiöse Interpretationen: In dieser Sicht stellt Joseph K.s unerklärliche Schuld die Erbsünde und das unnahbare oberste Gericht Gott selbst dar.
  • Die philosophische Deutung erkennt in Joseph K. einen Menschen, der mit sich und der Welt uneins ist, der in sich zerrissen ist und an seiner unerklärlichen Schuld zugrunde geht. Wie die späteren Existenzialisten erfährt er das Absurde seiner Welt, ohne die Chance, dieser durch eigene Entscheidung einen Sinn abzutrotzen.
  • Die soziologische Interpretation erkennt in K.s Kampf mit dem übermächtigen Gericht den Kampf gegen den anonymen Verwaltungsstaat, gegen die moderne Bürokratie oder - in einer politischen Variante - gar gegen die Habsburger Monarchie.
  • Der gesamte Roman - und damit seine kafkaeske Skurrilität - ließe sich auch als bloßer Tagtraum des Helden erklären. Alle abnormalen Geschehnisse und unverständlichen Handlungen können somit getrost der Traumphantasie angelastet werden.
  • Alle Romane Franz Kafkas haben autobiographische Bezüge, auch der Prozess: Joseph K. kann als Kafkas Alter Ego und Fräulein Bürstner als Felice Bauer (Initialen F. B. sind deckungsgleich), die zweimalige Verlobte Kafkas, identifiziert werden.

Historischer Hintergrund

Wie das Kafkaeske in die Welt kam

Es kommt selten vor, dass ein Dichter allein durch seinen Erzählstil dazu beiträgt, ein eigenes Eigenschaftswort zu kreieren. Das Adjektiv "kafkaesk" hat Einzug in den Duden gehalten. Es umschreibt ein unheimliches Gefühl der Ungewissheit und des Ausgeliefertseins, das Ahnen einer Bedrohung, die man jedoch nicht beim Namen nennen kann. Dass Kafka ein eigenes Wort für seinen Stil hervorbringen konnte, weist darauf hin, dass sein Werk etwas sehr Eigenständiges ist. Trotzdem finden sich auch Anklänge an Zeitströmungen wie den Existenzialismus (Grundgefühl der Angst), den Expressionismus (Betonung der Subjektivität und des Identitätsverlusts) und den Surrealismus (Darstellung von unbewussten, irrationalen Vorgängen).

Kafkas Stil ist aber auch ein Spiegel seiner eigenen Unsicherheit. In privater Hinsicht fühlte er sich in seiner Jugend von seinem Vater drangsaliert und entwickelte als Erwachsener eine regelrechte Bindungsangst. Andererseits litt er auch unter den Umsturzbewegungen seiner Zeit: Er war ein deutschsprachiger Jude in Prag und gehörte damit gleich zwei Minderheiten an. Tschechen und Deutsche, Christen und Juden teilten sich die Stadt, was nicht immer ohne Konflikte abging. Eine Welle des Antisemitismus wogte durch Prag, vor allem um die Jahrhundertwende 1899/1900. Der überall in Europa aufkeimende Nationalismus, den Kafka scharf verurteilte, führte 1914 zum Attentat von Sarajewo und zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Entstehung

"Wenn ich mich nicht in eine Arbeit rette, bin ich verloren", schrieb Franz Kafka am 28. Juli 1914 in sein Tagebuch. Er hatte sich wenige Tage zuvor von seiner "Kurzzeitverlobten" Felice Bauer getrennt und schon war das "Strafgericht" seiner Freunde, vor allem von Grete Bloch über ihn hereingefallen. Kafka fühlte sich als Eingesperrter und der Ehe nicht gewachsen. Schuld, Sühne, Gericht, Strafe - alle Komponenten seines Prozessromans fanden sich in dieser Entlobungsaffäre. Noch im Juli begann Kafka damit, den Roman zu skizzieren. Dann schrieb er das erste Kapitel und den Schluss, um den Hauptteil nach und nach zu ergänzen. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs und Kafkas Abscheu vor dem nationalistischen Wahn führten dazu, dass er sich noch stärker an die Arbeit klammerte. Er stellte einen strengen Tagesplan auf und hielt sich sklavisch daran. Wann immer seine Arbeit an dem Prozess ins Stocken geriet, widmete er sich anderen Projekten. Das ging bis in den Dezember 1914 gut, dann kamen die Schreibblockaden zurück: "Ich kann nicht mehr weiter schreiben. Ich bin an der endgültigen Grenze, vor der ich vielleicht wieder jahrelang sitzen soll, um dann vielleicht wieder eine neue, wieder unfertig bleibende Geschichte anzufangen. Diese Bestimmung verfolgt mich." Im Januar 1915 gab er die Arbeit am Prozessroman auf - für immer.

Wirkungsgeschichte

Entgegen Kafkas testamentarischem Wunsch, seine unveröffentlichten Manuskripte nach seinem Tod zu vernichten, veröffentlichte sie sein Freund und Biograph Max Brod posthum und spielte damit eine wichtige Rolle für den Ruhm, die Wirkung und den Erfolg von Kafkas Texten. Der Prozess wurde 1925 von Max Brod herausgegeben, nachdem er anhand von Leerseiten, die Kafka zwischen einzelnen Manuspkriptseiten platziert hatte, Kapitel festgelegt und sie aus der Erinnerung in eine Reihenfolge gebracht hatte. Brod versah das Werk auch gleich mit einer ersten Interpretation. Kafka-Freund und -Kenner Ernst Weiß rezensierte den Roman im Berliner Börsen-Courier und lobte ihn als "Detektivroman einer Seele". Wenig später ließen NS-Herrschaft und Bücherverbot die Kritikerstimmen im Inland jäh verstummen. Dafür erfreute sich das Ausland an den zahlreichen Kafka-Übersetzungen: 1933 in Frankreich, Italien und Norwegen, 1936 in Polen, 1937 in England und Amerika, 1940 in Japan. Unter den Exilschriftstellern wurde Kafkas Roman als Werk eines Propheten verstanden, der den grausamen Überwachungsstaat vorausgesehen hat. Einer dieser Interpreten war auch der Philosoph Theodor W. Adorno.

Nach dem Krieg konnte Kafkas Werk auch in Deutschland wieder neue Freunde finden und wurde immer wieder neu (mehr als 300 Mal) interpretiert. Walter Benjamin wies darauf hin, dass Kafka "alle erdenklichen Vorkehrungen gegen die Auslegung seiner Texte getroffen" habe, sodass sich ein bunter Haufen unterschiedlichster Deutungsrichtungen fand. Der Roman wurde mehrmals verfilmt, darunter 1962 von Orson Welles (mit Anthony Perkins, Jeanne Moreau und Romy Schneider) und 1992 von David Jones (mit Anthony Hopkins und Kyle McLachlan). Auch für Hörfassungen des Romans (z. B. von Gert Westphal oder Gustav Gründgens) gab und gibt es ein großes Publikum.

Über den Autor

Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 in Prag geboren. Als deutschsprachiger Jude gehört er gleich in doppelter Hinsicht einer Minderheit an. Der Vater Hermann Kafka ist Kaufmann, die Mutter Julie im Geschäft des Vaters tätig; so wächst das Kind in der Obhut verschiedener Dienstboten auf. Der lebenstüchtige Vater bringt für seinen kränklichen, künstlerisch begabten Sohn kein Verständnis auf − ein Konflikt, der das gesamte Werk Kafkas prägen wird. Nach dem Abitur möchte Kafka eigentlich Philosophie studieren, entscheidet sich aber nach dem Willen des Vaters für Jura und promoviert 1906. Danach arbeitet er bei einer Unfallversicherung. Sein Beruf ist ihm eine Last, weil ihm zu wenig Zeit zum Schreiben bleibt; er erledigt die Arbeit aber gewissenhaft. Auf Schaffensphasen, in denen er Nächte durchschreibt, folgen längere unproduktive Abschnitte. 1902 lernt er Max Brod kennen, eine lebenslange Künstlerfreundschaft beginnt. Ab 1908 veröffentlicht er kurze und längere Erzählungen in Zeitschriften und als Buchpublikationen, darunter Die Verwandlung (1915) und Das Urteil (1916). Er beginnt drei Romane, Der Verschollene (später veröffentlicht unter dem Titel Amerika), Der Prozess und Das Schloss, stellt aber keinen fertig – für ihn ein fundamentales Scheitern. Kafkas Beziehungen zu Frauen sind problematisch. 1912 lernt er bei Max Brod die Berlinerin Felice Bauer kennen, mit der er sich zweimal verlobt und wieder entlobt. Auch die weiteren Beziehungen sind nicht von Dauer. 1917 erkrankt er an Tuberkulose. Immer wieder muss er seine berufliche Arbeit unterbrechen, um sich an Ferienorten, in Sanatorien oder bei seiner Schwester Ottla zu erholen. Die gewonnene Zeit kann er aber nicht in gewünschter Weise in Literatur umsetzen. Als er am 3. Juni 1924 stirbt, hat er Max Brod testamentarisch angewiesen, seine unveröffentlichten Manuskripte zu vernichten. Der Freund hält sich nicht daran und ermöglicht so den Weltruhm Franz Kafkas.

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    B. H. vor 5 Monaten
    Die Besprechung bestätigt meine eigenen Empfindungen beim Hören (ich habe mir das Hörbuch des patmos-Verlags angehört) in jeder Hinsicht. Sie stimmt mich darüber hinaus dankbar, weil man selber beinahe ebenso verunsichert sein könnte wie der Protagonist und vielleicht froh ist, sich zuletzt vergewissern zu können, dass es für die Gesamtbeurteilung reale Übereinstimmung geben kann. Wobei das mit dem "real" so eine Sache ist: Die Erlebnisse von Josef K. bewegen sich an der Grenze zu einer Psychose und möchten einen in sie hineinziehen, so packend-real werden sie geschildert bzw. sind sie konstruiert. Traum, Psychose, Realismus (als Mittel der Täuschung in Kunst und Literatur) finden sich für meine Begriffe in Ihrer Besprechung auf engem Raum einerseits sehr hilfreich gewürdigt, ohne andererseits dem Kunstwerk irgendwie Abbruch zu tun (geschweige denn, es gar ersetzen zu wollen).