Navigation überspringen
Der Vater eines Mörders
Buch

Der Vater eines Mörders

Eine Schulgeschichte

Zürich, 1980
Diese Ausgabe: Diogenes Verlag, 2014 Mehr

Buch oder Hörbuch kaufen

Literatur­klassiker

  • Novelle
  • Gegenwartsliteratur

Worum es geht

Der Schulmeister und der Nationalsozialismus

Heinrich Himmler war im Hitler-Regime der zweitmächtigste Mann und verantwortlich für den Tod von Millionen Menschen. Sein Vater war Direktor an einem Münchner Gymnasium zu der Zeit, als Alfred Andersch dort Schüler war. In der Erzählung besucht Direktor Himmler an einem Maitag im Jahr 1928 den Griechischunterricht – das Ergebnis dieses Auftritts eines Tyrannen in der Maske des Pädagogen: Zwei Schüler fliegen von der Schule, darunter Alfred Andersch. Wo ist die Verbindung? Musste aus diesem Vater zwangsläufig ein solcher Sohn hervorgehen? War die humanistische Bildungstradition altsprachlicher Gymnasien nur noch eine Farce? Oder, wie Andersch im Nachwort fragt: „Schützt Humanismus denn vor gar nichts?“ Diese Fragen stehen nicht explizit im Text der autobiografischen Erzählung, aber sie entstehen umso lauter im Kopf des Lesers.

Zusammenfassung

Der Rex betritt die Klasse

Gleich zu Beginn der Griechischstunde in der Untertertia B des Münchner Wittelsbacher-Gymnasiums geht die Tür noch einmal auf. Der junge Klassenlehrer Kandlbinder steht erschreckt von seinem erhöhten Pult auf – und Direktor Himmler, den die Schüler hinter seinem Rücken „Rex“ nennen, betritt den Raum. Die 14-jährigen Jungen bemerken, dass der magere Kandlbinder neben dem vital wirkenden, beleibten, etwa 60-jährigen Rex, der unverkennbar Macht ausstrahlt, verblasst. Kandlbinders Unterricht ist fachlich exzellent, aber zutiefst langweilig. Franz Kien interessiert sich nicht besonders für diesen farblosen Lehrer, ebenso wenig für Griechisch.

Der Rex begrüßt die Klasse, „seine“ Untertertia B, und seine Augen vermitteln dabei etwas Joviales, Wohlwollendes, dem Franz aber nicht traut. Er hält ihn für alles andere als harmlos und empört sich innerlich darüber, dass er die Klasse anredet, als wäre sie sein Eigentum. Das will er hinterher mit Hugo Aletter besprechen, seinem Sitznachbarn, der zwar nicht sein bester Freund ist, mit dem er aber manchmal über Politik redet...

Über den Autor

Alfred Andersch wird am 4. Februar 1914 in ein rechtskonservatives, kleinbürgerliches Elternhaus in München hineingeboren. 1928 verlässt er das Gymnasium, macht eine Buchhändlerlehre und tritt 1930 in den Kommunistischen Jugendverband ein. 1933 sitzt er dafür ein paar Monate im Konzentrationslager Dachau ein. Als er ein zweites Mal verhaftet wird, wendet er sich von der Politik ab. 1935 heiratet er die Halbjüdin Angelika Albert. 1938 zieht die Familie nach Hamburg, wo Andersch als Werbeleiter in einer Fotopapierfabrik arbeitet, zusammen mit seinem Schwager, der 1938 auf Druck von Göring entlassen wird und daraufhin einen Herzinfarkt erleidet. In dieser Phase der „totalen Introversion“ verfasst Andersch erste literarische Skizzen. 1940 wird er zum Militär einberufen. Andersch drängt seine Frau zur Scheidung, da die Ehe seit einiger Zeit zerrüttet ist und er sich dadurch erhofft, endlich als Schriftsteller etwas veröffentlichen zu können. Damit überlässt er seine Frau und die gemeinsame Tochter ihrem Schicksal, der Deportation. Im Mai 1944 wird Andersch nach Italien an die Front geschickt, am 6. Juni 1944 desertiert er. Auf diesen Erlebnissen basiert die Erzählung Die Kirschen der Freiheit, die 1952 ein gewaltiges Erdbeben im deutschen Nachkriegsfeuilleton verursacht. Während der Kriegsgefangenschaft in den USA arbeitet er an der Lagerzeitung Der Ruf mit, die er später zusammen mit Hans Werner Richter wieder neu gründet. Mit ihm ruft er 1947 auch die Schriftstellervereinigung Gruppe 47 ins Leben. Andersch ist jahrelang Leiter des Abendstudios Frankfurt und setzt sich in seinen Radioessays für junge unbekannte Autoren ein, darunter Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll und Arno Schmidt. 1957 erscheint der Roman Sansibar oder der letzte Grund. Desillusioniert durch die westdeutsche Nachkriegspolitik unter Konrad Adenauer siedelt Andersch 1958 in die Schweiz über. 1960 erscheint der Roman Die Rote. Am 21. Februar 1980 stirbt Alfred Andersch im schweizerischen Berzona.


Kommentar abgeben oder Diskussion beginnen