Thomas Mann
Der Zauberberg
S. Fischer, 2012
Was ist drin?
Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Niemals hätte der Patriziersohn Hans Castorp geglaubt, welch magische Kraft der Zauberberg auf ihn ausüben wird ...
- Bildungsroman
- Moderne
Worum es geht
Tiefgründig und vielschichtig: ein Monstrum von einem Roman
Mit seinem dritten Roman, nach Buddenbrooks und Königliche Hoheit, spaltete Thomas Mann die Meinungen: "Reißerisch!" und "Widerlich!", so einige Kritiker. Heute gilt Der Zauberberg allgemein als ein Meisterwerk an Stilvirtuosität und gekonnten Charakterzeichnungen. Dabei ist das Buch nur schwer einem Genre zuzuordnen: Es kann als Zeitroman, Bildungsroman oder auch als Parodie auf den Bildungsroman verstanden werden, auch als intellektueller oder metaphysischer Roman wurde es tituliert. Einig ist man sich immerhin darüber, dass der Autor mit diesem Werk die Tradition des modernen Romans mit begründet hat; er wird häufig in einem Atemzug mit Joyce’ Ulysses und Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit genannt. Der Held der Geschichte ist der junge Hans Castorp, ein ordnungsliebender und prinzipientreuer Mann, der zu Besuch in ein Schweizer Sanatorium kommt. Aus den drei Wochen, die er für den Aufenthalt geplant hat, werden sieben Jahre. In der morbiden Umgebung lernt er Vertreter aller Stände und verschiedene philosophische Grundhaltungen kennen, verliebt sich unglücklich und ist am Ende nicht mehr der, der er einmal war.
Take-aways
- Der Zauberberg ist eines der Hauptwerke von Thomas Mann: ein Roman über die zum Untergang verurteilte bürgerliche Welt vor dem Ersten Weltkrieg.
- Hans Castorp reist ins schweizerische Davos, um seinen lungenkranken Vetter Joachim zu besuchen.
- Castorp plant, drei Wochen im Sanatorium Berghof zu bleiben.
- Als er kurz vor seiner Abreise ein leichtes Fieber bekommt, wird sein Aufenthalt auf unbestimmte Zeit verlängert.
- Er macht die Bekanntschaft des italienischen Literaten Settembrini und des kommunistischen Jesuiten Naphta, die sich erbitterte Streitgespräche liefern.
- Castorp verliebt sich in die verheiratete Russin Clawdia Chauchat und bleibt ihretwegen noch länger im Sanatorium.
- Am Ende hat er sieben Jahre dort verbracht. In dieser Zeit sterben sein Vetter Joachim und Naphta, die Verbindung zu seiner Heimat Hamburg ist abgebrochen. Clawdia Chauchat ist er zwar näher gekommen, aber sie reist endgültig ab.
- Castorp verlässt die Bergwelt, um im soeben ausgebrochenen Ersten Weltkrieg als Soldat zu dienen. Über sein weiteres Schicksal ist nichts bekannt.
- Der Zauberberg gilt aufgrund seiner Komplexität, Vielschichtigkeit und verschiedenster Leitmotive als einer der ersten modernen Romane des 20. Jahrhunderts.
- Die Handlung ist auf ein Minimum beschränkt, der Akzent des Romans liegt auf den vielen Gesprächen der Figuren und auf Castorps innerer Entwicklung.
- Im Zauberberg wird die Dekadenz der damaligen bürgerlichen Gesellschaft dargestellt.
- Thomas Mann erhielt 1929 den Nobelpreis für Literatur.
Zusammenfassung
Ankunft in Davos
Der 24-jährige Hamburger Hans Castorp reist nach Davos, um dort seinen lungenkranken Vetter Joachim Ziemßen für drei Wochen zu besuchen. Hans ist der verwaiste Sohn einer Patrizierfamilie, aufgewachsen bei seinem Onkel und eben mit dem Ingenieurstudium fertig. Er ist ein Mann von Prinzipien, durchschnittlich intelligent, mit einem leichten Hang zur Selbstüberschätzung. Das Leben im Sanatorium Berghof empfindet er sofort als etwas zu formlos und ungeordnet, und sein Vetter scheint sich verändert zu haben. Darauf angesprochen, zuckt Joachim lediglich lapidar mit den Schultern und meint, dass "hier oben" die Zeit halt anders laufe, dass sich Werte und Begriffe verändern würden.
„Ein einfacher junger Mensch reiste im Hochsommer von Hamburg, seiner Vaterstadt, nach Davos-Platz im Graubündischen. Er fuhr auf Besuch für drei Wochen.“ (S. 11)
Gleich beim ersten Treffen mit dem leitenden Arzt des Sanatoriums, Hofrat Dr. Behrens, stellt dieser fest, dass Hans Castorp "total anämisch" sei, und rät ihm, während seines Aufenthalts die gleiche Kur wie sein Vetter Joachim zu machen. Castorp fühlt sich geehrt und kommt der Aufforderung gerne nach. Er unternimmt mit Joachim tägliche Spaziergänge und lernt so den italienischen Literaten Lodovico Settembrini kennen. Castorp ist von Settembrinis forscher und kluger Art zu sprechen fasziniert. Den eindringlichen Rat des Italieners, Davos sofort wieder zu verlassen, ignoriert er.
Die ersten drei Wochen
Hans Castorp kann sich nur schwer an die Höhenluft in Davos gewöhnen, genießt aber die Zeit mit seinem Vetter, die tägliche Liegekur, die Spaziergänge, an denen öfters auch Settembrini teilnimmt, und die guten Mahlzeiten. Auch einige der anderen Sanatoriumsgäste hat er bereits kennen gelernt, findet aber die meisten recht ungebildet und plump. Gänzlich hingerissen ist er von einer jungen verheirateten Russin namens Clawdia Chauchat. Castorp beobachtet sie immerfort während der Mahlzeiten, die Etikette verbietet es aber, in Kontakt mit der Dame zu treten. Abwechslung im immer gleich verlaufenden Kuralltag bieten die philosophischen Gespräche mit Settembrini. Dieser versucht, pädagogisch auf den jungen Castorp einzuwirken, er korrigiert und berichtigt ihn immer wieder.
„,Die springen hier um mit der menschlichen Zeit, das glaubst du gar nicht. Drei Wochen sind wie ein Tag vor ihnen. Du wirst schon sehen. Du wirst das alles noch lernen‘, sagte er und setzte hinzu: ‚Man ändert hier seine Begriffe.‘“ (Joachim, S. 17)
Wenige Tage vor seiner geplanten Abreise fühlt sich Hans Castorp etwas erkältet. Tatsächlich zeigt das Thermometer eine leicht erhöhte Temperatur: 37,6 Grad. Obwohl er den Befund als Kleinigkeit abwertet, genießt er die Aufmerksamkeit, die sein leichtes Fieber auslöst. Er begleitet seinen Vetter zur Visite bei Dr. Behrens, der von Castorp ein Röntgenbild erstellt, welches "dunkle Flecken" im Brustbereich aufweist. Umgehend verordnet Behrens einige Wochen strikte Bettruhe. Hans fügt sich der Verordnung und schreibt seinem Onkel nach Hamburg, um seinen verlängerten Aufenthalt in Davos bekannt zu geben und sich Geld schicken zu lassen. Auch Joachims Aufenthalt wird verlängert. Im Gegensatz zu Hans würde er aber viel lieber nach Hause zurückkehren, um dort eine Laufbahn als Soldat einzuschlagen.
Der Aufenthalt verlängert sich weiter
Auch nach dreiwöchiger Liegezeit ist Hans Castorp nicht geheilt, sein Aufenthalt im Sanatorium verlängert sich auf unbestimmte Zeit. Die Tage verbringt er wie gewohnt mit Spaziergängen mit seinem Vetter, Liegekuren und langen Gesprächen mit Settembrini, der nicht müde wird, Castorp zur Abreise zu bewegen. Die Faszination für Clawdia Chauchat ist mittlerweile in Verliebtheit umgeschlagen und Hans Castorp unternimmt alles, um ihr wenigstens im Geiste nahe zu sein.
„Aber dann sind Sie eine höchst studierenswerte Erscheinung! Mir ist nämlich ein ganz ge-sunder Mensch noch nicht vorgekommen.“ (Dr. Krokowski, S. 31)
Das Flachland ist inzwischen für Castorp in weite Ferne gerückt, der Kontakt zur Familie ist fast abgebrochen, an eine Rückreise denkt er kaum noch. Zu sehr hat er sich in der Atmosphäre der Bergwelt eingelebt, beschäftigt mit dem täglichen Messen seiner Temperatur (stets schwankend), biologischen Studien und seinen Gedanken an Clawdia Chauchat. Als im Sanatorium Fastnacht gefeiert wird, kommt er ihr in der für einmal ungezwungenen Atmosphäre endlich näher und verbringt eine Liebesnacht mit ihr. Am nächsten Tag reist sie ab, verspricht aber, wiederzukommen. Nach ihrem Weggang geht das Leben im Sanatorium wie gewohnt weiter. Für Joachim wird der Aufenthalt in Davos langsam zur Qual, denn er kann es kaum erwarten, entlassen zu werden und eine Karriere beim Militär zu beginnen. Doch Behrens schreibt ihn nicht gesund, sondern verlängert seinen Aufenthalt mit fadenscheinigen Begründungen immer wieder um Monate.
Zwei neue Bekannte
Bei einem Treffen mit Settembrini, der mittlerweile ins Dorf umgezogen ist, machen Hans und Joachim die Bekanntschaft mit Leo Naphta. Es beginnt eine denkwürdige Freundschaft, denn Naphta liebt philosophische Gespräche ebenso wie Settembrini. Da die beiden aber nie einer Meinung sind, finden bald die anregendsten und schärfsten Wortwechsel statt. Gebannt lauschen Hans und Joachim den Diskussionen des Republikaners und Humanisten Settembrini und des Kommunisten und Jesuiten Naphta. Kaum ein Thema, über das sich die beiden nicht streiten, sei es über Krieg, Religion oder Staatsphilosophie.
„Es war so einer, der zu guter Letzt eine scheußliche Szene machte und absolut nicht sterben wollte. Da hat Behrens ihn angefahren: ‚Stellen Sie sich gefälligst nicht so an!‘, hat er gesagt, und sofort ist der Patient still geworden und ist ganz ruhig gestorben.“ (Joachim, S. 87)
Inzwischen ist Joachim des Aufenthalts in Davos endgültig überdrüssig und reist gegen den Willen von Dr. Behrens ab. Kurz darauf bekommt Hans Castorp Besuch von seinem Onkel James Tienappel, der den Auftrag hat, den Jungen wieder nach Hause zu holen. Mit leichter Bitterkeit denkt sich Castorp, Onkel James werde auch bald merken, dass "hier oben" alles anders laufe und dass er ihn bestimmt nicht einfach so zurück ins Flachland zurückbeordern kann. Tatsächlich wird James Tienappel sehr schnell bewusst, dass sein Neffe in dieser Welt der Berge gewissermaßen verloren gegangen ist. Um sich nicht selbst von der geheimnisvoll anziehenden Umgebung einfangen zu lassen, reist Tienappel auf schnellstem Wege und unverrichteter Dinge wieder ab. So bricht Hans Castorps Verbindung zur Familie und zum Flachland ab und er übergibt sich ganz der Sanatoriumswelt, in der er nun schon seit mehr als einem Jahr lebt.
Erkenntnisse im Schneesturm
Aus seiner Gleichgültigkeit gegenüber dem, was außerhalb seiner Davoser Welt geschieht, wird Hans Castorp nur kurz durch einen außerordentlichen Zwischenfall herausgerissen: Er unternimmt auf eigene Faust einen Skiausflug und kommt mitten in den Bergen in einen schlimmen Schneesturm. Völlig orientierungslos und unfähig, gegen die Schneemassen anzukommen, macht er Rast bei einer Hütte. Um nicht zu erfrieren und um wach zu bleiben, trinkt er einen Schluck mitgebrachten Portwein. Sofort steigt der Alkohol ihm in den Kopf und Castorp verfällt in einen traumartigen Zustand, in dem ihm plötzlich in aller Deutlichkeit die Verhältnisse, in denen er sich seit seiner Ankunft im Sanatorium befindet, klar werden. Er erkennt, dass sowohl Settembrini als auch Naphta Schwätzer sind und ihre Streitereien und Diskussionen nichts weiter als Philisterei. Auch über den Tod macht er sich Gedanken und beschließt bei sich, in seinem Leben nur der Liebe und der Güte Platz einzuräumen. Als Castorp jedoch aufwacht - der Schneesturm ist mittlerweile vorbei -, verblassen die gewonnenen Einsichten sofort wieder. Das Leben im Sanatorium geht weiter.
Joachim kommt zurück
Nur wenige Monate dauerte seine Soldatenlaufbahn, da findet sich Vetter Joachim erneut als Kurgast im Berghof ein. Er und Hans nehmen ihre alten Gewohnheiten wieder auf, doch Joachims Gesundheitszustand verbessert sich nicht, im Gegenteil, es geht bergab mit ihm: Wenige Wochen nach seiner Ankunft stirbt er.
Ein holländischer Kaffeepflanzer
In der Adventszeit - wie viele davon er nun schon in Davos erlebt hat, weiß Hans Castorp nicht mehr - kehrt Clawdia Chauchat zurück. Zu Hans’ Verdruss kommt sie nicht alleine, sondern wird von einem Herrn begleitet, der nicht nur Hans Castorp, sondern auch die anderen Gäste des Sanatoriums in seinen Bann zieht: Mynheer Peeperkorn. Der holländische Kaffeepflanzer ist eine eindrucksvolle Gestalt, die sich wie ein König gebärdet und anstandslos auch so behandelt wird. Vollständige Sätze spricht er nicht und seinen Ausführungen ist nur schwer zu folgen. Er ist ein Freund des Alkohols und trinkt bereits zum Frühstück Wein. Gerne versammelt er eine große Anzahl von Leuten um sich, die er mit seiner Großzügigkeit an sich zu binden weiß.
„Begräbnisse haben so etwas Erbauliches, – ich habe schon manchmal gedacht, man sollte, statt in die Kirche zu gehen, zu einem Begräbnis gehen, wenn man sich ein bisschen erbauen will.“ (Hans Castorp, S. 168)
Hans Castorp, der mittlerweile auf Etikette und Anstand pfeift, spricht "seine" Clawdia frech mit "Du" an. Er gesteht ihr, dass er nur noch im Sanatorium sei, weil er auf sie gewartet habe, und fragt sie forsch nach ihrer Beziehung zu Mynheer Peeperkorn aus. Clawdia reagiert in ihrer gewohnt überlegenen Art auf die Dreistigkeiten von Hans und stellt ihn umgehend ihrem Begleiter vor. Peeperkorn findet sofort Gefallen an dem jungen Mann und behandelt ihn wie einen guten Freund. Castorp, völlig fasziniert von der Person Peeperkorn, sucht den Kontakt seines neuen Freundes, was ihm gleichzeitig die Nähe zu Clawdia sichert. In einem längeren Gespräch gesteht Castorp Peeperkorn, dass auch er etwas für die Russin empfindet. Das überrascht den schlauen und umsichtigen Holländer nicht im Geringsten. Zudem hat auch er Schwierigkeiten mit seinen Gefühlen gegenüber Clawdia, die stets distanziert und zu keiner rechten Leidenschaft fähig ist. Als Peeperkorn immer kränker wird und schließlich seiner Mannespflicht nicht mehr nachkommen kann, nimmt er sich mit Gift das Leben.
Die große Langeweile und ein Geist
Seit Jahren hält sich Hans Castorp nun schon in Davos auf. Nach der endgültigen Abreise von Clawdia Chauchat und dem Tod seines Vetters machen sich Langeweile und auch Unruhe in ihm breit. Das Leben kommt ihm stumpfsinnig und tot vor. Gelegentliche Modeerscheinungen wie Kartenspiele bringen nur für kurze Zeit Zerstreuung. Dr. Behrens, dem die Langeweile seines Patienten nicht entgangen ist, hat inzwischen Bakterien in seinem Blut diagnostiziert, die zwar ungefährlich seien, aber unbedingt auskuriert werden müssten. Castorp unterwirft sich der Impfbehandlung ohne Widerspruch. Ein Grammophon, eingeführt von Behrens, bringt ihn auf andere Gedanken. Er widmet sich ganz der Pflege des edlen Geräts und spielt oft mitten in der Nacht für sich allein Platten ab. Besonders Schuberts Am Brunnen vor dem Tore hat es ihm angetan.
„Ja, Dr. Krokowski beschrieb auf seinem selbstständigen Nachmittagsrundgang keinen Bogen mehr um Hans Castorp. Dieser zählte nun mit, er war nicht länger ein Intervall und Hiatus, er war Patient, er wurde gefragt und nicht links liegen gelassen, wie es zu seinem geheimen und leichten, aber täglich wieder empfundenen Ärger so lange geschehen war.“ (S. 290)
Mit dem Eintritt einer jungen Dänin kommt Unruhe bei den Sanatoriumsgästen auf: Elly besitzt die Gabe, mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten. Die Sanatoriumsgäste veranstalten allerlei okkulte Sitzungen, bei denen sie als Medium fungiert. Als eines Abends eine Person aus dem Jenseits herbeigerufen werden soll, möchte Hans seinen verstorbenen Vetter sehen. Joachim erscheint tatsächlich, ruhig in einem Stuhl sitzend und in Uniform. Die Geistererscheinung erschreckt Hans zutiefst; an spiritistischen Experimenten nimmt er fortan nicht mehr teil.
Schlechte Stimmung und ein Duell
Im Sanatorium geht neuerdings eine Gereiztheit um, die Hans Castorp als bösen Geist bezeichnet. Die Gäste zanken sich wegen Kleinigkeiten, sogar zu einer Schlägerei kommt es. Von der schlechten Stimmung sind auch Settembrini und Naphta betroffen. Nach einem besonders heftigen Wortwechsel fordert Naphta Settembrini zum Duell heraus. Castorp ist schockiert, die Heftigkeit und Unbedingtheit von Naphtas Aufforderung ist ihm unverständlich, denn schließlich handelt es sich um eine rein geistige und abstrakte Auseinandersetzung, keine rechtliche Beleidigung. Settembrini geht darauf ein und das Duell nimmt einen denkwürdigen Ausgang: Settembrini weigert sich, auf einen Menschen zu zielen, und schießt in die Luft, worauf sich Naphta eine Kugel in den Kopf jagt.
Die Abreise
Sieben Jahre ist Hans Castorp nun schon im Sanatorium. Jegliche Beziehung zum Flachland ist ihm abhanden gekommen, ein Zeitempfinden hat er schon lange nicht mehr. Da bricht der Erste Weltkrieg aus. Mit der Ruhe im Dörfchen Davos ist es vorbei. Der Donnerschlag dieses Ereignisses geht auch an Hans nicht spurlos vorbei: Plötzlich erwacht er aus seinem siebenjährigen somnambulen Zustand, fühlt sich klar und befreit. Er reist sofort ab, um in den Krieg zu ziehen. Settembrini verabschiedet ihn und gratuliert ihm zu seinem Entschluss.
„Auch Hans Castorp, wenn er bei Tische gefragt wurde, nannte wohl ein paar Striche mehr, als er in Wahrheit gemessen, und konnte unmöglich umhin, sich geschmeichelt zu fühlen, wenn man ihm mit dem Finger drohte, wie einem, der es faustdick hinter den Ohren hat.“ (S. 311)
Hans Castorp verliert sich im Schlachtengetümmel. Über den weiteren Verlauf seines Lebens wird nichts weiter berichtet. Er wird wohl kaum eine Chance haben, den langen Krieg der nächsten Jahre, das "arge Tanzvergnügen", heil zu überstehen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Geschichte von Hans Castorps Aufenthalt auf dem "Zauberberg" wird in chronologischer Reihenfolge erzählt, nur unterbrochen von kurzen, rückblickenden Einschüben, die von der Kindheit des Helden berichten. Der Roman ist in sieben große Kapitel aufgeteilt, wobei in jedem mehrere aussagekräftige Überschriften ("Natürlich, ein Frauenzimmer!", "Ewigkeitssuppe und plötzliche Klarheit", "Der große Stumpfsinn") die einzelnen Abschnitte markieren. Der Erzählstil ist auktorial, d. h. der Erzähler gehört selbst nicht zur Geschichte, schaltet sich aber zwischendurch als "wir" ("Wir wissen, dass er der Mathematik oblag ...") in die Geschehnisse ein und stellt mit diesem Kunstgriff die Beteiligung des Lesers sicher. Besonders im Vorwort und im letzten Kapitel tritt der Erzähler hervor, um dem Leser seine Absichten zu verdeutlichen und die Geschichte als hermetisch und vergangen zu kennzeichnen. Den ersten sieben Monaten von Hans Castorps Aufenthalt im Sanatorium ist etwas weniger als die Hälfte des Buches gewidmet, der Schlussteil umfasst einem Zeitraffer gleich die restlichen sechseinhalb Jahre. Die eigentliche Handlung ist kurz und spärlich, großen Raum nehmen die Dialoge zwischen Hans und Joachim sowie zwischen Settembrini und Naphta ein, die wie essayistische Einschübe anmuten. Bezeichnend für den Stil von Thomas Mann sind seine ironische Grundhaltung und die äußerst detailgetreuen, bisweilen fast schon intim anmutenden Beschreibungen von Krankheit und Tod.
Interpretationsansätze
- Der Zauberberg ist ein Paradebeispiel für den modernen Roman: Die äußere Handlung ist sehr beschränkt; sie wird überlagert durch essayistische Einschübe, lange Dialoge und die Wiedergabe von Gedankenströmen.
- Die vielen Metaphern, Verweise und Zitate machen das Lesen zu einer anspruchsvollen Herausforderung. Um den Roman jenseits der dünnen Handlung zu verstehen, ist Mitdenken nötig. Besonders auf der intellektuellen Ebene wird der Leser aufgrund von hochphilosophischen Diskussionen stark gefordert.
- In der Schlüsselszene des Romans, in der Hans Castorp fast im Schneesturm umkommt, relativiert er für sich den Tod als maßgebliche Größe und entscheidet sich stattdessen für Liebe und Humanität. Allerdings kann er diese Erkenntnis nicht leben: Er vergisst sie bei seiner Rückkehr ins Sanatorium.
- Settembrini und Naphta, Vertreter zweier gegensätzlicher Lebensauffassungen, streiten sich um die Seele des hin- und hergerissenen Mittelmaßmenschen Hans Castorp. Settembrini vertritt die Position eines humanistisch gebildeten, fortschrittsgläubigen und demokratischen Menschen. Sein mittelalterbegeisterter Kontrahent Naphta vertritt eine teils kommunistische, teils faschistische Grundhaltung. Sein radikales Denken ist u. a. von Schopenhauer und Nietzsche beeinflusst. Castorp kann sich lange für keine der beiden Weltanschauungen entscheiden, er erkennt in der Schneesturmszene, dass beide "Schwätzer" sind.
- Zentrale Themen des Romans sind die für Thomas Manns Schaffen charakteristischen Gegensätze zwischen Bürger und Künstler, Leben und Geist. Die Leitmotive Tod, Schlaf und Dekadenz ziehen sich durch den ganzen Roman. Die morbide Welt des Sanatoriums, wo die Zeit stillzustehen scheint, ist das Gegenteil des bürgerlichen, geordneten und vernunftorientierten Flachlandes.
- Der Roman ist reich an literarischen Anspielungen. Der Zauberberg selbst verweist u. a. auf den Hexenberg in Goethes Faust und den Venusberg in Wagners Tannhäuser.
Historischer Hintergrund
Von der Wilhelminischen Zeit bis zur Weimarer Republik
Die Wilhelminische Epoche umfasst die Regierungszeit des deutschen Kaisers Wilhelms II. von 1888 bis 1918. Im Deutschen Reich herrschte ein Klassensystem vor, das in erster Linie die gesellschaftliche Elite wie Adel, reiche Unternehmerfamilien und Militärs von den technischen Errungenschaften der Zeit profitieren ließ. Die optimistische Einstellung der Bessergestellten teilte die Arbeiterklasse nicht: Viele Familien lebten am Rande des Existenzminimums, politisch hatten sie kaum Rechte. Kaiser Wilhelm II. prägte Deutschland als konservativer, militärorientierter Herrscher, der sein Land als Weltmacht sah. Durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurden die sozialen Probleme aufgrund einer allgemeinen patriotischen Hochstimmung erst einmal verdrängt. Der Kaiser schloss mit den Sozialisten, die sich für die Gleichheit aller Klassen einsetzten, einen Burgfrieden. Wie auch in anderen Ländern herrschte in Deutschland eine Kriegsbegeisterung vor, die mit der Hoffnung verbunden war, ausgerechnet so die immer größer werdenden innen- und außenpolitischen Spannungen zu entschärfen. Diese Erwartungen wurden bald enttäuscht, denn der Krieg löste keine Probleme, sondern schuf neue, zudem wurde er außergewöhnlich hart und brutal geführt. Handelsbeziehungen wurden abgebrochen, die Deutschen litten Hunger. Schließlich wurden überall Massenstreiks veranstaltet, die in die Novemberrevolution von 1918 mündeten und das Ende des Krieges einläuteten. Mit der Abdankung von Wilhelm II. wurde 1918 in Deutschland die Kaiserherrschaft beendet und in die parlamentarisch-demokratische Staatsform der Weimarer Republik übergeführt.
Entstehung
Die Inspiration für sein Werk erhielt Thomas Mann 1912 durch die Besuche, die er seiner Frau Katia in einem Davoser Sanatorium abstattete, wo sie sich mehrere Monate kurieren musste. Ihr Mann war fasziniert von der Umgebung und den Geschichten über die Insassen, die sie ihm zu berichten wusste. Er selbst verbrachte etwa drei Wochen in Davos. Die Arbeit am Zauberberg zog sich lange hin. Anfangs plante Mann, ein humoristisches Gegenstück zu seiner Novelle Tod in Venedig zu schaffen, stellte dann aber fest, dass der Entwurf für den Zauberberg länger und komplexer wurde als gedacht. Zudem stand er unter dem Druck, nach seinem Großerfolg Buddenbrooks etwas Neues und noch Großartigeres zu schaffen. Er schrieb mehrere Jahre an dem neuen Werk, unterbrochen von einigen kleineren Schriften, die er herausbrachte.
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges trug dazu bei, dass der Roman nicht fertig werden wollte: Während der Kriegsjahre ruhte die Arbeit am Zauberberg. Immer wieder wurde Mann von Depressionen und Zweifeln geplagt und wusste nicht so recht, wohin seine Geschichte führen sollte. Seine Absichten, wie der Roman aussehen sollte, waren ebenso vielfältig wie veränderlich. Schließlich entschloss er sich unter den Eindrücken des Krieges, einen pädagogisch-politischen Roman zu schreiben und seinen Helden von einem gutbürgerlichen Leben durch magische Kräfte zu entfremden. Beeinflusst von der Philosophie Arthur Schopenhauers und Friedrich Nietzsches brachte Mann auch das Thema unter, das ihn sein Leben lang beschäftigte: der Gegensatz zwischen Geist und Leben, zwischen Künstler und Bürger. Für den Autor selbst spiegelte sein Roman den Seelen- und Geisteszustand des europäischen Bürgertums seiner Zeit; das Thema Krankheit und Tod war für ihn Ausdruck der Dekadenz, die eine ganze Generation prägte.
Wirkungsgeschichte
Thomas Mann war bereits ein bekannter Schriftsteller, als Der Zauberberg 1924 veröffentlicht wurde, dementsprechend groß war das Interesse am Roman. Seitens der Kritiker musste Mann manchen Verriss hinnehmen: Man störte sich an den detaillierten Beschreibungen von Krankheit und Tod und an der erhöhten Intellektualität, die angeblich die Form des Romans zerstörte. Schriftstellerkollege Bertolt Brecht warf dem Autor gar Regierungstreue vor. Verärgert war auch Dichterkollege Gerhart Hauptmann, der sich als Mynheer Peeperkorn im Roman karikiert sah. Im Gegensatz dazu nahm der Philosoph und Literaturwissenschaftler Georg Lukács keinen Anstoß daran, als Leo Naphta im Roman aufzutauchen.
Bewunderer Manns lobten die Stilvirtuosität und die genauen Charakterzeichnungen. Manche Stimmen bescheinigten dem Werk, keine lange Lebensdauer zu haben - sie täuschten sich. Heute zählt Der Zauberberg nicht nur zu den großen Werken der deutschen, sondern der Weltliteratur.
Der Roman wurde in fast 30 Sprachen übersetzt und - obwohl als unverfilmbar geltend - 1968 mit Michael Degen und Curt Bois für das Fernsehen adaptiert und 1981 von Hans W. Geißendörfer mit Christoph Eichhorn, Marie-France Pisier, Charles Aznavour und Rod Steiger auch ins Kino gebracht. Die Fernsehfassung von Geißendörfers Werk, bei dem Michael Ballhaus die Kamera geführt hat, dauert passenderweise sieben Stunden.
Über den Autor
Thomas Mann wird am 6. Juni 1875 in Lübeck geboren. Er ist der zweite Sohn einer großbürgerlichen Kaufmannsfamilie, sein älterer Bruder Heinrich wird ebenfalls Schriftsteller. Thomas hasst die Schule und verlässt das Gymnasium ohne Abitur. Nach dem Tod des Vaters zieht die Familie 1894 nach München, dort arbeitet Mann kurzfristig als Volontär bei einer Feuerversicherung. Als er mit 21 Jahren volljährig ist und aus dem Erbe des Vaters genug Geld zum Leben erhält, beschließt er, freier Schriftsteller zu werden. Er reist mit Heinrich nach Italien, arbeitet in der Redaktion der Satirezeitschrift Simplicissimus und schreibt an seinem ersten Roman Buddenbrooks, der 1901 erscheint und ihn sofort berühmt macht. Der Literaturnobelpreis, den er 1929 erhält, beruht vor allem auf diesem ersten Buch – Mann, nicht uneitel, erwartet die Auszeichnung allerdings schon 1927. Trotz seiner homoerotischen Neigungen heiratet er 1905 die reiche Jüdin Katia Pringsheim. Sie haben sechs Kinder, darunter Klaus, Erika und Golo Mann, die ebenfalls als Schriftsteller bekannt werden. Weil Thomas den Ersten Weltkrieg zunächst befürwortet, kommt es zwischen ihm und seinem Bruder Heinrich zum Bruch, der mehrere Jahre andauert. 1912 erscheint die Novelle Der Tod in Venedig, 1924 der Roman Der Zauberberg. In den 1930er Jahren gerät er ins Visier der Nationalsozialisten, gegen die er sich in öffentlichen Reden ausspricht; seine Schriften werden verboten. Nach der Machtergreifung Hitlers kehrt er von einer Vortragsreise nicht mehr nach Deutschland zurück. Zunächst leben die Manns in der Schweiz, 1938 emigrieren sie in die USA, 1944 nimmt Mann die amerikanische Staatsbürgerschaft an. 1947 erscheint Doktor Faustus, eine literarische Auseinandersetzung mit der Naziherrschaft. Nach dem Krieg besucht Thomas Mann Deutschland nur noch sporadisch; die von ihm vertretene Kollektivschuldthese verschafft ihm nicht nur Anhänger. Als die Manns 1952 nach Europa zurückkehren, gehen sie wieder in die Schweiz. Thomas Mann stirbt am 12. August 1955 in Zürich.
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