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Dialektik der Aufklärung

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Dialektik der Aufklärung

Philosophische Fragmente

S. Fischer,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Ein Hauptwerk der „Kritischen Theorie“ und der Philosophie des 20. Jahrhunderts: Kulturpessimismus in Reinform.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Philosophie im Angesicht der Katastrophe

Max Horkheimer und Theodor W. Adorno verband eine lebenslange Freundschaft und Schaffensgemeinschaft: Die Schließung ihres Instituts für Sozialforschung in Frankfurt/Main durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 ließ sie nur noch enger zusammenrücken: In New York gründete Horkheimer das Institut neu und im Exil in Santa Monica entwickelten sie ihre gemeinsame Schrift Dialektik der Aufklärung, die seither zu den Klassikern der Soziologie und der Philosophie des 20. Jahrhunderts gehört. Angewidert und schockiert von Faschismus, Stalinismus und Holocaust, aber auch sehr kritisch gegenüber ihrem Fluchthafen, den USA, formulierten Horkheimer/Adorno ihre berühmten Thesen vom Umschlag der Vernunft in Barbarei und der Aufklärung in Mythologie. Jürgen Habermas, einer der philosophischen Nachfolger der von Horkheimer/Adorno begründeten Kritischen Theorie, bezeichnete das Werk als "schwärzestes Buch" der beiden Autoren. Der Geschichts- und Kulturpessimismus blitzt dem Leser tatsächlich auf jeder Seite entgegen. Trotzdem wurde das Buch zur "Bibel" der Studentenproteste 1968. Adorno und Horkheimer schreiben nicht für die Massen, deren Lenkung und Manipulation sie kritisieren: Die Dialektik der Aufklärung ist schwere Kost und erschließt sich kaum ohne entsprechendes Hintergrundwissen und sehr konzentrierte Lektüre.

Take-aways

  • Adornos und Horkheimers zentrale Schrift entstand 1942–1944 im amerikanischen Exil und entwickelte sich zum Kultbuch der Studentenproteste von 1968.
  • Das Werk bringt einen tiefen Kulturpessimismus zum Ausdruck, der vor dem Hintergrund der Zeitgeschichte (Nationalsozialismus, Kommunismus, Kapitalismus) zu sehen ist.
  • Die Autoren zeigen, dass Vernunft in Unvernunft, Fortschritt in Rückschritt umschlagen kann. Sie stellen sich damit gegen den blinden Glauben an Fortschritt und Aufklärung.
  • Die Aufklärung hatte ursprünglich das Ziel, die Welt aus dem Bann des Aberglaubens und der Mythologie zu befreien.
  • Das Ergebnis ist jedoch, dass die Aufklärung selbst in Mythologie umgeschlagen ist.
  • Mit der fortschreitenden Entwicklung der Rationalität entfremdete sich der Mensch von der Natur: Sie ist für den Menschen nur noch Objekt der Beherrschung und Manipulation.
  • Diese „Dialektik der Aufklärung“ wird sehr schön durch die Sirenen-Episode in Homers Odyssee veranschaulicht: Odysseus lässt sich an den Mast fesseln, um den Gesängen der Verführerinnen zu lauschen.
  • Es gibt keinen wirklichen Fortschritt: Statt das Individuum zur Freiheit zu führen, hat die Aufklärung nur neue Formen der Sklaverei und eine total verwaltete Welt geschaffen.
  • An die Stelle der Religion ist eine bürgerliche Moral getreten, die den Menschen jedoch keine soziale Sicherheit geben kann.
  • Die moderne Massenkultur (vor allem in den USA) ist ein Produkt industrieller Fertigung und dient als Instrument der sozialen Kontrolle.
  • Der Antisemitismus ist ein wesentliches Kennzeichen der modernen Barbarei, in der die Menschen trotz – oder gerade wegen – der Aufklärung versinken.
  • Die Dialektik der Aufklärung ist ein Werk, das die damalige Gegenwart messerscharf analysiert, ohne jedoch eine Lösung oder einen Ausweg aus der Misere anzubieten.

Zusammenfassung

Aufklärung und Mythologie

Die Aufklärung - und zwar nicht nur die Epoche gleichen Namens im 18. Jahrhundert, sondern alle solchen Bestrebungen in der Menschheitsgeschichte - hat das Ziel, die Welt zu entzaubern, sie von allem falschen Aberglauben zu säubern. Die Vernunft soll herrschen! Insbesondere die Mythologie, die die Menschen Jahrhunderte in ihrem Bann gehalten hat, wird von der Aufklärung hinweggefegt. Um der Rationalität und der Wissenschaft willen verzichten die Menschen sogar auf Sinn: Formeln und Regeln treten an die Stelle der alten mythologischen Erzählungen und Erklärungen. Schon der antike Philosoph Platon setzte in seinen späten Schriften Zahlen mit Ideen gleich: Dies ist die ultimative Vorlage für alle, die jeden Mythos mit Stumpf und Stiel ausrotten wollen. Die Mathematisierung und Formalisierung des Lebens ist ein Kennzeichen der Aufklärung. Allerdings wird dabei eines nicht bedacht: Der Mythos an sich beinhaltet bereits den Keim der Aufklärung. Denn Mythen sind dazu da, das Unerklärliche zu deuten.

„Was wir uns vorgesetzt hatten, war tatsächlich nicht weniger als die Erkenntnis, warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt.“ (S. 1)

"Macht euch die Erde untertan!" So lautet der biblische Imperativ, der im Christentum die Herrschaft des Menschen über die Natur begründet. In diesem Satz deutet sich bereits an, was die Aufklärung später fortführt: Denn im gleichen Maße, in dem sie sich ausbreitet, wird die Natur dem Menschen zum bloßen Objekt seiner Zweckrationalität. Er beherrscht sie wie ein Diktator, er manipuliert sie, aber er versteht sie nicht mehr. Natur und Mensch sind sich mit fortschreitender Aufklärung fremd geworden.

Der paradoxe Fortschritt

In frühen Phasen der menschlichen Entwicklung wurde alles Unbekannte, Unheimliche und Fremde als "Mana" bezeichnet. Die Menschen fürchteten sich vor allem, das ihren persönlichen Lebensbereich überschritt. Sie begannen, Unbelebtes zu beleben, indem sie z. B. in Bäumen oder anderen Teilen der Natur Geister und Dämonen vermuteten. Im Laufe der Zeit wurde so das Unheimliche ritualisiert: Es wurde zum Symbol, dem als Totem oder Fetisch übernatürliche Kräfte zugewiesen wurden. Aus den Symbolen wurden Bilder und aus diesen entwickelte sich schließlich der Mythos als Erzählung in epischer Sprache.

„Das Programm der Aufklärung war die Entzauberung der Welt.“ (S. 9)

Mit der Ausbildung von Klassen innerhalb der (Stammes-)Gesellschaft veränderte sich die Herrschaftsstruktur: Diejenigen Stammesmitglieder, die an den heiligen Orten verkehrten und Kontakt mit den Göttern und Dämonen hatten, die Zauberer und Schamanen, erhielten Anteil an der Heiligkeit. Sie wurden selbst heilig. Sie wurden mächtig. An den Hohepriestern des Mana schied sich die Welt in die Sphäre der Macht und des Profanen. Der Stamm teilte sich in Herrschende und Beherrschte auf. Während der Schamane das Orakel befragte, mussten die anderen Mitglieder arbeiten. Diese Form der Arbeitsteilung setzte sich sukzessive bis ins heutige Zeitalter der modernen Wissenschaften fort. Nicht etwa Solidarität, sondern Herrschaft ist der Kitt, der das gesellschaftliche Ganze zusammenhält. Inzwischen haben zwar Wissenschaft und Industrialisierung den Mythos verdrängt, aber die Prinzipien von Herrschaft und dem Zustand des "Herrschaft-Ertragens" sind gleich geblieben. Auch wenn der Fortschritt das Ende des Sklaventums propagierte, so hat er doch stets zu neuen Formen der Sklaverei geführt. Der Fortschritt ist letztlich ein verkleideter Rückschritt.

„Aber die Mythen, die der Aufklärung zum Opfer fallen, waren selbst schon deren eigenes Produkt.“ (S. 14)

Die ökonomische Arbeitsteilung und allen voran die Industriearbeit haben den Körper des Arbeiters längst zurechtgebogen: Keine Empfindungen, kein Realitätsbezug ist mehr vorhanden, nur noch das bloße Funktionieren. Die Arbeiter sind in ein Kollektiv eingespannt, so wie die Ruderer in einem Boot, die wohl zum Takt der Trommel rudern, aber nicht miteinander sprechen dürfen. Isolation und Anonymisierung bestimmen die moderne Gesellschaft. Aufklärung und Denken haben sich in ökonomische Mathematik, Organisationen und Maschinen verwandelt und zwingen die Menschen unter ihre Knute. Der Einzelne zählt nichts mehr, die Masse dagegen alles. Aufklärung wird auf diese Weise zum Herrschaftsinstrument.

Die Dialektik der Aufklärung in der Odyssee

Aufklärung ist totalitär: Sie macht das Individuum nur insoweit frei, wie es sich selbst unter Kontrolle bringen kann. Im Grunde genommen macht Aufklärung also unfrei. Sie versucht, den Mythos zu verdrängen, und ist doch selbst von ihm durchdrungen. Keine andere Dichtung spiegelt diese Dialektik der Aufklärung, die Verschränkung von Aufklärung und Mythos, besser wider als Homers Odyssee. Das Heldenepos ist ein grundlegendes Werk der europäischen Zivilisation. Hier reist ein aufgeklärtes Individuum, der listenreiche Odysseus, durch eine Welt, die noch vollkommen mythologisch ist. Odysseus, der den Groll des Meergottes Poseidon herausgefordert hat, streift innerlich den Glauben an die mythologische Götterwelt ab. Die Heimkehr an die vertrauten Gestade von Ithaka, zu seiner Frau Penelope, zu seinem Königreich, ist sein einziges Ziel.

„Die Aufklärung verhält sich zu den Dingen wie der Diktator zu den Menschen.“ (S. 15)

Die Abenteuer, die Odysseus erlebt, sind freilich mythischer Natur. Doch mit jeder dieser Prüfungen wächst seine Individualität, sein Selbst baut sich mit jedem Test seiner Geschicklichkeit, mit jeder Konfrontation mit der archaischen Übermacht, die sich ihm in den Gewalten der Natur entgegenstellt, weiter auf. Die Irrfahrt des Odysseus kann als das Ringen des aufgeklärten Individuums mit den Mächten des Mythos gelesen werden. Das Meeresungeheuer Szylla und der Strudel Charybdis, die Zauberin Circe und der Kyklop Polyphem sind allesamt in den Kreislauf der Wiederholung eingebunden: Sie müssen tagein, tagaus das Gleiche tun. Sie sind somit Personifikationen des mythischen Ritus. Ihnen gegenüber erscheint Odysseus modern und aufgeklärt: Er lässt sich nicht auf das uralte Ritual von Fressen und Gefressenwerden ein. Er handelt selbstständig und tritt den archaischen Mächten entgegen.

„Wie die Mythen schon Aufklärung vollziehen, so verstrickt Aufklärung mit jedem ihrer Schritte tiefer sich in Mythologie.“ (S. 18)

Die List des aufgeklärten Individuums zeigt sich am deutlichsten in der Episode mit den Sirenen. Odysseus weiß, dass er von den Stimmen der Sirenen ins Verderben geführt werden kann. Die Nymphen mit Vogelleibern und Frauenköpfen singen so süß und verführerisch, dass sie jeden Seemann anlocken, bis sein Schiff an den Klippen ihrer Insel zerschellt. Odysseus reagiert jedoch nicht so, wie man es vielleicht annehmen könnte: Er schlägt keinen anderen Kurs ein. Stattdessen verschließt er seinen Gefährten mit Wachs die Ohren, damit sie vor den Verlockungen der Nymphen gefeit sind und ihre Arbeit an Deck erledigen können. Der Kapitän selber jedoch macht etwas Außergewöhnliches: Er lässt sich an den Mast des Schiffes fesseln. So kann er dem Lied der Nymphen lauschen, gerät aber nicht in die Gefahr, ihrem Gesang zu erliegen. Damit betrügt er die mythischen Wesen, die sich, entsetzt über diese List, ins Meer stürzen müssen. Die Episode zeigt, dass Odysseus dem Lockruf des Mythos nicht widerstehen kann: Er gibt sich dem Genuss der archaischen Gesänge hin, aber nur um den Preis der Selbstfesselung. Aufklärung ist die Beherrschung der Technik (des Fesselns) und der List. Gleichzeitig bedeutet sie Entsagung und Verzicht. Das aufgeklärte Individuum unterwirft die archaische Natur, muss sich aber gleichzeitig ihr unterwerfen, weil es nicht anders kann. Das ist die Dialektik der Aufklärung. Die Sirenen-Episode zeigt auch das Herrschaftsverhältnis zwischen Odysseus und seiner Mannschaft: Denn den Seeleuten gesteht Odysseus den "Kunstgenuss" nicht zu: Ihnen bleiben die Ohren versperrt.

„Odysseus erkennt die archaische Übermacht des Liedes an, indem er, technisch aufgeklärt, sich fesseln lässt.“ (S. 66)

Odysseus zeigt in dieser Episode nicht nur seine Listigkeit, sondern auch seine Bereitschaft, ein Opfer zu bringen: Er bringt sich selbst um die Möglichkeit, seiner Natur zu folgen. So paradox es klingt: Die Urform der List ist das Opfer. Das Opfer ist wie eine "Versicherung", die der Mensch abschließt, um sich vor Unheil zu schützen. Das Opfer betrügt den Gott, weil es ihn zwingt, etwas zu tun, das sich der Mensch erhofft. So wird auch Poseidon in der Odyssee betrogen: Während er die Opfer der Äthiopier genießt, sorgen die olympischen Gönner des Odysseus für dessen gefahrlose Weiterfahrt.

Marquis de Sade und Nietzsche

Immanuel Kant definierte die Aufklärung als "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit". Doch dieses Programm hat schließlich zu einer pervertierten (verfälschten, ins Negative umgeschlagenen) bürgerlichen Moral geführt. An die Stelle der Religion versuchte die Aufklärung eine vernunftgemäße Moral zu setzen, die es den Menschen ermöglichen sollte, in der Gesellschaft zu leben und miteinander auszukommen. Die Vernunft, auf die sich die Aufklärung stützte, kennt aber keine inhaltlichen Ziele. Sie ist rein formal und kann von jedem angewandt werden: vom Menschenfreund genauso wie vom autoritären Unterdrücker.

„Das Werk des Marquis de Sade zeigt den ‚Verstand ohne Leitung eines anderen', das heißt, das von Bevormundung befreite bürgerliche Subjekt.“ (S. 95)

Vernunft entartet also, wenn man sie absolut setzt. Sie wird zum reinen Formalismus, wie es beispielsweise die Erzählungen des Marquis de Sade zeigen. Die verbrechensbejahenden und sexuell ausschweifenden Geschichten um die tugendhafte Justine und die lasterhafte Juliette verbindet de Sade mit philosophischen Exkursen zum "Glück des Lasters", das er als natürlich und typisch menschlich bezeichnet. Seine Protagonisten sind keine dummen Irren, sondern intelligente Charaktere, die sich im vollen Bewusstsein der Ausschweifung hingeben. Sie sind aufgeklärt und rational und trotzdem (bzw. gerade deswegen) so lasterhaft, wie sie sind. Juliette vergöttert die Wissenschaft. Sie ist dem Positivismus hörig und lehnt jede Religion ab, insbesondere das Christentum mit seiner Tendenz zum Mitleid. Sie argumentiert wie später Nietzsche, der das Schwache, Bemitleidenswerte als Hemmnis betrachtet, wo es doch Starkes gibt: Herrenmenschen. De Sade und Nietzsche treiben den Rationalismus der Aufklärung bis ins Extreme voran, wobei sie die bürgerlichen Moralvorstellungen total zerstören. Sie zeigen die Schattenseiten von Vernunft und Aufklärung.

Kulturindustrie als soziale Kontrolle

Die moderne Kultur, egal ob es sich um Architektur, Kinofilme oder Theater handelt, tendiert zum "Immergleichen", zu einer immer wiederkehrenden Selbstähnlichkeit und Konformität (Übereinstimmung). Dabei hat es die Kulturindustrie - ihr schlagendstes Beispiel ist Hollywood - inzwischen auch nicht mehr nötig, sich als Kunst auszugeben. Was zählt, sind technologische Maßstäbe: Was an Millionen Konsumenten verkauft wird, ist auf eben diese Konsumenten und ihre Wünsche zurückzuführen. Sie definieren die Standards. Doch in Wahrheit besiegelt der Konsument damit auch sein eigenes Schicksal, weil alle Güter, die er nachfragt und die die moderne Industrie hervorbringt, seien es Fahrzeuge oder Filme, letztlich Instrumente der Herrschaft darstellen, um das Volk zu steuern. Das Telefon wird folgerichtig vom Radio abgelöst, die Möglichkeit der Interaktion und Gegenrede wird abgeschnitten. Moderatoren im Radio "gehören" dem Sender. Und diese wiederum sind von Banken oder anderen Industrien abhängig.

„Das Instrument, mit dem das Bürgertum zur Macht gekommen war, Entfesselung der Kräfte, allgemeine Freiheit, Selbstbestimmung, kurz, die Aufklärung, wandte sich gegen das Bürgertum, sobald es als System der Herrschaft zur Unterdrückung gezwungen war.“ (S. 100)

Auch die Einteilung von Magazinen oder Filmen in verschiedene Kategorien (z. B. A- oder B-Filme) dient vor allem der Klassifizierung der Zuhörer und -seher, die sich je nach ihren spezifischen Neigungen und Interessen bedienen können. Kurze Intervalle beim Schlager, süßliche Klischees bei der Seifenoper: der Schematismus des Immergleichen spielt hierbei eine große Rolle. Ob man nun dieses oder jenes Auto fährt, ob man einen Film von Metro Goldwyn Mayer oder Warner Brothers schaut: die Unterschiede sind marginal. Alles wird kalkuliert und wird kalkulierbar. Wie der Schlager weitergeht, ist schon nach wenigen Takten klar. Wer im Film der Held, wer der Bösewicht ist, auch. Musik wird fortwährend vereinfacht: Sollte ein Jazzmusiker Mozart oder Beethoven spielen, wird er daraus etwas Triviales machen. Das kapitalistische Produktionsmotto lautet: "Lieber Künstler, du darfst alles machen, was du willst. Sollte es aber nicht marktgängig sein, scher dich zum Teufel!" Details stören bloß, denn Kulturindustrie ist totalitär: Sie duldet nur den Massengeschmack und eignet sich vorzüglich dazu, den Zuschauern eine vorgegebene Meinung aufzuzwingen. Kultur wird so zum Werkzeug sozialer Kontrolle.

Elemente des Antisemitismus

Wie ist der Antisemitismus zu erklären? Für die Nazis sind die Juden eine Projektionsfläche des Bösen, auch wenn diese Projektion paradox ist: Das absolut Böse sieht in den Juden das absolut Böse. Neid und Missgunst beziehen sich vor allem auf die jüdischen Kaufleute und Produzenten. Der ganze Hass, der eigentlich gegen den kapitalistischen Fabrikanten zielt, wird in Richtung des jüdischen Fabrikanten umgeleitet. Die Juden haben dazu beigetragen, den Kapitalismus in Europa zu etablieren, und sie werden für dessen Schattenseiten bestraft. Aber es braucht meist noch nicht einmal einen triftigen Grund, um die Juden abzulehnen: Die Idiosynkrasie (ein Ausdruck aus der Medizin: Überempfindlichkeit), das "Nicht-leiden-Mögen" reicht dafür völlig aus. Der Jude wird systematisch hässlich und hassenswert gemacht. Insofern ist der Antisemitismus die Folge einer paranoiden Projektion, aus der auch noch die letzte Spur von Rationalität verschwunden ist.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Dialektik der Aufklärung besteht aus fünf Teilen. Der erste Teil entwickelt die These von der Aufklärung, die in Mythologie zurückschlägt, indem die Autoren die Entwicklung der Aufklärung nachzeichnen. Zwei umfangreiche Exkurse verdeutlichen diese These anhand von Homers Odyssee und Texten von Marquis de Sade und Friedrich Nietzsche. Die beiden folgenden Kapitel wollen auf den ersten Blick nicht recht zum Vorausgehenden passen: Hier beschäftigen sich die Autoren mit der modernen Massenkultur und mit dem Antisemitismus. Den Abschluss bilden einige philosophische Fragmente und Notizen. Horkheimer und Adorno machen es dem Leser nicht gerade leicht. Sie pendeln im Text beständig zwischen konkret fassbaren Aussagen und phantasievollen Wortschöpfungen und Variationen und pflegen insgesamt einen sehr ausgefeilten Sprachstil, sodass die Dialektik der Aufklärung wahrlich nicht als leicht zu lesender Text bezeichnet werden kann. Das haben die Autoren aber auch nicht beabsichtigt und deswegen eine sehr offene Form gewählt. Der Schwierigkeitsgrad des Buches ist beträchtlich, ebenso wie das vorausgesetzte Vorwissen (z. B. hinsichtlich der Philosophie von Kant und Nietzsche).

Interpretationsansätze

  • Die Grundfrage des Buches ist, "warum die Menschlichkeit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Art von Barbarei versinkt" - und dies trotz einer jahrhundertelangen Tradition von Aufklärung und Fortschrittsglaube in Europa.
  • Horkheimer/Adorno kritisieren, dass die Vernunft, das große Ideal der Aufklärung, in der modernen Gesellschaft alle moralischen oder ästhetischen Elemente verliert und zur reinen Zweckrationalität verkommt.
  • Vieles von Adornos und Horkheimers Kritik kann nur vor dem Hintergrund des von den Autoren erlebten Nationalsozialismus und des Exils verstanden werden.
  • Der Untertitel "Philosophische Fragmente" deutet darauf hin, dass die beiden Autoren die Themen des Buches weiter verfolgen wollten. Die Dialektik der Aufklärung ist kein in sich geschlossenes, systematisches Werk, sondern sie ist bruchstückhaft und bietet viele Anknüpfungspunkte für spätere Werke Horkheimers und besonders Adornos.
  • Der Abschnitt "Kulturindustrie" kann als Antwort und Fortsetzung des epochalen Essays Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936) von Walter Benjamin verstanden werden.
  • Horkheimer/Adorno als Vertreter der Kritischen Theorie zeigen sich als Gegner des Positivismus, einer Denkrichtung, die sich in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts auf ganzer Linie durchzusetzen schien und die sich - ohne kritischen Impetus - mit dem Tatsächlichen oder Realen zufrieden gibt oder sich gar widerstandslos in den Dienst der Wirtschaft stellt.
  • Die Autoren analysieren in der Dialektik der Aufklärung sehr scharf die damalige Gegenwart und sie diagnostizieren eine allgemeine verhängnisvolle Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, ohne einen Ausweg zu zeigen. Eine bessere Gesellschaft wird allenfalls als Utopie angedeutet.

Historischer Hintergrund

Die Frankfurter Schule und die Kritische Theorie

Das Leben und Wirken von Horkheimer und Adorno ist eng mit der Kritischen Theorie, dem Institut für Sozialforschung und der so genannten Frankfurter Schule verwoben. Der Begriff der Kritischen Theorie geht auf Horkheimers Schrift Traditionelle und kritische Theorie (1937) zurück, die, wie auch die Dialektik der Aufklärung, die Wissenschaft und ihre Ideale und Vorgehensweisen kritisiert. Die kulturphilosophischen Wurzeln der Kritischen Theorie liegen u. a. bei Walter Benjamin, der in seinem Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936) die Möglichkeiten von Kunst unter den Bedingungen der modernen Massenfabrikation untersucht hatte. Hierauf aufbauend entwickelten Adorno und Horkheimer ihre These des Massenbetrugs durch die Kulturindustrie. In der Kritischen Theorie spielen Vernunft, Triebverzicht und gesellschaftliche Herrschaft eine wichtige Rolle; das theoretische Fundament der Kritischen Theorie liegt somit in den Erkenntnissen der Freud'schen Psychoanalyse und des Marxismus.

Der Ort, an dem sich die Kritische Theorie entwickelte, war das Frankfurter Institut für Sozialforschung. Es wurde 1923 als private Stiftung gegründet. Der Kreis der Philosophen und Sozialwissenschaftler, die hier wirkten, wird als "Frankfurter Schule" bezeichnet. 1933 wurde das Institut von den Nationalsozialisten wegen "staatsfeindlicher Tendenzen" geschlossen, jedoch von Horkheimer im amerikanischen Exil in New York 1934 neu errichtet. Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs übersiedelte Horkheimer das Institut wieder nach Frankfurt. Die Veröffentlichungen der Frankfurter Schule zur Autorität und Familie beeinflussten u. a. die Reformpädagogik und die "antiautoritäre Erziehung".

Entstehung

Der Entstehungsprozess des Buches ist mit einem thematischen Richtungswechsel beim Institut für Sozialforschung verbunden, der sich spätestens seit dem erzwungenen Exil in den USA andeutete. Von einer neomarxistischen Kritik am kapitalistischen System weitete sich der Blick auf eine generelle Kritik an der westlichen Gesellschaft, insbesondere am Herrschaftsbegriff. Das Manuskript des Buches entstand zwischen 1942 und 1944. Adorno und Horkheimer trafen sich regelmäßig in Santa Monica, um die zentralen Punkte zu diskutieren. Diese Gespräche wurden von Adornos Frau Gretel mitprotokolliert. Anschließend wurde das Transkript mehrfach überarbeitet und von einem der Autoren als endgültige Fassung niedergeschrieben. Der jeweils andere redigierte den Text schließlich, sodass das Buch tatsächlich als Gemeinschaftsarbeit zu verstehen ist. Zunächst wurde die Dialektik der Aufklärung anlässlich des 50. Geburtstages des Soziologen Friedrich Pollock, dem sie gewidmet ist, in kleiner, selbst produzierter Auflage 1944 herausgebracht. Drei Jahre später erschien das Buch dann mit etlichen Ergänzungen im Amsterdamer Exilverlag Querido.

Wirkungsgeschichte

Nach der Erstveröffentlichung wurde dem Werk zunächst kaum Beachtung geschenkt. Das änderte sich jedoch mit den Studentenprotesten von 1968. Sie fanden in dem Buch eine intellektuelle Auseinandersetzung mit ihrer Kritik und eine Bestätigung für ihr Unbehagen an der Gesellschaft. Das Büchlein avancierte zum Kult, zur "Bibel" der Protestbewegung. Dabei war es offiziell gar nicht mehr auf dem Markt, sodass die wenigen Exemplare ausschließlich als Raubdrucke kursierten. Erst 1969 erschien eine Neuauflage. Wäre es nach Adorno gegangen, hätte es diese schon früher gegeben, jedoch zeigte sich Horkheimer von der einstigen Koproduktion nicht mehr so überzeugt wie 25 Jahre zuvor. Obwohl Adornos Text den Studenten aus der Seele sprach, machte der Philosoph keinen Hehl daraus, dass er mit den Protesten und der politischen Praxis nicht völlig einverstanden war.

Jenseits der Straßen von Frankfurt wirkte die Dialektik der Aufklärung außerordentlich inspirierend, vor allem auf die zweite Generation der Vertreter der Kritischen Theorie. In den 80er Jahren setzte sich der Soziologe und Philosoph Jürgen Habermas mit der Dialektik der Aufklärung kritisch auseinander. In seinem Essay Die Einseitigkeit des Geschichtspessimismus beklagt er, dass die beiden Autoren nur beschreiben, aber keine Lösung dafür liefern, wie der Zweckrationalismus der Aufklärung überwunden werden kann. Er bezeichnet das Werk als Horkheimers und Adornos "schwärzestes Buch".

Über die Autoren

Max Horkheimer wird 1895 in Zuffenhausen bei Stuttgart geboren. Seine jüdischen Eltern sind wohlhabend und ermöglichen dem Sohn das Studium der Nationalökonomie, Psychologie und Philosophie. Horkheimer promoviert 1922 mit einer Arbeit über Immanuel Kant. 1930 wird er Vorstand des im Jahre 1923 gegründeten Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main. Hier gibt Horkheimer u. a. die Zeitschrift für Sozialforschung heraus, in der er die Ergebnisse der so genannten Kritischen Theorie veröffentlicht. Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten in Deutschland flieht er ins amerikanische Exil, wo er das Institut für Sozialforschung 1934 neu aufbaut. Nach Kriegsende kehrt Horkheimer nach Frankfurt zurück und gründet dort das Institut für Sozialforschung in Deutschland neu. Bis 1960 lehrt er in Frankfurt und in Chicago. Horkheimer stirbt 1973 in Nürnberg. Theodor Wiesengrund Adorno wird 1903 in Frankfurt am Main geboren. Bereits im Gymnasium beginnt er sich für die Philosophie Immanuel Kants zu interessieren. Entsprechend studiert er von 1921 bis 1924 Philosophie, Psychologie und Musikwissenschaft in Frankfurt. Hier trifft er auch auf Walter Benjamin und Max Horkheimer. Neben seinem Interesse für die Philosophie ist er ein begeisterter Musiker, Komponist und Musikkritiker. 1924 promoviert Adorno mit einer Arbeit über Edmund Husserl. 1931 reicht er seine Habilitation über Kierkegaard ein. Im gleichen Jahr beginnt die Zusammenarbeit mit Horkheimer, der Adorno an das Institut für Sozialforschung holt. Ab 1933 geht er zunächst nach England, um ab 1938 am neu aufgebauten Institut für Sozialforschung in New York zu arbeiten. Nach seinem Umzug nach Kalifornien verfasst er zusammen mit Horkheimer die Dialektik der Aufklärung. 1949 kehrt er nach Frankfurt zurück, wo er 1956 ordentlicher Professor für Philosophie und Soziologie am Institut für Sozialforschung wird. Adorno stirbt 1969 in Visp in der Schweiz.

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