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Die Anatomie der Melancholie

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Die Anatomie der Melancholie

Ihr Wesen und Wirken, ihre Herkunft und Heilung philosophisch, medizinisch, historisch offengelegt und seziert

Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein fesselnder Mix aus literarischer Seelenschau und wissenschaftlicher Abhandlung.


Literatur­klassiker

  • Psychologie
  • Elisabethanische Ära

Worum es geht

Aus dem Leben eines Melancholikers

Psychische Erkrankungen wie Burn-out oder Depression sind seit Jahren immer wieder ein Thema in den Medien. Dass die Schwermut und der Kampf dagegen keineswegs neu sind, zeigt uns Robert Burton mit seiner Anatomie der Melancholie aus dem Jahr 1621. Mit feinem Blick für das menschliche Seelenleben seziert er die chronische Melancholie, die zu seiner Zeit offenbar vor allem Adlige und Gelehrte befiel. Dabei bleibt er nicht einfach objektiver Beobachter – als Betroffener zeigt er Empathie und Verständnis für andere Erkrankte und gibt Einblicke in sein eigenes Erleben. Burtons Fazit: Wir sollten uns und anderen das Leben nicht so schwermachen. Hinsichtlich der Bekämpfung der Melancholie rät er dazu, Müßiggang und Einsamkeit zu vermeiden. Die besten Mittel gegen Schwermut sind für ihn Lernen, eine sinnvolle Aufgabe, Bewegung an der frischen Luft, leichtes Essen und die Gesellschaft von Freunden. Burton lässt den Leser also nicht nur an depressiven Gefühlen teilhaben, sondern spricht etwa auch von den Freunden des Lernens oder des Verliebtseins – fesselnde Schilderungen, die über die Jahrhunderte nichts von ihrer sprachlichen Kraft eingebüßt haben.

Take-aways

  • Robert Burtons Anatomie der Melancholie ist die Mutter aller Bücher über Depression.
  • Inhalt: Melancholie kann jeden Menschen treffen. Häufig erkranken Adlige und Gelehrte. Das Leiden kann übernatürliche oder natürliche Ursachen haben. Wird es chronisch, wirkt es sich fatal auf Körper und Geist des Betroffenen aus. Doch es gibt Mittel zur Linderung und Prävention: Studieren hilft, ebenso Musik sowie die Vermeidung von Müßiggang und Einsamkeit.
  • Burton, ein Geistlicher aus Oxford, litt selbst unter Schwermut und soll sich Gerüchten zufolge das Leben genommen haben.
  • Das Thema Schwermut hat schon in der Antike viele Denker beschäftigt.
  • Ihre Erkenntnisse trug Burton zusammen, um Betroffenen alle verfügbaren Informationen zugänglich zu machen.
  • Das Werk wurde 1621 unter dem Pseudonym Democritus junior veröffentlicht.
  • Bis zu Burtons Tod erschienen fünf weitere Auflagen des unterhaltsamen Buches.
  • Weltruhm hat das Werk vor allem wegen seiner literarischen Qualität erlangt.
  • Besondere Merkmale der Abhandlung sind der abwechslungsreiche Stil und Burtons tiefes Mitgefühl für die Betroffenen.
  • Zitat: „(…) und wenn es eine Hölle auf Erden gibt, so ist sie im Herzen des Melancholikers zu finden.“

Zusammenfassung

Zur Wahl des Pseudonyms

Der griechische Philosoph Demokrit war ein Einzelgänger, der sich am liebsten in Naturstudien versenkte. Hin und wieder suchte er Gesellschaft – und musste dann über das seltsame Verhalten seiner Mitmenschen lachen. Diesem Vorbild an Sorgfalt und Humor gilt es nachzueifern. Auch Demokrit untersuchte schon das Phänomen der Melancholie. Er sezierte Tiere, um nach dem Ursprung der schwarzen Galle zu suchen, die für die Schwermut verantwortlich gemacht wird. Die Auseinandersetzung mit der Melancholie ist für Burton eine Art Therapie, denn er selbst leidet unter dieser Krankheit und hofft, sie heilen zu können, indem er sich mit dem Thema beschäftigt. Dazu ist es nötig, Autoren aus der Antike ebenso wie aus der Gegenwart zu konsultieren und zusammenzutragen, was diese zu Ursachen, Symptomen und Heilmitteln zu sagen hatten. In einer schnelllebigen Zeit voll von religiösem Wahn, grausamen Kriegen, schreiender Ungerechtigkeit und skrupellosen Herrschern greift die Melancholie geradezu um sich. Darüber hätte wohl selbst Demokrit nicht mehr lachen können. Die Menschen denken nur an den eigenen Vorteil, streben gierig nach immer mehr Besitz und werden krank vor Neid, Habgier und Zorn. Die wenigsten gestehen sich ein, dass sie psychisch krank sind, und noch weniger unternehmen etwas gegen die Krankheit. Die Abhandlung soll helfen, gegen die weitverbreitete Krankheit der Melancholie vorzugehen.

Was ist Melancholie?

Der Mensch ist nach dem Vorbild Gottes geformt. Durch den Sündenfall kam das Leid in die Welt, das sich in Form von Raubtieren, Krankheiten und Naturgewalten gegen den Menschen wandte. Das größte Leid ist jedoch menschengemacht, allem voran der Krieg. Die Melancholie ist eine der Unterformen der Narrheit. Im weitesten Sinn benutzen wir den Begriff für Phasen, in denen wir ohne konkreten Anlass traurig sind. Unter diesen Zuständen leiden alle Menschen, sie gehören zum Auf und Ab des Lebens. Allerdings kann dieser Zustand auch chronisch werden und körperliche Beschwerden nach sich ziehen, etwa Probleme mit dem Herzen oder dem Magen. Die Schwermut befällt Menschen häufig im Herbst und wenn sie alt werden, aber auch in der Lebensmitte. Oft sind die Betroffenen intelligent und gebildet.

Ursachen der Melancholie

Bei den Ursachen der Krankheit lassen sich natürliche und übernatürliche unterscheiden. Zu den übernatürlichen zählen Gott auf der einen, Teufel und Geister auf der anderen Seite. Teufel können den menschlichen Körper beeinflussen und verursachen damit indirekt Wahnsinn. Von den natürlichen Ursachen sind einerseits die angeborenen zu nennen, andererseits die erworbenen. Unser Temperament erhalten wir von unseren Eltern durch Vererbung. Zur zweiten Gruppe der natürlichen Ursachen gehören zum Beispiel die Aspekte Nahrung und Bewegung, aber auch Einflüsse wie Armut oder Einsamkeit. Mangelnde Bewegung, aber auch ein Übermaß davon kann die Krankheit verstärken – sowohl geistige als auch körperliche Trägheit sowie zu große Aktivität sollten also vermieden werden. Wenn der Geist keine Beschäftigung hat, zerfleischt er sich selbst. Eng mit diesem Problem hängt die Einsamkeit zusammen: Oft sondern sich Betroffene anfangs freiwillig von der Gesellschaft ab und schwelgen in ihrer eigenen Welt. Ohne die positiven Einflüsse anderer Menschen werden ihre Gedanken dann immer düsterer, sodass sie schließlich nicht mehr aus ihrer Schwermut herausfinden.

Risikogruppe Gelehrte

Nahezu alle Gelehrten leiden unter Melancholie – sie ist eine der häufigsten Krankheiten in diesen Kreisen. Dafür gibt es zwei wichtige Gründe: Zum einen führen die meisten Gelehrten ein zurückgezogenes Leben mit wenig Bewegung, zum anderen wird ihr Verstand durch zu intensives Studium überfordert. Zudem leiden Gelehrte oft unter Geldsorgen, und das lange Sitzen zieht körperliche Beschwerden nach sich. Hat man das lange Studium motiviert und gesund beendet, bieten sich nur wenige Aussichten auf eine Karriere – die meisten Gelehrten bleiben arm und müssen sich bei Gönnern anbiedern, um zu überleben. Die Ausnahme bilden Juristen, Ärzte und manche Theologen. Die meisten Mächtigen sehen keinen Wert in höherer Bildung und fördern Gelehrte darum nicht. Diejenigen Gelehrten, die tatsächlich außerhalb der Universität eine Anstellung finden, verrohen oft, sobald sie den Kontakt zum akademischen Umfeld verloren haben.

Die typischen Symptome

Die körperlichen Anzeichen der Krankheit sind so eindeutig, dass man einen Melancholiker auf den ersten Blick erkennt. Die Betroffenen wirken oft gerötet, hohläugig und ausgezehrt, sie leiden unter Verdauungsproblemen und Schlafstörungen, sind rastlos und doch unfähig zur Bewältigung ihres Alltags. Damit gehen psychische Symptome einher, die ganz unterschiedlich ausfallen können. Viele Betroffene haben ständig Angst vor Übernatürlichem, Tod oder Krankheit. Junge Frauen sind oft schwermütig, weil sie zu viel Zeit allein verbringen und keine Beschäftigung haben. Meist löst sich das Problem von allein, wenn sie heiraten. Enthaltsamkeit und Zölibat haben generell schreckliche Folgen und widersprechen der menschlichen Natur.

Heilung

Wenn die Melancholie im Frühstadium erkannt wird, haben die Betroffenen gute Chancen auf Heilung. Chronische Melancholie ist dagegen beinahe unheilbar und kann in Epilepsie und Wahnsinn übergehen. Die Krankheit führt zwar selten direkt zum Tod, allerdings treibt sie viele in den Selbstmord. Das widerspricht Gottes Gesetz, doch wir sollten Mitgefühl mit jedem haben, der sich zu diesem Schritt entschließt.

„Lust zerfleischt uns auf der einen Seite, Neid, Zorn, Ehrgeiz auf der anderen. Wir werden von unseren Leidenschaften, wie von lauter wilden Pferden, in Stücke gerissen (…)“ (S. 62)

Ärzte sind die Hand Gottes auf Erden. Ein guter Arzt ist kompetent, erfahren und ein Ehrenmann. Um die Melancholie zu behandeln, sollte er über Kenntnisse in Philosophie, Alchemie und Astrologie verfügen. Der Patient sollte offen über seine Beschwerden reden und den Anweisungen des Arztes folgen.

„Da die Melancholie also eine so schwere, so allgemeine Krankheit ist, weiß ich mir keinen besseren Dienst an der Allgemeinheit, keinen nützlicheren Zeitvertreib, als ein Mittel für Verhinderung und Heilung eines so universalen Siechtums, einer so verheerenden Seuche zu verschreiben, die so häufig, so grausam Körper und Geist foltert.“ (S. 66)

Es gibt drei Arten von Kuren gegen Melancholie: Diaetetica, Pharmaceutica und Chirurgica. Zur ersten Gruppe zählen alle Ernährungsvorschriften: Die Betroffenen sollten wenig essen, am besten nur mittags und abends. Auch das Klima kann die Krankheit beeinflussen, sowohl negativ als auch positiv. Klare Luft tut gut: Wer nicht umziehen oder verreisen kann, sollte zumindest regelmäßig an der frischen Luft spazieren gehen. Manchmal genügt schon eine schöne Aussicht, um die Stimmung aufzuhellen. Jeder Mensch braucht Beschäftigung und Bewegung. Für Adlige kommen zum Beispiel Ballspiele, die Jagd oder Schwimmen infrage. Am besten für die Gesundheit ist jedoch das Wandern.

„Der schlimmste Feind des Menschen jedoch ist der Mensch, immer bereit, nach des Teufels Unterweisung Unheil anzurichten, sein eigener Scharfrichter, ein Wolf, ein Satan gegen sich selbst und andere.“ (S. 77)

Das beste Mittel gegen Melancholie, das für jedes Alter geeignet ist, ist das Studieren, sofern man es damit nicht übertreibt. Beim Lernen lässt man alles andere hinter sich und versenkt sich völlig in sein Thema. Alle Sorgen und sogar die eigene Schwermut sind vergessen. Jeder sollte sich mit einer ausgewogenen Mischung aus geistlicher und weltlicher Literatur weiterbilden und sich dabei auch herausfordern, etwa mit Algebra oder Astrologie. Frauen beschäftigen sich am besten mit Handarbeiten und Gartengestaltung und fordern so Körper und Geist.

„Willentliche Absonderung ist die Vertraute der Schwermut und führt uns unmerklich wie eine Sirene, ein Lockvogel, eine Sphinx in diesen Abgrund ohne Wiederkehr (…)“ (S. 126)

Von Melancholie Betroffene sollten so lange wie möglich schlafen. Nach einem möglichst leichten Abendessen sollte man zwei Stunden warten, bis man ins Bett geht. Ideal ist ein ruhiger Ort mit milden Temperaturen. Eventuell kann man die Gedanken mit etwas Musik, einem Glas Wein und Lektüre beruhigen. Musik ist generell eines der besten Mittel gegen Melancholie, vor allem in Verbindung mit guter Gesellschaft. Man sollte sich klarmachen, dass die Symptome der Melancholie im Vergleich zu anderen Krankheiten nicht so schlimm sind: Die Krankheit ist weder ansteckend noch wirkt sie auf andere abstoßend. Aufgrund ihrer Einsamkeit sind die Betroffenen sehr ehrlich, sie haben Verständnis für die Schwächen anderer und sind besonders einfühlsam. Ohnehin meinen manche, dass Verrückte das bessere Leben führen, weil sie ohne Heuchelei auskommen. Als Heilkräuter gegen die Melancholie sind Lorbeer, weiße Nieswurz und Tabak zu empfehlen, als Kuren Aderlass sowie harntreibende und blutreinigende Mittel.

Die Schwermut der Liebe

Die Liebe ist eine Neigung, die von der Leber ausgeht, das Herz beeinflusst und den Verstand überwältigen kann. Die bekannteste Form der Liebe ist die heroische Liebe zwischen Mann und Frau. Sie befällt vor allem junge Menschen und Adlige, die sich in schöne Frauen verlieben. Diese Neigung ist uralt und mächtig: Sie verursacht brennende Lust und steht damit im Kontrast zur ehelichen Liebe, die Ruhe und Zufriedenheit schenkt. Die leidenschaftliche Liebe lässt sich durch die Schranken der Ehe nicht aufhalten, sie ist unberechenbar und lässt die Betroffenen alles um sie herum vergessen. Ursachen für diese Form der Liebe sind Sternzeichen, Veranlagung, Klima und Ernährung, aber auch die gesellschaftliche Position. Oft reichen schon ein Anblick oder ein kurzes Gespräch, eine besondere körperliche Eigenschaft, um die heroische Liebe auszulösen. Viele Frauen verstärken ihre Wirkung durch künstliche Mittel wie Schmuck und schöne Kleider.

„(…) und wenn es eine Hölle auf Erden gibt, so ist sie im Herzen des Melancholikers zu finden.“ (S. 189)

Liebeskranke sind oft mager und blass. Es fällt ihnen schwer, ihre Leidenschaft unter Kontrolle zu behalten, und sie sind unruhig, wenn sie voneinander getrennt sind. Sie erleben ein ständiges Wechselbad der Gefühle. Zwar scheint diese Leidenschaft unheilbar, doch es gibt Mittel zur Linderung, etwa viel Bewegung, leichtes Essen, harte Arbeit und verschiedene Heilkräuter. Am besten sollte man aufkeimende Gefühle jedoch gleich am Anfang ersticken, etwa indem man verreist oder sich auf andere Art ablenkt. Bleibt all das wirkungslos, sollte man die Verliebten gewähren lassen und sie verheiraten.

„Wer immer demnach von Einsamkeit überwältigt, oder von lockender Melancholie und eitlen Einbildungen besessen, aus Mangel an Tätigkeit nicht weiß, wie er seine Zeit hinbringen soll, oder aber von weltlichen Sorgen gepeinigt wird, dem kann ich kein besseres Heilmittel verschreiben als eben das Studium (…)“ (S. 247 f.)

Die Eifersucht ist ein besonderes Phänomen, das so fest zur Liebe gehört, dass man es als Teil der Liebesschwermut betrachten kann. Männer leiden oft unter ihr, wenn die Frau deutlich jünger, sehr schön oder besonders leichtfertig ist. Liebe an sich ist schon schlimm, aber Eifersucht ist noch schlimmer. Misstrauen, Stimmungsschwankungen und Rastlosigkeit sind nur einige der Symptome. Man sollte ihr früh entgegenwirken und sich mit Arbeit ablenken. Auch sollte man sich klarmachen, dass Eifersucht sinnlos ist: Entweder ist sie unbegründet und man quält sich umsonst, oder sie ist begründet – aber auch dann gibt es schwerere Vergehen und der Gehörnte sollte sich in Gleichmut üben.

Religiöse Melancholie

Die religiöse Melancholie ist bisher nicht als eigenständige Kategorie der Krankheit anerkannt, dabei nimmt sie einen großen Raum in der Geschichte ein. Aberglaube hat von jeher unvorstellbares Leid verursacht. Betroffene gab es schon immer und überall auf der Welt. Sie besitzen entweder zu viel oder zu wenig Glauben. Zwar kann man Gott nicht zu sehr lieben, jedoch kann man es mit den Ritualen übertreiben und den Fehler machen, sich anderen nur aufgrund des Glaubens überlegen zu fühlen. Das andere Extrem sind die Atheisten und Ungläubigen, die alles mit natürlichen Ursachen erklären wollen und nicht auf Gott vertrauen.

„Musik heilt alle Unlust und Beschwernis der Seele.“ (S. 257)

Viele Priester missbrauchen die Religion für ihre egoistischen Zwecke und flüstern den Gläubigen Lügen ein, um an deren Geld zu kommen. Hier tut sich vor allem die katholische Kirche hervor. Sie zwingt den Gläubigen alle möglichen sinnlosen Regeln auf (Fastenzeit, Zölibat usw.) und fordert blinden Gehorsam. Die Symptome der Krankheit sind lächerlich und tragisch zugleich: Die überbordenden Zeremonien wirken lustig, doch die Menschen, denen die strengen Gesetze das Leben zur Hölle machen, sind bemitleidenswert. Die katholische Kirche erfindet ständig neue Legenden, etwa über das Fegefeuer, den Ablass, Reliquien und Heilige, was die wahre Religion entstellt und die Lehre verdunkelt. Martin Luther hat diesen Nebel des Aberglaubens vertrieben. Allerdings gibt es auch unter den Reformierten einige, die es übertreiben, indem sie etwa Zeremonien ganz verbieten wollen.

„Allein unsre Liebe ist maßlos und ungeordnet und nicht in Grenzen zu halten; will nicht das Band der Ehe achten noch an einem Gegenstand ihr Genüge finden, sondern will wandern, ausschweifen; eine unbeherrschte, beherrschende Leidenschaft, und lässt nicht mit sich reden, sondern zerstört.“ (S. 282)

Sensible Seelen leben in ständiger Angst, nicht in den Himmel zu kommen. Die religiöse Melancholie ist die schlimmste Form der Verzweiflung. Für jedes andere Leiden gibt es Heilung: Freundschaft etwa kann selbst die schrecklichste Situation erträglich machen. Aber eine hoffnungslose Seele kann nicht getröstet werden. Die Betroffenen glauben, dass Gott sie verlassen hat, und zweifeln an seiner Gnade. Viele denken über Selbstmord nach. Ihnen kann nur die Versicherung helfen, dass Gott gnädig ist und dass niemand sein endgültiges Urteil kennt. Man sollte beten, sich Gott zuwenden und sich ansonsten ablenken, anstatt zu viel zu grübeln.

Zum Text

Aufbau und Stil

Robert Burtons Anatomie der Melancholie ist in ein umfangreiches Vorwort und vier Bücher gegliedert, wobei das vierte Buch zur religiösen Melancholie deutlich kürzer ausfällt als die vorangehenden. Burton bedient sich exzessiv antiker Quellen, sodass das Werk teilweise wie eine Zitatesammlung wirkt. Unzählige Sentenzen, manchmal direkt übersetzt, manchmal im Original, hemmen zwar den Lesefluss, geben aber auch einen Einblick in die beeindruckende Belesenheit des Autors. Burtons Stil ist abwechslungsreich, mal wissenschaftlich-nüchtern, mal emotional-poetisch – je nach Thema und Kontext. Beinahe manisch wirkende Aufzählungen wechseln sich ab mit ausufernden Exkursen, die kaum noch Bezugspunkte zum eigentlichen Thema haben, sowie mit wütenden Tiraden gegen Papst und Puritaner. Grundsätzlich möchte Burton mit seiner Abhandlung lehren und unterhalten. Doch wann immer er es für nötig befindet, Stellung zu beziehen, findet er klare und mitunter drastische Worte – vor allem wenn es um die sinnlose Grausamkeit in Kriegen geht. Obwohl Latein zu Burtons Zeit noch die vorherrschende Sprache der Wissenschaft ist, wählt er die offenere und beweglichere englische Sprache.

Interpretationsansätze

  • Die Wahl des Titels weist in auf Burtons Anspruch hin, sein Thema so systematisch und vollständig wie möglich zu untersuchen, es mit Worten zu sezieren. Darüber hinaus setzt der Autor sich das Ziel, ein Kompendium zu schaffen, also die seit der Antike verfügbaren Informationen und Lehrmeinungen zu seinem Thema zusammenzustellen.
  • Das Werk steht in der Tradition der Scholastik. Heute, im Zeitalter der empirischen Wissenschaften, wirkt die fast chaotische Sammlung unbewiesener Lehrmeinungen geradezu bizarr.
  • Burton stellt sich nicht außerhalb seines Themas, sondern gibt als Betroffener tiefe Einblicke in sein Seelenleben. Dabei hinterfragt er sein Projekt immer wieder, um sich anschließend erneut von der Relevanz seiner wissenschaftlichen Arbeit zu überzeugen.
  • Obwohl Burton selbst eine wissenschaftliche Abhandlung ankündigt, steht das Werk quer zu allen Genres: Burton springt zwischen Zitatesammlung, Selbstreflexion und gesellschaftskritischer Satire hin und her und findet für jedes seiner Themen einen anderen, treffenden Ton. Die Sprunghaftigkeit, mit der Burton mit Quellen, Themen und Stilen umgeht, kann als Sinnbild für die Vielschichtigkeit und Wandelbarkeit der menschlichen Psyche gelesen werden.
  • Burton wendet sich mit bissiger Satire gegen die katholische Kirche, doch lässt er auch die protestantische Kirche nicht davonkommen: Er wirft beiden vor, die Menschen mit ihren strengen Regeln und Höllenszenarien zu quälen. Ähnlich schlecht denkt er auch über Atheisten, die allein auf die Wissenschaft vertrauen.
  • Sein Standpunkt und Maßstab ist in allen seinen Urteilen jener der Menschlichkeit. Statt anderen mit strengen religiösen Gesetzen, Eifersucht oder Gezänk das Leben schwerzumachen, sollten wir Mitgefühl und Verständnis zeigen.
  • Burton sieht die Melancholie nicht nur negativ: Sie ist die Krankheit des Adels und der Gelehrten und fördert im besten Fall Neugier, Empathie und kreative Kraft.

Historischer Hintergrund

Großbritannien im 16. und 17. Jahrhundert

Unter Elisabeth I. stieg England in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur Wirtschaftsmacht auf. Die East India Trading Company verschaffte dem Land unermesslichen Reichtum, die Gründung der amerikanischen Kolonien vergrößerte den britischen Einflussbereich zudem enorm. Das Elisabethanische Zeitalter brachte bedeutende Künstler und Geistesgrößen hervor: Francis Bacon und William Shakespeare etwa schufen ihre Werke während dieser Zeit.

Eine Reformation wie auf dem europäischen Festland blieb in England aus: Schon Heinrich VIII. hatte sich von der katholischen Kirche losgesagt und die anglikanische Kirche gegründet. Unter Elisabeth wuchs die Anhängerschaft der protestantischen Glaubensgemeinschaften, vor allem der Puritaner, rasant.

Nach dem Tod der Tudor-Königin kam das Haus Stuart an die Macht und schränkte die Rechte der Puritaner ein, die unter Elisabeth großen Zulauf erfahren hatten. Unter Jakob I. und Karl I. kam es erst in Schottland, dann auch in England zu Aufständen. Die Auseinandersetzungen um politische und religiöse Fragen mündeten schließlich im Englischen Bürgerkrieg (1642 bis 1649), in dem sich Schotten, Presbyterianer und radikale Puritaner auf der einen und der König mit seinen Anhängern auf der anderen Seite gegenüberstanden. Nach dem Sieg der Rebellen unter Oliver Cromwell wurde Karl 1649 hingerichtet und England zur Republik erklärt. In diesen unruhigen Zeiten waren Politik und Ethik die zentralen Themen unter britischen Denkern: John Miltons Paradise Lost, Thomas Hobbes’ Leviathan und später John Lockes Untersuchung über den menschlichen Verstand näherten sich mit unterschiedlichen Zugängen der Frage nach den Grundlagen und Zielen der menschlichen Gesellschaft.

Entstehung

Wann genau Burton mit der Arbeit an seinem wichtigsten Werk begann, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Seine Motivation ist jedoch klar: Da er selbst sein Leben lang an Melancholie gelitten hatte, wollte er die Krankheit untersuchen, um anderen Menschen zu helfen. Die Anatomie der Melancholie blieb bis zu seinem Tod ein „work in progress“: Burton erweiterte, verbesserte und überarbeitete das Werk mehrfach – zu seinen Lebzeiten erschienen fünf Auflagen. Dabei wuchs die Abhandlung immer weiter an: Am Ende waren es drei dicke Bände, zwischen 300 und 450 Seiten stark, die in heutigen Ausgaben meist wesentlich gekürzt wiedergegeben werden.

Die Einflüsse Burtons sind kaum im Einzelnen zu benennen: Großzügig bediente er sich bei den Denkern der Antike – bei Lukian, Cicero, Plutarch und natürlich beim in medizinischen Dingen maßgebenden Galen sowie bei frühneuzeitlichen Geistesgrößen wie Thomas Morus, Joseph Scaliger oder Paracelsus. Als Universalgelehrter der alten Schule und erklärter Bücherwurm nahm Burton seine Inspiration nicht allein aus philosophischen und medizinischen Abhandlungen – auch die physikalischen, geografischen und astrologischen Debatten seiner Zeit interessierten ihn brennend und fanden Eingang in sein Werk. Literarisch werden Miguel de Cervantes und Michel de Montaigne den größten Einfluss auf Burton gehabt haben.

Wirkungsgeschichte

Die Anatomie der Melancholie zählt zu den erfolgreichsten Büchern des 17. Jahrhunderts. Zehn Jahre nach Burtons Tod erschien die sechste und umfangreichste Auflage. Der Autor kam möglichen Kritikern zuvor, indem er selbst immer wieder darauf hinwies, dass sein Werk aus Bruchstücken zusammengesetzt und verbesserungswürdig sei. Einem potenziellen Plagiatsvorwurf wirkte er durch penible Quellenangaben entgegen. Mit seiner Zitierwut war Burton einer der letzten Vertreter der Scholastik – während er sich noch auf die geistigen Autoritäten der letzten 2000 Jahre verließ, setzten wenig später Denker wie René Descartes auf Erkenntnis, die allein vom eigenen Verstand ausgehen sollte.

Berühmtheit erlangte Die Anatomie der Melancholie nicht vorrangig wegen ihres wissenschaftlichen Wertes, sondern wegen ihrer literarischen Kraft. Das ändert allerdings nichts daran, dass Burtons Ausführungen zu Ursachen und Behandlung psychischer Erkrankungen oft ins Schwarze treffen. So setzten sich im 20. Jahrhundert wieder Forscher mit der psychologischen und soziologischen Seite des Werks auseinander, so etwa Wolf Lepenies in Melancholie und Gesellschaft und Ulrich Horstmann in Der lange Schatten der Melancholie. Walter Jens nannte Die Anatomie der Melancholie ein „Buch ohne Beispiel: alexandrinisch und verrückt, gelehrt und irre“.

Über den Autor

Robert Burton wird am 8. Februar 1577 in Lindley in Mittelengland als Sohn eines Landadligen geboren. Er studiert am Christ Church College in Oxford und bleibt dort auch nach seinem Abschluss im Jahr 1602. Unter anderem verwaltet er viele Jahre lang die Bibliothek, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts rasend schnell wächst. Als anglikanischer Geistlicher ist er für mehrere Pfarreien zuständig und lässt sich dort, wie zu der Zeit üblich, meist von Hilfspfarrern vertreten. Burton beginnt früh mit dem Schreiben literarischer Werke, doch seine Dramen und seine lyrischen Gehversuche bleiben erfolglos. Schließlich nimmt er die Arbeit an seinem Hauptwerk, Die Anatomie der Melancholie (The Anatomy of Melancholy, 1621), auf. Burton veröffentlicht die Abhandlung unter dem Pseudonym Democritus junior, als Ehrbezeugung für den griechischen Philosophen Demokrit. Bis zu seinem Tod wird das Werk fünf Mal erweitert und neu aufgelegt. Burton bleibt zeitlebens ein Bücherwurm und Einzelgänger und tritt gesellschaftlich kaum in Erscheinung. Während in Europa der Dreißigjährige Krieg tobt, fühlt sich Burton in seiner Gelehrtenstube wie ein unbeteiligter Beobachter, der das grausame Geschehen auf der Weltbühne interessiert verfolgt. In akademischen Kreisen ist er für seine Belesenheit und seine Redegewandtheit bekannt. Burton leidet selbst unter Melancholie oder Depressionen, wie man heute sagen würde. Er stirbt am 25. Januar 1640 in Oxford – Gerüchten zufolge von eigener Hand. Er wird in der Christ Church in Oxford beigesetzt. Burton vermacht seinen wichtigsten Besitz, eine umfangreiche Büchersammlung, der Bodleian Library und der Bibliothek von Christ Church.

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