Jean-Jacques Rousseau
Die Bekenntnisse
Artemis & Winkler, 1996
Was ist drin?
Der Philosoph Jean-Jacques Rousseau erzählt aus seinem Leben: ein Meilenstein der autobiografischen Literatur.
- Autobiografie
- Aufklärung
Worum es geht
Rückschau und Rechtfertigung
„Dies ist das einzige Bild eines Menschen, genau nach der Natur und in seiner ganzen Wahrheit gemalt, das es gibt und wahrscheinlich je geben wird“, so schreibt Jean-Jacques Rousseau im Vorwort seiner Bekenntnisse. In der Tat ist es ein Werk, das das Genre der Autobiografie revolutionierte. Und da der Autor nicht irgendwer, sondern einer der einflussreichsten Schriftsteller und Philosophen des 18. Jahrhunderts ist, lesen sich seine Memoiren wie eine spannende Abenteuergeschichte – wenn man ihm den oft gespreizten und mit Redundanzen gespickten Stil verzeiht. In zwölf Büchern schildert er seine Kindheit, seine ruhelosen Lehr- und Wanderjahre, seine Liebschaften, seine wechselnden Anstellungen und die Bemühungen, seine Berufung zu finden. Rousseaus psychologischer Tiefgang ist beachtlich: Von masochistischen Obsessionen bis hin zur Altersparanoia ist alles dabei. Und immer wieder tauchen der Hass auf die Gesellschaft und die Sehnsucht nach einem idyllischen Leben in der Natur auf. Es sind die Memoiren eines Dinosauriers des 18. Jahrhunderts, der in seiner eigenen Rückschau aber gebrochen und schwach wirkt. Übrig bleibt ein zwiespältiger Eindruck von einem großen Dichter und Denker, der sich zugleich als ein fehlbarer Mensch erweist.
Take-aways
- Die Bekenntnisse von Jean-Jacques Rousseau sind die Autobiografie des Philosophen und Schriftstellers.
- In zwölf Büchern berichtet er offen und schonungslos aus seinem Leben, wobei er auch Peinliches nicht ausspart.
- Der kleine Jean-Jacques verbringt eine sorgenfreie Kindheit, zunächst bei seinem Vater und danach bei seinem Onkel.
- Im Alter von 16 Jahren flieht er aus seiner Heimatstadt Genf und verlebt mehrere Lehr- und Wanderjahre bei wechselnden Gönnern.
- Er konvertiert zum Katholizismus, studiert Musik und wird der Liebhaber der vermögenden Frau von Warens.
- Als diese Beziehung zerbricht, schlägt sich Rousseau mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis er schließlich bei einem Essaywettbewerb den ersten Preis gewinnt.
- Der Schriftsteller ist geboren: Große Erfolge wechseln sich ab mit Skandalen, die ihn zur Flucht aus Frankreich und einer langen Odyssee durch halb Europa nötigen.
- Die Bekenntnisse sind unvollendet: Sie brechen an der Stelle ab, wo Rousseau 1766 aus Genf nach England flieht.
- Rousseau sah sich vermehrt Anfeindungen ausgesetzt, die einer umfangreichen Erklärung und Rechtfertigung seines Lebens bedurften.
- Der Wahrheitsgehalt der Bekenntnisse ist in einigen Punkten angezweifelt worden. Rousseau ging es vor allem um eine Selbstrechtfertigung.
- Das Werk hatte eine fundamentale Wirkung auf die europäische Literatur, es revolutionierte geradezu das Genre der Autobiografie.
- Der Titel (im Original: Les Confessions) ist eine Anspielung auf die Confessiones des heiligen Augustinus.
Zusammenfassung
Kindheit
Jean-Jacques Rousseau wird 1712 als zweiter Sohn des Uhrmachers Isaac Rousseau und Suzanne Bernard in Genf geboren. Er ist kränklich und man kann ihn gerade so am Leben erhalten. Wenige Tage nach der Geburt stirbt die vom Vater zärtlich geliebte Suzanne. Da Jean-Jacques seiner Mutter ähnelt, kümmert sich der Vater besonders um ihn und beginnt schon früh, jeden Abend Romane mit dem Jungen zu lesen. Der sieben Jahre ältere Bruder dagegen wird vom Vater vernachlässigt und in eine Lehre gegeben. Von dort reißt er aus und meldet sich nie wieder; man hört nur noch, er sei nach Deutschland gegangen. Rückblickend betrachtet Jean-Jacques seine Kindheit als sehr harmonisch, da sich die Familie des Vaters und die Nachbarn sehr um ihn bemüht haben. Die jüngere Schwester des Vaters erweckt durch ihren Gesang die Liebe zur Musik in dem Kind.
„Ich beginne ein Unternehmen, das ohne Beispiel ist und das niemand nachahmen wird. Ich will meinesgleichen einen Menschen in der ganzen Naturwahrheit zeigen, und dieser Mensch werde ich sein.“ (S. 9)
Eines Tages gerät der Vater in einen Streit mit einem Hauptmann der französischen Armee und muss Genf verlassen. Jean-Jacques wird zu seinem Onkel Bernard geschickt und zusammen mit dessen Sohn, seinem Vetter Bernard, zu dem Prediger Lambercier aufs Land in die Schule gegeben. Die beiden Jungen verstehen sich sehr gut und genießen die Zeit in Bossey vor den Toren Genfs. Jean-Jacques schließt besonders die Schwester des Predigers, Fräulein Lambercier, ins Herz. Eines Tages züchtigt sie den achtjährigen Jungen, und er empfindet eine solche Wonne dabei, dass die Dame es bemerkt und ihn fortan nicht mehr schlägt. Dieser Vorfall hat noch weitere Folgen: Er muss ihr Zimmer, in dem er bis jetzt geschlafen hat, räumen und wird nun als „großer Knabe“ behandelt, was er sehr bedauert. In seinem weiteren Leben bewahrt er sich die masochistische Neigung und stellt sich in intimen Momenten vor, seine Partnerin würde ihn schlagen und ihm Befehle erteilen.
„Wie hätte ich auch schlecht werden können, wenn ich nur Beispiele der Sanftmut vor Augen und um mich die besten Menschen der Welt hatte?“ (S. 14)
In anderer Hinsicht ist Jean-Jacques noch ein richtiges Kind und streift mit seinem Vetter durch die Felder. Doch die Freuden der Kindheit bleiben nicht ungetrübt: Die Magd legt einen Kamm von Fräulein Lambercier zum Trocknen in eine Ofennische und stellt später fest, dass mehrere Zinken abgebrochen sind. Jean-Jacques wird beschuldigt, den Kamm zerstört zu haben. Obwohl er unschuldig ist und dies auch immer wieder beteuert, wird er von seinem Onkel furchtbar bestraft. Diese Ungerechtigkeit kann der Junge nicht verwinden. Zum ersten Mal stellt er fest, wie schlecht die Welt ist.
Jugendzeit
Nach seinem Aufenthalt in Bossey verbringt Jean-Jacques drei Jahre in Genf bei seinem Onkel. Zusammen mit seinem Vetter besucht er die örtliche Schule, wo er sich häufig mit anderen Jungen prügelt, die seinen Vetter wegen seiner hageren Gestalt ärgern. Nebenbei hat er zwei „Freundinnen“: Fräulein von Vulson und Fräulein Goton. Der Onkel gibt ihn in die Lehre zu einem Geldeintreiber, doch die Arbeit missfällt Jean-Jacques sehr und er wird schließlich hinausgeworfen. Er kommt zu einem Graveur, wo er die Arbeit, nicht aber das Verhalten des Meisters schätzt. Hier lernt er zu stehlen und zu lügen, denn da er sowieso dieser Laster beschuldigt wird, meint er, sie auch ausführen zu können. Neben der Arbeit verbringt er jede freie Minute mit seinen Büchern. Eines Abends – er ist 16 Jahre alt – werden die Stadttore von Genf vor seiner Nase geschlossen: Er kann nicht mehr in die Stadt hinein. Aus Angst vor dem Meister, aber auch aus Übermut beschließt er, überhaupt nicht mehr zu seiner Lehrstelle zurückzukehren.
Die Konvertierung
Nach einigen Tagen des Umherstreifens kommt Jean-Jacques zum Pfarrer Pontverre. Dieser beschließt, der Junge müsse zum Katholizismus bekehrt werden. Er schickt ihn nach Annecy zu Frau von Warens, die gerade selbst konvertiert ist und ihm finanzielle Hilfe gewähren soll. Beide finden großen Gefallen aneinander, aber für die 28-jährige Witwe schickt es sich nicht, einen Heranwachsenden bei sich zu behalten. So kommt Jean-Jacques in ein Hospiz in Turin, um dort alles für die Taufe Erforderliche zu lernen. Er fühlt sich eingesperrt und findet keinen rechten Kontakt zu den anderen. Einzig ein älterer Maure findet Gefallen an ihm, verlangt jedoch unzüchtige Handlungen. Der Junge ist schockiert, als er sieht, wie der Mann sich vor seinen Augen selbst befriedigt. Die Ejakulation hält er für das Zeichen einer ansteckenden Krankheit. Er weiß nicht, was das alles zu bedeuten hat, meldet es aber der Schulverwaltung, wo man ihm dringend abrät, die Sache publik zu machen. Kurz darauf wird Jean-Jacques getauft und mit 20 Franken entlassen.
Anstellung als Lakai
Als das Geld aufgebraucht ist, fragt Jean-Jacques in Graveurläden nach Arbeit, obwohl er noch nicht ausgelernt hat. Endlich nimmt ihn eine Kaufmannsfrau, der er gefällt, in ihre Dienste. Er verschlingt sie mit seinen Blicken, und als der Kaufmann das bemerkt, wirft er ihn hinaus. Daraufhin arbeitet Jean-Jacques bei verschiedenen Dienststellen als Lakai, zuletzt in einem Haus in Turin, wo er fast wie ein Sohn behandelt wird und Lateinunterricht erhält. Doch das reicht ihm nicht. Entschlossen, seine Zeit besser zu nutzen, lässt er sich hinauswerfen und kehrt zu Frau von Warens zurück. Diese nimmt ihn mit Freuden auf; er nennt sie liebevoll „Mama“, sie ruft ihn „Kleiner“. Da sie ihn zum Pfarrer machen möchte, schickt sie ihn ins Priesterseminar, doch statt Latein zu lernen, wird er Musikschüler und Chorist. Er geht mit einem Priester auf Reisen. Als dieser einen schlimmen Anfall erleidet und bewusstlos zu Boden sinkt, macht Jean-Jacques sich aus dem Staub.
Vagabundenleben
Jean-Jacques will zu „Mama“ zurückkehren, doch sie ist verreist. Also beschließt er, es ihr gleichzutun. In Lausanne gibt er sich als Musiklehrer und Komponist aus, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bloß ein Dilettant ist. Die Hochstapelei wird schnell peinlich: Ein von ihm komponiertes Musikstück klingt so grauenhaft, dass sich alle die Ohren zuhalten müssen. Folglich bekommt er auch keine Schüler und lebt dürftig. Er gönnt sich nur einfachste, schlechte Kost und übernachtet zuweilen unter freiem Himmel.
„Ich sah nie einen andern Mann in einem ähnlichen Zustand; aber wenn wir in der Erregung bei den Frauen so aussehen, müssen ihre Augen ganz geblendet sein, damit sie sich nicht vor uns entsetzen.“ (S. 70)
In einem Gasthaus lernt er einen Archimandriten (christlich-orthodoxer Priester) aus Jerusalem kennen, der den Auftrag hat, in Europa für die Wiederherstellung des Heiligen Grabes zu sammeln. Jean-Jacques wird sein Dolmetscher, reist mit ihm in den Kanton Fribourg und wird aufs Beste verpflegt. Nach seiner Entlassung reist er weiter nach Paris, doch die Stadt enttäuscht ihn.
„(...) ich wohnte bei einer hübschen Frau, liebkoste ihr Bild in der Tiefe meines Herzens, sah sie den ganzen Tag; abends, von den Gegenständen umgeben, die mich an sie erinnerten, lag ich in einem Bett, wo, wie ich wusste, sie geschlafen hatte.“ (S. 110 f.)
Einmal bietet ihm ein Abbé ein Nachtlager an, da Jean-Jacques sich auf dem Marktplatz zur Ruhe gelegt hat. Der Abbé nähert sich ihm unsittlich, doch Jean-Jacques gelingt es, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. Wieder vagabundiert er herum. Eine Zeit lang arbeitet er als Notenkopist und hat wieder für einige Tage eine gute Unterkunft und gutes Essen. Doch die Arbeit langweilt ihn so, dass er zahlreiche Fehler macht. Er gibt die Stellung auf und trifft wieder mit Frau von Warens zusammen, mit der er nun eine Liebesbeziehung beginnt.
Feste Bindung
Sesshaft geworden, erkrankt Jean-Jacques. Er fühlt sich schwermütig, matt und als ob das Leben aus ihm herausrinnen würde. Ständig hat er Fieber. Die Ärzte können nichts finden, und auch ein längerer Aufenthalt im Landhaus seiner Gönnerin, wo sich Jean-Jacques intensiv mit Mathematik und Literatur beschäftigt, bringt keine Heilung. Erst eine neue Liebschaft auf einer Kurreise nach Montpellier lässt ihn gesunden. Zurück bei Frau von Warens muss er feststellen, dass ein anderer seine Stelle eingenommen hat. Wieder geht er fort, er wird Hauslehrer und entwickelt ein Erziehungsprogramm für Schüler. Ein Jahr später gibt er die Stelle auf und widmet sich erneut der Musik. Er entwirft ein neues Notensystem, das jedoch wenig Beachtung findet, und wird schließlich Sekretär des französischen Gesandten in Venedig. Doch Unstimmigkeiten mit dem Botschafter lassen ihn 1744 nach Paris zurückkehren, wo er sich wieder einmal verliebt: Thérèse Levasseur ist eine Wäscherin aus einer guten Familie, die aber wegen unglücklicher Umstände verarmt ist. Alle seine Versuche, das Mädchen zu bilden, scheitern, doch sie lieben einander zärtlich. Als zwei Jahre später ein Kind geboren wird, lässt er es ins Findelhaus bringen. Mit weiteren vier Kindern wird ebenso verfahren. Die lange Beziehung zu Thérèse vermag ihn aber nicht gänzlich glücklich zu machen, wie die vielen Affären beweisen.
Rousseau, der Schriftsteller
Eines Tages, er befindet sich gerade auf dem Weg von Paris nach Vincennes, um den verhafteten Denis Diderot, seinen Freund, zu besuchen, liest Jean-Jacques einen Aufruf der Akademie von Dijon, man solle eine Abhandlung darüber schreiben, ob der Fortschritt der Wissenschaften und der Künste zur Verfeinerung der Sitten geführt habe. Er verfasst eine Abhandlung (seine Antwort: Nein) und erhält dafür den ersten Preis zuerkannt. Kurz darauf erkrankt er erneut und ändert sein Leben radikal. Den Rest seiner Tage will er in Armut und Bescheidenheit ohne gesellschaftliche Fesseln verbringen. Seine Arbeit bei einem Obersteuereinnehmer gibt er zugunsten einer Tätigkeit als Notenkopist auf. Er komponiert eine Oper, die das Gefallen von Ludwig XV. findet. Außerdem beginnt Jean-Jacques zu schreiben, mit Erfolg: Seine Schriften machen ihn bekannt. Er bekommt Einladungen und täglich viele Besucher. Doch dafür ist ihm seine Zeit zu schade, sodass er eher abweisend reagiert und auch ein ungepflegtes Äußeres zur Schau stellt. Anlässlich einer Reise nach Genf lässt er sich zurück zum calvinistischen Glauben konvertieren. Eine Gönnerin, Madame d’Épinay, stellt ihm ein Häuschen in Montmorency für seine Arbeit zur Verfügung. Hier verfasst er den Briefroman Julie oder Die neue Héloïse, der ihm hohes Ansehen einbringt. Nach einigen Briefwechseln entzweit er sich mit Madame d’Épinay und mit seinem engsten Freund Diderot wegen einer Liebesaffäre.
Veröffentlichungen
Jean-Jacques hofft, mit seinen Schriften eine Leibrente von bis zu 10 000 Franken zu erhalten, um sich damit zur Ruhe setzen zu können. Zwischen 1760 und 1762 erscheinen dann auch in kurzer Folge die Hauptwerke, u. a. Vom Gesellschaftsvertrag und der Bildungsroman Emile. Letzterer hat ihm jedoch Schwierigkeiten bereitet. Eine kleine Änderung seitens des Autors verzögerte den Druck um sechs Monate. Das Werk erscheint in Holland und in Frankreich in zwei unterschiedlichen Ausgaben. Jean-Jacques erkrankt im Winter und erwartet seinen Tod. Zugleich wird der Druck des Emile eingestellt, das Buch wird in Paris verboten. Rousseaus Gemüt verfinstert sich: Er fürchtet sich vor der Dunkelheit und glaubt an eine bösartige Verschwörung gegen ihn. Paranoia macht sich breit. Er meint, man schnüffle in seinen Papieren herum und belauere ihn. Die Tatsache, dass seine Abhandlung gegen die Ungleichheit im Rat von Paris mit Ärger aufgenommen wurde, bewegt ihn schließlich zur Flucht aus Frankreich; er fürchtet sogar seine Verhaftung. Thérèse soll seine Sachen verkaufen und ausstehendes Geld eintreiben.
Die Flucht
Von Montmorency reist Jean-Jacques in die Schweiz nach Yverdon. Unterwegs, auf Berner Gebiet, steigt er zum Erstaunen des Postillons aus der Postkutsche aus, küsst die Erde und lobt den „freien Boden“. In Yverdon erhält er die Nachricht, dass sein Buch Emile in Genf verbrannt wurde, wie zuvor auch in Paris. Zugleich ist Haftbefehl gegen in erlassen worden. Die Presse, besonders die französische, erhebt sich zu einem „Schrei der Verwünschung“. Jean-Jacques wird als „Gottloser, Verrückter, Rasender“ bezeichnet. Doch er fühlt sich in Yverdon sicher und schreibt sogar an Thérèse, sie möge nachkommen. Doch dann hört er, dass der Senat in Bern, aufgewiegelt von Frömmlern, ihm sein Asyl verweigert. Den Vorschlag, über einen Berg in ein zu Preußen gehörendes Dorf zu fliehen, will er zunächst nicht befolgen, da ihm dies seine Gerechtigkeitsliebe verbietet. Aber dann zieht er sich doch nach Môtiers-Travers zurück, lädt Thérèse zu sich ein und lässt sich aus Bequemlichkeitsgründen eine weit geschnittene „armenische Garderobe“ anpassen. Das Gerede der Leute kümmert ihn nicht, und er lässt sich vom Pfarrer versichern, dass er die Tracht selbst in der Kirche tragen darf. Die finanziellen Mittel schwinden rasch und Jean-Jacques beginnt am Wörterbuch der Musik zu arbeiten. Doch bei der Durchsicht seiner Aufzeichnungen muss er feststellen, dass sowohl einige Briefe wie auch literarische Entwürfe gestohlen worden sind. Sein Verhalten und seine Tracht lassen ihn dem Volk als Antichristen erscheinen. Eines Nachts werden Steine gegen sein Fenster geworfen. Kurz darauf flieht er auf eine Insel im Bieler See. Doch die Schweizer Behörden fordern ihn auf, die Insel unverzüglich zu verlassen, und so reist Rousseau Anfang 1766 weiter nach England, in eine ungewisse Zukunft.
Zum Text
Aufbau und Stil
Rousseaus Bekenntnisse sind in zwei Teile gegliedert: der erste umfasst seine Kinder-, Jugend- und Wanderzeit, die etwa von 1712 bis 1741 dauert, also bis zu Rousseaus 29. Lebensjahr, der zweite seine Erwachsenenzeit, die bis zum 58. Lebensjahr (1765) reicht. Rousseau erzählt sein Leben grundsätzlich chronologisch, weicht aber auch immer wieder von diesem Grundsatz ab: Er verliert sich in Exkursen, springt vor und zurück. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass Die Bekenntnisse aus mehreren Skizzen und Niederschriften hervorgegangen sind, die zu einem Gesamtwerk zusammengeführt werden mussten. Der Stil ist sehr persönlich gehalten, Rousseau spart auch die Beschreibung sexueller Handlungen und peinlicher Vorfälle nicht aus. Seine Sprache und Erzählweise wirkt auf den modernen Leser arg gespreizt, umständlich und ist mit etlichen Redundanzen gespickt. Im zweiten Teil des Buches schlägt Rousseau einen deutlich schärferen, polemischeren Ton an als im ersten, erzählt er doch von der gegen ihn gerichteten „Verschwörung“. Hier fügt er auch zahlreiche Briefe ein, die er geschrieben oder erhalten hat. Wie für Autobiografien typisch bricht die Erzählung unvermittelt ab, und zwar ausgerechnet an dem Punkt, wo der Schreibende in ein neues Abenteuer – die Flucht nach England – gerissen wird. Den beabsichtigten dritten Teil der Memoiren hat Rousseau nicht mehr geschrieben, seine Bekenntnisse enden darum gewissermaßen mit einem Cliffhanger.
Interpretationsansätze
- Der Originaltitel von Rousseaus Memoiren (Les Confessions) erinnert an die berühmten Confessiones des Kirchenvaters Augustinus. Während dieser jedoch ständig Zwiesprache mit Gott hält und seine Sündhaftigkeit zerknirscht eingesteht, geht es Rousseau vor allem um Selbstrechtfertigung. Zwar offenbart er auch für ihn sehr peinliche Dinge, besteht aber am Ende darauf, ein redlicher Mensch zu sein.
- Frappierend ist Rousseaus schonungslose Offenheit, mit der er auch schlüpfrige Details seines Lebens preisgibt. Homosexuelle Begegnungen, der Besuch bei Prostituierten, eigene exhibitionistische und masochistische Neigungen werden teilweise ausführlich geschildert – für ein Werk des 18. Jahrhunderts äußerst ungewöhnlich.
- Bei Rousseau zeigt sich ein Zwiespalt zwischen Leben und Werk: Geradezu skandalös erscheint sein Verhalten gegenüber seinen eigenen Kindern, die er allesamt ins Waisenhaus brachte – ausgerechnet er, der spätere Autor der berühmten pädagogischen Schrift Emile oder Von der Erziehung. Manche meinen, dieses Werk sei als späte Wiedergutmachung gemeint.
- Rousseau wird aufgrund seiner Bekenntnisse als Wegbereiter der Tiefenpsychologie gesehen, denn kaum ein Autor vor ihm hat sich selbst mitsamt seinen dunklen Seiten so schonungslos offen dargestellt, sogar um den Preis der Verurteilung durch die Gesellschaft.
- Rousseaus Leben und auch seine Karriere als Schriftsteller erscheinen als Achterbahnfahrt mit Höhen und Tiefen: Sein Briefroman Julie oder Die neue Héloïse war ein grandioser Erfolg, der eine ganze Reihe von ähnlichen Werken in ganz Europa auslöste, z. B. Die Leiden des jungen Werther von Goethe. Emile hingegen wurde öffentlich verbrannt, vor allem wegen des in ihm enthaltenen „Glaubensbekenntnisses eines savoyischen Vikars“, das dem Dogma der Kirche zuwiderlief.
Historischer Hintergrund
Zwischen Absolutismus und Republik
Die vorherrschende Staatsform im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts war die Monarchie, meist in einer absolutistischen Ausprägung wie in Frankreich. Das Land wurde zur Verfügungsmasse des Königs. So war es beim Sonnenkönig Ludwig XIV. wie auch bei dessen Nachfolger Ludwig XV. Rousseaus Leben umfasste ziemlich genau die Regierungszeit ebendieses Königs, der schon als Knabe im Alter von fünf Jahren den Thron seines Urgroßvaters bestieg. Unter der Regentschaft von Herzog Philipp II. von Orléans gingen die Staatsfinanzen gründlich den Bach hinunter. Erst mit der Amtszeit des Kardinals Fleury (ab 1726) als Erstem Staatsminister gelang es Frankreich, die Finanzen einigermaßen in den Griff zu kriegen, ja sogar Überschüsse zu erwirtschaften – zumindest eine Zeit lang. Denn die Prunksucht, die Willkürpolitik und allerlei außenpolitische Abenteuer des Königs (u. a. der Österreichische Erbfolgekrieg 1740–1748) führten erneut zu erodierten Staatsfinanzen. Dies war nur eine Seite des Despotismus, gegen den Rousseau und die anderen Schriftsteller der Aufklärung kämpften. Rousseaus Heimatstadt indes war Genf, eine Republik, also ein kleines Staatswesen, dessen Bürger viel größere Freiheit genossen, als Frankreich zu bieten hatte. Die Stadt hatte allerdings unter den Zwistigkeiten der Oligarchie (Minderheitenherrschaft) zu leiden, ebenso wie unter dem politischen Druck, der von Frankreich ausging.
In der Bewegung der Aufklärung nahm Rousseau eine Sonderstellung ein: Er war ein Aufklärer wie Voltaire und Denis Diderot, forderte aber von seinen Zeitgenossen mehr Gefühl und Intuition statt reiner Rationalität. Rousseau gilt darum heute als einflussreicher Wanderer zwischen den Welten der Aufklärung und der Romantik.
Entstehung
Bereits um 1760, so ist es im zehnten Buch der Bekenntnisse zu lesen, begann Rousseau mit der Niederschrift seines Lebens. Sein Verleger hatte ihn um ein paar Zeilen gebeten, die er der Ausgabe von Rousseaus Werken voranstellen wollte. Rousseau verfasste daraufhin einige Ansätze der späteren Biografie, etwa die Briefe an Herrn von Malesherbes, die bereits einen stark autobiografischen Charakter tragen. Der erste Teil der eigentlichen Bekenntnisse entstand in einer für Rousseau stürmischen Zeit: Seine Werke wurden verboten, eine anonyme Flugschrift verbreitete die heftigsten Anschuldigungen gegen den Autor des Emile, er musste quer durch Europa fliehen und begann, hinter jeder Anschuldigung ein groß angelegtes Komplott gegen seine Person zu vermuten. Der Leidensdruck, sich zu rechtfertigen, wurde immer größer. Der erste Teil der Bekenntnisse wurde 1765 fertiggestellt, der zweite 1770, nachdem Rousseau von seiner Odyssee nach Paris zurückgekehrt war. Bereits 1766 erfuhr die Weltöffentlichkeit von seinem Gastgeber in England, David Hume, dass er an seinen Lebenserinnerungen schrieb. Diese Information erregte einige Aufregung unter Rousseaus Gegnern, erwartete man doch pikante Details und eine Generalabrechnung. Berechtigterweise: Seine Lesungen im Salon der Comtesse d’Egmont im Winter 1770 lösten einen großen Aufruhr aus, die Fortsetzung wurde sogar von der Polizei untersagt. Deswegen verfügte Rousseau, dass seine Memoiren erst nach der Jahrhundertwende, nach dem Tod aller darin vorkommenden Personen veröffentlicht werden sollten. Der Verleger hielt sich nicht an diese Anordnung: Das erste Buch der Bekenntnisse erschien bereits 1782, das zweite 1788, wenige Jahre nach dem Tod des Autors, zusammen mit den Träumereien eines einsamen Spaziergängers, einer ebenfalls autobiografischen Schrift.
Wirkungsgeschichte
Die unmittelbare Reaktion auf Die Bekenntnisse war zwiespältig: In Frankreich wurden sie teilweise verdammt, teilweise geliebt (vor allem von den Hauptvertretern der französischen Romantik, Victor Hugo und François-René de Chateaubriand), in England eher verurteilt (der britische Staatsmann und Philosoph Edmund Burke nannte Rousseau einen „Philosophen der Eitelkeit“) und in Deutschland dafür umso mehr gefeiert. Die deutschen Klassiker und Romantiker sprachen von Rousseau mit größtem Respekt. Vor allem Letztere waren von seiner Naturverbundenheit angetan, denn diese passte vorzüglich in ihr Konzept eines vorgesellschaftlichen Zustands der Harmonie. Rousseaus Versenkung in seine eigene Person wirkte bahnbrechend auf das Genre der Autobiografie: Die Bekenntnisse beeinflussten mehrere so genannte psychologische Autobiografien bzw. autobiografische Romane, wie die von Karl Philipp Moritz (Anton Reiser, 1785) und von Ulrich Bräker (Der arme Mann im Tockenburg, 1789). Rousseaus Erziehungstheorie, die Leitung des Kindes zur „natürlichen Entwicklung“ und zur Bildung menschlicher Vernunft, beeinflusste spätere Pädagogen wie Johann Heinrich Pestalozzi. Schließlich blieb auch Rousseaus politische Philosophie nicht ohne Nachwirkungen: Seine Vorstellung einer „volonté générale“, also eines Kollektivwillens des Volkes, gehört zur Vorgeschichte der Französischen Revolution (1789).
Über den Autor
Jean-Jacques Rousseau wird am 28. Juni 1712 als Sohn einer protestantischen Familie französischer Herkunft in Genf geboren. Die Mutter stirbt kurz nach der Geburt; der in Fantastereien befangene Vater, ein Uhrmacher, kümmert sich wenig um seinen Sohn und vertraut ihn schließlich einem Pfarrer an. Obwohl Jean-Jacques nicht zur Schule geht, lernt er sehr früh lesen und wird zunächst Lehrling bei einem Graveur, später bei einem Gerichtsschreiber. Mit 16 Jahren geht er auf Wanderschaft, wobei er in Savoyen bei der frommen Madame de Warens unterkommt, die einen prägenden Einfluss auf ihn ausübt und ihn zum Katholizismus bekehrt. Rousseau beginnt Ausbildungen in einem Priesterseminar und bei einem Musiklehrer, bricht jedoch beide ab. Später geht er nach Paris, wo er ein karges Leben als Hauslehrer und Kopist von Partituren fristet. Er verkehrt in Intellektuellenkreisen und liiert sich mit der Dienstmagd Thérèse Levasseur, die er allerdings erst 23 Jahre später heiratet. Die fünf gemeinsamen Kinder gibt das Paar in einem Waisenhaus ab. Während eines kurzen Aufenthalts in Genf nimmt Rousseau die zuvor verlorene Bürgerschaft der Stadt wieder an. Gleichzeitig schwört er dem Katholizismus ab. Rousseau macht sich durch seine gesellschaftstheoretischen Schriften einen Namen und schreibt zwischen 1756 und 1762 seine erfolgreichsten und wirkmächtigsten Werke, darunter Julie oder Die neue Héloïse (Julie ou la Nouvelle Héloïse, 1761), Emile oder über die Erziehung (Émile ou De l’éducation, 1762) und das staatsphilosophische Werk Vom Gesellschaftsvertrag (Du Contract Social, 1762). Das Pariser Parlament verbietet Emile wegen ketzerischer Ansichten, in Genf wird das Buch gemeinsam mit Vom Gesellschaftsvertrag öffentlich verbrannt. Rousseau, der mit der Pariser Intellektuellenszene endgültig gebrochen hat und zunehmend an Verfolgungswahn leidet, geht wieder auf Wanderschaft. Er hält sich in der Schweiz, in Preußen und auf Einladung von David Hume in London auf, um schließlich unter dem Decknamen Renou nach Paris zurückzukehren. 1778 ist er Gast des Marquis de Girardin auf Schloss Ermenonville, wo er am 2. Juli stirbt. 1794 werden seine Gebeine ins Pariser Panthéon übergeführt.
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