Werner Sombart
Die drei Nationalökonomien
Geschichte und System der Lehre von der Wirtschaft
Duncker & Humblot, 2003
Was ist drin?
Werner Sombarts Beitrag zum berühmten Methodenstreit in den Wissenschaften dreht sich um die Frage: Darf die Wissenschaft Werturteile fällen?
- Ökonomie
- Moderne
Worum es geht
Eine Typologie der Wirtschaftswissenschaften
Werner Sombart war zu Lebzeiten einer der bedeutendsten deutschen Soziologen und Nationalökonomen. Von diesem Ruhm ist nicht allzu viel geblieben: Nur ein paar Soziologie-Experten wissen von seinem Einfluss bei der Erforschung des Kapitalismus (ein Begriff, dem er zu großer Bekanntheit verhalf) und seinen Beiträgen zur Schlichtung des so genannten Methodenstreits in den Sozialwissenschaften. Ein Grund für Sombarts schwindenden Einfluss mag sein Ruf als Mitläufer des NS-Systems sein, auch wenn die Berechtigung dieses Images immer mal wieder in Zweifel gezogen wird, beispielsweise in einem Historikerstreit Mitte der 90er Jahre. 1930 veröffentlichte Sombart Die drei Nationalökonomien, seine Systematik der wirtschaftlichen Forschung. Sein Fazit: Die Nationalökonomie, die in seiner Sichtweise eine Geistes- und Sozialwissenschaft ist, darf keine Werturteile fällen. Dies tut zwar die „richtende“ Nationalökonomie, doch gerade darum ist sie keine Wissenschaft. Zwischen ihr und der von Sombart bevorzugten „verstehenden“ Nationalökonomie liegt die „ordnende“ Nationalökonomie, die sich naturwissenschaftlicher Methoden bedient, damit aber niemals an das „Wesen der Dinge“ herankommt. Sombarts Werk ist gut geschrieben und wurde von seinen Zeitgenossen heftig diskutiert, heute jedoch erscheint es ein wenig antiquiert.
Take-aways
- In seinem 1930 erschienenen Buch Die drei Nationalökonomien systematisiert Werner Sombart die zu seiner Zeit vorherrschenden Konzepte der Wirtschaftslehre.
- Zum Anlass nahm er den Methodenstreit in den Sozialwissenschaften, der um die Frage kreiste: Darf die Wissenschaft Werturteile fällen?
- Sombarts Position dazu ist eindeutig: Sie darf nicht!
- Der Ökonom unterteilt die verschiedenen Sichtweisen der Nationalökonomie in drei Klassen: die richtende, die ordnende und die verstehende Nationalökonomie.
- Die richtende Nationalökonomie fällt Werturteile und beurteilt eine Situation danach, „wie sie sein sollte“ (im Hinblick auf Gott, den Menschen oder die Vernunft).
- Die Wirtschaft an sich hat aber keinen höchsten Zweck; dieser ist vielmehr immer außerhalb der Wirtschaft zu finden, er ist „transzendent“. Darum ist die richtende Nationalökonomie gar keine Wissenschaft, sondern letztlich Metaphysik.
- Die ordnende Nationalökonomie ist dagegen eine Wissenschaft: Sie ist durch die Säkularisierung, Differenzierung und Demokratisierung des Wissens entstanden.
- Ihre Mittel sind: Elementarisierung, Quantifizierung und Mathematisierung.
- Damit kann diese quasi naturwissenschaftliche Nationalökonomie aber nur ordnen, messen und beschreiben; sie muss jedoch auf Wesenserkenntnis verzichten.
- Dies obliegt der verstehenden Nationalökonomie, die als Geistes- und Sozialwissenschaft die Wirtschaft als soziales und kulturelles Phänomen untersucht.
- Sombart unterscheidet drei Arten von Verstehen: Sinnverstehen, Sachverstehen und Seelverstehen; Letzteres ist die wichtigste und tiefste Form des Verstehens.
- Sombarts Werk erntete nach der Veröffentlichung sowohl großes Lob als auch den Protest der Vertreter der richtenden und ordnenden Nationalökonomie. Heute ist Sombart weit weniger bekannt als sein Soziologenkollege Max Weber.
Zusammenfassung
Nationalökonomie: eine Wissenschaft mit zweifelhaften Inhalten
„Nationalökonomie, das ist die Lehre von der Wirtschaft.“ So einfach diese Gleichung aufgemacht wird, so falsch ist sie. Denn im Grunde genommen weiß die Nationalökonomie überhaupt nicht, womit sie sich beschäftigt. Der Begriff „Wirtschaft“ kann in unterschiedlichen Sprachen und Zusammenhängen alles Mögliche – und muss damit nichts Bestimmtes – bedeuten. Der Gegenstand dieser Wissenschaft ist also nicht exakt definiert. Genauso wenig besitzt die Nationalökonomie eine festgeschriebene Erkenntnisweise oder eine plausible Gliederung ihres Forschungsgegenstandes: Jeder Autor unterteilt die Nationalökonomie nach seinem Gusto in mehr oder weniger sinnvoll erscheinende Epochen. Das Chaos muss beseitigt werden! Man kann die verschiedenen Sichtweisen der Nationalökonomie zu insgesamt drei Grundrichtungen zusammenfassen: die richtende (oder metaphysische), die ordnende (oder naturwissenschaftliche) und die verstehende (oder geisteswissenschaftliche) Variante. Kaum eine dieser Grundrichtungen kommt jemals in reiner Form, sondern meist in einem bestimmten Mischungsverhältnis mit den anderen Varianten vor.
Die richtende Nationalökonomie
Warum „richtende“ Nationalökonomie? Weil sich diese Art der Wirtschaftswissenschaft weniger damit beschäftigt, wie etwas empirisch ist, sondern sich eher darüber den Kopf zerbricht, wie etwas sein sollte. Sie ist also normativ, d. h. sie will Regeln aufstellen, mit denen „richtiges“ Wirtschaften möglich ist. Es geht ihr vor allem um das Ideal der Gerechtigkeit: gerechte Preise, gerechte Verteilung, gerechter Arbeitslohn. Drei Gruppen lassen sich innerhalb der richtenden Nationalökonomie unterscheiden:
- Die Scholastiker: Bei den Scholastikern, inspiriert von Aristoteles und angeführt von Thomas von Aquin, wird die Wirtschaft eher stiefmütterlich behandelt. Aristoteles konnte sich nicht vorstellen, dass sich die Tugend ausbreiten könne, wenn man parallel dazu noch einer wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen müsse. Im Mittelalter wurde die Wirtschaft dann „theonom“, d. h. sie wurde göttlichen Gesetzen unterworfen und in das christliche Weltbild eingebaut. So wurden – auch bei den modernen Scholastikern im 19. Jahrhundert – christliche Lehre und Wirtschaft verbunden und man suchte nach der „richtigen“ Wirtschaft im christlichen Sinne.
- Die Harmonisten stellten nicht Gott, sondern den Menschen ins Zentrum ihrer Wissenschaftslehre. Alles wurde auf den Menschen hin ausgerichtet. Descartes, Newton und Rousseau waren die Wegbereiter; die Vorstellung einer harmonischen „natürlichen Ordnung“ trieb die Physiokraten; und schließlich entdeckte Adam Smith die „unsichtbare Hand“ der Marktwirtschaft, die hinter dem Egoismus des Einzelnen als weise, Harmonie schaffende Kraft agiere.
- Die Rationalisten hingegen ordneten ihre Wirtschaftsphilosophie der Vernunft unter. Nicht Empirie (Erfahrung), sondern „vernünftiges Nachdenken“ sollte darüber Aufschluss geben, wie die „richtige“ Wirtschaft auszusehen habe. So verband beispielsweise Immanuel Kant mit dem „Vernunftrecht“ der Wirtschaft Privateigentum, Vertragsfreiheit und Erbrecht. Fichte und Hegel hatten ähnliche Vorstellungen.
Die Erkenntniswege der richtenden Nationalökonomie
„Ohne Ethik wird kein Nagel in die Wand geschlagen“, hat der bedeutende Ökonom Gustav Schmoller einmal gesagt. Und genau nach diesem Motto verfährt die richtende Nationalökonomie: als ethische Wissenschaft. Dafür gibt es vier Begründungen:
- die logische: Wirtschaft ist handlungsorientiert. Handlungen jedoch beruhen auf Normen. Daher muss sich Wirtschaftswissenschaft als normorientierte Wissenschaft verstehen.
- die erkenntnistheoretische: Nur die normative Betrachtung gibt dem Forscher die Möglichkeit, das Forschungsfeld Wirtschaft systematisch zu erfassen.
- die ontologische: Sein und Sollen, also Istzustand und angestrebter Zustand können mit denselben Erkenntnismethoden erfasst und bewertet werden, weil sie sich nicht grundlegend unterscheiden, sondern im Gegenteil auf einer Ebene liegen.
- die pragmatische: Aus der beobachteten Wirklichkeit kann man erkennen, wie die Wirtschaft sein soll. Der normative Charakter lässt sich also aus der Empirie ableiten.
„In der Wissenschaft, die der deutsche Volksmund seit jeher und immerdar als Nationalökonomie bezeichnet hat, ist alles, was bestimmt sein sollte, unbestimmt: sogar der Gegenstand, mit dem sie sich beschäftigt.“ (S. 1)
Um es gleich zu sagen: Jede dieser Begründungen ist äußerst fragwürdig. Denn wenn man ein normatives, richtendes Urteil über die Wirtschaft fällt, muss man sich zwangsläufig darüber Gedanken machen, welchen Zwecken sie dient. Wenn man sich jedoch für einen Zweck der Wirtschaft entscheiden muss, fällt man kein logisches, sondern ein transzendentes Urteil. Warum soll man den Arbeitern eine Lohnerhöhung geben? Wäre es schlimm, wenn sie hungern, während die Unternehmer von goldenen Tellern essen? Was ist gut und was ist schlecht? Die Entscheidungen über solche, zugegeben etwas überspitzt formulierten Fragen berühren immer einen transzendenten Horizont: Sie betreffen „höhere Zwecke“ jenseits des rein wirtschaftlichen Bereichs (z. B. den Zweck der Schaffung menschenwürdiger Arbeits- und Lebensbedingungen).
„Ich versuche die verschiedenen Auffassungen, die bisher in der Nationalökonomie zutage getreten sind, auf ihre letzten Erkenntnisgrundlagen zurückzuführen.“ (S. 19)
In der Wirtschaft selbst findet man keinen Hinweis darauf, welche „höheren Zwecke“ verfolgt werden sollen. Will man ihr einen Zweck geben, muss dieser mit Hilfe von übergeordneten Werturteilen definiert werden. Und was auf den ersten Blick wie ein höchster Zweck der Wirtschaft erscheinen mag, z. B. höchste Produktivität oder Volkswohlfahrt, entpuppt sich als außerwirtschaftlicher Wert, wenn man fragt: „Warum Volkswohlfahrt? Warum nicht Wohlstandsmehrung für wenige und Sklaverei für den Rest?“ Das einzig wahre Werturteil kann es nicht geben. Werturteile kann man leben, man kann an sie glauben, für sie eintreten, ja sogar für sie sterben. Aber beweisen kann man sie nicht. Daraus folgt: Die richtende Nationalökonomie ist eher eine Philosophie, Metaphysik oder Religion, aber keine Wissenschaft.
Die ordnende Nationalökonomie
Die ordnende oder naturwissenschaftliche Nationalökonomie darf mit Fug und Recht als erste wirklich wissenschaftliche Erscheinungsform der Wirtschaftslehre bezeichnet werden. Sie entstand auf folgenden Grundlagen:
- Verweltlichung des Wissens: In der Neuzeit fand eine Abkehr von religiösen Wahrheiten und eine Hinwendung zu verstandesgemäßen Maßstäben statt. Die Wissenschaft erschien als eine neue Form neben Kunst, Philosophie und Religion. Descartes und Bacon wendeten sich als erste neuzeitliche Philosophen gegen die spekulativen Lehren der alten Denker. Die Wissenschaft müsse auf die Welt ausgerichtet sein, den Menschen nützen und sich moderner Methoden (z. B. der neueren Statistik) bedienen.
- Differenzierung des Wissens: Es kam zu einer Aufsplitterung der Universalwissenschaft in viele Disziplinen, die sich mit Spezialgebieten befassten. Die Wissenschaft bildete Fachwissenschaften und daraus wiederum Teilwissenschaften. Dadurch wurde der Erkenntnisgegenstand einerseits entseelt, aber andererseits auch versachlicht. Die Nationalökonomie als Fachwissenschaft verdankt ihre Existenz dieser Entwicklung.
- Demokratisierung des Wissens: Die früheren Philosophen waren keine Demokraten, sondern eher Monarchen; mit ihren Lehren wandten sie sich exklusiv an ihre Jünger. Anders die moderne Wissenschaft: Sie ist demokratisch, ihre Erkenntnisse müssen Kriterien der Allgemeingültigkeit und Übertragbarkeit genügen. Salopp formuliert: Die Erkenntnisse der Wissenschaft gelten für Christen, Buddhisten, Moslems und jeden anderen gleichermaßen bzw. müssen für jeden gleichermaßen Gültigkeit haben. Sonst sind sie nicht wissenschaftlich.
Naturwissenschaft und Nationalökonomie
Damit eine Wissenschaft von der Natur entstehen konnte, mussten zunächst drei wichtige Schritte erfolgen:
- Die Entzauberung der Natur, indem sie ihrer Mystik und ihrer Seele beraubt wurde. Die Wissenschaft leugnet die Beseelung der Natur, wie sie in alten Mythen und Legenden beschrieben wird.
- Die Entgottung der Natur: Trotzdem hielt sich lange Zeit der Glaube daran, dass die Natur, obschon entzaubert, noch einem göttlichen Heilsplan folge, von Gott in Bewegung gesetzt worden sei und von ihm gewissermaßen gesteuert werde. Auch diese Annahme, dass der Lauf der Natur einem göttlichen Ziel folge, wurde mit der Zeit aufgegeben.
- Schließlich kam es zur Entwesung der Natur: Sahen Schelling und Hegel in ihr noch so etwas wie einen „Weltgeist“, musste dieser für die Naturwissenschaft „herausgetrieben“ werden. Jedes metaphysische Element wurde aus der Natur verbannt. Erst dann, blank und bloß, konnte man sich daran machen, die Natur zu erforschen.
„Mit anderen Worten: Es gibt keinen selbstständigen, obersten Zweck der Wirtschaft, keinen absoluten Wert der Wirtschaft.“ (S. 67)
Diese Erforschung der Natur erfolgte mittels der Elementarisierung (Rückführung auf kleinste Einzelbausteine), Quantifizierung (Zählung und Messung) und schließlich Mathematisierung (Aufstellung von Gesetzen mithilfe von Symbolen und Analyse). So konnte man die Natur durch Formeln und Rechnungen beherrschen. All dies hat große Fortschritte ermöglicht. Das sollte aber nicht über eine wichtige Tatsache hinwegtäuschen: Die Wissenschaft kann nur die Hülle der Natur, nie aber ihr inneres Wesen erkennen. Wir können unser wissenschaftliches Instrumentarium immer weiter verbessern, aber was bringt uns das in Bezug auf das wahre Wesen der Dinge? Erst sah man das sichtbare Licht, dann entdeckte man die ultraviolette Strahlung dahinter, danach die Röntgenstrahlung, danach die Gammastrahlung ... Aber das sind nur Verfeinerungen, nichts weiter. Messen, wiegen, berechnen: Weiter kann die Naturwissenschaft – und damit auch die ordnende Nationalökonomie – nicht vordringen.
Die verstehende Nationalökonomie
Was ist die Nationalökonomie denn nun für eine Wissenschaft? Unbestreitbar ist sie eine Erfahrungswissenschaft, denn sie bezieht sich auf die räumliche und zeitliche Wirklichkeit. Sie ist weiterhin eine Kultur- oder Geisteswissenschaft, weil sie den menschlichen Kulturbereich – in Abgrenzung von der Naturwissenschaft – behandelt. Schließlich ist sie eine Sozialwissenschaft, weil jede Form des Wirtschaftens in der Gemeinschaft von Menschen vollzogen wird. Um aus der Nationalökonomie eine Wissenschaft zu machen, müssen ihre Einzelteile zu einem Wissenschaftssystem verbunden werden. Für die verstehende Nationalökonomie ist dabei vor allem das Verstehen von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zu Naturerscheinungen (z. B. dem Durcheinander in einem Ameisenhaufen) können wir Kulturerscheinungen (z. B. das Durcheinander von Fußballspielern auf einem Fußballplatz) verstehen, weil wir die sozialen Regeln kennen. Verstehen kann man auf dreierlei Weise:
- Sinnverstehen: Hierzu gehört das Verstehen der allgemeinen Ideen der Nationalökonomie und das Verstehen der möglichen Bestandteile eines Wirtschaftssystems. Es muss sozusagen eine „Liste von Möglichkeiten“ für Wirtschaftssysteme aufgestellt und diese müssen dann – für die Ausformung eines konkreten Systems – neu kombiniert werden.
- Sachverstehen: Hierbei handelt es sich um das Verstehen von real existierenden Phänomenen der Wirtschaft, die auch in ihrem Sinn- und Beziehungszusammenhang betrachtet werden.
- Seelverstehen: Dies ist die tiefste Form des Verstehens. Weil Wirtschaft ein Kulturphänomen ist, muss man die „Seele der Menschen“ verstehen, wenn man die Wirtschaft verstehen will.
„Für Werte lebt man, für Werte stirbt man, wenn es notwendig ist. Werte aber beweist man nicht.“ (S. 83)
Bei der Frage, ob die richtende, ordnende oder verstehende Nationalökonomie zur Anwendung kommen sollte, ist die Antwort eindeutig: Die richtende ist abzulehnen, weil sie Werturteile fällt, was in jedem Fall unwissenschaftlich ist. Die ordnende ist ebenfalls abzulehnen, weil sie uns um die tieferen Einsichten ins Wesen der Dinge beraubt. Nur die verstehende Nationalökonomie ist die Wissenschaft der Wahl.
Zum Text
Aufbau und Stil
Werner Sombart hat sein Buch in vier Teile gegliedert: Die ersten drei sind umfassende Abhandlungen der unterschiedlichen Nationalökonomien (die richtende, ordnende, verstehende). Im letzten Kapitel widmet er sich der „Wirtschaft als Ganzes“ und systematisiert die Aufgaben und Teilgebiete der Nationalökonomie. Unter dem Deckmantel der methodischen Abhandlung verbergen sich an einigen Stellen Schwächen in der Argumentation: So listet Sombart gerne alle möglichen Beweise und Einwände auf, geht aber nur auf einige ausführlich ein und speist andere mit wenigen Worten ab. Für moderne Leser entstehen hier Unsicherheiten, wie auch bei den vielen fremdsprachlichen Zitaten, mit denen Sombart seine Argumentation stützt. Wer kein Latein und vor allem kein Französisch versteht, wird an manchen Stellen Schwierigkeiten haben, Sombart zu folgen, zumal er nichts zusammenfasst und selten etwas gesondert auf den Punkt bringt. Die Erklärung der drei zentralen Begriffe des Verstehens, des Sinn-, Sach- und Seelverstehens, gerät Sombart zu einem eher nebulösen Teil seiner Abhandlung: Von manchen Kritikern wurde eingewendet, dass man an dieser Stelle mehr verwirrt als belehrt werde. Der Stil des Buches ist von systematischer Nüchternheit bestimmt, orientiert sich an dem didaktischen Aufbau einer Abhandlung, wird aber dennoch nicht langweilig, weil Sombart nicht sklavisch an sprachlichem Formalismus klebt, sondern sich durchaus auch als guter Stilist zeigt.
Interpretationsansätze
- Werner Sombart richtet sich in seiner Abrechnung mit der richtenden Nationalökonomie insbesondere gegen die Vermischung der Wissenschaft mit der Ethik: Eine Nationalökonomie, die Normen aufstellt und bestimmen will, was gut oder schlecht ist, verliere ihre Wissenschaftlichkeit: Sie sei eigentlich Metaphysik.
- Sombart vertritt in den Drei Nationalökonomien die These der Werturteilsfreiheit, die besagt, dass die Nationalökonomie niemals richtend oder dogmatisch betrieben werden dürfe. Genau diese wertende Haltung verlangte aber die nationale Wirtschaftspolitik der NS-Zeit, sodass Sombart zusehends ins Abseits gedrängt wurde.
- Bei der Frage nach dem Sinn und Wert der Nationalökonomie, die er von der Wirtschaftskunstlehre (heute: BWL) abgrenzt, richtet sich Sombart gegen das Primat des praktisch Verwertbaren. In seinen Augen erfüllt die Nationalökonomie als Geisteswissenschaft bereits einen Zweck an sich: das Denken zu schulen, zu weiten und zu ordnen.
- Sombart hat seine Methodenlehre mit zwei sich ausschließenden Prämissen formuliert, die also nicht beide gleichzeitig Geltung haben können: einerseits die Aufrechterhaltung der These von der Werturteilsfreiheit und andererseits der Ehrgeiz, eine umfassende Theorie aufzustellen – die notwendigerweise Bewertungen enthalten muss. Dieser Widerspruch wird von Sombart nicht aufgelöst.
- Sombart entwickelte eine Wirtschaftswissenschaft, die zugleich Sozialwissenschaft ist: Soziale Erscheinungen seien kultur- und zeitspezifisch. Daher könne der Soziologe nur eine bestimmte historisch ausgeformte Gesellschaft untersuchen – und daraus nicht unbedingt den Schluss ziehen, dass alle möglichen Gesellschaften nach den gleichen Regeln funktionieren.
Historischer Hintergrund
Von der Konservativen Revolution zum NS-Staat
Die Weimarer Republik stand von Anfang an auf wackligen Füßen. Kein Wunder, dass sich in Deutschland zwischen 1918 und 1933 eine politische Gruppe ohne festen Zusammenhalt bildete, die eine „konservative Revolution“ forderte. Die eigentlich paradoxe Wortkombination geht auf eine Rede Hugo von Hofmannsthals zurück: Die alten konservativen Kräfte hätten sich durch den verlorenen Ersten Weltkrieg ins Abseits manövriert, daher sei eine neue konservative Kraft nur über eine Revolution zu erringen – gegen den Liberalismus, gegen den Parteienstaat, gegen die von den Siegermächten aufgezwungenen Demütigungen. Den Vertretern der Konservativen Revolution schwebte ein autoritärer Staat vor, der von einer geistig-politischen Elite geführt werden sollte. Mit diesen Ideen wurde der Boden für die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 geebnet, auch wenn sich die Anhänger der Konservativen Revolution (zu denen u. a. Ernst Jünger und Thomas Mann zählten) vom Populismus der Nazis abgrenzten. Einer der Haupttheoretiker der Konservativen Revolution war Arthur Moeller van den Bruck. Sein Buch Das dritte Reich (1923) wurde von den Nationalsozialisten propagandistisch ausgeschlachtet. Oswald Spengler beschwor in seinem kulturpessimistischen Hauptwerk Der Untergang des Abendlandes (1918–1922) den Zerfall und die Dekadenz einer Kultur und deren Ablösung durch eine neue.
Werner Sombart sympathisierte – zumindest zeitweise – mit den Zielen der Konservativen Revolution, was sich besonders gut an der Auflagengeschichte seines Frühwerks Sozialismus und soziale Bewegung erkennen lässt: Die zehnte Auflage erschien 1924 unter dem geänderten Titel Der proletarische Sozialismus – ein Reflex auf Sombarts Annäherung an das konservative Lager. Sombarts Rolle im Dritten Reich ist bis heute umstritten: Obwohl er in Der deutsche Sozialismus (1934) einen Führerstaat ohne Umschweife guthieß, lehnten ihn die Nationalsozialisten ab. War es Opportunismus, der Versuch, seine wirtschaftlichen Theorien den neuen Machthabern schmackhaft zu machen? Falls ja, misslang er jedenfalls. In seinem Spätwerk Vom Menschen (1938) verurteilte Sombart dann auch die menschenverachtende Politik der Nazis.
Entstehung
Als Werner Sombart Anfang 1930 sein methodologisches „Großreinemachen“ Die drei Nationalökonomien veröffentlichte, hatte der Soziologe und Ökonom ein Verständnis seines Faches entwickelt, das viele seiner Wissenschaftlerkollegen so nicht teilten. Der ursprüngliche Titel sollte „Das Ende der wissenschaftlichen Nationalökonomie“ lauten, wurde dann aber zugunsten einer etwas freundlicheren Dreiteilung der Nationalökonomie abgewandelt. Grundsätzlich kann Sombarts Werk als Versuch gesehen werden, den Methodenstreit oder Werturteilsstreit in den Sozialwissenschaften zu lösen. Dieser Methodenstreit war etwa um 1910 entflammt. Die Frage lautete: Darf die Wissenschaft nur Sachaussagen („Was ist?“) machen oder darf, ja muss sie auch Wertaussagen („Was soll sein?“) machen? Der Soziologe Max Weber hatte mit seinem Grundsatzartikel Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904) seine Vorstellung von der wissenschaftlichen Methode deutlich gemacht: Sie solle sich jeden Werturteils enthalten. In Opposition dazu standen jene Sozialwissenschaftler, die mit Werturteilen und/oder der naturwissenschaftlichen Methodik an die Forschung gingen. Sombarts Buch wies den drei verschiedenen Formen der Nationalökonomie ihre besonderen Refugien zu – was natürlich nicht ohne Kritik an den Kollegen möglich war.
Wirkungsgeschichte
Gleich nach dem Erscheinen der Drei Nationalökonomien erfuhr das Werk sowohl großes Lob als auch vehementen Protest. Der „Verein für Sozialpolitik“ thematisierte das Buch auf seiner Pfingstsitzung, nur wenige Wochen nach dem Erscheinen. Der Soziologe Othmar Spann lobte das Werk als „endlich wieder einmal ein geistsprühendes, selbstständiges Buch“. Der neoliberale Intimfeind Sombarts, Alfred Ammon, publizierte mit großem Tamtam eine fast hundertseitige Schmähschrift auf Die drei Nationalökonomien. Außerdem verwahrten sich viele Wissenschaftler gegen Sombarts rigorosen Ausschluss der „richtenden Nationalökonomie“ aus dem Kreis der Wissenschaften. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde diese Sichtweise Allgemeingut: Parteilichkeit und Wertung gehörten zum Handwerkszeug der Wissenschaftler – und zwar nach den Richtlinien der Partei. Was für Werner Sombart im Allgemeinen gilt, gilt für seine Drei Nationalökonomien im Besonderen: Zu Lebzeiten war er zwar einer der meistgelesenen Soziologen Deutschlands, dessen Wertschätzung seitens seiner Kollegen sogar die Max Webers in den Schatten stellte. Er selbst äußerte aber einmal selbstkritisch, dass sein „Leben und Werk ... verfehlt waren“. Was die Wirkung seines Werkes angeht, sollte er Recht behalten: Zu seinem 70. Geburtstag fanden sich keine Festredner, weil er keine wirklichen Anhänger hatte. Während heute die Arbeiten Max Webers auch außerhalb der Fachwelt populär sind, ist Sombart nur einem kleinen Kreis von Experten bekannt. 1994 kehrte Sombart überraschend ins Bewusstsein des Fachpublikums zurück, als mehrere Geschichtswissenschaftler in einem Historikerstreit in der Wochenzeitung Die Zeit über Sombarts Stellung im NS-System debattierten. Es gibt Stimmen, die behaupten, auch heute, mehr als 80 Jahre nach Sombart, sei die Wirtschaftswissenschaft im Verstehen vieler Phänomene (Börse, Management, Konjunktur) noch nicht entscheidend weitergekommen.
Über den Autor
Werner Sombart ist das Stiefkind der modernen Nationalökonomie: Als Wendehals verschrien, der sich vom sozialen Reformer mit Vorliebe für den Sozialismus zum ultrakonservativen Kulturkritiker wandelte und mit dem Führerprinzip der Nationalsozialisten liebäugelte, ist er wohl bis heute der einzige Wirtschaftswissenschaftler, der zu Lebzeiten so stark gelesen wurde und danach so sehr in die Bedeutungslosigkeit gerutscht ist. Sombart wird am 19. Januar 1863 in Ermsleben (Harz) geboren. Er studiert Jura und zeigt sich empfänglich für die Theorien der Kathedersozialisten um Gustav Schmoller. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Schmoller sein Doktorvater wird: Sombart promoviert 1888 in Berlin. Seine Berufung als Nachfolger Max Webers an die Universität Heidelberg scheitert an den Ressentiments des badischen Großherzogs Friedrich II., der Sombart eine linke Orientierung unterstellt. Tatsächlich betrachtet es Sombart als Teil seiner Lebensaufgabe, die Marx’schen Theorien weiterzuentwickeln, wofür er von Friedrich Engels hoch gelobt wird. 1902 erscheint Sombarts Hauptwerk Der moderne Kapitalismus, das ebenfalls klar von Marx beeinflusst ist. Diesem Buch ist es zu verdanken, dass der Begriff „Kapitalismus“ in den wissenschaftlichen Gebrauch übergeht. Sombarts Ruf als „Linker“ führt dazu, dass ihm die Berliner Universität das Recht abspricht, Vorlesungen zu halten. Gleichwohl wird er 1906 an die Handelshochschule in Berlin gerufen und wird nach umfangreicher Publikationstätigkeit 1917 Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Berliner Universität. 1931 wird Sombart emeritiert, setzt seine Lehrtätigkeit aber noch bis 1940 fort. Er stirbt am 18. Mai 1941 in Berlin.
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