E. T. A. Hoffmann
Die Elixiere des Teufels
Deutscher Klassiker Verlag, 2007
Was ist drin?
Gibt es unschuldige Frevler? E. T. A. Hoffmanns Schauerroman gruselt nach allen Regeln der Kunst und wirft hochaktuelle Fragen auf.
- Schauerliteratur
- Romantik
Worum es geht
Teuflische Versuchung
Der Roman Die Elixiere des Teufels begründete E. T. A. Hoffmanns zweifelhaften Ruf als „Gespenster-Hoffmann“. Tatsächlich handelt es sich um einen Schauerroman mit allen Attributen guter Gruselunterhaltung. Es ist die Lebensbeichte des Mönchs Medardus, der von einem geheimnisvollen Teufelselixier kostet und das Kloster verlässt, um zu sündigen. Erst nach Morden und fleischlichen Freveltaten enthüllen sich ihm die geheimnisvollen und skandalösen Zusammenhänge seiner Herkunft: Er entstammt einem Geschlecht, auf dem ein alter Fluch liegt. Hoffmann versteht es wunderbar, eine unheimliche Atmosphäre heraufzubeschwören, und schreibt mitunter auch grotesk komisch. Die Leselust wird höchstens dadurch gebremst, dass den komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen nicht immer leicht zu folgen ist. Dass der Roman sehr viel mehr zu bieten hat als romantisches Gruseln, erkannte man in Deutschland erst im 20. Jahrhundert. Die Gefährdung des Menschen durch Identitätsauflösung, die Macht des Unbewussten, die Frage nach der Willensfreiheit – all diese heute noch höchst aktuellen Themen werden im Roman behandelt.
Take-aways
- Die Elixiere des Teufels ist ein Schauerroman mit typischen Motiven dieses Genres: unheimliche Schauplätze, übernatürliche Ereignisse, ein verfluchtes Geschlecht.
- Der Mönch Medardus trinkt von einem angeblichen Teufelselixier und verlässt das Kloster, um seine fleischlichen Gelüste zu stillen.
- Er ist auf der Suche nach Aurelie, die ihm im Beichtstuhl ihre Liebe gestanden hat. Bald sieht er sie als Heilige, bald als Objekt seiner unkeuschen Begierde.
- Während er ihr nachstellt, bricht er sein Keuschheitsgelübde und bringt mehrere Menschen um, u. a. den Bruder der Geliebten.
- Immer wieder kreuzt sich sein Weg mit einem seltsamen Doppelgänger, der ihn allmählich in den Wahnsinn treibt.
- Frieden findet er erst, als Aurelie ihr Klostergelübde ablegt und er das Geheimnis seiner Herkunft erfährt.
- Auf Medardus’ Familie liegt ein Fluch, der auf die Vergehen seines Urahns, eines sündhaften Heiligenmalers, zurückgeht.
- Dessen Nachkommen waren fast alle Mörder und wurden durch Inzest oder Vergewaltigung gezeugt.
- Der Roman kreist um die Frage, ob Medardus mit dieser erblichen Belastung gezwungenermaßen sündigt oder dies aus freien Stücken tut.
- So moderne Themen wie die Auflösung des Ichs und das Unbewusste werden im Roman zur Sprache gebracht.
- Hoffmanns Zeitgenossen verkannten die literarischen Qualitäten des Romans; sie verachteten ihn als Trivialliteratur.
- Hoffmann war als Autor, Komponist und Zeichner ein Universalgenie der Romantik.
Zusammenfassung
Kindheit und Klosterleben
Der spätere Mönch Medardus wird auf einer Pilgerreise geboren. Seine Eltern haben sich zu einer heiligen Linde in Preußen aufgemacht, wo sein Vater eine Todsünde büßen will. Tatsächlich wird dieser „entsündigt“, stirbt jedoch just, als das Kind zur Welt kommt. Anderthalb Jahre bleiben die Mutter und der Kleine bei der heiligen Linde. Aus dieser Zeit ist ihm das schöne Bild der heiligen Rosalia in Erinnerung. Auf der Heimreise wird die Äbtissin eines Klosters auf den Jungen aufmerksam und unterstützt ihn und seine arme Mutter fortan. Mit 16 nimmt er in der Nachbarstadt das Theologiestudium auf, und schon bald tritt er in ein nahe liegendes Kapuzinerkloster ein. Als Mönch Medardus macht er sich in der Stadt durch Predigten einen Namen.
„Glut strömte durch meine Adern und erfüllte mich mit dem Gefühl unbeschreiblichen Wohlseins – ich trank noch einmal, und die Lust eines neuen herrlichen Lebens ging mir auf!“ (S. 47)
Im Kloster wird ihm die Aufsicht über die Reliquien anvertraut, unter denen sich eine in einem Kästchen verborgene Flasche befindet. Es soll sich dabei um ein Teufelselixier aus dem Nachlass des heiligen Antonius handeln. Nachdem ein vorbeireisender Graf unbekümmert aus der Flasche getrunken hat, kann Medardus seine Neugier nicht mehr bezähmen – und nimmt eines Nachts auch einen Schluck. Die Flüssigkeit hat eine stärkende Wirkung auf ihn. Das hat er bitter nötig, denn die Kraft seiner Rede hat erheblich nachgelassen, seit er beim Predigen eine unheimliche Vision gehabt hat: Ein hagerer Mann, in dem er den Maler der heiligen Rosalia zu erkennen glaubte, sah ihn aus toten Augen durchdringend an. Mit der Wirkung des Elixiers werden seine Qualitäten als Redner wiederhergestellt. Als aber eine schöne Unbekannte, die der heiligen Rosalia verblüffend ähnlich sieht, seine fleischliche Begierde weckt und ihm im Beichtstuhl ihre Leidenschaft gesteht, will er das Kloster verlassen. Medardus wird auf eine Mission nach Rom geschickt. Das Teufelselixier nimmt er mit.
Doppeltes Spiel, doppelter Mord
Mitten im Gebirge, vom Wandern durstig und erschöpft, gibt Medardus der Versuchung abermals nach und trinkt von dem belebenden Elixier. Kurz darauf sieht er einen Mann in Uniform gefährlich nah an einem Abgrund schlafen. Er will ihn warnen, doch der Mann stürzt sprichwörtlich zu Tode erschreckt in die Tiefe. Es handelte sich um Graf Viktorin, der vorhatte, als Mönch verkleidet in das herrschaftliche Haus seiner verheirateten Geliebten einzudringen – dies erfährt Medardus vom Jäger des Grafen, der ihn mit diesem verwechselt.
„Mit meinem Selbst mehr als jemals entzwei, wurde ich mir selbst zweideutig, und ein inneres Grausen umfing mein eignes Wesen mit zerstörerischer Kraft.“ (S. 142)
Medardus schlüpft in Viktorins Rolle. Die Baronesse Euphemie glaubt tatsächlich, unter der Mönchskutte verberge sich ihr Liebhaber und gibt sich ihm hin; der Schlossverwalter allerdings erkennt später den Prediger Medardus. So spielt dieser ein doppeltes Spiel. Als echter Mönch soll er das schlimme Geheimnis des Sohnes der Familie, Hermogen, herausfinden, der von schwerer Schuld niedergedrückt wird. Aufschluss gibt ihm ein Gespräch mit Euphemie, die Hermogens Stiefmutter ist und den Jungen verführt hat, worauf dieser wahnsinnig wurde. Euphemie betrachtet Menschen wie Spielzeuge, und Medardus ist zusehends abgestoßen von ihrer Durchtriebenheit – zumal er sich in die unschuldige Aurelie, Hermogens Schwester, verliebt hat. In ihr meint er die Unbekannte aus dem Beichtstuhl und zugleich die heilige Rosalia wiederzuerkennen. Sie lässt ihn aber nicht an sich heran. Als er schließlich Euphemies Hochmut nicht mehr erträgt, schleudert er ihr die Wahrheit über seine Identität ins Gesicht. Daraufhin will sie ihn vergiften; doch er vertauscht die Becher, und so stirbt sie. In derselben Nacht tötet er auch Hermogen, der ihn daran hindern will, sich der schlafenden Aurelie zu nähern. Medardus flieht aus dem Schloss.
Ein irrer Doppelgänger
Medardus trägt Viktorins weltliche Kleider, dennoch stößt er in einem Dorf wegen seines absonderlichen Äußeren auf Misstrauen: Noch trägt er die Tonsur und bewegt sich wie ein Mönch. Er reitet weiter und lässt sich in einer belebten Handelsstadt von einem Friseur namens Pietro Belcampo unauffällig frisieren und kleiden. Medardus beschließt, sich Leonard zu nennen. In der Stadt fühlt er sich einsam, deshalb knüpft er in einem Gasthaus Kontakt mit einem Stammtisch von kulturell Interessierten. Dort unterhält man sich gerade über einen genialen Maler. Leonard besucht dessen Ausstellung und erkennt in einem Porträt seine Pflegemutter, die Äbtissin, in einem anderen Aurelie. Dann erscheint der Maler selbst im Gasthaus: Es ist der furchterregende Mann mit den Totenaugen, der ihn damals hat zusammenbrechen lassen. Der Maler erzählt eine Teufelsanekdote, die sich als Medardus’ Geschichte auf dem Schloss herausstellt. Er fügt hinzu, dass die Waise Aurelie, die er in der Tat als Heilige porträtiert hat, sich nach dem Doppelmord in ein Zisterzienserinnenkloster geflüchtet hat – ebenjenes, in dem Medardus’ Pflegemutter Äbtissin ist. Schließlich lenkt der Maler die Aufmerksamkeit auf Medardus: Dieser sei bei allem dabei gewesen. Nur knapp entkommt der Mönch und verlässt mit Belcampos Hilfe fluchtartig die Stadt.
„Mein Traum trat in das Leben, eiskalt rieselte es mir durch die Adern. Unbeweglich, wie eine Bildsäule, mit übereinandergeschlagenen Armen stand der Mönch da und starrte mich an mit den hohlen schwarzen Augen.“ (S. 213)
Im Wald kommt er im Haus eines Försters unter. Dort begegnet ihm nachts ein Irrer in einer Kapuzinerkutte, der in seinen Sachen herumstöbert und zu seinem Erschrecken wie er selbst aussieht. Der Förster erzählt Medardus, was es mit dem Eindringling auf sich hat: Dieser Mönch habe von einem Teufelselixier getrunken und sei daraufhin zum Verbrecher geworden. Er sei im Kerker gelandet, aber Satan habe ihm seine Hilfe angeboten, wenn er ihm fortan ganz dienen wolle. Der Mönch habe es versprochen und sei befreit worden; später habe der Förster ihn, verwahrlost und wahnsinnig, im Wald aufgefunden. Als Medardus genauer nach der Herkunft des Mönches fragt, sagt der Förster, er glaube, es handle sich um den Mönch Medardus.
Fürstliche Verwandtschaft
Nach seinem kurzen Aufenthalt im Forsthaus zieht es Medardus zur Fürstenresidenz, denn die Fürstin ist die Schwester seiner Pflegemutter, der Äbtissin. In ihrer Nähe will er den drohenden Wahnsinn loswerden und ins fromme Leben zurückfinden. Er gewinnt die Zuneigung des Fürsten, die Fürstin dagegen ist misstrauisch. Zu sehr, so erklärt ihm der Leibarzt des Fürsten, erinnere er sie an unschöne Vorkommnisse in der Vergangenheit:
„Entsetzlicher Mensch ... hebe dich weg! ... Nein! ... Kein Mensch, du bist der Widersacher selbst, der mich stürzen will in ewige Verderbnis ... hebe dich weg, Verruchter! hebe dich weg!“ (Medardus zum Maler, S. 213)
Medardus sehe einem gewissen Francesko verblüffend ähnlich. Dieser habe einst ein Verhältnis mit der Schwester der Fürstin, also der Äbtissin, gehabt und außerdem sei er mit dem Bruder des Fürsten befreundet gewesen. Dieser Fürstenbruder sei in seiner Hochzeitsnacht ermordet worden, und man habe einen Maler verdächtigt. Während der Hochzeit Franceskos mit der Schwester der Fürstin sei dieser gespenstische Mann dann plötzlich erschienen. Auf die Frage, warum diese Gestalt ihn so erschrecke, habe sich Francesko mit einem Messer auf den Maler gestürzt, aber bevor er ihn erreicht habe, sei er ohnmächtig zusammengebrochen. Er sei dann vom Hof geflohen, seine Geliebte ins Kloster gegangen. Derweil habe die Braut des Fürstenbruders, die in der Hochzeitsnacht vom Mörder ihres Bräutigams vergewaltigt worden sei, einen Sohn bekommen, den späteren Graf Viktorin. Die Fürstinnenschwester habe als Äbtissin eine arme Pilgerin mit ihrem Kind aufgenommen ...
Liebe und Wahnsinn
Der Leibarzt muss seine Erzählung abbrechen, denn die Fürstin führt ein neues Fräulein am Hof ein: Es ist Aurelie. Medardus entbrennt in Liebe zu ihr, aber sie graust sich vor ihm, weil sie in ihm den Mörder ihres Bruders erkennt. Auf ihren Hinweis hin wird Medardus verhaftet und in den Kerker geworfen. Er schwankt zwischen Kampfeswillen und dem Drang, alles zu gestehen. Mehrere Visionen suchen ihn heim: Erst erscheint ihm Viktorin, dann er sich selbst als Doppelgänger und erneut der Maler. Letzterer ist jetzt plötzlich eine positive Figur: Er habe Medardus stets nur vor der Verdammnis warnen wollen. Dieser will am folgenden Tag ein Geständnis ablegen und sich anschließend umbringen. Doch dann erhält er unverhofft die Nachricht, er sei frei: Er könne nicht Medardus sein, denn der sei soeben auf einem Wagen festgebunden herbeigebracht worden. Tatsächlich handelt es sich um den wahnsinnigen Mönch aus dem Forsthaus.
„Medardus! – armer kurzsichtiger Tor! – schreckbar, grauenvoll bin ich dir erschienen, wenn du über dem offenen Grabe ewiger Verdammnis leichtsinnig gaukeltest. Ich warnte dich, aber du hast mich nicht verstanden!“ (der Maler, S. 213 f.)
Medardus erleidet selbst einen Anfall von Wahnsinn und wird schwer krank. Nach seiner Genesung gesteht ihm Aurelie überraschend ihre Liebe. Er ist selig, und nur selten schlägt seine reine Liebe in sexuelle Gier um. Der Fürst beraumt die Hochzeit an. Zuvor liest Medardus einen Brief von Aurelie an die Äbtissin, in dem sie ihre eigene Zerrissenheit zwischen unschuldiger und sündiger Liebe bekennt: Sie habe den Mönch Medardus immer geliebt und habe ihm sogar im Beichtstuhl ihre Liebe gestanden. Als der Mönch sich scheinbar als Mörder ihres Bruders erwiesen habe, sei sie über ihre eigenen sündigen Gefühle entsetzt gewesen – und jetzt sei sie umso erleichterter, doch ihren wahren Geliebten in ihm zu finden. Medardus schwankt, ob er ihr reinen Wein einschenken soll. Die Wahrheit bricht erst im Moment der Trauung aus ihm heraus. In einem Anfall von Wahnsinn sticht er mit einem Messer auf Aurelie ein. Dann flieht er in den Wald und verliert das Bewusstsein.
Die Fäden laufen zusammen
Drei Monate später erwacht Medardus mit klarem Bewusstsein. Er befindet sich in einem Irrenhaus in Italien. Belcampo ist bei ihm. Der Friseur hat den Mönch nackt im Wald gefunden; sein Ordensmantel lag neben ihm. Als Medardus sich erholt hat, setzt er seine Reise nach Rom fort. Wenige Stunden vor dem Ziel gelangt er zu einem Kapuzinerkloster; dort beichtet er dem Abt all seine Taten. Dieser weiß schon über ihn Bescheid und teilt ihm mit, dass Aurelie lebt – in seinem Wahn hat Medardus sich selbst verletzt, nicht sie. Der Abt gibt ihm ein Buch zu lesen, das der Maler, ein häufiger Gast im Kloster, geschrieben hat. Mit der Lektüre enthüllen sich Medardus die Geheimnisse seines eigenen Lebens:
„(...) ich selbst bin die Narrheit, die ist überall hinter dir her, um deiner Vernunft beizustehen, und du magst es nun einsehen oder nicht, in der Narrheit findest du nur dein Heil, denn deine Vernunft ist ein höchst miserables Ding (...)“ (Belcampo zu Medardus, S. 259)
Der Maler heißt Francesko und war einst ein Schüler von Leonardo da Vinci. Nach dessen Tod wurde er hochmütig, wandte sich von der Heiligenmalerei ab und pflegte eine unchristliche Lebensweise. Nur einmal nahm er aus Geldnot den Auftrag an, die heilige Rosalia zu malen. Dabei vermischte er aber das Bildnis der Heiligen mit dem der Venus. Einer seiner leichtlebigen Freunde gab ihm Wein aus dem Keller des heiligen Antonius zu trinken, und bald darauf trat ihm die Frau, die er gemalt hatte, leibhaftig entgegen. Er lebte mit ihr in wilder Ehe, und als sie nach der Geburt eines Sohnes merkwürdig entstellt starb, erkannte er, dass sie im Bündnis mit dem Teufel gestanden hatte. Von nun an lag ein Fluch auf ihm: Solange er Nachkommen haben würde, sollte er nicht ruhen. Über Generationen hinweg, bis hin zu Medardus’ Vater, wurden fortan Kinder ehebrecherisch gezeugt und hatten unerkannte Halbgeschwister. Medardus’ Vater sah dem Maler-Ahnen besonders ähnlich. Er hieß ebenfalls Francesko und war der Mörder des Fürstenbruders. Auch Euphemie entstammte dem verhängnisvollen Geschlecht, sie war eine illegitime Tochter von Francesko. Sie, Viktorin und Medardus waren demnach Halbgeschwister. Letzterer ist der einzige eheliche Sohn von Francesko; dieser heiratete Medardus’ Mutter, eine einfache Landfrau, als er seine Taten längst bereute. In Medardus sahen die Eltern von Anfang an die Hoffnung auf Erlösung des Vaters und des Urahnen. Deshalb sollte er Geistlicher werden.
Zurück im Kloster
In Rom entgeht Medardus nur knapp einer Intrige, die ihn fast das Leben kostet: Der Papst wird auf ihn aufmerksam, und für kurze Zeit lockt ihn eine Karriere im Vatikan, aber dann erkennt er, dass dieser Ehrgeiz wieder teuflischen Ursprungs ist. Dominikanermönche verüben einen Giftanschlag auf ihn, doch er ahnt es und schüttet den Wein in seinen Ärmel, woraufhin ihm das ätzende Gift den Arm verstümmelt. Medardus flieht und kehrt nach Deutschland in sein altes Kloster zurück. Der dortige Abt löst die restlichen Rätsel auf: Bei dem wahnsinnigen Mönch und vermeintlichen Doppelgänger handelt es sich um den Grafen Viktorin, der den Sturz in den Abgrund überlebte und dann, verrückt geworden und sich selbst für Medardus haltend, in das Haus des Försters gelangte. Später kam er auch zu Medardus’ Kapuzinerkloster und erklärte dem Abt in einem hellen Moment die Zusammenhänge. Nach seinem Geständnis sank Viktorin wie tot nieder, und wenig später war sein Körper verschwunden.
„Man sagt, das Wunderbare sei von der Erde verschwunden, ich glaube nicht daran.“ (der Abt, S. 274)
Im benachbarten Zisterzienserinnenkloster steht ein Neueintritt an. Wie Medardus erfährt, handelt es sich bei der Novizin um Aurelie, die den Namen Rosalia annehmen wird. Als Medardus Aurelie sieht, wird noch einmal die lüsterne Begierde in ihm wach, aber in dem Moment, als sie anfängt, das Gelübde zu sprechen, hat er das Böse überwunden – diesmal endgültig. Da stürmt plötzlich ein halb nackter Mensch in die Kirche und stößt Aurelie ein Messer in die Brust: Es ist Viktorin, der anschließend abermals spurlos verschwindet. Nach dem ersten Entsetzen wird Aurelie als Märtyrerin, ja als die heilige Rosalia selbst verehrt. Als letzte Bußübung erhält Medardus vom Abt die Aufgabe, seine Geschichte aufzuschreiben. Er tut es und stirbt genau ein Jahr nach Aurelie.
Zum Text
Aufbau und Stil
Der Roman ist der rückblickende Lebensbericht des Mönchs Medardus und ist folglich in der Ich-Form geschrieben. Dem Hauptteil geht das Vorwort eines von Hoffmann erfundenen Herausgebers voran, der die Papiere des Mönchs im Klosterarchiv gefunden haben will und nun veröffentlicht. Diese so genannte Herausgeberfiktion ist eine gängige literarische Praxis, um einen Lebensbericht glaubhaft erscheinen zu lassen. Von Medardus’ Tod erzählt in einem kurzen Nachtrag der Bibliothekar des Klosters. Hoffmann bedient sich der typischen Elemente des Schauerromans: grausame Verbrechen, geheime Verwandtschaftsbeziehungen, die nicht selten durch Vergewaltigung oder Inzest entstanden sind, überraschende Wendungen und Auflösungen, düstere, oft nächtliche Schauplätze, grauenerregende Geräusche. Der Fortgang der Handlung wird immer wieder von rätselhaften und oft absurd komischen Episoden unterbrochen, etwa von jener um den schrägen Friseur Belcampo. Durch diese Verzögerungsmomente wird die Spannung noch gesteigert. Nicht nur Komik und Schauerliches werden vermischt, sondern auch unterschiedliche Ebenen des literarischen Anspruchs: Mit seiner raffiniert doppelbödigen, bildhaften Sprache geht Hoffmann oft weit über das hinaus, was zeitgenössische Leser von einem Unterhaltungsroman erwarteten.
Interpretationsansätze
- Ein Hauptthema des Romans ist die Willensfreiheit. Muss Medardus aufgrund des Familienfluchs sündigen? Oder hätte er auch die Macht, der Versuchung zu widerstehen? Und wenn er gar nicht anders kann: Sind seine Taten dann überhaupt noch Sünde? Im Licht der heutigen Naturwissenschaft, die den Menschen auch als genetisch determiniertes Wesen betrachtet, erhalten solche Fragen neue Relevanz.
- Medardus’ Zugehörigkeit zu einem verfluchten Geschlecht ist eine Variation der biblischen Erbsünde: Wie nach der christlichen Theologie jeder Mensch die Folgen von Adams und Evas Ursünde zu tragen hat, ziehen die einstigen Frevel des Malers Generationen von Frevlern nach sich.
- Die Frage nach dem Ursprung des Bösen stellt sich auch in Bezug auf das Teufelselixier. Wie es scheint, befördert es nur, was schon in Medardus angelegt ist, denn wenn Unbelastete davon trinken oder solche, die nicht daran glauben, zeitigt es keine Wirkung.
- Die unbegreiflichen dunklen Mächte, denen Medardus ausgeliefert ist, lassen sich als das später von Freud beschriebene Unbewusste deuten, das der Mensch nicht kontrollieren kann. Es äußert sich vor allem im Sexualtrieb: Alle Frevel von Medardus und seinen Ahnen haben mit Blutschande zu tun, also mit der Übertretung sexueller Tabus wie Inzest und Vergewaltigung.
- Die Grenzen zwischen Realität und Übernatürlichem verschwimmen. Träume treten plötzlich ins Leben. Manche Figuren sind in ihrem Wahnsinn nicht nur krank und gefährlich, sondern auch hellsichtig – etwa Hermogen, der Medardus von Anfang an durchschaut und ihn davon abhält, Aurelie zu vergewaltigen.
- Zentral ist das Doppelgängermotiv. Es zeigt einen weiteren modernen Aspekt des Buchs, indem es auf eine problematische oder gespaltene Identität verweist. Medardus hat scheinbar zwei Doppelgänger, den wahnsinnigen Mönch und Graf Viktorin, die sich später als ein und dieselbe Person herausstellen. Immer wenn das Gute und das Böse in ihm widerstreiten, erscheint ihm ein Doppelgänger – ob als Vision oder real, bleibt oft unklar.
Historischer Hintergrund
Deutsche Reformhoffnungen unter französischer Besatzung
Ende des 18. Jahrhunderts bestand das Deutsche Reich aus zahlreichen Kleinstaaten. Handelsbeziehungen wurden durch Grenzen und Zölle gehemmt, das politische System war vom Absolutismus geprägt, in der Gesellschaft galt die jahrhundertealte Ständeordnung. Mit den französischen Truppen kamen die Ideen der Französischen Revolution nach Deutschland. 1806 besiegte Napoleon in der Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt das preußische Heer – das war das Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Unter dem Eindruck dieser Niederlage setzte sich in Preußen wie auch in anderen deutschen Staaten die Erkenntnis durch, dass politische Reformen notwendig waren. Das Ergebnis war der Versuch einer „Revolution von oben“, einer Modernisierung des Staates durch Reformen wie die Abschaffung der Zünfte. In dieser Zeit der französischen Besatzung erstarkte das Nationalgefühl der Deutschen – und ebenso die Abneigung gegen die Fremdherrschaft. In der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 siegten schließlich preußische, russische und österreichische Truppen über Napoleons Heer. Nun forderten liberale Kräfte eine Neuordnung des Staates, demokratische Reformen und vor allem die nationale Einheit Deutschlands. Diese politische Strömung spiegelte sich auch in der Kunst: Historische Themen, die Deutschlands Vergangenheit glorifizierten, erfreuten sich großer Beliebtheit; die Dichter griffen verstärkt auf volkstümliche Formen wie Märchen, Sagen und Lieder zurück. Auf dem Wiener Kongress jedoch, der 1814/15 die politische Neuordnung Europas bestimmte, dominierten restaurative Kräfte, die alle Hoffnungen auf demokratische Veränderungen zunichtemachten.
Entstehung
Nach zwei nicht erhaltenen Romanversuchen waren Die Elixiere des Teufels E. T. A Hoffmanns erster veröffentlichter Roman. Teil eins schrieb er im Frühjahr 1814 während kaum sieben Wochen, Teil zwei nach einer Unterbrechung von mehr als einem Jahr in ähnlich rasantem Tempo. In die Arbeit floss Hoffmanns Beschäftigung mit dem Katholizismus ein. Obwohl selbst nicht sehr religiös, stattete er während seiner Bamberger Zeit einem Kapuzinerkloster einen Besuch ab und war von der düsteren Atmosphäre tief beeindruckt. Die Beschäftigung mit sexuellem Begehren, im Roman als Gefahr und Sünde dargestellt, dürfte die literarische Verarbeitung einer verbotenen Liebe Hoffmanns sein: Um 1811 verliebte er sich in seine 15-jährige Musikschülerin Julia Mark. Deren Eltern wollten eine Verbindung mit dem so viel älteren und obendrein verheirateten Mann um jeden Preis verhindern und gaben Julia 1812 einem Hamburger Kaufmann zur Frau. Für die Schilderungen des Wahnsinns hatte Hoffmann ebenfalls einen persönlichen Ausgangspunkt: Ein Bamberger Bekannter war der Gründer einer für die damalige Zeit sehr fortschrittlichen Irrenanstalt. Außerdem griff Hoffmann für dieses ihm so wichtige Thema auf Werke der zeitgenössischen Psychiatrie zurück.
Die Elixiere des Teufels zählen zur so genannten Schwarzen Romantik, einer literarischen Strömung in Deutschland, die das Abseitige und Dämonische betonte und darin der englischen Gothic Novel jener Zeit eng verwandt war. Hoffmann bezog seine Inspiration insbesondere aus Matthew Gregory Lewis’ Roman The Monk (1796) und Carl Friedrich August Grosses Werk Der Genius (1791–1794), mit denen Die Elixiere des Teufels die Betonung des Übernatürlichen und der Sexualität sowie eine Reihe einzelner Motive gemeinsam haben. Ein wichtiger Einfluss war auch Schillers Romanfragment Der Geisterseher (1789): Daran faszinierten Hoffmann die Mittel der Spannungserzeugung und die psychologische Motivierung der schaurigen Handlung.
Wirkungsgeschichte
Im Gegensatz zu Hoffmanns kurz zuvor erschienenen Erzählungen, den Fantasiestücken in Callots Manier (1814), die ihn berühmt gemacht hatten und die von der Kritik ausführlich besprochen worden waren, fanden Die Elixiere des Teufels zunächst kaum Beachtung. Wenn überhaupt, dann fielen nur vereinzelte ablehnende Bemerkungen; so war z. B. von der „Verirrung eines reich begabten Geistes“ die Rede. Das lag wohl vor allem an Hoffmanns Anleihen an die Gattung des Schauerromans, denn dieser galt als Unterhaltungs- oder Trivialliteratur, wurde von den Instanzen des Literaturbetriebs verachtet und folglich in Besprechungen ignoriert. Viel früher als in Deutschland fand der Roman im Ausland Anerkennung: In England, wo 1824 eine Übersetzung erschien, kannte man keine strikte Trennung zwischen ernsthafter und unterhaltender Literatur und war durchaus bereit, in der genüsslichen Beschreibung des Schauerlichen literarische Qualität wahrzunehmen. Auch in Frankreich und Russland waren Kritiker und Künstler bereits im 19. Jahrhundert begeistert von Hoffmanns Werk. Die Elixiere des Teufels haben nicht zuletzt Fjodor Dostojewskis weltberühmten Roman Die Brüder Karamasow (1879/80) beeinflusst. In Deutschland hat erst die Literaturwissenschaft des 20. Jahrhunderts den literarischen Rang der Elixiere erkannt. Der Schauerroman ist zweimal verfilmt worden: 1973 von Brigitte und Ralf Kirsten, 1977 von Manfred Purzer mit Horst Frank als Medardus.
Über den Autor
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Die Eltern trennen sich bereits zwei Jahre später; der Junge lebt mit seiner Mutter fortan im Haus der Großmutter. Sein Onkel und Vormund sieht für den künstlerisch begabten Jungen eine Laufbahn als Rechtsanwalt vor. Hoffmann studiert also Jura, wagt nebenbei aber erste literarische Versuche, zeichnet und komponiert. 1798 verlobt er sich mit seiner Kusine, aber offensichtlich ohne große Zuneigung: Nachdem er zwei Jahre später eine Anstellung am Gericht in Posen erhalten hat, das damals wie der gesamte westliche Teil Polens zu Preußen gehört, lebt er bald mit einer Polin zusammen. 1802 heiratet er seine Lebensgefährtin. Kurz darauf wird ihm sein Zeichentalent zum Verhängnis: Er fertigt Karikaturen örtlicher Würdenträger an und fällt dadurch in Ungnade. Hoffmann, der kurz vor seiner Ernennung zum Regierungsrat steht, wird strafversetzt. Als Komponist und Zeichner relativ erfolglos, verfällt er mehr und mehr dem Alkohol. 1804 wird er als Regierungsrat nach Warschau geschickt; zwei Jahre später ziehen Napoleons Truppen in die Stadt ein und schaffen den preußischen Beamtenapparat ab. Hoffmann ist stellungslos und hält sich mit Mühe als Künstler über Wasser. Schließlich erhält er 1808 eine Anstellung am Theater in Bamberg. Endlich hat er auch als Komponist, Musikkritiker und Schriftsteller Erfolg. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Romane Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819 bis 1821) sowie die Erzählsammlungen Nachtstücke (1816/17) und Die Serapions-Brüder (1819 bis 1821). 1816 tritt er wieder in den Staatsdienst ein, 1819 wird er Mitglied einer Kommission, die staatsfeindliche Umtriebe untersucht. Da Hoffmann die staatliche Unterdrückung liberaler Strömungen als ungerecht empfindet, gibt er das Amt bald auf, kann es aber nicht lassen, seine Erfahrungen aus dieser Zeit in der Erzählung Meister Floh satirisch zu verarbeiten. Prompt wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Aber noch vor dessen Abschluss stirbt der von Alkohol und Krankheit gezeichnete Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin.
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