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Die entscheidende Abhandlung
Buch

Die entscheidende Abhandlung

oder die Bestimmung des Zusammenhangs zwischen religiösem Gesetz und Philosophie

Córdoba (?), um 1180
Diese Ausgabe: Reclam, 2010 Mehr

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Mittelalter

Worum es geht

Kleiner Punkt, große Wirkung

Im Koran heißt es mit Bezug auf einen unklaren Vers: „Aber niemand weiß um dessen Interpretation außer Gott. Und diejenigen, die ein gründliches Wissen haben, sagen ...“ (Sure 3,7). Dieser Satz wird von manchen aber auch anders gelesen: „Aber niemand weiß um dessen Interpretation außer Gott und denjenigen, die ein gründliches Wissen haben. Sie sagen ...“. Wenn man unter denen, die ein gründliches Wissen haben, nun die Philosophen versteht, sind diese quasi von höchster Stelle dazu autorisiert, den Koran auszulegen – im Ernstfall auch abweichend vom wörtlichen Sinn der Schrift. Averroes vertrat diese Ansicht. Das bot und bietet bis heute reichlich Zündstoff unter Muslimen, insbesondere bei orthodoxen Gläubigen, die den Koran wortwörtlich oder in den engen Grenzen der überlieferten Interpretation verstanden wissen wollen. Averroes dagegen glaubte: Die religiösen Schriften des Islam halten jeden gläubigen Muslim, der über entsprechende geistige Fähigkeiten verfügt, zum Studium der Philosophie an. Nur wer philosophisch gebildet ist, kann den Koran korrekt interpretieren. Und über niemanden sollte vorschnell das Urteil des Unglaubens verhängt werden. Eine erstaunlich moderne Sichtweise, die Die entscheidende Abhandlung auch im 21. Jahrhundert zu einem lesenswerten Büchlein macht.

Take-aways

  • Die entscheidende Abhandlung ist ein philosophisches Traktat des mittelalterlichen islamischen Gelehrten Averroes (Ibn Rushd).
  • Inhalt: Philosophie und Religion sollten miteinander versöhnt werden. Wenn Erkenntnisse, die mit logischen oder wissenschaftlichen Mitteln gewonnen wurden, dem Koran widersprechen, sollten sie nicht als Unglaube verurteilt werden. Manche Koranverse müssen nicht wörtlich verstanden werden: Gelehrte dürfen sie nach den strengen Regeln der aristotelischen Beweislehre interpretieren.
  • Der Form nach ist das Werk ein Rechtsgutachten, das klären soll, ob es einem Muslim erlaubt oder sogar befohlen ist, sich mit Philosophie zu beschäftigen.

Über den Autor

Averroes (arabischer Name: Ibn Rushd) wird 1126 als Sohn einer Richterfamilie in Córdoba geboren und studiert Recht, Medizin und Philosophie. Er lebt eine Zeit lang in Marrakesch, wo er ab 1153 in offizieller Funktion unter anderem als Astronom arbeitet. Sein erstes überliefertes Werk Das Notwendige zu den Prinzipien des Rechts wird auf das Jahr 1157 datiert. Der Großteil seiner Schriften setzt sich mit dem Werk Aristoteles’ auseinander, das er kommentiert und gegen den Einfluss neuplatonischer Denker zu verteidigen sucht. Den Auftrag dazu erhält er angeblich von dem Fürsten und späteren Kalifen Abu Yaqub Yusuf, der ihn auffordert, dem Islam „rein und vollständig die Wissenschaft“ zu geben. Averroes verfasst nicht nur zahlreiche Kommentare zu Aristoteles, sondern auch eine medizinische Enzyklopädie, einen Kommentar zum Staat von Platon und verschiedene Aufsätze zu religiösen Fragen. Von seinem Werk sind etwa zwei Drittel überliefert. Eine seiner bekannteren Schriften ist Die Inkohärenz der Inkohärenz, mit der er sich gegen das Werk des Gelehrten Gazali mit dem Titel Die Inkohärenz der Philosophen wendet. Vom Kalifen gefördert, wird Averroes Richter in Sevilla und Córdoba, wo er 1180 zum Obersten Richter ernannt wird. Ab 1182 praktiziert er als Hofarzt der berberischen Dynastie der Almohaden. Gegen Ende seines Lebens fällt er beim Kalifen Abu Yusuf Yaqub al-Mansur, der die orthodoxen Kräfte im Land auf seine Seite bringen will, in Ungnade und muss ins Exil nach Lucena gehen. Kurze Zeit später kann Averroes seinen Ruf jedoch wiederherstellen und wird rehabilitiert. Er stirbt im Dezember 1198 in Marrakesch.


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