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Die geistige Situation der Zeit
Buch

Die geistige Situation der Zeit

Berlin, 1931
Diese Ausgabe: De Gruyter, 1999 Mehr

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Widerstand gegen die Masse

Mit dem Rücken zur Wand, die Massen vor sich, der moderne Mensch in arger Bedrängnis – so beschreibt Karl Jaspers die Lage und lässt keinen Zweifel daran, dass sie katastrophal ist. Längst hat sich der Mensch dem blinden Fortschrittsglauben verschrieben. Anstatt zu prüfen und zu bewerten, herrscht weltweit der Nützlichkeitsgedanke vor. Ein Leben im Apparat, angenehm, da materiell abgesichert, aber entmündigt und auf blanke Triebbefriedigung optimiert. Das Selbstsein, so Jaspers, geht darüber unwiederbringlich verloren, denn eigenständiges Denken und Handeln stellt für große Teile der Gesellschaft eine Zumutung dar. Leben wird entwertet, das urmenschliche Bedürfnis nach Verständnis frustriert. Mit aller Kraft stemmt Jaspers sich dem entgegen und fordert vor dem Hintergrund der anonymen Massengesellschaft eine Philosophie, die beim Einzelnen ansetzt und zum Wir übergeht. Obwohl 1930 entstanden, kurz vor den Erfolgen des Nationalsozialismus in Deutschland, ist das Buch nicht hoffnungslos veraltet, sondern hat auch zur geistigen Situation zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch einiges zu sagen.

Zusammenfassung

Das Schicksal des heutigen Menschen

Seit dem Krieg geht die Frage nach der Situation der Zeit jeden an. War sie früher lediglich ein Thema für wenige, treibt sie heute alle Menschen um. Einst fügte sich der Einzelne in sein Schicksal, indem er die Welt als unveränderlich hinnahm und versuchte, bis zum gottgegebenen Ende das Beste daraus zu machen. Dieser Standpunkt ist dem heutigen Menschen fremd. Er sieht die Welt als unvollkommen an und will sie nach seinen Maßstäben verändern. Seine Mittel sind jedoch beschränkt, zumal sich die Welt mit oder ohne sein Zutun ständig verändert und er mit seinem Begreifen gar nicht hinterherkommt. Er muss aber hinterherkommen, weil er sich der Optimierung seiner Lebensbedingungen verschrieben hat. In diesem Zwiespalt ist der heutige Mensch gefangen: Weder gelingt es ihm, sein Leben und damit die Welt, in der er lebt, komplett und zu seinem Vorteil einzurichten, noch schafft er es, eine Kontinuität in sein Leben zu bringen.

Eine Situation der Krise

Diese Situation führt zu einem Gefühl der Ohnmacht. Konnte der Mensch in alter Zeit noch seine Ruhe im Glauben an die göttliche Ordnung finden, strebt er seit dem 16. Jahrhundert ...

Über den Autor

Karl Jaspers wird am 23. Februar 1883 in Oldenburg geboren. Bereits als Jugendlicher leidet er an einer unheilbaren Erkrankung der Lunge – eine Beeinträchtigung, die sein medizinisches Interesse weckt. Im Fach Medizin erwirbt er 1909 den Doktorgrad. Parallel dazu arbeitet er in der Psychiatrie, wo er seine spätere Frau, die Pflegerin Gertrud Mayer, kennenlernt. Rasch macht Jaspers im akademischen Betrieb auf sich aufmerksam, knüpft unter anderem Freundschaften mit Max Weber und Martin Heidegger. Jaspers’ Augenmerk gilt der Psychologie, vor allem ihren Auswirkungen auf benachbarte Disziplinen wie Philosophie und Soziologie. Im Rahmen seiner 1909 begonnenen Lehrtätigkeit an verschiedenen Universitäten erlangt Jaspers den Ruf, einer der profiliertesten Denker einer Neuausrichtung der Philosophie zu sein. Im Kern stellt er die Frage nach einer im Leben des Menschen wurzelnden philosophischen Grundhaltung, die sich nicht im akademischen Betrieb und dessen Fachbereichen verliert. Demgemäß wird sein 1931 erscheinendes Buch Die geistige Situation der Zeit ein voller Erfolg, stellt es doch explizit fest, dass mit den Methoden der Wissenschaft allein kein Wahrheitsbegriff auszumachen sei. Mit Aufkommen des Nationalsozialismus wird Jaspers – seine Frau ist Jüdin – ins Abseits gedrängt; dank Zuwendungen von Freunden und Weggefährten überlebt das Ehepaar. In den Nachkriegsjahren zeigt sich Jaspers enttäuscht vom gesellschaftlichen Klima in Deutschland und folgt einem Ruf der Universität Basel. Immer wieder stößt er Debatten an und verteidigt gegen mitunter harsche Kritik seinen im Leben wurzelnden Philosophieansatz gegen die Lehrmeinung der akademischen Welt. Karl Jaspers stirbt am 26. Februar 1969 in Basel.


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