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Die Kapuzinergruft

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Die Kapuzinergruft

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

In der Kapuzinergruft wird eine ganze Welt zu Grabe getragen.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Deutsche Exilliteratur

Worum es geht

Der Letzte macht das Licht aus

Die Trottas stehen bereits in Joseph Roths Meisterwerk Radetzkymarsch im Mittelpunkt: Die Marschmusik verklingt 1916, als Kaiser Franz Joseph I. stirbt. Was bleibt? Die Kapuzinergruft, die Grabstätte der Habsburger Herrscher und titelgebend für Roths letzten zu Lebzeiten publizierten Roman. Dessen Handlung beginnt in Wien im Jahr 1913: Der junge Franz Ferdinand Trotta verbringt die Nächte im Kaffeehaus, verschläft die Tage und verjubelt sein Erbe. Als der Krieg ausbricht, heiratet er schnell und zieht eilig ins Feld. Krieg, wie er feststellt, ist nur Chaos und Gefangenschaft, gar nichts Heroisches. Nach Jahren in Sibirien kehrt Trotta nach Wien zurück und versteht die Welt nicht mehr. So gehen 20 Jahre ins Land. Als Nazi-Deutschland 1938 Österreich annektiert, ist Trotta mit seinem Latein ganz am Ende. Er ist, ebenso wie der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, zum Auslaufmodell geworden. Der Roman ist ein Abgesang auf die Monarchie, auf Österreich als eigenständigen Staat, zudem ein Produkt der versiegenden Schaffenskraft des kranken Roth. Unverkennbar weist der Text Schwächen auf, doch er ist von einer wunderbaren Melancholie durchzogen. Meisterlich entwirft Roth Szenen und Gestalten und schlichtweg unvergesslich ist die Schlussszene. Man hört buchstäblich das Wachs von den Totenkerzen tropfen.

Take-aways

  • Die Kapuzinergruft ist Joseph Roths letztes zu seinen Lebzeiten erschienenes Werk.
  • Inhalt: Der junge Franz Ferdinand Trotta gehört zur Wiener Oberschicht um 1913. Als der Krieg ausbricht, heiratet er eilig und zieht ins Feld. Nach Jahren in sibirischer Gefangenschaft ist er, ebenso wie der Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn, zum Auslaufmodell geworden. Als schließlich die Nazis übernehmen, ist Trotta endgültig verloren.
  • Die Kapuzinergruft ist die Grabstätte der Habsburgerdynastie in Wien.
  • Der galizische Jude Roth war ein glühender Anhänger der Habsburgermonarchie.
  • In seinem Roman besingt er melancholisch den Untergang der Donaumonarchie mit ihrer kulturellen Vielfalt.
  • Roth knüpft inhaltlich an Radetzkymarsch, seinen größten Erfolg, an, erreicht aber nicht dessen dichterische Größe.
  • Roth lebte ab 1933 im Exil. Heimatlosigkeit und Identitätsverlust trieben ihn um.
  • Der Roman erschien 1938 in den Niederlanden, doch erst 1950 in Deutschland. 
  • Roth starb im Mai 1939 in einem Armenhospital in Paris an den Folgen seines Alkoholismus.
  • Zitat: „Wohin soll ich, ich jetzt, ein Trotta? …“

Zusammenfassung

In den Kaffeehäusern Wiens

Franz Ferdinand Trotta entstammt einem slowenischen Geschlecht aus Sipolje. Trotta ist der Großneffe des „Helden von Solferino“, eines einfachen Infanterieleutnants, der 1859 den Habsburger Kaiser Franz Joseph in der Schlacht von Solferino heldenhaft vor dem Tod bewahrte. Zum Dank dafür adelte der Kaiser jenen Zweig der Familie; Franz Ferdinand jedoch ist ein Spross der nach wie vor bürgerlichen Familienseite. Er hat ein Jurastudium abgebrochen, verbringt seine Tage mit Freunden in den Kaffeehäusern Wiens und lebt unverheiratet bei seiner Mutter. Trotta ist heimlich in Elisabeth Kovacs verliebt, kann das aber im Wien um 1910 aufgrund der gerade modischen Emotionsfeindlichkeit und des dekadenten Zynismus seines Freundeskreises nicht offen zugeben. Dieser lässt Beziehungen zu Frauen allenfalls als unverbindliche Techtelmechtel zu. Männer pflegen Frauen abzulegen oder auch zu verleihen „wie Überzieher“. Undenkbar, dass Trotta seine romantische Verliebtheit zeigt; er würde sich der Lächerlichkeit preisgeben.

Die Kronländer als Essenz Österreichs

Im Kaffeehaus diskutieren die jungen Männer über das politische Leben in Österreich-Ungarn. Graf Chojnicki echauffiert sich über die Unterschiede zwischen dem Vielvölkerstaat und dem Rest Europas und beharrt darauf, dass nicht etwa Österreich sonderbar sei, sondern jenes Europa der Nationalstaaten und Nationalismen. Das Wesen des Reiches sieht er in den Kronländern verkörpert, nicht im Zentrum; in den Slowenen, Galiziern, den „Kaftanjuden aus Boryslaw“, den „Maronibratern aus Mostar“, keinesfalls aber in den „Kröpfen aus den Alpentälern“, den „Zahnärzten, Apothekern, Friseurgehilfen, Kunst-Photographen aus Linz, Graz, Knittelfeld“.

„Wir heißen Trotta. Unser Geschlecht stammt aus Sipolje, in Slovenien. Ich sage: Geschlecht; denn wir sind nicht eine Familie. Sipolje besteht nicht mehr, lange nicht mehr.“ (S. 5)

Aus Trottas Heimat Slowenien kommt im Jahr 1913 sein Vetter Joseph Branco zu Besuch. Trotta ist entzückt von dessen folkloristischem Aussehen und kauft ihm überteuert Uhr, Kette und Samtweste ab. Außerdem kann er es kaum erwarten, diesen Vetter seinen Kaffeehausfreunden vorzustellen. Branco ist Maronibrater im Winter und Bauer während des restlichen Jahres. Im Winter spannt er seinen Karren an und fährt mit fünf Sack Maroni durch die Länder Österreich-Ungarns. Wo es ihm gefällt, dort bleibt er länger. All diese weiten Reisen sind möglich ohne Visum oder Grenzkontrollen. Brancos Besuch bei Trotta hat einen konkreten Grund: Trotta möge bitte den jüdischen Kutscher Manes Reisiger empfangen und ihm helfen, seinen hochbegabten Sohn Ephraim als Violinist aufs Konservatorium zu bringen. Gesagt, getan: Reisiger spricht vor, Trotta lässt seine bzw. Chojnickis Kontakte spielen, und der Junge kommt an die Musikhochschule.

Trotta wird vom Krieg überrascht

So unterschiedlich Branco, Reisiger und Trotta auch sind, sie freunden sich so sehr an, dass Trotta Reisiger bei der nächsten Gelegenheit in dessen Heimat Zlotogrod besucht, wo auch Branco dazustößt. Trotta hat diese Zeit später als heiter und unbeschwert in Erinnerung, resümiert aber, dass der Tod schon damals seine „knochigen Hände über den Kelchen“ gekreuzt habe, aus denen sie tranken. In Zlotogrod merkt Trotta, dass er sich im dortigen Café Habsburg genauso heimisch fühlt wie in jedem beliebigen Wiener Kaffeehaus – so ähnlich sind sich die Lokale, Rituale, Typen und Umgangsformen überall im Land.

„Ich besass nun, meiner Meinung nach, das Wichtigste, das zu einem echten Slovenen gehört: eine alte Kette, eine bunte Weste, eine steinschwere stehende Uhr mit Schlüsselchen.“ (S. 14)

Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist Trotta noch bei Reisiger. Hier liest er im Juli 1914 die amtliche Kriegserklärung von Kaiser Franz Joseph an Serbien. Unter der Überschrift „An meine Völker!“ hängt sie überall aus. Nur zwei Gedanken schwirren durch Trottas Kopf: Tod und Elisabeth. Als er einberufen wird, motiviert ihn das, tatsächlich um die Hand Elisabeths anzuhalten, mit der er bisher nur aus der Ferne geliebäugelt hat.

„Vielleicht schliefen in den verborgenen Tiefen unserer Seelen jene Gewissheiten, die man Ahnungen nennt, die Gewissheit vor allem, dass der alte Kaiser starb, mit jedem Tage, den er länger lebte, und mit ihm die Monarchie (…). Aus unsern schweren Herzen kamen die leichten Witze, aus unserem Gefühl, dass wir Todgeweihte seien, eine törichte Lust an jeder Bestätigung des Lebens (...)“ (S. 15)

Seine Mutter hält nicht viel von der Braut. Gleich nach der Trauung kommen auch Trotta Zweifel. Elisabeth scheint ihm verändert, fremd. Auf der Bahnfahrt in den 16-stündigen Flitterurlaub liest sie lieber Trivialliteratur, als sich mit ihrem Bräutigam zu unterhalten. Das ist nicht das einzige Hindernis dieser Hochzeitsnacht: Am Zielort Baden erwartet die beiden der alte Familiendiener Jacques mit einem großen Strauß dunkelroter Rosen für die Braut. Elisabeth weiß darauf peinlich wenig zu entgegnen und bleibt distanziert. Trotta geht lieber mit Jacques, seinem alten Vertrauten, ins Kaffeehaus als mit seiner Braut aufs Zimmer. Ihm dämmert, was er an Zwischenmenschlichem in den vergangenen Jahren vernachlässigt hat, und das will er alles in der einen Stunde nachholen. Viel mehr Zeit bleibt ihm dazu tatsächlich nicht, denn Jacques erleidet einen Schlaganfall. Elisabeth geht dieser Umstand vor allem auf die Nerven, und sie lässt Trotta allein am Bett des Sterbenden wachen. Gegen vier Uhr morgens stirbt Jacques, und nur Minuten später erhält Trotta ein Briefchen von Elisabeth: Sie gehe nach Haus, adieu. Ohne sie noch einmal wiederzusehen, folgt Trotta seiner Einberufung.

Trottas Weltkrieg: kurz im Feld, lange in Gefangenschaft

Trotta findet seine Regimentskollegen furchtbar blasiert und folgt einer spontanen Eingebung: Er lässt Verbindungen spielen, damit er zu Branco und Reisiger versetzt wird. Wenn schon sterben, dann in Gesellschaft der beiden Freunde, denen er sich wahrhaft verbunden fühlt. Befördert wird Trotta bei dieser Gelegenheit auch gleich. Ohne einen weiteren Gedanken an Elisabeth zu verschwenden, zieht er als „Einzelreisender“ gen Osten ins Feld und muss selbstständig seine Freunde finden. Die dafür nötigen Fähigkeiten hat ihm freilich niemand vermittelt. Krieg, wie Trotta ihn erlebt, ist vor allem Chaos. Dennoch findet er seine Freunde, und gemeinsam ziehen sie in die Schlacht bei Krasne-Busk, die ihre einzige bleiben wird. Sie geraten in Gefangenschaft und werden ins Lager Wiatka nach Sibirien geschickt, wo sie nach sechs Monaten Transfer eintreffen.

„Ein ganzes Land, ein Vaterland gar, ist etwas Abstraktes. Aber ein Landsmann ist etwas Konkretes.“ (Graf Chojnicki, S. 31)

Trotta stellt sich gut mit seinem russischen Bewacher Andrej Maximowitsch Krassin. Man spielt Karten, unterhält sich auf Französisch, trinkt. Einige Gefangene flüchten mitsamt ihren Bewachern, werden aber aufgegriffen. Krassin lässt sie antreten und will ihnen eigentlich nur Angst einjagen – doch den letzten der Reihe erschießt er tatsächlich. Zwei Tage, bevor Krassin abgelöst werden soll, schenkt er den drei Freunden die Freiheit: Mit einem Schlitten und genauen Anweisungen schickt er sie zu einem eingeweihten Gastgeber: dem sibirisch-polnischen Pelzhändler Jan Baranovitsch. In dessen Häuschen fühlt Trotta sich auf Anhieb wohl. Er verlebt sorglose Tage in fast makelloser Idylle und entwickelt richtiggehend Heimatgefühle in der Obhut dieses Angehörigen eines verfeindeten Volkes, den er wie einen Vater erlebt. Als es jedoch wegen einer Nachricht in einer veralteten russischen Zeitung zu einem Streit zwischen Branco und Reisiger kommt, fliegen alle drei raus. Für Trotta ist es die größte Verlusterfahrung seines Lebens: Während des Streits hat er schon gespürt, dass hier auch seine Freundschaft zerbrach. Nun verliert er auch diese Heimat.

Heimkehr an Weihnachten 1918

Die drei müssen zurück ins Lager. Während Branco und Reisiger ausbrechen und sich nach Wien durchschlagen, wartet Trotta das Kriegsende ab. Gegen Mitternacht am Weihnachtsabend 1918 kehrt er zurück zu seiner Mutter. Auf dem Weg zu ihrem Haus kommt er an der Kapuzinergruft vorbei, in der die Habsburger Kaiser in ihren steinernen Sarkophagen begraben liegen, und fragt sich, was es hier noch zu bewachen gebe: Särge, Erinnerung, Geschichte? Er denkt an den Traum seines verstorbenen Vaters von einer dreifaltigen Monarchie. Seine Mutter, ergraut, erwartet ihn im hochgeschlossenen schwarzen Kleid, reglos wie eine Statue. An den dicken Vorkriegskerzen auf dem Klavier erkennt Trotta, dass sie während seiner Abwesenheit nie gespielt hat. Doch jetzt, als sie zu seiner glücklichen Heimkehr Chopin spielen will, ist dem Instrument kein Ton zu entlocken – und erst da erinnert sie sich entgeistert, dass sie nach seiner Abreise alle Saiten entfernt hatte, um keinesfalls Klavier zu spielen, eine Laune, die sie sich nun nicht mehr erklären kann. Die Mutter hat Elisabeth während des Krieges nur ein paar Mal gesehen und unterstellt ihr, dass sie Trotta lieber tot als in Gefangenschaft gewusst hätte. Die Mutter schickt den Sohn ins Bett. Auch wenn er gerade erst aus dem Krieg heimgekehrt ist – manche Dinge bleiben unverrückbar: um sieben Uhr Wecken, um acht Uhr Frühstück.

Vom Versuch, die Verhältnisse zu ordnen

Während Trotta sich im Krieg nicht nach Elisabeth gesehnt hat, will er jetzt seine Verhältnisse ordnen. Nach alter Manier lässt er sich ankündigen, Elisabeth jedoch bestellt ihn in ihr Büro, wo er das „Atelier Elisabeth Trotta“ vorfindet, ganz und gar in schrillem Gelb gehalten. Den Handkuss will sie nicht, was Trotta als Anomalie empfindet, vergleichbar mit einer Frau ohne Unterleib. Elisabeth trägt eine Bluse mit Herrenkrawatte, macht jetzt auf Kunsthandwerk und lebt eine nicht nur professionelle Partnerschaft mit der angeblich berühmten Frau Professor Jolanth Szatmary, von der Trotta aber noch nie gehört hat. Elisabeth verbindet eine enge Beziehung mit Jolanth, der sie unterwürfig, fast schon hörig begegnet.

„So heiter war damals die Zeit! Der Tod kreuzte schon seine knochigen Hände über den Kelchen, aus denen wir tranken.“ (S. 40)

Trotta hat kein Geld, eine Ehefrau zu unterhalten. Trotzdem beginnt er ein eifersüchtiges Ringen um Elisabeth. Tatsächlich vollziehen die beiden die einst ausgefallene Hochzeitsnacht. Trotta ist ehrlich hingerissen, Elisabeth entzieht sich ihm aber bald wieder. Sein Schwiegervater will den Kriegsheimkehrer in allerlei geschäftliche Unternehmungen einbeziehen, was Trotta Bauchschmerzen bereitet. Trotzdem nimmt er eine Hypothek aufs Haus auf, um sich in die Geschäfte einzukaufen. Über den Schwiegervater tritt auch der umtriebige Herr von Stettenheim aus der Mark Brandenburg in Trottas Leben, der sich aufs Beste mit der sonst so misstrauischen Mutter Trottas versteht. Die macht auch prompt Geld für Stettenheims Vorhaben locker. Alle Warnungen des alten Familienanwalts Kiniower, der zunehmend als Jude angefeindet wird, bleiben fruchtlos. Bald ist das Haus der Trottas mehrfach mit Hypotheken belastet. Trotta bemerkt, dass seine Mutter dabei ist, das Gehör zu verlieren. Auch sonst vergreist sie rasch, wird aber auch geselliger und umgänglicher.

Wien in Wallung

Stettenheim taucht unter, auch Jolanth verschwindet, eine echte Professorin war sie ohnehin nie. In der Hyperinflation ist das Geld immer weniger wert. Elisabeth lebt eine Zeit lang häuslich mit Trotta, und unter dem Dach des väterlichen Hauses kommt es endlich zu einer Liebesnacht, die den Namen verdient hat. Sie zeugen ein Kind, und die Mutter macht ihren Frieden mit der Schwiegertochter. Der Sohn Franz Joseph Eugen kommt zur Welt und für eine kurze Zeit herrschen scheinbar geordnete Verhältnisse. Doch dann macht sich Elisabeth davon. Sie folgt dem Ruf der Kunst und will Schauspielerin werden.

„Die Schachbretter, die Dominosteine, die verrauchten Wände, die Gaslampen, (…) die blaugeschürzte Magd, der Landgendarm (…) und die Tarockspieler mit den Kaiserbärten (…): all dies war Heimat, stärker als nur ein Vaterland, weit und bunt, dennoch vertraut und Heimat: die kaiser- und königliche Monarchie.“ (S. 46 f.)

Viele von Trottas Freunden sind wieder da. Sie sitzen in den Kaffeehäusern, sind aber mittellos und desillusioniert. Auch hat sich die Wiener Kaffeehauskultur verändert. Aus finanzieller Not machen Mutter und Sohn Trotta eine Pension auf, in die als Mieter jedoch hauptsächlich die Freunde Trottas ziehen. Kaum einer zahlt regelmäßig Miete. Man lebt trotzdem, und Trottas Mutter blüht in dem Trubel richtiggehend auf. Trotta zieht seinen Sohn allein groß. Auch Branco und Reisiger tauchen wieder in Wien auf, das zwischenzeitlich unruhig geworden ist. Der hochbegabte Geiger Ephraim ist nicht mehr Musiker, sondern Kommunist und Revolutionär. Trottas Mutter stirbt und ihre Beerdigung fällt mit der von Ephraim zusammen, der im Straßenkampf erschossen worden ist. Trotta begleitet Reisiger hinter Ephraims Sarg.

Wohin mit Trotta?

Unter den Lebenden fühlt sich Trotta wie ein „Exterritorialer“. So versteht er erst nicht recht, was vorgeht, als ein junger Mann in schwarzen Ledergamaschen ins Kaffeehaus stürmt und die „neue deutsche Volksregierung“ verkündet. Trottas Freunde verlassen alarmiert das Café Lindhammer, er bleibt allein zurück. Der Cafetier, ein silberbärtiger Jude namens Feldmann, verabschiedet sich – für immer. Er drückt Trotta ein bleiernes Hakenkreuz in die Hand und löscht die Lichter. Trotta bleibt zurück mit zwei Kerzen, die ihm wie Totenkerzen anmuten. Dann macht er sich auf den Heimweg. Die Kapuzinergruft ist verschlossen. Einer der Kapuzinerbrüder kommt auf Trotta zu. Trotta äußert den Wunsch, den Sarg seines Kaisers Franz Joseph besuchen zu dürfen, der Mönch segnet den nächtlichen Gast. Als Trotta „Gott erhalte!“ erwidert, gebietet ihm der Ordensmann Schweigen. Trotta weiß nicht mehr, wohin.

Zum Text

Aufbau und Stil

Der Roman Die Kapuzinergruft spielt in Wien, Galizien und Sibirien, zwischen April 1913 und dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich am 12. März 1938. Joseph Roth erzählt die Geschichte als fiktiven Lebensbericht eines Ich-Erzählers. Die linear erzählte Handlung umfasst 25 Jahre, ist jedoch sehr ungleich über die Romanlänge verteilt. Rund die Hälfte spielt zwischen April 1913 und Trottas Einberufung in den Ersten Weltkrieg (der wiederum als Handlung weitgehend ausgespart bleibt) und seiner Heimkehr Weihnachten 1918. Die Erzählung hat also keine regelmäßige Zeitstruktur. Es gibt viele Aussparungen und wenig konkrete Zeitangaben, was die historische Einordnung der Ereignisse erschwert. Abgesehen von der oft fehlerhaften Rechtschreibung und Zeichensetzung im Original, liest sich der Text leicht und flüssig, die Dialoge sind lebendig. Marcel Reich-Ranicki befand in diesem Zusammenhang, Roth mache es seinen Lesern immer leicht und seinen Interpreten oft schwer. Roth vermag es meisterhaft, Szenen vor dem inneren Auge der Leser entstehen zu lassen. Den Untergang einer Epoche, einer ganzen Welt, packt er in starke Bilder. Insgesamt ist das Werk aber, trotz der inhaltlichen Verwandtschaft zum Vorgängerroman Radetzkymarsch, weniger stringent und meisterhaft komponiert als dieser.

Interpretationsansätze

  • Roths Themen sind Heimatlosigkeit und Identitätsverlust. Ursprünglich war der Maronibrater, der durch die Kronländer tingelt, in Kriegsgefangenschaft gerät und zum „Prototyp des ewigen Juden“ wird, als zentrale Figur geplant. Roth schwärmte von der „Maronibraterherrlichkeit“ als Symbol des Vielvölkerstaates. Spuren davon sind in der Figur des Joseph Branco noch vorhanden.
  • Der Untergang der Donaumonarchie ist ein häufig bearbeitetes literarisches Thema, nicht nur in Roths Radetzkymarsch und in Die Kapuzinergruft. Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften greift das Motiv auf, auch in Franz Theodor Csokors Drama 3. November 1918 von 1936 zerbricht das Habsburgerreich.
  • Die Kapuzinergruft ist ein Ausdruck von Legitimismus und Trialismus, zwei politischen Strömungen, denen der galizische Jude Roth anhing. Der Legitimismus wollte die katholische Habsburgermonarchie wiederherstellen, der Trialismus Österreich-Ungarn um einen dritten, slawischen Staatsteil ergänzen. Für Habsburger-Anhänger hatte die Kaisergruft höchste Symbolkraft. Mit der verschlossenen Gruft am Romanschluss gesteht Roth das Scheitern der Bewegung und das Ende aller Hoffnung ein.
  • Die Kapuzinergruft ist auch ein Roman der Frauen. Während im Radetzkymarsch die männliche Linie dominiert und es einen echten Helden gibt, erscheinen die Männer im Nachfolgeroman als gelangweilte Angehörige der Wiener Jeunesse dorée oder als Kriegsgefangene. Roth schildert die zynischen Geschlechterbeziehungen der Vorkriegszeit, die unglückliche und lange nicht recht vollzogene Ehe Trottas mit Elisabeth sowie deren lesbische Beziehung mit Jolanth. Trottas engste Beziehung besteht zu seiner Mutter, die ihren Sohn vergöttert und Elisabeth als Schwiegertochter ablehnt.
  • Der Tod schwebt über allem. Roth wiederholt leitmotivisch, dass der Tod schon seine „knochigen Hände über den Kelchen“ kreuze. Der Tod des alten Dieners Jacques, der – im Gegensatz zur „modernen“ Elisabeth – für das alte Österreich steht, nimmt zu Kriegsbeginn schon das Ende vorweg. Konsequentermaßen stehen am Schluss die Totenkerzen auf dem Tisch und endet der Roman an der Gruft.

Historischer Hintergrund

Das Ende der Donaumonarchie

Die Habsburger lenkten fast 650 Jahre lang die Geschicke Österreichs. „Kriege mögen andere führen. Du, glückliches Österreich, heirate!“ lautete ihr Motto. Mit geschickter Heiratspolitik stiegen sie zur Großmacht auf und sicherten sich politischen Einfluss an europäischen Höfen und in den Kolonien – ein Reich, in dem die Sonne nicht unterging. Ironischerweise war es ein Krieg, der der Donaumonarchie und dem Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn (der als solcher von 1867 bis 1918 bestand) den Todesstoß versetzte. Franz Joseph I. wurde 1848 mit nur 18 Jahren Kaiser. Vermählt war er mit Elisabeth von Bayern, besser bekannt als Sisi. Mit unerschütterlicher, ja pedantischer Disziplin und einer absolutistischen Regierungsweise, die auf Heer, Kirche und Beamtenschaft aufbaute, regierte er fast sieben Jahrzehnte und verstarb 1916 hochbetagt quasi über den Regierungsgeschäften. Es war ein Leben voller Tragödien: Sein Bruder wurde in Mexiko erschossen, sein einziger Sohn nahm sich das Leben, Sisi wurde in Genf ermordet, wie schließlich auch 1914 in Sarajewo sein Neffe, Thronfolger Franz Ferdinand, samt Gattin. Der Kaiser reagierte mit einer Kriegserklärung an Serbien, die er unter der Überschrift „An meine Völker!“ am 28. Juli 1914 verlautbarte. Aufgrund der komplexen Bündnissituation in Europa löste er damit den Ersten Weltkrieg aus. 1918, am Ende des Krieges, war Österreich-Ungarn Vergangenheit.

In der Kapuzinergruft in Wien liegen die sterblichen Überreste von knapp 150 Angehörigen des Habsburgergeschlechts. Die Gruft war ein symbolischer Ort für Österreichs Legitimisten, die den Habsburgern in der österreichischen Öffentlichkeit die Treue hielten und für deren Wiedereinsetzung plädierten. Das erklärt, warum Adolf Hitler just an den Legitimisten ein Exempel statuieren wollte: Sie standen für das alte Österreich. Als er Anfang 1938 den Anschluss Österreichs an sein Reich verkündete, inszenierte er die Annexion als symbolischen Akt: Der altösterreichische Deutschnationale Adolf Hitler triumphierte über die abgesetzten Habsburger. Er ersetzte den Geist des Vielvölkerstaates durch die rassische Ideologie „Gleiches Blut gehört in ein gemeinsames Reich.“ Viele Legitimisten, Juden und Intellektuelle retteten sich durch den Gang ins Exil.

Entstehung

Joseph Roths Roman Radetzkymarsch von 1932 verkaufte sich gut. Doch nach der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 flüchtete der Jude Roth nach Paris und verlor sein deutsches Lesepublikum sowie die Einnahmen aus den Buchverkäufen. Seine Werke wurden öffentlich verbrannt. Über die politische Lage machte er sich keine Illusionen: „Die Hölle regiert!“, schrieb er an Stefan Zweig. Die folgenden Jahre waren von Orientierungslosigkeit geprägt, finanziell stand Roth vor dem Ruin. Von der American Guild for German Cultural Freedom erhielt er ein Arbeitsstipendium, auch Kollegen wie Stefan Zweig und Soma Morgenstern unterstützten ihn; er selbst feilschte beim Verlag wiederholt um Vorschüsse. Sein Alkoholismus beeinträchtigte Produktivität und Konzentration.

Für Die Kapuzinergruft fehlte ihm ein schlüssiges Konzept; auch war er durch politische Ereignisse abgelenkt und engagierte sich als Verteidiger von Monarchie und Katholizismus für den Thronprätendenten Otto von Habsburg. Das erste Manuskript war viel kürzer als mit dem Verlag vereinbart, dann wiederum reichte er überraschend zwei Kapitel nach, die sich aber als Eigenplagiat herausstellten: Roth hatte in seiner Not alte Texte recycelt. Lange bastelte er auch am Schluss des Romans, bis ihm die Annexion Österreichs die entscheidende Steilvorlage gab. Zwei Kapitel erschienen als Vorabveröffentlichungen in Exilzeitschriften im April 1938. Roth konnte den Roman nur noch mit Unterstützung beenden und gab das Manuskript schließlich, mit fast einem Jahr Verspätung, im Sommer 1938 beim Verlag ab. Während einige Werke Roths in deutschen Exilverlagen herauskamen, erschien Die Kapuzinergruft Ende September 1938 in einem niederländischen Verlag.

Wirkungsgeschichte

Im Text für einen Prospekt schrieb Roth, sein Roman thematisiere „die Verschlingung Oesterreichs durch Preußen“ und sei nichts weniger als der „aktuellste Roman dieser Zeit“. Die Erstausgabe ist voller Fehler, inhaltlicher Widersprüche und Namensverwechslungen (etwa Mendel statt Manes). Sie hat als Exponat Eingang ins Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek gefunden. Der Text hat viele Schwächen, was wohl am geistigen Verfall des Autors, aber auch an den eingeschränkten Möglichkeiten im Exil lag: Roth hatte keinen deutschen Lektor und nur einen niederländischen Setzer. Die Erstauflage belief sich auf nur 3000 Stück (zum Vergleich: Radetzkymarsch verkaufte sich allein im Erscheinungsjahr rund 30 000 Mal). Etwa die Hälfte war bis Kriegsausbruch verkauft. Der Rest wurde im Mai 1940 vergraben und kam nach Kriegsende in den Handel. Die Kritik war sich einig, dass Die Kapuzinergruft weder konzeptionell noch kompositorisch an Radetzkymarsch heranreichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der Exilautor Roth in der jungen BRD erst neu entdeckt werden. Im Lauf der Jahre hat der Kiepenheuer-Verlag stark in den Text eingegriffen. Jede der vier Ausgaben der Jahre 1950, 1956, 1972 und 1975 weist Änderungen eines solchen Ausmaßes auf, dass der Reclam-Verlag von „Textverwitterung“ spricht. Für die Neuauflage 2013 hat Reclam Roths Rechtschreibung und eigenwillige Zeichensetzung weitgehend rekonstruiert. Unter dem Titel Trotta kam der Stoff 1971 in die Kinos. Der Film konzentriert sich auf die gesellschaftlichen Verhältnisse nach dem Krieg.

Über den Autor

Joseph Roth wird am 2. September 1894 im galizischen Brody bei Lemberg geboren und ist jüdischer Abstammung. Nach dem Studium der Philosophie und Germanistik nimmt er ab 1916 am Ersten Weltkrieg teil, als Feldjäger und Mitarbeiter des Pressedienstes. Ein Jahr zuvor veröffentlicht Roth seine erste Novelle mit dem Titel Der Vorzugsschüler. Während des Krieges schreibt er fürs Feuilleton und verfasst Gedichte. Nach Kriegsende kehrt er nach Wien zurück, aber schon 1920 zieht es ihn nach Deutschland. In Berlin heiratet er Friederike Reichler. Ab 1923 abermals in Wien, veröffentlicht Roth die Romane Das Spinnennetz (1923), Hotel Savoy (1924) und Die Rebellion (1924) in verschiedenen linksgerichteten Zeitungen. 1925 reist er als Korrespondent der Frankfurter Zeitung nach Paris, ein Jahr später geht es in die Sowjetunion, wonach Roth sich vom Sozialismus abwendet. In den folgenden Jahren beschäftigt sich sein schriftstellerisches Werk unter anderem mit dem Judentum im Osten (Flucht ohne Ende, Juden auf Wanderschaft, beide 1927, und Hiob, 1930) und dem Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie. Dies wird vor allem in Radetzkymarsch (1932) – oft als Roths Hauptwerk bezeichnet – deutlich: Darin begleitet er drei Generationen einer Familie und erzählt parallel dazu den Untergang des Kaiserreichs. Ab 1928 korrespondiert Roth mit Stefan Zweig, woraus sich eine tiefe Freundschaft entwickelt. 1930 wird seine Frau in eine Nervenheilanstalt eingeliefert; zwölf Jahre später wird sie im Rahmen des Euthanasieprogramms der Nationalsozialisten ermordet. 1933 flieht Roth vor den Nazis nach Paris. Seine Arbeit bei diversen Exilzeitschriften wird von seiner zunehmenden Alkoholsucht überschattet: Private Probleme und der Kummer über die politische Entwicklung lassen ihn immer öfter zur Flasche greifen; eine Krankheit, die ihn schließlich auch das Leben kostet. Bis zu seinem Tod am 27. Mai 1939 in einem Pariser Armenhospital erscheint unter anderem der Roman Die Kapuzinergruft (1938), postum erscheinen die Werke Die Legende vom heiligen Trinker (1939) und Leviathan (1940).

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