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Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit
Buch

Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit

Zur Ontologie sozialer Tatsachen

New York, 1995
Diese Ausgabe: Suhrkamp, 2013 Mehr

Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Moderne

Worum es geht

Ein Philosoph mit Peitsche und Pistole

„Ich habe nichts dagegen, wenn die Leute mir widersprechen. Es ist schade, dass sie diese Fehler machen, aber ich gebe mir alle Mühe, sie zu korrigieren.“ John Searles augenzwinkernde Bemerkung in einem Fernsehinterview 1999 bringt die Weltsicht des streitlustigen Amerikaners auf den Punkt: „Der Cowboy unter den Philosophen“, wie Die Zeit ihn nannte, kämpft wenn nötig mit Peitsche und Pistole gegen das – in seinen Augen – postmoderne Papperlapapp unserer Zeit und für seinen Begriff von Wahrheit. Gemäß diesem erschaffen wir gesellschaftliche Tatsachen wie Geld oder Regierungen zwar selbst. Das tun wir jedoch nicht als Einzelne, sondern im Kollektiv, und deshalb ist etwa die Anerkennung institutioneller Macht keine reine Ansichtssache. Searles Kritiker bemühten sich, die logischen Fallstricke seiner Argumentation offenzulegen – und kriegten dafür immer wieder die Peitsche des Philosophen zu spüren.

Zusammenfassung

Institutionelle Tatsachen und kollektive Intentionalität

Es gibt „institutionelle“ und „rohe“ Tatsachen: Erstere, zum Beispiel Geld oder Eigentum, beruhen auf gesellschaftlicher Übereinkunft. Letztere, wie die Existenz von Eis und Schnee auf dem Mount Everest, sind davon unabhängig. Die institutionelle Wirklichkeit ist dermaßen komplex, dass wir unter ihr zusammenbrächen, wenn wir anfingen, ernsthaft über sie nachzudenken. Das tun wir deshalb nur selten. Im Alltag unterscheiden wir stattdessen zwischen objektiven und subjektiven Wahrheiten. Schmerzen sind subjektiv, weil ihr Charakter vom Wahrnehmenden abhängt. Berge hingegen sind in ihrer Existenz objektiv, wenngleich sie auch subjektiven Urteilen („herrlich“, „bedrückend“) unterliegen.

Ein Ding wie ein Schraubenzieher hat sowohl „naturimmanente Eigenschaften“ – seine Masse oder seine chemische Zusammensetzung – als auch „beobachterrelative Eigenschaften“, also solche, die wir ihm aufgrund seiner Funktion zuschreiben: Immanent ist ein Stein ein Stein; beobachterrelativ kann er als Briefbeschwerer dienen. Für Menschen und einige Tiere ist die Welt keineswegs eine bloße Ansammlung von Molekülen. Sie besteht aus Stühlen...

Über den Autor

John R. Searle wird am 31. Juli 1932 in Denver geboren. Sein Vater ist Elektroingenieur und seine Mutter Ärztin. Nach zwei Jahren an der University of Wisconsin geht Searle 1952 mit einem Rhodes-Stipendium nach England, an die University of Oxford, wo er bei John Austin und Peter Strawson studiert. 1959 erlangt er den Doktorgrad. Noch im selben Jahr wird er 27-jährig als Professor an die philosophische Fakultät der kalifornischen University of Berkeley berufen, der er seitdem angehört. 1964 schließt er sich als einer der ersten Lehrkräfte dem studentischen Free Speech Movement an und engagiert sich gegen den Vietnamkrieg. Angesichts der zunehmenden Radikalisierung der Studentenbewegung distanziert er sich jedoch bald von dieser und wechselt die Seiten. Als Sonderassistent für Studentenangelegenheiten hilft er, die Ordnung auf dem Campus wiederherzustellen. Sein akademisches Hauptinteresse gilt der Theorie der Sprechakte. Sein frühes Hauptwerk Sprechakte (Speech Acts) erscheint 1969. Anfang der 1970er-Jahre gerät er in einen polemischen Schlagabtausch mit dem französischen Dekonstruktivisten Jacques Derrida: Die beiden werfen einander mangelndes Verständnis vor. Mit dem 1983 veröffentlichten Werk Intentionalität (Intentionality) verbindet Searle nach eigenen Worten seine Sprachphilosophie mit seiner Philosophie des Geistes. Mithilfe des berühmten Gedankenexperiments vom „chinesischen Zimmer“ versucht er zu beweisen, dass Computer niemals Bewusstsein erlangen können. Er argumentiert, dass diese zwar perfekt Symbole manipulieren, jedoch niemals deren Bedeutung verstehen könnten. In Die Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit (The Construction of Social Reality) untersucht er 1995, wie es um die Realität von Dingen wie Eigentum, Regierungen oder Cocktailpartys bestellt ist. Der Philosoph verteidigt seinen naiven Realismus gegen relativistische und konstruktivistische Ansichten. 2010 erweitert er seine Überlegungen mit Wie wir die soziale Welt machen (Making the Social World) um eine Philosophie der Macht.


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