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Die Mappe meines Urgroßvaters
Buch

Die Mappe meines Urgroßvaters

Letzte Fassung

Wien, 1841/42
Diese Ausgabe: Manesse, 1997 Mehr

Literatur­klassiker

  • Roman
  • Biedermeier

Worum es geht

Der Urgroßvater als Alter Ego

Mehr oder weniger durch Zufall entdeckt ein junger Mann in seinem Elternhaus eine alte Mappe, die die Lebensbeschreibung seines Urgroßvaters Augustinus enthält. Der Finder beschließt, die Dokumente zu ordnen und zu veröffentlichen. Was durch diese Formgebung wie ein authentischer Lebensbericht erscheint, ist in Wirklichkeit ein Roman: Der Lebenslauf des Urgroßvaters – der Heilkunde studiert, sich verliebt und als erfolgreicher Arzt praktiziert – ist von vorne bis hinten erdichtet. Die Handlung hat wenig Dramatisches zu bieten, keine Konflikte, keine Spannung durch unerwartete Ereignisse, keine Entwicklung von Charakteren, kaum Gefühle. In den spärlichen Dialogen fällt auf, wie oft mit fast gleichen Worten wiederholend bestätigt wird, was jemand gesagt hat. Widerspruch gibt es nicht. Praktisch alle Romanfiguren sind von vornherein edel und gut. Stifters Welt ist beschaulich, geordnet und perfekt eingebettet in Landschaft und Natur. Das einzige Bestreben scheint darin zu bestehen, eventuelle Schicksalsschläge hinunterzuschlucken und anschließend die Idylle noch perfekter zu machen. In seiner Zeit war Stifter der große Außenseiter der Literatur – und heute ist er ein fast vergessener Klassiker zwischen Romantik und Realismus, dessen eigenwilliger Stil aber immer noch Leser findet.

Zusammenfassung

Reise in die Vergangenheit

In einem Gutshaus im südlichen Böhmen steht eine alte Truhe, in der Erinnerungsstücke der Familie aufbewahrt werden. Diese Dinge dienen keinem besonderen Zweck, außer eben dem, Erinnerungen zu wecken. Eines Tages bringt der Sohn der Familie – der Erzähler dieser Geschichte – nach Studium und Heirat erstmals seine Braut Amalia mit ins Elternhaus. Der Aufenthalt dauert mehrere Wochen, denn die Mutter, die krankheitsbedingt nicht zur Trauung nach Wien kommen konnte, und die Braut sollen sich kennen lernen. Allmählich machen Mutter und Sohn Amalia mit den Orten und Verhältnissen aus der Kindheit des Erzählers vertraut. Schließlich holt man die Truhe vom Speicher, wohin sie zwischenzeitlich verbannt wurde. Auf ihrem Boden findet sich ein in dunkelrotes Leder gebundenes, großformatiges Buch, dem außerdem versiegelte Hefte, Kalenderblätter, Liedtexte und andere Schriften beigelegt sind. Das Buch trägt den Titel „Band II“, kurz darauf findet sich auf dem Dachstuhl auch der erste Band, der von ähnlicher Beschaffenheit ist. Beide enthalten Lebensaufzeichnungen in einer Art Tagebuch. Band II stammt vom verstorbenen...

Über den Autor

Adalbert Stifter wird am 23. Oktober 1805 in Oberplan in Südböhmen geboren, das damals zum Kaisertum Österreich gehört. Als der Junge zwölf ist, stirbt sein Vater durch einen Unfall, die Familie gerät in finanzielle Schwierigkeiten. Stifter ist künstlerisch begabt, entscheidet sich aber für ein Jurastudium, um in den Staatsdienst eintreten zu können. Mit 22 verliebt er sich in die drei Jahre jüngere Fanny Greipl und wirbt viele Jahre um sie. Ohne Erfolg: Als mittelloser Student hat er bei Fanny und ihrer Familie keine Chance. Aus Enttäuschung beginnt er eine Beziehung zu der ungebildeten Putzmacherin Amalie Mohaupt, die er, als Fanny ihn wiederholt abweist, schließlich heiratet; die Ehe ist unglücklich und bleibt kinderlos. Beruflich hat Stifter ebenso wenig Erfolg: Das ungeliebte Studium bricht er nach vier Jahren ab und hält sich von da an mühsam als Hauslehrer über Wasser. In seiner Freizeit dichtet und malt er. Einen ersten literarischen Erfolg erringt er 1840 mit der Erzählung Der Condor. Mit den folgenden Werken, u. a. Die Mappe meines Urgroßvaters (1841) und Bunte Steine (1853), wird er bekannt, aber seine späteren Arbeiten, darunter die Romane Der Nachsommer (1857) und Witiko (1865–1867), stoßen bei Kritikern und Lesern größtenteils auf Ablehnung. Als Pädagoge ist Stifter seiner Zeit voraus, aber auch das bringt ihm mehr Ärger als Erfolg ein. So wird er zwar 1850 zum Schulrat ernannt, kann aber seine Vorstellungen nicht durchsetzen und empfindet das Amt bald als Last. Ein von ihm verfasstes Schulbuch wird abgelehnt und erst nach dem Zweiten Weltkrieg in Bayern verwendet. Er holt zwei Pflegetöchter ins Haus, von denen eine an Tuberkulose stirbt; die andere nimmt sich mit 18 Jahren das Leben. Mit zunehmendem Alter wird Stifter verbittert, depressiv und hypochondrisch. Er erkrankt an Leberzirrhose und im Dezember 1867 an einer schweren Grippe. Am 26. Januar 1868 schneidet sich der Todkranke nachts mit einem Rasiermesser in den Hals und stirbt zwei Tage später. Ob es Selbstmord war oder ein Unfall, ob er an diesem Schnitt starb oder an der Krankheit, konnte nie eindeutig geklärt werden.


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