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Die satanischen Verse

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Die satanischen Verse

Penguin Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein Roman, der die Welt erschütterte – vielschichtig, herausfordernd, monumental.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Postmoderne

Worum es geht

Glaube, Liebe, Hoffnung – und Meinungsfreiheit

Ein monumentaler postmoderner Roman, ein Großstadtepos voller Liebesgeschichten, Familientragödien und flüchtiger Träume, gespickt mit Zitaten, literarischen Referenzen, klugem Humor und fantastischen Gleichnissen: Die satanischen Verse ist ein Weltroman, der Kulturen umspannt und ein tiefsinniges Porträt einer Ära des Umbruchs zeichnet. Salman Rushdies Sprache ist bildreich und poetisch, mitunter ausufernd, immer mitreißend. Der Leser taucht ein in die Gedankenwelt der beiden Protagonisten, die unterschiedlicher nicht sein könnten, die vom Schicksal aneinandergebunden werden und sich in einer auf magische Weise veränderten Realität wiederfinden. Die Lektüre ist ein Erlebnis und fordert noch immer dazu heraus, sich mit den Themen unserer Zeit auseinanderzusetzen. Doch nicht wegen ihrer philosophischen Tiefe erlangten Die satanischen Verse Weltruhm: Bis heute steht der Roman im Schatten seiner politischen Wirkung. Der literarische Wert gerät darüber oft in Vergessenheit. Grund genug, das Werk neu zu entdecken. 

Take-aways

  • Die satanischen Verse zählt – vor allem wegen seiner politischen Folgen – zu den berühmtesten Romanen des 20. Jahrhunderts.
  • Inhalt: Die Schauspieler Gibril Farishta und Saladin Chamcha überleben einen Flugzeugabsturz vor der englischen Küste. Das Erlebnis verändert sie auf magische Weise: Gibril verwandelt sich in den gleichnamigen Engel, Saladin in eine Teufelsgestalt.
  • Der Roman ist ein Werk des magischen Realismus. 
  • Der Titel bezieht sich auf apokryphe Stellen im Koran, in denen drei vorislamische Göttinnen neben Allah gestellt werden.
  • Die Offenbarung dieser umstrittenen Verse verpackt der Autor in eine Traumsequenz.
  • Der iranische Staatschef Chomeini erklärte Rushdie aufgrund des Romans mit einer Fatwa für vogelfrei.
  • Die Affäre löste eine Debatte über Meinungsfreiheit aus und zog politische Verwerfungen sowie Demonstrationen und Attentate nach sich.
  • Aus Angst vor Anschlägen wurde für die Veröffentlichung in Deutschland ein eigener Verlag gegründet.
  • Rushdie verarbeitete die auf das Todesurteil folgenden Erlebnisse in seiner Autobiografie Joseph Anton.
  • Zitat: „An einem Wintermorgen kurz vor Tagesanbruch, so um den ersten Januar herum, fielen zwei leibhaftige, ausgewachsene, quicklebendige Männer aus einer Höhe von achttausendachthundertvierzig Metern in Richtung Ärmelkanal, und zwar ohne Hilfsmittel wie Fallschirme oder Flügel, aus heiterem Himmel.“

Zusammenfassung

Zwei Schauspieler

Die Schauspieler Gibril Farishta und Saladin Chamcha sind an Bord des Jumbojets Bostan, der von Terroristen entführt und über der englischen Küste in die Luft gesprengt wird. Die beiden Männer stürzen gemeinsam aus mehreren Tausend Metern Höhe dem Erdboden zu. Auf wundersame Weise überleben sie und finden sich an einem englischen Strand wieder.

„An einem Wintermorgen kurz vor Tagesanbruch, so um den ersten Januar herum, fielen zwei leibhaftige, ausgewachsene, quicklebendige Männer aus einer Höhe von achttausendachthundertvierzig Metern in Richtung Ärmelkanal, und zwar ohne Hilfsmittel wie Fallschirme oder Flügel, aus heiterem Himmel.“ (S. 13)

Ganz Indien ist in Aufruhr, als die Nachricht von Gibrils Verschwinden sich verbreitet. Dessen Geliebte Rekha Merchant verzweifelt. Sie stürzt sich samt ihren Kindern vom Dach des Hochhauses, in dem auch Gibril wohnte. Ihr Geist erscheint Gibril in den folgenden Wochen immer wieder. Gibril, der mit bürgerlichem Namen Ismail Najmuddin heißt, stammt aus einfachen Verhältnissen. Er hat sich vom Essenträger in Bombay zum Filmstar hochgearbeitet. Vor allem im Genre des religiösen Films feiert er Erfolge und führt ein Leben im Luxus. Die Frauen liegen ihm zu Füßen. Als er schwer erkrankt, aber entgegen allen Befürchtungen überlebt, verliert er seinen Glauben. Kurze Zeit später lernt er die britische Bergsteigerin Alleluia „Allie“ Cone kennen. Sie verlieben sich heftig ineinander, und Gibril beschließt, Alleluia nach England zu folgen. Er ist auf dem Weg zu ihr, als das Flugzeug entführt wird.

„Frage: Was ist das Gegenteil von Glaube? Nicht Unglaube. Zu endgültig, gewiss, hermetisch. Selbst eine Art Glaube. Zweifel.“ (S. 126 f.)

Saladin ist ebenfalls in Bombay aufgewachsen, allerdings in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie. Seit seiner Kindheit träumt er davon, eines Tages nach London zu reisen. Er verkürzt seinen Namen von Salahuddin Chamchawala zu Saladin Chamcha. Sein großer Traum erfüllt sich, als sein Vater ihm eine Ausbildung im fernen England ermöglicht. In der neuen Heimat wird er zeitlebens ein Fremder bleiben, sosehr er auch um Anpassung bemüht ist. Nach seinem Abschluss findet Saladin Arbeit als Synchronsprecher und erwirbt in seinem Metier Anerkennung als „Mann mit tausendundeiner Stimme“. Er heiratet Pamela, eine Engländerin. Sein Vater kann ihm nicht verzeihen, dass er sich von seinen indischen Wurzeln abgewendet hat und ausgerechnet Schauspieler geworden ist. Er enterbt Saladin und erklärt ihm, dass er auch die Wunderlampe, die er immer haben wollte, nicht bekommen werde.

„Und so richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf das Jetzt, das Gegenwärtige, das aus einem verriegelten Polizeibus, drei Beamten der Einwanderungsbehörde und fünf Polizisten bestand und das, im Moment jedenfalls, die einzige Welt darstellte, die es für ihn gab. Es war eine Welt der Angst.“ (über Saladin Chamcha, S. 213)

Nach 15 Jahren in England kehrt Saladin in die Heimat zurück. Seine Mutter ist inzwischen gestorben und sein Vater hat neu geheiratet. Zudem hat er eine offene Affäre mit der Haushälterin, die auf seinen Wunsch die Kleider seiner verstorbenen Frau trägt. Saladin ist entsetzt und macht ihm schwere Vorwürfe. Der Bruch mit dem Vater lässt sich nicht kitten. Saladin fordert, dass der Walnussbaum, der anlässlich seiner Geburt gepflanzt wurde, gefällt wird. Er beginnt eine Affäre mit seiner Jugendfreundin Zeenat „Zeeny“ Vakil. Die versucht, Saladin zur Rückkehr nach Indien zu bewegen. Doch Saladin reist wieder nach England zurück.

Die Verwandlung

Auf dem Rückflug nach England wird das Flugzeug, die Bostan, entführt. 111 Tage lang steht die Maschine auf einem Rollfeld, während die Terroristen auf die Erfüllung ihrer Forderungen warten. In dieser Zeit kommen Gibril und Saladin ins Gespräch und erzählen einander ihre Lebensgeschichten. Gibril schläft kaum, weil er vor seinen Träumen Angst hat. Darin übernimmt er die Rolle des Erzengels Gibril. Nach einer Weile ordnet die Anführerin der Terroristen an, nach London weiterzufliegen. Als über der englischen Küste der Treibstoff ausgeht, zünden die Terroristen mehrere Bomben, die das Flugzeug zerreißen.

„Nachts schiebt der Mann im Exil die Vorhänge zur Seite, und das fremdländische Mondlicht schleicht sich ins Zimmer, bohrt sich mit Eiseskälte in seine Augäpfel, wie ein Nagel. (…) Im losen Gewand, mit gerunzelter Stirn, unheilverkündend, wach: Das ist der Imam.“ (S. 277)

Gibril träumt: In der Wüstenstadt Jahilia werden unzählige Gottheiten angebetet. Der Prophet Mahound, der Anweisungen vom Erzengel Gibril erhält, erklärt alle Götter außer Allah für Fiktionen. Immer mehr Menschen nehmen diesen neuen Glauben an. Der Grande von Jahilia, Karim Abu Simbel, bittet den Propheten, drei der lokal verehrten Göttinnen – Uzza, Manat und Lat – als Engel Allahs anzuerkennen, sodass sie weiter angebetet werden können. Unterdessen beauftragt der Grande den Dichter Baal, Schmähgedichte über Mahound zu schreiben, um dessen wachsende Macht zu begrenzen. Mahound delegiert die Entscheidung an Gibril, der sich von der Aufgabe völlig überfordert fühlt. Schließlich teilt er Mahound in Versen mit, er solle die heidnischen Göttinnen zu Engeln erheben. Infolge dieser Offenbarung erkennt Mahound die Göttinnen an. Später widerruft er seine Worte jedoch und behauptet, es sei Satan und nicht Gibril gewesen, der durch ihn gesprochen habe. Mahounds Frau stirbt am selben Tag. Der Prophet verlässt Jahilia und zieht in die Oase Yathrib.

„Er würde in sein neues Ich hineinschlüpfen, er würde sein, was er geworden war: laut, stinkend, ekelhaft, überdimensional, grotesk, unmenschlich, mächtig. Ihm war, als könne er mit ausgestrecktem kleinen Finger Kirchtürme umstoßen, mit der Kraft, die in ihm wuchs, dem Zorn, dem Zorn, dem Zorn.“ (über Saladin Chamcha, S. 383)

Gibril und Saladin werden nach ihrem Absturz von der 80-jährigen Rosa Diamond aufgelesen. Sie gewährt ihnen Unterschlupf. Bei den beiden zeigen sich erste Anzeichen einer Verwandlung: Gibril hat einen Heiligenschein und auf Saladins Stirn bilden sich Hörner. Die Polizei, auf der Suche nach illegalen Einwanderern, trifft ein und nimmt Saladin fest. Gibril bleibt unbehelligt und greift nicht ein, als Saladin abgeführt wird. Er bleibt für eine Weile bei Rosa und lauscht ihren Erinnerungen an ihr Leben in Argentinien. Bald kann er kaum noch zwischen Erzählung und Wirklichkeit unterscheiden. Als Rosa stirbt, verlässt er das Haus und irrt durch London. Er bricht in einem Park zusammen und wird von Allie gefunden.

Rückkehr nach London

Im Polizeiwagen schreitet Saladins Veränderung voran. Seine Beine werden dünn und bilden ziegenartige Hufe, er hat Fell und kann sich kaum noch artikulieren. Die Beamten misshandeln ihn und machen sich über ihn lustig. Saladin verliert das Bewusstsein und wacht schließlich in einem Krankenhaus wieder auf, wo weitere Mischwesen wie er festgehalten werden. Gemeinsam fliehen sie, und Saladin versucht, zu seiner Frau Pamela zu finden. Die hat inzwischen, im Glauben, Saladin sei bei dem Flugzeugabsturz umgekommen, eine Affäre mit seinem bestem Freund Jumpy Joshi angefangen.

„Gibril Farishta schwebte auf einer Wolke und gelangte zu der Auffassung, dass die moralische Verschwommenheit der Engländer meteorologisch bedingt war.“ (S. 468)

In einem seiner Träume sieht Gibril einen Imam, der in London im Exil lebt. Dieser verfolgt seit Jahren nur das eine Ziel, die Kaiserin Aischa in Desch zu stürzen. Der Imam ruft den Engel Gibril zu sich, damit er ihm hilft. Zusammen fliegen sie zum Palast der Kaiserin, die in Wahrheit die Göttin Lat ist. Gibril tötet sie.

„Huren und Dichter, Mahound. Das sind die Leute, denen du nicht vergeben kannst.‘ Mahound erwiderte: ‚Dichter und Huren. Ich sehe da keinen Unterschied.‘“ (Baal und Mahound, S. 515)

In einem anderen Traum sieht er die Waise Aischa, die in der Stadt Titlipur von der Herstellung kleiner Spielzeugfiguren lebt. Ihr erscheint der Erzengel Gibril in einer Vision. Danach tritt sie als Prophetin vor die Dorfgemeinschaft: Der Engel habe ihr mitgeteilt, dass sie alle nach Mekka pilgern müssten. Das Meer werde sich vor ihnen teilen, wenn sie nur ihren Glauben bewahrten.

„Was nun folgt, ist Tragödie. Oder zumindest das Echo von Tragödie, das vollblütige Original, heißt es, steht modernen Männern und Frauen nicht zur Verfügung. Eine Burleske für unsere erniedrigte, imitierende Zeit, in der Clowns nachspielen, was Helden und Könige einst taten.“ (S. 555)

Pamela will Saladin nicht im Haus haben. Schon vor dem Absturz hatte sie beschlossen, sich scheiden zu lassen. Jumpy besorgt Saladin Unterschlupf im Dachgeschoss des Café Shaandaar. Die Töchter des Besitzers sind fasziniert von dem Wesen, das nun bei ihnen wohnt. Saladin verwandelt sich immer mehr und nährt seinen Hass auf Gibril, der ihn bei Rosa Diamond im Stich gelassen hat. Kurz darauf erfährt er, dass seine Frau ein Kind von seinem besten Freund erwartet. Um Saladin ranken sich bald Gerüchte – im Viertel beginnen die Menschen künstliche Teufelshörner zu tragen. Saladin wächst immer weiter und verlässt das Café Shaandaar. Er wird in einem nahe gelegenen Nachtclub untergebracht. Als Saladins Wut sich Bahn bricht und er einen Tobsuchtsanfall bekommt, verwandelt er sich zurück in einen Menschen.

Der Erzengel

Unterdessen sind Gibril und Allie glücklich wiedervereint. In ihrer Leidenschaft können sie kaum die Finger voneinander lassen. Gibrils Chauvinismus und seine Eifersucht werfen jedoch Schatten auf ihr Glück. Gibril hat nun häufiger Phasen, in denen er sich auch im Wachzustand für den Erzengel hält. Er glaubt, dass Gott ihm den Auftrag gegeben hat, London zu erlösen. Der Filmproduzent „Whisky“ Sisodia nimmt Kontakt zu Gibril auf: Er möchte einen weiteren Film mit ihm drehen. Er unterstützt Allie dabei, Gibril zu einer Therapie zu bewegen. Nach anfänglicher Besserung seines Zustands dank starker Medikamente erleidet Gibril einen Rückfall. Die Ursache für den moralischen Niedergang Londons sieht er im feucht-kühlen Klima. Er löst eine Hitzewelle aus, um die Stadt zu retten.

„Wie heiß es ist: dampfend, drückend, unerträglich. Das ist nicht das Große London: nicht diese gemeine Stadt. Startbahn Eins. Mahagonny, Alphaville. Er wandert durch ein Sprachenwirrwarr. Babel: eine Verkürzung des assyrischen ‚babilu‘. ‚Die Tore Gottes‘. Babylondon.“ (über Gibril Farishta, S. 599)

Im Traum kehrt er zurück nach Jahilia. 25 Jahre sind vergangen, seit Mahound Jahilia verlassen hat. Jetzt sucht Salman, ein ehemaliger Jünger und Schreiber Mahounds, den Dichter Baal auf, um ihm von seinen Zweifeln zu berichten: Der Prophet erlasse immer mehr Gesetze, die ihm selbst Vorteile verschafften, und Salman könne davor nicht länger die Augen verschließen. Mahound berufe sich zudem weiter auf den Erzengel, der ihm die Gebote von Gott übermittle. Viele dieser Gebote zielten auf die Unterwerfung der Frauen. Um Mahound zu prüfen, veränderte Salman mutwillig einige von diesem diktierte Erlasse – er entstellte die angeblich göttliche Offenbarung, und Mahound merkte es nicht. Erst nach längerer Zeit schöpfte er Verdacht. Salman floh.

„Der Tod holte das Beste aus den Menschen heraus; es war gut, vorgeführt zu bekommen – das erkannte Salahuddin –, dass Menschen auch so sein konnten: rücksichtsvoll, liebevoll, ja, edel.“ (S. 682)

Als Mahound wenig später ankündigt, nach Jahilia zurückzukehren, wird ihm die Stadt widerstandslos übergeben. Baal fürchtet die Rache des Propheten für seine Schmähgedichte und versteckt sich im Bordell. Während Mahound in der Stadt immer strengere Gesetze erlässt, hat das Freudenhaus Hochkonjunktur. Die zwölf Prostituierten spielen für ihre begeisterten Freier die Rollen der zwölf Frauen des Propheten und gehen bald so in ihrem Schauspiel auf, dass sie auch einen gemeinsamen Ehemann haben möchten. Sie wählen Baal aus und werden von der Bordellchefin getraut. Schließlich greift Mahound durch und lässt das Bordell schließen. Baal und die Frauen werden hingerichtet. Kurze Zeit später stirbt auch der Prophet.

Saladins Rache

Saladin, nun wieder in menschlicher Gestalt, akzeptiert die Beziehung von Jumpy und Pamela. Er zieht zu ihnen in das gemeinsame Haus, findet aber nur langsam in sein altes Leben zurück. Er erhält eine Einladung zu einer Party, auf der auch Gibril sein wird. Gibril geht es wieder schlechter. Allie bringt ihn nach Schottland, damit er sich erholen kann. Saladin besucht die beiden und hält auch nach ihrer Rückkehr Kontakt. Gibril erzählt ihm alle intimen Details seiner Beziehung zu Allie. Saladin will sich an Gibril für seinen Verrat rächen, und als er von Gibrils Eifersucht erfährt, schmiedet er einen Plan: Er ruft mit verstellter Stimme bei Gibril und Allie an und sagt anzügliche Verse auf, sodass Gibril ihn für Allies geheimen Liebhaber hält.

Erlösung

Vor Eifersucht rasend, verwandelt sich Gibril wieder. Nun völlig überzeugt, er sei der Erzengel, kauft Gibril eine Trompete und zieht durch die Stadt, um sie in Schutt und Asche zu legen. Überall brechen Feuer aus. Jumpy kommt bei einem der Brände ums Leben. Gibril wird klar, dass Saladin hinter den Anrufen steckt, und findet ihn im Café Shaandaar. Gibril legt auch in diesem Gebäude Feuer. Die Bewohner sterben in den Flammen. Gibril bereut sein Tun und rettet Saladin im letzten Moment, doch Saladins schwaches Herz hält der Aufregung nicht stand: Er erleidet einen Herzinfarkt.

In Gibrils Traum führt die Prophetin Aischa die Bewohner Titlipurs zum Meer. Viele der Pilger sterben auf dem Weg und es regt sich Widerstand gegen ihre strenge Führung. Die Dorfbewohner treffen in der Stadt am Meer ein und übernachten in einer Moschee. Am nächsten Morgen wird ein Baby auf den Stufen gefunden und, als Kind des Teufels, von den Stadtbewohnern zu Tode gesteinigt. Aischa unternimmt nichts, und die Pilger drohen, sich endgültig von ihr abzuwenden, entscheiden dann aber, die Hadsch fortzusetzen. Sie folgen Aischa, als sie ins Meer geht – weiterhin überzeugt, dass Gott die Fluten teilen wird. Aischa und ihre Anhänger ertrinken. Einige Zeugen wollen jedoch gesehen haben, dass sie durch das Meer weitergingen.

Zurück in Bombay

Seit dem Brand sind mehr als zwölf Monate vergangen. Saladin erhält Nachricht, dass sein Vater im Sterben liegt. Er fliegt nach Hause, weil er sich mit ihm aussöhnen will. Er findet seine Stiefmutter und die Haushälterin vor, die ihm erklären, dass der Vater schwer krebskrank ist. Die beiden Männer versöhnen sich und Saladin entdeckt seine Liebe für den Vater neu. Nach der Beerdigung reibt Saladin an der Wunderlampe. Zeeny taucht auf. Die beiden wollen gemeinsam ein neues Leben beginnen. Saladin nimmt seinen alten Namen wieder an.

Saladin erfährt, dass auch Gibril in Bombay ist, um seine Karriere wiederzubeleben. Allie ist ebenfalls in der Stadt. Sie besucht Gibril zusammen mit dem Filmproduzenten Sisodia. Gibril ist überzeugt, dass die beiden eine Affäre haben. Er erschießt Sisodia und stößt Allie vom Dach des Hochhauses. Wenig später taucht er bei Saladin auf. Der ist überzeugt, dass Gibril gekommen ist, um auch ihn zu erschießen, doch Gibril richtet die Waffe gegen sich selbst. 

Zum Text

Aufbau und Stil

Auf rund 700 Seiten entfaltet Salman Rushdie die Geschichte der beiden indischen Muslime Saladin Chamcha und Gibril Farishta. Die erzählte Zeit umfasst rund zwei Jahre ihres Lebens zwischen dem Flugzeugabsturz und ihrem Wiedersehen in Bombay. Die Erzählung wird unterbrochen durch mehrere Träume Gibrils, in denen er in die Rolle des gleichnamigen Erzengels schlüpft. Der erste Traum folgt der Lebensgeschichte des Propheten Mohammed, der im Roman seinen späteren christlichen Schmähnamen Mahound trägt. Der zweite Traum handelt von der Prophetin Aischa (diese Episode beruht auf einer wahren Begebenheit aus dem Jahr 1983) und der dritte von einem namenlosen Imam im britischen Exil. Rushdies Sprache ist poetisch, überbordend, exaltiert – gezügelt nur in der Episode um den Imam, in der Rushdie in kurzen und geschliffenen Sätze formuliert. Der allwissende Erzähler bringt sich an mehreren Stellen des Romans in Ich-Form – scheinbar als Satan höchstselbst – ins Spiel.

Interpretationsansätze

  • Die satanischen Verse ist ein postmoderner Entwicklungsroman, der seine Protagonisten auf ihrer Suche nach ihrem Platz in einer unüberschaubar gewordenen Welt begleitet. Im Mittelpunkt stehen dabei die Erfahrungen des Fremdseins und des Identitätsverlustes, die beide Hauptfiguren prägen.
  • Heftig kritisiert und kontrovers diskutiert wurde der Roman aufgrund seiner recht profanen Darstellung des Propheten Mohammed. Rushdie suggeriert, dass der Koran wenigstens zum Teil nicht von Gott, sondern von Satan stammt und zudem von Schreibern verfälscht wurde. Für die entsprechenden Stellen bedient er sich einer Technik, die vor ihm viele Literaten und Philosophen für kontroverse Themen nutzten: Er verlegt die Episoden in Traumsequenzen, die das Geschehen zusätzlich fiktionalisieren.
  • Der Titel des Buches bezieht sich auf angeblich aus dem Koran gestrichene Verse innerhalb der 53. Sure. Anders als der übrige Koran, der dem Propheten angeblich vom Erzengel Gabriel offenbart wurde, seien diese Verse, nach einigen islamischen Quellen des achten bzw. neunten Jahrhunderts, dem Propheten von Satan eingeflüstert worden. Sie enthielten die Erlaubnis, neben Allah auch die vorislamischen Göttinnen Lat, Uzza und Manat anzubeten.
  • Namen haben im Roman vielschichtige Bedeutungen und stellen Verbindungen zwischen den Episoden her. Aischa kommt gleich viermal vor: als Kaiserin, als Prophetin, als Frau Mahounds und als Prostituierte in Jahilia. Salman, der Schreiber, wird ebenso absichtsvoll benannt worden sein wie Allie Cone, in deren Namen die Göttin Al-Lat anklingt sowie Mount Cone, der Berg, auf dem Mahound seine Offenbarungen erhält. Diese Verknüpfungen setzen sich im Kleinen fort, bis hin zum Namen des entführten Flugzeugs Bostan (paradiesischer Garten). 
  • Das Werk zählt zur literarischen Strömung des magischen Realismus: Scheinbar unmögliche Vorgänge finden in einer ansonsten modernen, rationalen Welt statt, ohne dass der Gegensatz in die eine oder andere Richtung aufgelöst wird. Während etwa Gibrils Zustand wiederholt psychologisch erklärt wird, ist dies für Saladins körperliche Verwandlung nicht möglich. Die Darstellung Saladins und anderer Migranten als Tiere und Monster sowie deren Behandlung durch die Polizei thematisiert Fremdenhass und Rassismus.
  • Die Figur des Imam im englischen Exil kann als Anspielung auf den Ajatollah Chomeini verstanden werden, der zum Islam konvertierte westliche Popstar Bilal X wiederum als Anspielung auf Cat Stevens.

Historischer Hintergrund

Großbritannien und Indien in den 80er-Jahren

1979 wurde mit Margaret Thatcher erstmals eine Frau Premierminister Großbritanniens. Wie Ronald Reagan in den USA betrieb sie eine extrem unternehmerfreundliche Politik und zog sich unter anderem mit der Senkung des Spitzensteuersatzes den Unmut breiter Teile der Bevölkerung zu. Im Juni 1982 griff Argentinien die Falklandinseln an, die bis dahin unter britischer Herrschaft standen. Großbritannien reagierte mit einem massiven Truppenaufgebot und konnte die argentinischen Streitkräfte im Juni 1982 besiegen. Nach dem Ende eines langen Bergarbeiterstreiks 1985 begrenzte Thatcher die Rechte der Gewerkschaften. Zunehmend organisierte sich auch in konservativen Kreisen Widerstand gegen ihr hartes Vorgehen. 1990 sah sie sich zum Rücktritt gezwungen.

Nach inneren Unruhen, die zu Neuwahlen führten, übernahm die Kongresspartei Indira Gandhis im Jahr 1980 wieder die Regierungsgeschäfte in Indien. Im Juli 1982 kam es zu einem Aufstand der Sikhs, die einen eigenen Staat im Punjab forderten. Indira Gandhi beendete die Rebellion 1984, indem sie den Tempel stürmen ließ, wo sich die Rebellen verschanzt hatten. Wenige Monate später wurde sie von zwei Leibwächtern, beide Sikhs, ermordet. Ihr Amtsnachfolger wurde ihr Sohn Rajiv Gandhi, der mit seiner liberalen Politik zunächst großen Rückhalt in der Bevölkerung hatte, dann aber aufgrund seiner Unberechenbarkeit und infolge von Korruptionsvorwürfen seine Mehrheit verlor. 1989 ging das Amt des Premierministers an Vishwanath Pratap Singh. Rajiv Gandhi wurde 1991 von einer Selbstmordattentäterin mit in den Tod gerissen.

Entstehung

Rushdie griff mit seinem Roman zahlreiche kontroverse Themen seiner Zeit auf: Polizeigewalt, Fremdenhass und Thatcherismus in England werden ebenso thematisiert wie die religiös motivierten Demonstrationen in Indien. Die Geschichte Saladin Chamchas weist Parallelen zu Rushdies eigener Biografie auf.

Als Grundlage für das Motiv der apokryphen Koranverse dienten Salman Rushdie alte islamische Quellen, insbesondere Werke des arabischen Geschichtsschreibers Ibn Saʿd sowie des Islamgelehrten at-Tabari (beide lebten im ersten Jahrhundert n. Chr.).

Rushdie verarbeitete zudem unzählige literarische Einflüsse, die – ein Merkmal des postmodernen Romans – nur selten ausbuchstabiert werden, sondern in den Nebensätzen anklingen und so vielfältige Deutungen ermöglichen. Von besonderer Bedeutung sind hier Ovids Metamorphosen, Michail Bulgakovs Der Meister und Margarita sowie William Shakespeares Othello.

Wirkungsgeschichte

Kurz nach seiner Veröffentlichung 1988 wurde der Roman mit dem renommierten Whitebread-Preis ausgezeichnet. Etwa zur selben Zeit verbot Indien die Einfuhr des aus Sicht vieler Muslime blasphemischen Buches. 1989 fanden mehrere Demonstrationen von Muslimen in Großbritannien statt, mit dem Ziel, die Veröffentlichung zu unterdrücken. Es kam zu öffentlichen Verbrennungen des Buches. Im Februar erließ der iranische Ajatollah Chomeini eine Fatwa und setzte ein Kopfgeld von 3 Millionen Dollar auf Rushdie aus. Im März wurde das Rushdie Defence Committee gegründet, das sich für die Meinungsfreiheit einsetzte. 1000 Schriftsteller weltweit unterzeichneten einen Aufruf des Komitees. Alle Mitgliedstaaten der Organisation der Islamischen Konferenz (mit Ausnahme des Iran) widersprachen der Fatwa. Auch nach dem Tod Chomeinis im Juni 1989 blieb die Fatwa bestehen. Da sich das Todesurteil auch auf alle erstreckte, die sich an der Verbreitung des Romans beteiligten, schreckten viele Verlage vor einer Veröffentlichung zurück. In Deutschland wurde dafür ein eigener Verlag gegründet. In den folgenden Jahren wurden Anschläge auf mehrere Übersetzer verübt. Rushdie selbst betonte immer wieder, sein Roman sei kein Buch gegen den Islam. Das Werk wurde in 40 Sprachen übersetzt und 25 Millionen Mal verkauft.

Der syrische Philosoph Sadik al-Azm betont die revolutionäre Wirkung des Werkes auf den Islam und vergleicht Rushdie mit Baruch de Spinoza und François Rabelais, die ähnliche Wirkungen auf das orthodoxe Judentum bzw. die katholische Kirche entfalteten. Die BBC produzierte 2009 einen Dokumentarfilm Salman Rushdie and The Satanic Verses, der die Affäre im Detail nachvollzieht. 2012 arbeitete der Autor selbst die Geschehnisse in seiner Autobiografie Joseph Anton auf. 

Über den Autor

Salman Rushdie wird am 19. Juni 1947 in Bombay, dem heutigem Mumbai, geboren. Sein Vater gibt den bisherigen Familiennamen auf und nennt sich Anis Rushdie, eine Hommage an den Philosophen Ibn Ruschd (Averroës). Im Alter von 14 Jahren geht Salman Rushdie nach England, wo er die elitäre Rugby School und später das King’s College in Cambridge besucht. Später arbeitet er als Journalist und Werbetexter. Sein erster Roman, Grimus, erscheint 1975; mit Mitternachtskinder (Midnights Children) gelingt ihm 1981 der internationale Durchbruch. Aufgrund der angeblich beleidigenden Darstellung des Propheten Mohammed in Rushdies Roman Die satanischen Verse (The Satanic Verses, 1988) ruft der iranische Ajatollah Chomeini alle Muslime zur Ermordung des Autors auf und verspricht ein Kopfgeld von 3 Millionen Dollar. Rushdie taucht unter, schreibt aber weiter. 1990 trifft er sich mit Vertretern des Islam und veröffentlicht wenig später den Artikel Warum ich ein Moslem bin (Why I am a Muslim). Dieses Einlenken bereut er später. 1995 erscheint Des Mauren letzter Seufzer (The Moor’s Last Sigh), das sich kritisch mit der hinduistisch-nationalistischen Bewegung in Indien auseinandersetzt. Der iranische Außenminister Kamal Kharazi erklärt 1998, dass das Land die Todesdrohung gegen Rushdie nicht weiterverfolgen werde. Das Parlament spricht sich jedoch ein Jahr später gegen die Aufhebung der Fatwa aus. 1999 wird Rushdie von der Universität Lüttich und der FU Berlin mit Ehrendoktorwürden ausgezeichnet. Ab 2007 ist er Writer in Residence an der Emory Universität in Atlanta. Königin Elizabeth II. schlägt ihn 2007  zum Ritter. Das löst erneut Proteste aus, unter anderem in Malaysia und Pakistan. 2012 erscheint Rushdies Autobiografie Joseph Anton (nach dem Namen, den er in den Jahren im Untergrund nutzte). Darin arbeitet er die Geschehnisse seit der Veröffentlichung der Satanischen Verse auf. Das Kopfgeld auf Rushdie wird 2016 auf 4 Millionen Dollar erhöht. Der Autor lebt heute in New York. 

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