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Die Stimmen von Marrakesch
Buch

Die Stimmen von Marrakesch

Aufzeichnungen nach einer Reise

München, 1968
Diese Ausgabe: Hanser, 2002 Mehr

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Literatur­klassiker

  • Reiseliteratur
  • Nachkriegszeit

Worum es geht

Schillernde Momentaufnahmen

Die Eindrücke einer Reise nach Marrakesch im Jahr 1954 verarbeitete Elias Canetti zu literarischen Impressionen. In immer neuen Versuchen fängt er den flüchtigen Charme Marrakeschs ein: das Stimmengewirr der far¬benprächtigen Märkte, orientalische Gerüche, Kameltreiber, Straßenverkäufer, Bettler und Blinde – all das findet Eingang in diese wie hingetuschten Skizzen einer Stadt. Herzstück der Impressionen ist der Besuch im jüdischen Viertel; dort fühlt sich Canetti, der als jüdischer Autor aus Wien fliehen musste, wie an einem lang ersehnten Ziel. Der Autor hatte vor seiner Abreise nach Marrakesch bewusst nichts über das Land gelesen, er wollte die Stadt ohne Vorbehalte mit all seinen Sinnen aufnehmen und ganz mit dem Fremden verschmelzen. In den Bildern, die er zeichnet, zeigt er Marrakesch in all seiner Schönheit und auch seiner Hässlichkeit. Sein ungewöhnlicher Blick erfasst, was sich hinter der wahrnehmbaren Wirklichkeit verbirgt. So wurde dieses Buch auch die poetische Ethnografie einer Stadt und ist damit aufschlussreicher als so manche wissenschaftliche Studie. Wenngleich Die Stimmen von Marrakesch lediglich als Nebenwerk in Canettis Œuvre gelten, so attestieren Literaturkritiker diesem Reisebericht dennoch, dass es das persönlichste Buch des Autors sei.

Zusammenfassung

Ein tollwütiges Kamel

Gleich nach der Ankunft in Marrakesch geht Elias Canetti mit einem Freund zu einem Kamelmarkt. Doch die beiden kommen zu spät, denn statt der Kamele sind nur noch erbärmliche Esel zu sehen. Schließlich bemerken sie aber doch ein einzelnes Kamel in der Mitte des Platzes: Eines seiner Beine ist hochgebunden, und ein Strick ist ihm durch die Nase gezogen worden, zudem trägt es einen roten Maulkorb. Dem Mann, der das Kamel gegen dessen Willen am Strick fortziehen will, scheint das Tier nicht geheuer. Endlich erklärt man den Fremden die Umstände: Das Kamel habe die Tollwut und werde zum Schlachthaus geführt. Diese Begegnung beschäftigt den Erzähler und seinen Freund eine geraume Zeit, denn in Erwartung, einen ganzen Markt mit Kamelen zu sehen, haben sie lediglich ein einziges und zudem elendes Tier zu Gesicht bekommen, das in seiner letzten Stunde um sein Leben kämpft.

Karawane im Abendrot

Ein andermal erblickt der Erzähler im abendlichen Rot eine Kamelkarawane am Fuß der Stadtmauer. Zwischen den niederknienden und wiederkäuenden Tieren gehen Männer mit Turbanen umher. Canetti kommt es so vor, als hätten die...

Über den Autor

Elias Canetti wird am 25. Juli 1905 in Rustschuk in Bulgarien geboren. Beide Elternteile stammen aus Spaniolenfamilien, jüdischen Auswanderern aus Spanien. Im Juni 1911 zieht die Familie nach Manchester, wo Elias, der noch zwei jüngere Brüder hat, zur Schule geht. Im Oktober des Jahres 1912 verstirbt der Vater überraschend. Die Mutter zieht mit ihren Kindern über Paris und Lausanne nach Wien. Hier erlebt Canetti, der erst jetzt die deutsche Sprache lernt, die allgemeine Begeisterung beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs. 1916 zieht die Familie abermals um: In Zürich fühlt sich Canetti so wohl, dass er es als „Vertreibung aus dem Paradies“ empfindet, als die Familie 1921 nach Frankfurt umsiedelt. Er kehrt drei Jahre später nach Wien zurück, studiert Chemie und promoviert 1929. Während des Studiums lernt er seine spätere Frau Veza Taubner-Calderon kennen und wird ein begeisterter Anhänger des Dichters und Kritikers Karl Kraus. In dieser Zeit reift seine Idee, ein Buch über das Phänomen der Masse zu schreiben. Der Roman Die Blendung entsteht 1931, wird aber erst 1936 veröffentlicht. In Wien schreibt Canetti auch Theaterstücke wie Die Hochzeit und die Komödie der Eitelkeiten. Nach dem Einmarsch Hitlers in Österreich emigriert er 1938 über Paris nach London. Hier nimmt er die Arbeit an Masse und Macht wieder auf, wohl auch unter dem Eindruck des Nationalsozialismus. Veröffentlicht wird das Werk aber erst lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1960. Zunächst mehr oder weniger unbekannt, macht Canetti langsam von sich reden, mit seinem Reisebericht Die Stimmen von Marrakesch (1956), mit Aufsätzen und Essays und schließlich mit seiner Autobiografie in drei Bänden: Die gerettete Zunge (1977), Die Fackel im Ohr (1980) und Das Augenspiel (1985). Die zahlreichen Preise, die ihm in den 70er und 80er Jahren verliehen werden, werden gekrönt durch den Literaturnobelpreis 1981. Elias Canetti übersiedelt 1972 erneut nach Zürich, zu seiner neuen Frau Hera, mit der er auch ein Kind hat. Er stirbt am 14. August 1994.


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