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Die Traumdeutung

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Die Traumdeutung

S. Fischer,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Das Jahrhundertbuch der Psychologie: Träume als Schlüssel zu verdrängten Wünschen und zum Reich des Unbewussten.


Literatur­klassiker

  • Psychologie
  • Moderne

Worum es geht

Die Welt um den Schlaf gebracht

Sigmund Freuds Traumdeutung ist im doppelten Sinne ein Jahrhundertbuch. Einerseits hat es der Begründer der Psychoanalyse aus „Marketinggründen“ von 1899 auf 1900 vordatiert, damit es ein Kind des neuen Jahrhunderts werde. Andererseits hat der Inhalt des auf über 600 Seiten angewachsenen Theoriewälzers die wissenschaftliche Sichtweise des Traumes und des Seelenlebens wie kein zweites Werk revolutioniert. Freud interpretiert die Träume als Wunscherfüllungen. Die unterdrückten Wünsche und Triebe aus dem Unbewussten drängen während des Schlafes ins Bewusstsein, werden aber von einer zensierenden psychischen Kraft derart entstellt, dass die Träume meist abstrakt, seltsam oder sogar absurd erscheinen. Anhand von über 100 Träumen zeigt Freud, dass angeblich alle Träume einen sexuellen Hintergrund haben, der zumeist aus der frühesten Kindheit stammt. Die Traumdeutung ist somit der Wegbereiter der späteren Freud’schen Trieb- und Sexualtheorie. Freuds Buch hat die Welt an der Schwelle zum letzten Jahrhundert im wahrsten Sinne um den Schlaf gebracht. Seine Theorie erregte Interesse und Abscheu in gleichem Maße. Bei aller Kritik kann man ihm eine Leistung nicht absprechen: Er hat die uralte Kunst der Traumdeutung von ihrem mythischen Ballast befreit und sie systematisch eingesetzt, um im Rahmen seiner neuartigen Psychoanalyse zum Unbewussten vorzustoßen und seelische Leiden therapieren zu können.

Take-aways

  • Die Träume, die den meisten Menschen nur rätselhaft erschienen, bekamen durch Freud einen Sinn: Er sah sie als verschlüsselte Darstellungen unbewusster Wünsche.
  • Mehrere Jahre lang schrieb Freud eigene Träume auf und analysierte sie, bevor er 1900
    Die
    Traumdeutung veröffentlichte.
  • Wer die Träume versteht, kann laut Freud mit diesem Wissen auch geistige Störungen heilen oder zumindest deren Gründe herausfinden.
  • Träume, so Freud, sind Wunscherfüllungen: Man träumt stets das, was man gerne hätte, jedoch oft in sehr verschlüsselter Form.
  • Zwei Kräfte arbeiten gegeneinander: Das Unbewusste versucht dem Träumer seine Inhalte unterzuschieben, während eine zensierende Kraft diese Träume entstellt.
  • Der manifeste, entstellte Traum unterscheidet sich also vom latenten Traum: den eigentlichen Inhalten aus dem Unbewussten.
  • In der „Traumarbeit“ werden die latenten Traumgedanken durch Verdichtung, Verschiebung, Verbildlichung und Symbolisierung in den manifesten Traum umgewandelt.
  • Träume sind stets „rezent“, d. h. sie haben Ereignisse oder Gedanken des vorherigen Tages als Aufhänger.
  • Träume sind zugleich regressiv: Erinnerungen aus der frühesten Kindheit treten im Traum hervor.
  • Verdrängte Wünsche, z. B. der Wunsch nach Exhibitionismus oder nach sexuellem Verkehr mit einem Elternteil, äußern sich manchmal in grotesken Traumbildern.
  • Der Psychoanalytiker muss die Träume deuten, um die Quellen von Hysterien oder Neurosen herauszufinden und zu kurieren.
  • Freuds Theorien entfalteten eine große Wirkung, weil sie Licht in den geheimnisvollen Raum des Unbewussten brachten. Sie wurden aber auch von Zeitgenossen und späteren Traumforschern immer wieder in Zweifel gezogen.

Zusammenfassung

Die Beschäftigung mit Träumen

Die gesamte vor 1900 erschienene Literatur, die sich mit Träumen und der Traumdeutung befasst, erscheint sehr uneinheitlich: In früheren Zeiten wurde der Traum oft als Eingebung des Göttlichen betrachtet. Viele Autoren betonen auch, dass Träume und Geisteskrankheiten eng zusammengehören. Und tatsächlich: Mit einem neuen Verständnis der Träume und ihrer Bedeutung kann man auch neue Erkenntnisse über die Ursachen und Motive von Hysterien, Neurosen und anderen Geisteskrankheiten erlangen.

Methoden der Traumdeutung

Es gibt zwei populäre Methoden der Traumdeutung, die jedoch beide abzulehnen sind, weil sie jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Sie deuten Traumsymbole, die angeblich für zukünftige Ereignisse stehen. Hierbei soll der Träumende also die Zukunft sehen – aber eben nicht klar und deutlich, sondern symbolisch verschlüsselt. Die erste Methode ist rein intuitiv, sie weist dem Traum als Ganzes eine Bedeutung zu und ihre Qualität liegt letztlich allein an der Begabung des Deuters. Die zweite Methode arbeitet mit Traumbüchern, die bestimmte wiederkehrende Traumsymbole mithilfe eines feststehenden Schlüssels dechiffrieren helfen: Beispielsweise wird der Erhalt eines Briefes mit „Verdruss“ übersetzt. Unabhängig davon können aber in demselben Traum andere Symbole mit positiven Bedeutungen auftreten. Da es kein zuverlässiges Traumbuch gibt, entbehrt diese Methode jeder Gültigkeit und Überprüfbarkeit.

„Der Traum erweist sich bei der psychologischen Prüfung als das erste Glied in der Reihe abnormer psychischer Gebilde.“ S. 9“

Es ist unmöglich, die Träume eines Menschen völlig losgelöst von seiner Person zu verstehen. Daher bietet sich die Psychoanalyse an, bei der die Patienten völlig ungeschminkt das wiedergeben, was sie beschäftigt – einschließlich ihrer Träume. Der Psychoanalytiker muss die Krankengeschichte des Träumenden kennen und kann dann in einer ausführlichen Analyse herausfinden, welche Bedeutung der Traum hat. Sinn und Zweck ist hierbei, die tief in der Psyche verborgenen Gründe für eine seelische Störung freizulegen.

Der Traum als Wunscherfüllung

Betrachten wir als erstes Beispiel den Traum von „Irmas Injektion“, den Freud selbst in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1895 hatte. Er dreht sich um eine Patientin namens Irma, die Freud nicht zu Ende behandeln konnte, weil sie und auch ihr Umfeld, allen voran Freuds eigener Freund Otto, der Behandlungsmethode skeptisch gegenüberstanden. Im Traum klagt sie über starke Schmerzen und Freud kann diese auf eine Injektion zurückführen, die Otto ihr mit einer verunreinigten Nadel verabreicht hat. Bei der Analyse der niedergeschriebenen Traumerzählung ergibt sich folgende Deutung: Freud ärgerte sich über den Abbruch der Behandlung und fühlte sich durch Ottos Bemerkung, dass es Irma nach Freuds Psychoanalyse nicht besser ginge, beleidigt. In seinem Traum bekommt nun Otto den schwarzen Peter zugeschoben, indem er durch seine Injektion zum Schuldigen an Irmas Zustand gemacht wird. Der Traum ist also eine Wunscherfüllung Freuds, der die auf ihm selbst lastende Schuld an Otto weitergibt.

Traumentstellung und Zensur

Jeder Traum ist eine Wunscherfüllung – auch ein unangenehmer Angsttraum. Allerdings tritt dies nicht offen zutage. Hier muss zwischen manifestem Trauminhalt (was man konkret träumt) und latentem Trauminhalt unterschieden werden. Der latente Trauminhalt ist das, was sich erst durch die Deutung des Traumes ergibt: Es ist das verborgene, wahre Gesicht des Traumes, der immer auf eine Wunscherfüllung hinausläuft. Den Unterschied zwischen diesen beiden Kategorien macht die Traumentstellung aus. Zwei Kräfte arbeiten in unserer Psyche, wenn wir träumen. Die eine schiebt dem Schläfer ihre Inhalte unter – die unbewussten Wünsche. Die andere Kraft ist der Zensor und entstellt das Geträumte derart, dass der ursprüngliche, latente Trauminhalt nicht mehr ohne Weiteres greifbar ist. Die Aufgabe des Traumdeuters ist es nun, herauszufinden, was der ursprüngliche, verdrängte Wunsch ist. Unbewusste Gedanken laufen übrigens auch tagsüber ab, werden jedoch vom Bewusstsein sofort in ihre Schranken verwiesen, sodass sie sich erst nachts im Traum – unter dem Deckmantel der Traumentstellung – äußern können.

Das Traummaterial

Woher kommen die Träume? Sie knüpfen immer an rezente, d. h. vor Kurzem erlebte Erinnerungen an. Im Traum manifestiert sich der „Tagesrest“. Entweder handelt es sich dabei um ganz konkrete Dinge, die man am vergangenen Tag erlebt hat, oder es sind zumindest Erinnerungen an früher, Gedanken oder Gespräche, die am Tag vor dem Traum gedacht oder gesprochen wurden. Ihre Rolle im Traum scheint zwar harmlos, ist aber sehr bedeutsam – und für den Träumer mitunter höchst peinlich. So träumte beispielsweise eine Dame, dass sie Kerzen in einen Kerzenleuchter steckt und ihr dabei eine abbricht. Ihren Freundinnen gegenüber beteuert sie (immer noch im Traum), dass sie daran keine Schuld trägt. Freud analysiert diesen vermeintlich harmlosen Traum als Wunsch nach Onanie (mit Kerzen) aufgrund der Impotenz ihres Mannes (zerbrochene Kerze). Nun hatte die Dame am Tag vor dem Traum tatsächlich mit Kerzen zu tun, ohne jedoch welche abzuknicken. Das Traummaterial stammt also aus der unmittelbar vergangenen Realität, es wird jedoch im Traum so bearbeitet, dass es etwas völlig anderes symbolisieren kann.

Infantile Traumquellen

Träume haben weiter die Eigenschaft, dass sich in ihnen fast immer Kindheitserinnerungen ausdrücken. Erlebnisse aus ganz früher Kindheit, die man schon längst aus dem Bewusstsein entfernt hat, tauchen im Traum wieder auf und werden in neue Zusammenhänge gerückt. Beispielsweise erzählte ein Student von einem Traum, in dem sein früheres Kindermädchen ein heimliches Rendezvous mit dem Stallknecht hat, ohne dies mit einem realen Ereignis in Verbindung bringen zu können. Kaum hatte er den Traum erzählt, erklärte ihm sein älterer Bruder, dass solch eine Szene wirklich passiert war: Das Kindermädchen hatte den älteren Bruder betrunken gemacht, den kleinen Dreijährigen jedoch nicht weiter beachtet. Dieser konnte das Tête-à-Tête der beiden also ungestört verfolgen und nun – viele Jahre später – erschien ihm die längst vergessene Szene in seinen Träumen wieder.

Bequemlichkeitsträume

Somatische (körperliche) Traumquellen werden in der Literatur immer wieder als Hauptauslöser von schlechten Träumen zitiert: Wenn man körperliche Schmerzen habe oder einem das unbekömmliche Essen im Magen drücke, träume man unruhig. Diese Behauptungen sind jedoch Unfug. Wenn überhaupt, dann werden Reize von außen allerhöchstens in einen vorhandenen Traum eingebaut, sie verursachen ihn aber nicht. Der Traum wacht über den Schlaf und hilft gegen Situationen, die normalerweise den Schlafabbruch zur Folge hätten. Einer von Freuds Patienten träumte davon, im Krankenbett eines Spitals zu liegen. Er sollte just an diesem Morgen tatsächlich ins Krankenhaus gehen, fürchtete sich aber davor. Der Traum suggerierte ihm jedoch, dass er bereits dort läge – und deswegen gar nicht aufstehen müsse. Träume sind also oft „Bequemlichkeitsträume“, die dabei helfen, den Schlaf fortzusetzen.

Typische Träume: Nacktheit ...

Es gibt Träume, die sehr häufig auftreten und die deshalb zum festen Repertoire aller Träumer gehören. Dazu gehört der Traum von der eigenen Nacktheit in der Öffentlichkeit, z. B. bei Verwandten oder Freunden. Die anderen Personen im Traum sind bekleidet, stören sich aber nicht an der Nacktheit des Traum-Ichs, wie dies normalerweise zu erwarten wäre. Auch dieser Traum ist eine Wunscherfüllung, die auf die früheste Kindheit zurückgeht. Alle Kinder zeigen sich gerne nackt. Bis zu einem bestimmten Alter sieht man ihnen dies nach. Erwachsene, die sich anderen nackt zeigen, werden jedoch als krankhafte Exhibitionisten bezeichnet – obwohl jeder Mensch eine exhibitionistische Ader besitzt. Im Traum lässt sich dieser Wunsch ausleben. Die eigene Nacktheit als Erwachsener verbindet der Traum damit, dass andere mit diesem Zustand problemlos umgehen.

... und Todeswunsch Angehöriger

Auch Träume vom Tod nahestehender Verwandter, insbesondere von Geschwistern oder Elternteilen, sind absolut typisch. Die Ursachen für solche Träume sind wieder in der frühen Kindheit zu suchen. Jedes Kind empfindet gegenüber Geschwistern Gefühle von Neid, Eifersucht oder sogar Hass. Meistens tritt dies bei Altersunterschieden deutlich hervor. Jüngere Geschwister beneiden ältere um ihre Fähigkeiten und Freiheiten, ältere Geschwister ihre jüngeren um die größere Mühe, die sich die Eltern mit den Kleinen geben. Diese feindlichen Gefühle manifestieren sich im Erwachsenenalter in Träumen vom Tod eines Geschwisterteils – obwohl der Träumer inzwischen freundschaftliche Gefühle für den Bruder oder die Schwester hegt.

„Ich muss behaupten, dass der Traum wirklich eine Bedeutung hat und dass ein wissenschaftliches Verfahren der Traumdeutung möglich ist.“ S. 114“

Auch die Eltern sind auffallend häufig das Opfer solcher Todesträume. Meist handelt es sich um das jeweils gleichgeschlechtliche Elternteil. Der Wunsch des Jungen, seine Mutter nur für sich zu haben, sie sogar zu heiraten und sexuell mit ihr zu verkehren, schließt die Beseitigung des Nebenbuhlers, also des Vaters, ein. Der Traum vom Tod sexueller Nebenbuhler verdeutlicht, dass Träume, seien sie nun von einem Kind oder einem Erwachsenen, in ihrer Natur egoistisch sind.

Die Traumarbeit

Wenn die Traumgedanken (der latente Traum) in den konkreten, manifesten Traum umgesetzt werden, kommen bestimmte Techniken und Prinzipien zum Einsatz. Diese werden als Traumarbeit bezeichnet. Die Aufgabe des Traumdeuters ist es, diesen Prozess wieder umzukehren, also im Zuge der Traumdeutung vom manifesten Traum zum latenten Traum zu gelangen. Die Traumarbeit ist aus folgenden Elementen aufgebaut:

  • Verdichtung: Manifeste Träume sind immer knapper als die eigentlichen Traumgedanken. Sie sind hoch komprimiert, weil bestimmte Ideen des latenten Traumes weggelassen, abgekürzt oder mit anderen Inhalten vermischt werden. Daher füllt der niedergeschriebene Traum manchmal nur eine halbe Seite, die Analyse nimmt aber zehnmal so viel Platz ein.
  • Verschiebung: Hierbei wird die Bedeutung von bestimmten Einzelheiten oder Details verschoben. Wichtiges tritt in den Hintergrund und Unwichtiges tritt als besonders auffällig hervor. Die Verschiebung hat einen großen Anteil an der Zensur von Trauminhalten, die aus Scham nicht in ihrer wirklichen Form im Traum erscheinen.
  • Verbildlichung: Der Traum übersetzt Traumgedanken in Bilder, denn die Sprache des Traumes besteht hauptsächlich aus visuellen Eindrücken. Dabei kommt es jedoch nicht selten zu Darstellungsverzerrungen, sodass beispielsweise eine Handlung genau das Gegenteil davon ausdrückt, wie sie erscheint.
  • Symbolik: Träume verwenden oft die gleiche Symbolik, wie sie im Volksglauben und in Mythen verwendet wird. Auffallend viele Symbole sind zudem sexueller Natur: Jeder längliche Gegenstand (Äste, Schirme, Waffen) kann als Phallussymbol gedeutet werden. Behälter, Schränke, Schachteln, sogar Zimmer mit geöffneten Türen sind Symbole weiblicher Geschlechtsorgane. Tätigkeiten wie das Treppensteigen sind Verschleierungen des Liebesaktes. Das Spielen mit kleinen Kindern bedeutet Onanie. Ausgefallene Haare und Zähne verschlüsseln die Kastrationsangst.

Die Psychologie des Träumens

Um die Vorgänge während des Träumens zu verstehen, muss man sich ein Bild von den Vorgängen in unserer Psyche machen. Man kann sich diesen seelischen Apparat modellhaft wie eine Schachtel vorstellen, die zwei Öffnungen hat. Die eine Öffnung empfängt Wahrnehmungen, die andere leitet sie an das motorische System weiter. Die eintretenden Wahrnehmungen werden innerhalb der Schachtel in Erinnerungsspuren umgewandelt, die in mehreren nachgeordneten Systemen aufbewahrt werden. Am Ende dieses gesamten Systems befindet sich das Vorbewusste, das Informationen aus vorgelagerten Systemen nach einer Prüfung oder Zensur an das Bewusstsein weiterleitet. Zwischen Erinnerungsspuren und Vorbewusstsein kann man das Unbewusste vermuten. Hier nehmen die Träume Gestalt an, die sich über das Vorbewusste ins Bewusstsein zu schieben versuchen. Träume sind regressiv: Sie sind rückwärtsgewandt, ziehen Erinnerungen aus frühester Kindheit heran und stellen somit deren Wiederbelebung bzw. das Ausleben von Kindheitswünschen dar. Dabei handelt es sich um Triebe oder Wünsche, die verdrängt wurden und daher aus dem Bewusstsein ausgesperrt sind oder sich in Neurosen äußern. Die Deutung der Träume kann hilfreich sein, die Ursachen solcher seelischer Krankheiten aufzuspüren.

Zum Text

Aufbau und Stil

Freud hat Die Traumdeutung in sieben große Kapitel aufgeteilt, die vom Umfang her sehr unterschiedlich ausgefallen sind. Im ersten Kapitel widmet er sich ausführlich der Literaturschau vorhandener Publikationen zur Traumdeutung. Im zweiten Kapitel stellt Freud seine Thesen auf und schildert in einer ausführlichen Musteranalyse eines seiner Träume („Irmas Injektion“) das Prinzip seiner Methode. Im dritten Kapitel formuliert der Psychoanalytiker die generelle These, dass der Traum eine Wunscherfüllung ist. Diese Behauptung zieht sich durch das ganze Buch und wird in immer neuen Beispielen aufgenommen und präzisiert. Kapitel vier und fünf widmen sich der Traumentstellung, dem Traummaterial und den Traumquellen. Im umfangreichsten sechsten Kapitel zeigt Freud anhand von mehreren Musteranalysen und Beispielträumen die verschiedenen Schritte der Traumarbeit. Das siebte und letzte Kapitel erscheint erheblich theoretischer und konzeptioneller: Freud benennt hier die psychischen Systeme, die beim Träumen tätig werden. Sein Stil – überwiegend klar und leicht zu lesen – schwankt von kleinschrittig aufgebauten und gut nachvollziehbaren Erörterungen bis zu abrupt „aus dem Hut gezauberten“ Definitionen. Einen großen Anteil am Buch haben die Beispielanalysen eigener und fremder Träume.

Interpretationsansätze

  • Sigmund Freud gehört zusammen mit Karl Marx und Friedrich Nietzsche zu den „drei Meistern des Verdachts“ (Paul Ricoeur), die immer etwas Latentes hinter dem Manifesten vermuten, sei es das ökonomische Eigeninteresse (Marx), der Wille zur Macht (Nietzsche) oder eben die verdrängte Triebhaftigkeit (Freud).
  • Außerdem gilt Freud als einer der „Beleidiger der Menschheit“: Nach Kopernikus, der die Erde aus dem Zentrum des Weltalls herausrückte, und Darwin, der die Abstammung des Menschen aus dem Tierreich nachwies, zeigte Freud, dass der Mensch nicht einmal „Herr im eigenen Haus“ ist, sondern stark von seinem Unbewussten gesteuert wird.
  • Freud sieht eine Analogie zwischen Traum und Geisteskrankheit. Demzufolge ist jeder Träumer ein bisschen verrückt, und umgekehrt kann jede Neurose mithilfe der Traumdeutung besser verstanden und therapiert werden.
  • Freud geht es bei seiner Traumdeutung vorrangig um die Aufdeckung und Heilung von psychischen Erkrankungen. Dennoch verwendet er in seinem Buch hauptsächlich die Träume einer „ungefähr normalen Person“: seine eigenen.
  • Freuds neuartiger Ansatz ist halb natur-, halb geisteswissenschaftlich: Er will bestimmte Symptome (naturwissenschaftlich) erklären und zugleich die Bedeutung von Träumen (hermeneutisch-geisteswissenschaftlich) verstehen.
  • Ein wichtiger Kritikpunkt an Freuds Traumdeutung: Sie basiert auf einer lückenhaften Grundlage. Seine Patienten aus der Wiener Gesellschaft und er selbst können nicht als repräsentativ für alle Menschen gelten. Und da Freud Transkriptionen von Träumen als Basis für seine Analysen verwendete, konnte er nie sicher sein, ob ihm nicht das entscheidende Detail entging. Denn die Niederschrift oder Erzählung von Träumen entspricht nicht der Fülle von Sinneseindrücken, die der Träumer tatsächlich wahrnimmt.

Historischer Hintergrund

Kleine Geschichte der Traumdeutung

Träume sind ein Phänomen, das Menschen in ihrer gesamten Geschichte fasziniert und geängstigt hat. Bei den Völkern der Antike galten Träume als Kontaktmöglichkeit mit den Göttern. Homer bezeichnete den Traum als „geflügeltes Wesen“, das göttliche Nachrichten überbringt. Der griechische Philosoph Demokrit vermutete göttliche Botschaften im All, die durch die Poren der Haut den Traum betreten. Einzig Aristoteles vermutete, dass Träume eine Innensicht des Menschen seien und nicht von außen kämen. Die Stoiker im alten Rom tendierten aber wieder zu der These der göttlichen Botschaften, die der Träumer empfängt. Auch die frühen Christen waren dieser Ansicht. In der Bibel liest man beispielsweise vom berühmten Traumdeuter Joseph, der in der Gefangenschaft die Träume des Pharaos interpretierte. Die Kirchenväter wandten sich dann wieder mit Skepsis gegen das Träumen: Augustinus vermutete in ihnen statt göttlicher Eingebung eher das Werk des Teufels. Die vernunftbetonte Aufklärung lehnte Träume als Fantasiegebilde grundsätzlich ab, während die Romantiker besonders gerne träumten. Novalis bezeichnete Träume als „Schutzwehr gegen die Gewöhnlichkeit“.

Die Wissenschaft des 19. Jahrhunderts maß den Träumen nicht viel Bedeutung bei – bis Sigmund Freud 1900 seine Traumdeutung veröffentlichte und die wissenschaftliche Beschäftigung mit Träumen zu neuer Blüte brachte. Freud war sich sicher, dass seine Traumdeutung die „Via regia“, der Königsweg zur Erkenntnis des Seelenlebens sei. Er begründete die neue Disziplin der Psychoanalyse, die sich – anfänglich von vielen Seiten stark angefeindet – im 20. Jahrhundert als sehr wirkungsmächtig erwies.

Entstehung

In der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1895 hatte Sigmund Freud den Traum von „Irmas Injektion“, der heute in keinem Psychologiehandbuch mehr fehlen darf. Als der Wiener Nervenarzt feststellte, dass der Traum ihm eine Erfüllung seiner geheimen Wünsche lieferte, begann er mit der Aufzeichnung und Analyse eigener Träume. Diese Sammlung bildete den Grundstock für seine Traumtheorie, die er im November 1899 unter dem Titel Die Traumdeutung veröffentlichte. Das Buch wurde aber vordatiert auf das Jahr 1900: Es sollte ein Werk des 20. Jahrhunderts werden, ein echtes Jahrhundertbuch. Sichtlich stolz schreibt der Autor 23 Jahre nach der Erstveröffentlichung: „Die Psychoanalyse ist sozusagen mit dem zwanzigsten Jahrhundert geboren; die Veröffentlichung, mit welcher sie als etwas Neues vor die Welt tritt, meine Traumdeutung, trägt die Jahreszahl 1900.“

Wirkungsgeschichte

Die Traumdeutung verkaufte sich anfangs nicht besonders gut. Zehn Jahre dauerte es, bis die 600 Exemplare der ersten Auflage abgesetzt werden konnten. Dann aber nahm das Interesse stark zu und machte das Werk tatsächlich zu einem Jahrhundertbuch, das sich millionenfach verkaufte und zum Fundament der psychoanalytischen Theorie wurde. Freud erweiterte den Horizont der Medizin, indem er den Blick auf das Seelenleben, die Träume und verdrängten Wünsche öffnete. Er erntete Respekt von seinen Bewunderern, wurde aber von Fachkollegen immer wieder angegriffen: Zu selbstgerecht und unwissenschaftlich würde er seine Thesen vertreten. Dass er fast schon zwanghaft die banalsten Träume mit sexuellen Wünschen verband, gab ihm den Ruf eines verkappten Erotomanen. Die beiden engsten Vertrauten aus Freuds Kreis brachen mit ihm und gründeten ihre eigene psychoanalytische Schule: Sowohl Alfred Adler in Wien als auch Carl Gustav Jung in Zürich lehnten u. a. die Überbewertung der Sexualität bei Freud ab. Jung verfeinerte das von Freud schon anerkannte Konzept des „kollektiven Unbewussten“.

In der Mitte des 20. Jahrhunderts entdeckten Schlafforscher den REM-Schlaf (Rapid Eye Movement), der mit einer besonders intensiven Traumphase verknüpft ist. Sie bewiesen auch, dass dauerhafter Schlafentzug den Zerfall der Persönlichkeit zur Folge hat. Damit unterstützten sie Freuds These vom Schlaf als Wächter der seelischen Integrität. Es gibt nach wie vor keine gültige und gesicherte Aussage über den Sinn der Träume. Dafür hat die Beschäftigung mit Traum und Schlaf, an deren Anfang Freud steht, zur Herausbildung einer neuen Richtung der Neuropsychologie geführt: der Schlafmedizin, die nach den Ursachen von Schlafstörungen fahndet.

Auch andere Wissenschaften sowie die Künste Literatur, Malerei und Film sind im 20. Jahrhundert durch die Psychoanalyse stark beeinflusst worden. Am deutlichsten zeigte sich dies im Surrealismus, in dem Unbewusstes und Traumhaftes eine große Rolle spielten.

Über den Autor

Sigmund Freud wird am 6. Mai 1856 im mährischen Freiberg, in der heutigen Tschechischen Republik, geboren. Sein Vater ist ein erfolgreicher jüdischer Kaufmann. Vier Jahre nach Sigmunds Geburt zieht die Familie nach Wien. Hier absolviert Freud das Gymnasium und beginnt anschließend ein Medizinstudium. Von 1876 bis 1882 ist er als Assistent im physiologischen Laboratorium tätig und erforscht unter anderem das Nervensystem von Aalen. Seine Promotion erhält er 1881. Im Jahr darauf lernt er seine spätere Frau Martha Bernays kennen. Nach einigen Jahren am Allgemeinen Krankenhaus fährt er 1885 nach Paris, um sich vom dortigen Professor Charcot in der Kunst der Hypnose ausbilden zu lassen. In Paris setzt er sich mit der Hysterie als Krankheit auseinander – und lernt, wie diese mithilfe der Hypnose ansatzweise kuriert werden kann. 1886 kehrt Freud nach Wien zurück und eröffnet seine Privatpraxis. Zusammen mit Josef Breuer veröffentlicht er 1895 die Studien über Hysterie. Gleichzeitig beginnt er, seine eigenen Träume zu analysieren. 1896 bezeichnet er seine Therapieform zum ersten Mal mit dem Begriff „Psychoanalyse“. 1900 erscheint Die Traumdeutung, Freuds erste größere theoretische Arbeit. In Wien gründet er zusammen mit einigen Anhängern die Psychoanalytische Gesellschaft. Jahrbücher und Kongresse folgen und ein enger Kreis von Freudianern schart sich um den Wiener Psychoanalytiker. Doch ab 1911 verlassen ihn einige Mitglieder, unter ihnen Alfred Adler und Carl Gustav Jung, weil sie sich von Freuds teilweise dogmatischen Ansichten unter Druck gesetzt fühlen und eigene Theorien vertreten. Trotz eines Krebsleidens bleibt Freud hochproduktiv. Zu seinen wichtigsten Schriften gehören Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie (1905), Totem und Tabu (1913), Jenseits des Lustprinzips (1920), Das Ich und das Es (1923) sowie Das Unbehagen in der Kultur (1930). Nach Hitlers Einmarsch in Österreich flieht Freud nach London, wo er am 23. September 1939 an einer Überdosis Morphium stirbt.

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    V. T. vor 1 Jahrzehnt
    leider funktioniert es nicht. Ich finde den download nirgends.
    Ich möchte es als Audio haben auf mein IPod mit Hilfe von ITunes.
    Naja es ist vielleicht auch nicht möglich. Danke trotzdem für den gratis
    download. Schönes Wochenende. V.Thévenaz
    • Avatar
      vor 1 Jahrzehnt
      Sehr geehrte Frau Thévenaz,
      die Klassiker-Zusammenfassungen gibt es leider nicht als Audio-Datei. Ich hoffe, Sie konnten die anderen Dateiformate problemlos öffnen.
      Mit freundlichen Grüßen
      Andreas Neisser, getAbstract