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Die Vorsokratiker

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Die Vorsokratiker

Die Fragmente und Quellenberichte

Kröner,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Die Vorsokratiker stehen am Anfang der europäischen Geistesgeschichte.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Griechische Antike

Worum es geht

Die ersten Philosophen

Wer an die antike griechische Philosophie denkt, hat vor allem das Dreigestirn Sokrates, Platon und Aristoteles vor Augen. Deren Vorgänger sind hingegen so gut wie unbekannt. Allein Pythagoras ist heute, aufgrund seiner mathematischen Erkenntnisse, noch ein Begriff. Zu den Gründen für diese Unkenntnis gehört, dass die Werke der Vorsokratiker in der Regel nur sehr unvollständig oder z. T. überhaupt nicht erhalten sind. Häufig sind sie allein durch die Bezugnahme späterer Philosophen, die jene Werke noch in der Urfassung studiert haben, nicht in Vergessenheit geraten. Wilhelm Capelles Zusammenstellung Die Vorsokratiker ist ein Versuch, die weltanschaulichen Positionen jener frühen Epoche einer breiten Leserschicht näherzubringen. Das Werk vereint die inhaltlich oft sehr weit auseinanderklaffenden Theorien großer antiker Denker in einer einzigen Übersicht. Selbst anhand dieser kommentierten Fragmente wird deutlich, dass Denker wie Thales, Empedokles oder Demokrit nicht nur Vorbereiter waren, sondern mit ihrem ausgeprägten Willen zur Erklärung der Welt die Grundlagen der abendländischen Philosophie legten.

Take-aways

  • „Vorsokratiker“ werden alle diejenigen Philosophen genannt, die vor Sokrates, im fünften und sechsten Jahrhundert v. Chr., gelebt und gewirkt haben.
  • Das Werk der vorsokratischen Philosophen ist heute nur noch bruchstückhaft vorhanden. Es ist größtenteils in Form von Zitaten späterer Historiker und Philosophen oder als Textfragment überliefert.
  • Eine wichtige Zusammenstellung dieser Fragmente sowie anderer Quellen über die Vorsokratiker stammt von Wilhelm Capelle, einem Professor für klassische Philologie.
  • Inhalt: Die Vorsokratiker beschäftigten sich vor allem mit Naturphilosophie und Kosmogonie (Entstehung der Welt). Eine ihrer zentralen Fragen war jene nach dem Urgrund, aus dem alles entstanden sein soll. Die Antworten fielen höchst unterschiedlich aus. Daneben spielte auch die Ethik eine wichtige Rolle.
  • Bei den Vorsokratikern findet sich bereits vieles, was die spätere Philosophiegeschichte prägte: Materialismus, Idealismus, die Idee einer Weltseele oder eines göttlichen Weltenlenkers.
  • Zu den Vorsokratikern zählen u. a. Thales, Pythagoras, Heraklit, Empedokles und Demokrit.
  • Die ersten Vorsokratiker lebten an der kleinasiatischen Küste (heutige Türkei), spätere in Griechenland und Süditalien.
  • Auf die Vorsokratiker folgte die große Epoche der griechischen Philosophie mit Sokrates, Platon und Aristoteles.
  • Einige der Berichte über die Vorsokratiker, z. B. von Platon oder Aristoteles, werden von heutigen Forschern als unzuverlässig eingestuft.
  • Zitat: „Der Mensch ein Kosmos im Kleinen.“ (Demokrit)

Zusammenfassung

Die Lehre des Thales

Laut einem Bericht des Herodot beschäftigte sich Thales von Milet mit Sternkunde und sagte eine Sonnenfinsternis voraus, die sich mitten in einer Schlacht ereignete, woraufhin die Kämpfenden auseinandergingen. Laut Aristoteles vertrat Thales den Standpunkt, die Erde ruhe auf dem Wasser. Überhaupt sei für ihn das Wasser der Urgrund alles Seienden gewesen.

Die Lehre des Pythagoras

Xenophanes erzählt, Pythagoras habe einmal erlebt, wie ein Hund geschlagen worden sei und gewinselt habe. Daraufhin habe er ausgerufen: „Hör auf, das Tier zu schlagen! Es ist ja die Seele eines Freundes, die ich an der Stimme erkannt habe.“ Auch Herodot berichtet, dass Pythagoras an die Seelenwanderung glaubte.

Die Lehre des Xenophanes

Wenn Sportler auch hoch angesehen sind und ihre Kraft bewundert wird, so ist das doch nichts im Vergleich zu der Weisheit des Philosophen.

„Und – so erzählt man – einst sei er gerade vorbeigegangen, als ein Hund geschlagen wurde; da habe er Mitleid empfunden und das Wort gesprochen: ,Hör auf und schlag (das Tier) nicht! Es ist ja die Seele eines befreundeten Mannes, die ich wiedererkannte, als ich das Winseln hörte.‘“ (Xenophanes über Pythagoras, S. 69)

Die Dichter haben den Göttern alle möglichen menschlichen Eigenschaften verliehen. Überhaupt stellen die Menschen sich die Götter nach ihrem eigenen Bild vor: Die Äthiopier haben schwarze und stumpfnasige Götter, die Thraker blauäugige und rothaarige. Wenn Kühe, Pferde oder Löwen Götter hätten, so sähen diese sicherlich auch wie Kühe, Pferde oder Löwen aus. Doch es gibt nur einen Gott, der mit den Menschen weder im Aussehen noch im Denken etwas gemeinsam hat.

„Es war aber unter ihnen ein Mann, der ein übergewöhnliches Wissen hatte, der einen ungeheuren Reichtum des Genius besaß und mannigfacher, gar kluger Werke mächtig war.“ (Empedokles über Pythagoras, S. 70)

Wenn ein Mann Gott gepriesen und darum gebetet hat, dass er ihm Kraft verleihe, das Richtige zu tun, so ist es keine Sünde, anschließend so viel zu trinken, dass man gerade noch allein nach Haus gehen kann. Am meisten Lob verdient der, der auch nach dem Trinken noch eine edle Gesinnung erkennen lässt.

„Kampf ist der Vater von allem, der König von allem; die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ (Heraklit, S. 101)

Noch niemand hat die Wahrheit von allem erkennen können. Und selbst wenn dies einmal einem Menschen gelänge, so wüsste er es selbst nicht, denn alles, was uns beschieden ist, ist Glauben.

Die Lehre des Heraklit

Die Sonne ist so breit wie der Fuß eines Menschen. Und an jedem neuen Tag ist eine neue Sonne da.

„Empedokles nimmt als Prinzip die vier (Elemente) an, indem er zu den genannten (Wasser, Luft und Feuer) die Erde als viertes hinzufügt. Die nämlich – so meint er – dauerten ewig und hätten keine Entstehung, sondern vereinten sich nur in größerer oder geringerer Menge zur Einheit und trennten sich wieder aus der Einheit.“ (Aristoteles über Empedokles, S. 150)

Wer in denselben Fluss steigt, steigt doch nicht in denselben; er ist es, und er ist es doch auch nicht.

Die Dinge, die uns als lebend oder tot, wach oder schlafend, jung oder alt erscheinen, sind doch alle ein und dasselbe. Denn der eine Zustand verwandelt sich in einen anderen, und umgekehrt. Kaltes wird warm, Warmes kalt, Feuchtes trocken und Trockenes feucht. Auch werden Unsterbliche sterblich und Sterbliche unsterblich. Allein das, was auseinanderstrebt, stimmt doch mit sich selbst überein.

„Das Denkvermögen (habe seinen Sitz) weder im Kopfe noch in der Brust, sondern im Blut. Daher zeichneten sich die Menschen aus je nach dem Körperteil, in dem dieses in größerer Menge verbreitet sei.“ (Pseudoplutarch über Empedokles, S. 188)

Der Kampf ist der Vater aller Dinge. Durch ihn werden die einen zu Göttern und die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven und die anderen zu Freien.

In den Augen Gottes ist alles schön und gerecht. Die Menschen aber halten manches für gerecht und manches für ungerecht.

Die Welt ist nicht erschaffen worden, weder von Göttern noch von Menschen. Sie hat immer existiert als ewig lebendiges Feuer. Alle Dinge sind Austausch des Feuers und das Feuer ist Austausch der Dinge, so wie Gold und Waren ausgetauscht werden.

Der Weg hinauf und der Weg hinunter sind derselbe Weg.

Allen Menschen gemeinsam ist die eine Vernunft. Trotzdem lebt jeder, als ob er seine eigene Einsicht hätte.

„Nach der jeweiligen (Beschaffenheit des Körpers) wächst dem Menschen die Denkkraft.“ (Empedokles, S. 189)

Was immer der Mensch zu erkennen glaubt, es ist doch nur seine Meinung. Dem menschlichen Wesen sind anders als dem göttlichen keine Erkenntnisse gegeben. Für Gott ist der Mensch ein Narr, so wie der Junge für den Mann. Die Natur verbirgt sich gern. Im Vergleich zu Gott erscheint selbst der weiseste Mensch wie ein Affe.

Die Lehre des Parmenides

Das Seiende ist die Grundlage von allem. Das Seiende existiert, und es ist unmöglich, dass es nicht existiert. Das Nichtseiende dagegen kann weder erkannt noch ausgesprochen werden, es existiert nicht. Das Seiende ist seit Ewigkeit da – denn es kann weder aus einem anderen Seienden noch aus dem Nichtseienden hervorgegangen sein – und es wird in Ewigkeit bestehen. Das Seiende ist eins und unteilbar, es ruht unbeweglich und unverändert in sich selbst. Die Menschen täuschen sich, wenn sie annehmen, es gebe Werden und Vergehen, Sein und Nichtsein, Bewegung und Veränderung.

Die Lehre des Zenon

Ein Ding, das weder Größe noch Dicke, noch Masse besitzt, existiert überhaupt nicht. Denn wenn es einem anderen Ding hinzugefügt wird, und dieses wird um nichts größer, oder wenn es von einem anderen Ding abgezogen wird, und dieses wird um nichts kleiner, so ist es offenbar gleich null.

„In ähnlicher Weise erklärt auch Anaxagoras die Seele für das bewegende Prinzip (...)“ (Aristoteles über Anaxagoras, S. 218)

Es gibt keine Bewegung. Denn etwas, was sich scheinbar bewegt, bewegt sich in Wirklichkeit weder in dem Raum, den es gerade einnimmt, noch in dem Raum, den es gerade nicht einnimmt.

Die Lehre des Empedokles

Es gibt vier Elemente: Erde, Feuer, Wasser und Luft. Aus ihnen bestehen alle Dinge, so vielfältig sie auch sein mögen. Durch Liebe und Streit vereinigen oder trennen sich die Elemente, sie mischen sich unaufhörlich neu und bilden einen ewigen Kreislauf des Entstehens und Vergehens. Dabei geht nichts verloren und nichts kommt neu hinzu.

„Denn während jene das All als eins, unbeweglich und unentstanden und als begrenzt annahmen und über das Nichtseiende nicht einmal nachzudenken erlaubten, nahm Leukippos unendlich viele und in ewiger Bewegung begriffene Elemente an, die Atome nämlich (...)“ (Simplicius über Leukipp, S. 237)

Im Weltall gibt es keinen leeren Raum, aber auch keinen, der übervoll ist. Der Mond reflektiert das Licht der Sonne.

Die Denkkraft des Menschen hängt von seiner körperlichen Beschaffenheit ab.

Alle Dinge haben einen Anteil an Vernunft und Denken.

Wer heute ein Mann ist, war früher mal ein Junge, Mädchen, Busch, Vogel oder Fisch. Wer Tiere schlachtet, tötet damit seinesgleichen.

„Denn was behauptet Demokrit? Dass sich unzählige unteilbare und indifferente Substanzen, die qualitätslos und unveränderlich seien, zerstreut im leeren Raume bewegten.“ (Plutarch über Demokrit, S. 328)

Wer göttliche Weisheit erlangt, ist selig; wer aber im Wahn über die Götter befangen ist, ist elend. Gott darf man sich nicht wie einen Menschen vorstellen, vielmehr ist er nichts als heiliger, unaussprechlicher Geist, der die ganze Welt durchdringt.

Die Lehre des Anaxagoras

Es gibt kein Entstehen und Vergehen von Dingen, obgleich die Menschen diese Begriffe gern verwenden. In Wirklichkeit ist es so, dass sich die vorhandenen Dinge oder Stoffe trennen und neu mischen. Die Gesamtheit aller Dinge bleibt immer gleich, nichts kommt hinzu und nichts geht verloren. Dabei ist jedes in jedem enthalten, und alles hat an allem Anteil. Es gibt kein allerkleinstes Teilchen, denn alles kann bis ins Unendliche geteilt werden.

„Der Mensch ein Kosmos im Kleinen.“ (Demokrit, S. 347)

Der Geist ist unendlich, und er allein ist mit keinem anderen Ding vermischt. Er ist feiner und reiner als alle Dinge. Der Geist ist das beherrschende Prinzip der Welt. Er erkennt die Dinge, die sich mischen und wieder trennen. Er ist es auch, der die Wirbelbewegung im Universum beherrscht, die z. B. am Lauf der Sterne, der Sonne und des Mondes erkennbar ist.

„Es ist oft von mir dargelegt worden, dass wir nicht erkennen können, wie in Wirklichkeit ein jedes Ding beschaffen oder nicht beschaffen ist.“ (Demokrit, S. 360)

Die Menschen können weder durch ihre Vernunft noch durch ihre Erfahrung die Menge der Stoffe erkennen. Ihre Sinne sind schwach, die Wahrheit bleibt ihnen verborgen.

Die Lehre des Leukipp

Nach einem Bericht des Aristoteles glaubte Leukipp an die Existenz unendlich vieler unteilbarer Teilchen, der Atome, aus denen alle Körper zusammengesetzt seien. Dadurch, dass diese Teilchen, die ständig in Bewegung seien, sich vereinigten oder trennten, komme es zum Entstehen und Vergehen sowie zu den Veränderungen der Dinge. Auch glaubte Leukipp, es gebe im Kosmos einen leeren Raum.

„Von allen Angelegenheiten muss man die des Staates als die wichtigsten erachten, die Frage nämlich, wie er gut regiert wird.“ (Demokrit, S. 379)

Weiter berichtet Aristoteles, Leukipp habe die Seele für etwas Feuerähnliches gehalten. Sie würde von den kugelförmigen Feueratomen gebildet, die aufgrund ihrer Form am besten durch alles hindurchdringen könnten. Auch Aetius berichtet, für Leukipp habe die Seele aus Feuer bestanden. Außerdem habe er die Sinneswahrnehmungen so erklärt, dass kleine Bilder von außen in den Körper kämen.

Die Lehre des Demokrit

Wie sich gleiche Tiere zueinandergesellen – z. B. Tauben zu Tauben und Kraniche zu Kranichen –, so verhält es sich auch mit den unbeseelten Dingen. Man sieht das beim Sieben von Körnern oder bei der Meeresbrandung: Gleiche Körner bzw. gleichförmige Kieselsteine finden zueinander.

Die Götter geben den Menschen nur Gutes. Alles, was schlecht oder unnütz ist, rührt nicht von den Göttern her, sondern die Menschen sind selbst daran schuld.

Der Mensch ist ein Miniaturkosmos. Er ist von der Erkenntnis der Wirklichkeit weit entfernt. Von nichts weiß er wirklich etwas, sondern er bildet sich immer nur Meinungen aufgrund seiner Sinneswahrnehmungen. In Wahrheit existieren nur die Atome und die Leere.

Glückseligkeit erlangt der Mensch durch Maßhalten. Wer stets nach den Reichen und Erfolgreichen schielt und wie sie werden will, verfällt in Unrast und Gier und tut schließlich etwas Gesetzwidriges. Wer sich hingegen an den Mühseligen und Beladenen orientiert, wird erkennen, wie gut es ihm selbst geht, und zufrieden und ausgeglichen sein. Neid, Eifersucht und Hass sind ihm fremd. Das rechte Maß ist besser als das Übermaß. Jungen begehren maßlos, Männer jedoch nicht.

Während der Arzt die körperlichen Krankheiten heilt, ist es die Weisheit, die die Seele von den Leidenschaften befreit. Der Mensch sollte sich mehr um seine Seele als um seinen Körper kümmern.

Die Sünde soll man nicht aus Furcht vor Strafe unterlassen, sondern weil die sittliche Pflicht es gebietet.

Wer der Macht des Geldes unterliegt, kann nicht gerecht sein.

Tapferkeit besteht nicht im Sieg über die Feinde, sondern im Sieg über die eigenen Leidenschaften. Es gibt Menschen, die beherrschen ganze Städte, sind aber Knechte der Weiber.

Zum Text

Aufbau und Stil

Wilhelm Capelles Die Vorsokratiker gehört zu den Standardwerken über die Epoche der Philosophie des sechsten und fünften vorchristlichen Jahrhunderts. Das Buch widmet sich in insgesamt 13 Kapiteln jeweils einer philosophischen Schule oder einem einzelnen Philosophen jener Ära. Die Kapitel sind immer nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Am Anfang steht eine Einführung zum Leben und Werk des jeweiligen Philosophen mit dem Versuch, diesen nicht bloß als Denker, sondern auch als Menschen darzustellen. Als Nächstes folgt eine zumeist thematisch geordnete Auswahl von Fragmenten der Urschriften sowie von Kommentaren und Erklärungen nachfolgender Philosophen. Trotz dieser gleichförmigen Systematik bleibt das Buch in jeder Phase lebendig, vor allem in der Darstellung der Epochen und ihrer Gedankengebäude. Capelles Stil überzeugt durch gute Lesbarkeit, durch seine stets mitschwingende Emphase und durch seine auch auf die Persönlichkeit der Vorsokratiker fokussierende Betrachtungsweise. Die philosophischen Fragmente selbst unterscheiden sich im Stil sehr stark voneinander; einige kommen höchst rätselhaft daher und werden erst durch die Kommentare der späteren Philosophen verständlich.

Interpretationsansätze

  • Die Vorsokratiker legten die Grundlagen der abendländischen Philosophie. Bei ihnen findet sich bereits vieles, was die spätere Philosophiegeschichte prägen sollte: der reine, unverfälschte Materialismus ebenso wie der im Geistigen zentrierte Idealismus, die Idee von der Existenz einer Weltseele oder auch die Vorstellung eines alles beherrschenden Gottes als Weltenlenker.
  • Auch was die unterschiedlichen philosophischen Richtungen, Disziplinen und Themen betrifft, bietet das Werk einen guten Überblick. Es beinhaltet sowohl Versuche, die Welt als ein kosmologisches Ganzes zu erklären, als auch erste Aufspaltungen der Philosophie in wissenschaftliche Teildisziplinen.
  • Das Werk ist mit etlichen Unsicherheiten behaftet. Immerhin beinhaltet es kaum zusammenhängende Lehren, sondern hauptsächlich Fragmente, von denen oft nicht einmal mit letzter Sicherheit geklärt ist, ob sie überhaupt von dem Autor stammen, dem sie zugeschrieben werden.
  • Die Vorsokratiker legen den Schwerpunkt auf die Naturphilosophie. Die Übergänge von naturwissenschaftlichen Experimenten zu Spekulationen über den Ursprung des Kosmos sind fließend. Von der Naturwissenschaft gelangen viele zur praktischen Philosophie. Die Vorsokratiker als anwendungsorientierte Philosophen sind daher auch sehr an ethischen Fragestellungen interessiert.
  • Die Bezeichnung „Vorsokratiker“ ist insofern irreführend, als einige der so titulierten Philosophen Zeitgenossen des Sokrates waren. Zudem beschäftigten sich einige von ihnen mit ähnlichen Fragestellungen wie Sokrates, sodass ein klarer Bruch zwischen der vorsokratischen und der sokratischen Periode nicht zu erkennen ist.

Historischer Hintergrund

Beginn und Ende eines glorreichen Zeitalters

Das Wirken der Vorsokratiker fiel in die klassische Periode des antiken Griechenlands, die vom Ende der athenischen Tyrannenherrschaft 510 v. Chr. bis zum Tod Alexanders des Großen im Jahr 323 v. Chr. reichte. Es war die Blütezeit der Polis, allen voran der Stadtstaaten Athen, Sparta, Theben und Korinth, die mit ihrer z. T. demokratischen Verfassung und ihrer intensiven Pflege von Kultur und Kunst großen Anteil an der Entstehung verschiedener philosophischer Ausrichtungen und Schulen hatten.

510 v. Chr. unterstützten spartanische Truppen die Athener beim Sturz des Tyrannen Hippias. An seine Stelle wurde Isagoras gesetzt, der in Athen eine spartafreundliche Oligarchie errichtete. Zur selben Zeit verhalf der Athener Kleisthenes der attischen Demokratie allmählich zum Durchbruch.

Die Unterstützung des Ionischen Aufstands von 500 v. Chr. brachte Athen und die Griechen in einen Konflikt mit dem Reich der Perser, der sich über einen Zeitraum von 200 Jahren hinziehen sollte. Zwar wurde 449 v. Chr. zwischen Athenern und Persern Friede geschlossen, Zusammenstöße gab es aber in der Folgezeit immer wieder, zuletzt als Alexander der Große 334 v. Chr. sein Heer gegen Asien lenkte.

Auch in dem zwischen Athen und Sparta ausgefochtenen Peloponnesischen Krieg (431–404 v. Chr.) spielten die Perser eine entscheidende Rolle, denn sie unterstützten Sparta und besiegelten mit der Niederlage Athens den Abstieg und langsamen Verfall der griechischen Seemacht. Die gegenseitige Zerfleischung der griechischen Kleinstaaten war damit noch nicht an ihrem Ende angelangt. Erst dem makedonischen König Philipp II. gelang es, wieder eindeutige Machtverhältnisse herzustellen. Sein Sohn Alexander dehnte das griechische Reich schließlich bis nach Indien aus. Dessen früher Tod bedeutete jedoch das Ende der militärischen und kulturellen Dominanz der Griechen im Mittelmeerraum.

Entstehung

Die Grundlage für Wilhelm Capelles Die Vorsokratiker war das 1903 erschienene Werk Die Fragmente der Vorsokratiker von Hermann Diels. Diels gebührt die Ehre, als Erster die spärlich vorhandenen Quellen rekonstruiert und der Nachwelt zugänglich gemacht zu haben. Er beschränkte sich von Anfang an darauf, die Fragmente der Vorsokratiker mit einem hohen Maß an Präzision ins Deutsche zu übertragen; die Quellenzeugnisse späterer Philosophen, die auf die Vorsokratiker Bezug nahmen, ließ er außen vor.

Wilhelm Capelle war stets voller Bewunderung für die Pionierleistung seines Vorgängers. Im Unterschied zu Diels – dessen Ausgabe später von seinem Schüler Walther Kranz weitergeführt wurde und heute als „Diels/Kranz“ bezeichnet wird – hatte er jedoch von Anfang an eine breitere Leserschicht vor Augen. Capelle traf bei der Übertragung der Fragmente der Vorsokratiker und deren Kommentatoren eine Auswahl und ordnete die Texte nach Themengruppen. Nach der Erstausgabe des Werks im Jahr 1935 betreute er noch die nächsten Ausgaben bis zur vierten Auflage von 1953.

Wirkungsgeschichte

Wilhelm Capelle gebührt das Verdienst, den Versuch unternommen zu haben, das Denken, die Weltanschauung, aber auch die Persönlichkeit von Philosophen wie Thales, Empedokles oder Anaxagoras näher zu umreißen. Insofern schuf der Hamburger Philologe, im Anschluss an Diels/Kranz, die maßgeblichen Voraussetzungen für den philosophischen Diskurs über die vorsokratische Epoche.

Seit 1935 hat sich dieser Diskurs infolge neuer Forschungserkenntnisse natürlich weiterentwickelt. So hat sich beispielsweise im Fall der Sophisten, die Capelle noch recht zwanglos unter die Vorsokratiker einreiht, eine eigenständige Forschungsrichtung etabliert, die letztlich dazu geführt hat, dass man die Sophisten mittlerweile als ein gesondertes philosophisches Kapitel behandelt.

Weitere Debatten haben sich an der Frage entzündet, wie verlässlich spätere Philosophen (darunter vor allem Aristoteles und Platon) Informationen und Ansichten über die weltanschaulichen Positionen ihrer Vorgänger weitergegeben haben. Verschiedene Forscher sind heute davon überzeugt, dass gerade Aristoteles und Platon es im Umgang mit den historischen Quellen nicht immer so genau genommen haben.

Über die Autoren

Als einer der Begründer der abendländischen Philosophie gilt Thales (ca. 624–546 v. Chr.), der in der kleinasiatischen Hafenstadt Milet geboren wurde, einem Umschlagplatz nicht nur für Waren aus dem gesamten Mittelmeerraum, sondern auch für verschiedene Kulturen und Religionen. Dieser antike Pluralismus, zusammen mit der sich herausbildenden, frühbürgerlichen Polis, erscheint im Nachhinein als idealer Nährboden für eine Wissenschaft, die sich mit den Phänomenen des Seins an sich beschäftigt. In Lehrer-Schüler-Verhältnissen wurde diese lebendige Kultur fortgeführt. Die erste wirklich Schule, die Gemeinschaft der Pythagoreer, gründete Pythagoras (ca. 570–510 v. Chr.) von Samos. Er und seine Schüler suchten nicht wie die Mehrzahl der zeitgenössischen Philosophen nach dem Urstoff, sondern nach abstrakten Prinzipien. Am Beispiel Pythagoras’ zeigt sich das Problem des Zusammenwachsens von Legende und Wirklichkeit. Immerhin gilt als gesichert, dass Pythagoras auch die praktische Seite des Lebens kannte: Er war verheiratet und hatte mehrere Kinder. Von Legenden umsponnen ist die Biografie des Heraklit (geboren zwischen 540 und 535 v. Chr., gestorben zwischen 483 und 475 v. Chr.) von Ephesos. Wie viele andere antike Philosophen aus aristokratischem Geschlecht stammend, soll er sich einmal, an Wassersucht erkrankt, unter einen Misthaufen gelegt haben, um dort „durch Trocknung“ zu genesen. Ebenfalls aristokratischer Abstammung war Empedokles (ca. 494–434 v. Chr.), der angeblich sogar das Angebot ausgeschlagen haben soll, König seiner Heimatstadt Akragas zu werden, und es stattdessen vorzog, sich für die demokratische Bewegung einzusetzen. Auch die Darstellung von Empedokles’ Werdegang ist von Mythen durchwoben. So hat sich bis heute die Legende erhalten, er habe seinem Leben freiwillig ein Ende gesetzt, indem er sich in den Krater des Ätna stürzte. Demokrit (460–371 v. Chr.) wirkte in der griechischen Stadt Abdera. Dank seines ererbten Reichtums konnte er weite Reisen unternehmen und eine große Anzahl von Schriften zu allen möglichen Themen verfassen. Von den Zeitgenossen wurde er der „lachende Philosoph“ genannt, wegen des heiteren Charakters seiner Lehre.

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