Hartmann von Aue
Erec
Deutscher Klassiker Verlag, 2007
Was ist drin?
Ein tapferer Ritter zwischen Liebesrausch und Abenteuersucht – der erste deutsche Artusroman.
- Heldenepos
- Mittelalter
Worum es geht
Ein Ritter, wie er im Buche steht
Mit Erec hielt der Artusroman Einzug in Deutschland. Hartmann von Aue, der das Werk um 1180 verfasste, war selbst kein Ritter; womöglich beflügelte gerade das seine dichterische Fantasie. Die Übertragung des französischen Epos Erec et Enide von Chrétien de Troyes ist jedenfalls frei genug angelegt, um als eigenständiges Werk gelten zu können. Das Buch erzählt – im mittelhochdeutschen Original in Paarreimen – von der großen Liebe und den heldenhaften Kämpfen des jungen Ritters Erec. Nachdem er Braut und Ehre schnell erworben hat, verfällt er so sehr der Minne, dass man ihm seine angebliche Tapferkeit nicht mehr abnimmt und er auf einer großen Abenteuerreise beweisen muss, dass er immer noch ein ganzer Mann ist. Hartmanns Epos handelt von der prekären Balance zwischen Ehre und Liebe innerhalb des höfischen Ethos und illustriert beide Werte in einer Reihe dramatischer Episoden. Es spielt in einer oft märchenhaften Szenerie und ist von markanten Figuren bevölkert – übermenschliche Kraft und überirdische Schönheit sind keine Seltenheit. Über das Leben im Mittelalter erfährt man im Erec kaum etwas, über den Mythos vom edlen Ritter dafür umso mehr.
Take-aways
- Hartmann von Aues Erec ist der erste Artusroman in deutscher Sprache.
- Inhalt: Der junge Erec, Ritter an König Artus’ Hof, zieht aus, um sich für eine Beleidigung zu rächen. Er besiegt seinen ersten Gegner und gewinnt dabei das Herz der schönen Enite. Nach der Heirat mit ihr versinkt er so sehr im Liebesglück, dass er seine Ritterehre verliert. Er muss mehrere kühne Abenteuer bestehen, um sie wiederzuerlangen. Schließlich werden Erec und Enite als Königspaar gefeiert.
- Das Werk ist eine freie Übertragung des französischen Epos Erec et Enide von Chrétien de Troyes.
- Der Stoff entspringt dem Sagenkreis um den legendären britannischen König Artus und die Ritter seiner Tafelrunde.
- Erec spielt in einer idealisierten, z. T. märchenhaften Welt, die mit der Wirklichkeit des Mittelalters nur wenig zu tun hat.
- Die schwierige Balance zwischen den ritterlichen Grundwerten Minne (Liebe) und Ehre macht die Kernproblematik des Werkes aus.
- Hartmann schrieb Mittelhochdeutsch in paarweise gereimten Versen.
- Der Text ist nur durch eine Handschrift aus dem 16. Jahrhundert überliefert. Die ursprüngliche Fassung gilt als verloren.
- Über das Leben Hartmanns von Aue ist so gut wie nichts bekannt.
- Zitat: „Denn in den Fesseln der Minne ist mit Leichtigkeit ein sehr besonnener Mann zu fangen, den man anders nicht besiegen könnte.“
Zusammenfassung
Erec muss sich rächen
Auf Schloss Cardigan hält König Artus Hof. Am letzten Tag einer großen Zusammenkunft geht er mit den anwesenden Rittern seiner Tafelrunde auf die Jagd nach einem weißen Hirsch. Der junge Ritter Erec begleitet Artus’ Frau Ginover zur gleichen Zeit bei einem Ausritt. Als ihnen ein fremder Ritter mit seiner Frau entgegenkommt, erfragt Erec von einem voranreitenden Zwerg höflich deren Namen. Doch der Zwerg weist ihn rüde ab und hält ihn mit Peitschenhieben fern. Weil Erec unbewaffnet ist, kann er nicht aufbegehren. Die Schmach schadet seiner Würde und seinem Ansehen. Er sinnt deshalb auf Rache und nimmt wenig später, aus sicherer Entfernung, die Verfolgung des Ritters auf.
„Das war Erec, fils du roi Lac, der tapfer war und unter Gottes Segen stand; von ihm handelt die Erzählung.“ (S. 15)
Gegen Abend nähert er sich der Burg Tulmein. Der dort ansässige Herzog Imain hat zu einem großen Fest geladen. Im Dorf neben der Burg versucht Erec, noch immer unbewaffnet, Unterschlupf in einem alten, scheinbar verlassenen Haus zu finden. Dort lebt jedoch die verarmte Familie des greisen Ritters Koralus. Dieser nimmt Erec freundlich auf und erzählt ihm, dass der Ritter Iders, der Herr des Zwerges, am folgenden Tag versuchen wird, für seine Geliebte einen Sperber zu erstreiten. Der Vogel ist der schönsten Frau des Festes zugedacht. Erec erkennt im Kampf um den Sperber sofort eine Gelegenheit zur Rache. Er erzählt Koralus von seiner schmachvollen Begegnung mit dem Ritter, klärt ihn auch über seinen eigenen Stand und seine Pläne auf und bittet ihn dann um eine Rüstung und ein Schwert. Er möchte den Sperber für Koralus’ Tochter Enite gewinnen und sie anschließend zur Frau nehmen. Koralus, der einst mit Erecs Vater Lac befreundet war, willigt ein.
Der Mut verhilft zum Sieg
Am kommenden Morgen werden Erec und Enite von Herzog Imain begrüßt. Enite ist dessen Nichte, weshalb er ihr sofort anbietet, die zerschlissene Kleidung, die sie ihrer Armut wegen trägt, gegen ein würdiges Kostüm zu tauschen. Erec weist das Angebot jedoch ab und weist auf die Nichtigkeit von Äußerlichkeiten hin. In der Nähe des Sperbers kommt es schon bald zum Streit zwischen Iders und Erec. Jeder beansprucht den Vogel für seine Begleiterin. So wird ein Kampf unumgänglich. Iders droht Erec bereits im Voraus, dass er ihn im Falle seines Sieges töten werde.
„Seine hochmütige Verblendung führte jenen jetzt in die Irre: Er glaubte, einen unerfahrenen Jungen vor sich zu haben. Als sie aber zusammenstießen, bekam er es deutlich zu spüren, dass Erec von Heldenmut erfüllt war.“ (über Iders, S. 57)
Erecs Mut und der unbedingte Wille, die Schande des Vortags zu rächen, verleihen dem jungen Ritter gewaltige Kräfte. Über Stunden hält er Iders, der ein erfahrener Kämpfer ist, stand. Schließlich gewinnt er die Oberhand. Nun könnte Erec den Widersacher töten. Aber er verschont ihn – und nimmt ihm dafür das Versprechen ab, ihm künftig Folge zu leisten. Als Erstes weist er ihn an, bei Artus’ Frau Ginover um Verzeihung für sein Verhalten zu bitten. Dem Zwerg droht er, ihm die Hand abzuhacken, lässt ihn dann aber lediglich auspeitschen.
Mit der Braut zum Artushof
König Artus hat unterdessen den weißen Hirsch selbst erlegen können und freut sich auf den Lohn: das allerschönste Mädchen am Hof küssen zu dürfen. Seine Frau bittet ihn aber, damit noch zu warten. Sie erzählt ihm von Erecs Begegnung mit Iders und von Erecs Racheplänen. Die Sorge um den jungen Ritter verbreitet sich unter Artus’ Gefolgsleuten; da kommt Iders angeritten und wirft sich reuig vor der Königin auf die Knie. Er beklagt den eigenen Hochmut, bittet um Verzeihung und berichtet vom verlorenen Kampf gegen Erec. Die Königin vergibt ihm und bittet Iders, von nun an ihrem Gefolge anzugehören.
„Ihre Herzen wurden voller Liebe: Sie gefielen einander sehr und immer mehr und mehr.“ (über Erec und Enite, S. 95)
Am Hof von Tulmein ist inzwischen von Arm und Reich Erecs Sieg gefeiert worden. Herzog Imain lädt Erec und seine Verlobte Enite für die Nacht zu sich ein, doch Erec genießt lieber ein weiteres Mal Koralus’ Gastfreundschaft. Bevor er am nächsten Morgen mit Enite zu Artus’ Hof aufbricht, lehnt er erneut bessere Kleidung für seine Braut ab. Nur ein edles Pferd für sie nimmt er an. Verliebte Blicke austauschend, reiten sie Artus’ Hof entgegen. Nach der Ankunft nimmt sich zunächst die Königin der jungen Braut an: Sie lässt sie baden und prachtvoll neu ankleiden. So tritt sie dem König und seiner Tafelrunde entgegen. Im Nu gibt es keinen Zweifel mehr, von wem Artus einen Kuss für sein Jagdglück erbittet: von Enite, die alle Ritter sofort als allerschönste Frau anerkennen. Ein Fest besiegelt fürs Erste Erecs Glück.
Zu viel Liebe macht schlapp
Erec lässt seinen Vater, den König Lac, durch Boten darum bitten, dem verarmten Schwiegervater Koralus zwei seiner Burgen zu schenken. So hat für den guten Mann die Armut ein Ende. Erec und Enite, deren Liebe immer heftiger lodert, planen schon ihre Hochzeit. König Artus besteht darauf, sie ausrichten zu dürfen. Eine zweiwöchige Feier ist vorgesehen, zu der zahlreiche Herzöge und Könige anreisen. Und nicht nur sie werden reich bewirtet, auch das Volk erhält zum Freudenfest zahllose Geschenke. Nach zwei Wochen frohen Feierns wird das Fest um weitere zwei Wochen verlängert und zugleich ein Turnier anberaumt, bei dem Erec alle anderen Mitstreiter an Kraft, Mut und Einsatz überragt.
„Wahrhaftig, ich sage Euch: Die Minne hatte gesiegt, sie war die Herrin über sie beide und quälte sie sehr.“ (über Erec und Enite, S. 115)
Nach diesem neuerlichen Triumph machen sich Erec und Enite mit einem Gefolge von 60 Reitern auf den Weg in Erecs Heimat Destregales. König Lac übergibt die Herrschaft über das Land umgehend an seinen Sohn und dessen Frau. Einmal zu Hause angekommen, als Herrscher mit eigenem Hof, ändert Erec schnell sein Temperament. Er gibt sich so vollständig der Liebe zu seiner Frau hin, dass er die meiste Zeit des Tages mit ihr im Bett verbringt und dieses fast nur noch für die Messe und die Mahlzeiten verlässt. Das vollkommen unritterliche, ruhmlose Dasein macht seinen früh erworbenen Ruf als Held bald zunichte, und die Mitglieder seines Hofes müssen sich bald für ihren kraftlosen Herrscher schämen.
Auf der Flucht vor der Minne
Irgendwann erfährt Enite von dem Gerede, und durch einen unglücklichen Zufall kommt es auch Erec zu Ohren. Der sagt nur: „Das genügt“, und verlässt noch am selben Tag allein mit seiner Frau das Schloss. Enite muss ihrem Mann versprechen, während der gesamten Reise zu schweigen. Gleich in der ersten Nacht tötet Erec zwei Gruppen von angreifenden Räubern. Enite, die vorausreitet und besser hört als Erec, da sie keine Rüstung trägt, warnt ihren Mann beide Male und bricht dadurch ihr Schweigegelübde. Sie wird streng verwarnt und außerdem mit der schwierigen Aufsicht über die acht erbeuteten Pferde bestraft.
„Als (...) Enite von der Vortrefflichkeit ihres Freundes Erec hörte, machte sie diese Tapferkeit einerseits froh, andererseits traurig. Froh war sie, weil man ihn rühmte. Traurig war sie, weil sie wusste, dass ihr seine Tapferkeit ihren Mann rauben würde (...)“ (S. 167 f.)
Am nächsten Tag erreicht das Paar ein neues Land und lernt wenig später den dortigen Burgherrn, einen Grafen, kennen. Über Nacht bleiben sie in einer einfachen Herberge. Dort besucht sie der Graf, in der Absicht, Enite von ihrem Mann zu „befreien“. Diese willigt zum Schein ein, vertröstet ihn aber auf den frühen Morgen. Inzwischen unterrichtet sie Erec, der eilends mit ihr aufbricht, ihr aber später im Wald unter Todesdrohungen verbietet, noch einmal den Mund aufzumachen. Doch Enite bricht gleich darauf erneut ihr Versprechen, indem sie Erec vor herannahenden Verfolgern warnt. Erec tötet einige Männer des Grafen und schlägt die übrigen in die Flucht. Wieder schimpft er mit seiner Frau.
Rastlos von Abenteuer zu Abenteuer
Kaum im nächsten Land angekommen, muss sich Erec erneut einem Zweikampf stellen. Er wird vom Landesherrn, dem kleinwüchsigen, aber heldenhaften Guivreiz, aus purer Kampfeslust herausgefordert. Erec siegt, tötet seinen Gegner aber nicht, sondern schließt gleich Freundschaft mit ihm. Trotzdem bleibt er nur eine einzige Nacht auf dem Schloss. Dann zieht er weiter, obwohl er verwundet und von den Kämpfen geschwächt ist.
„Erec gewöhnte sich wegen seiner Frau an große Bequemlichkeit. Er liebte sie so sehr, dass er nur um ihretwillen all seine Ehre verspielte, bis er sich so vollständig ,verlegen‘ hatte, dass keiner mehr ihm das Mindeste an Achtung entgegenbringen konnte.“ (S. 175)
In einem Wald, den Erec und Enite durchqueren, sind König Artus und sein Gefolge zur Jagd versammelt. Erec will unbemerkt am Zeltlager vorbeiziehen, doch der König erhält durch Zufall Kunde vom durchreisenden Paar und hält die beiden auf. So verbringt Erec mit seiner Frau eine Nacht in Artus’ Gemeinschaft – und profitiert nebenbei von einem Pflaster mit magischen Heilkräften. Am nächsten Tag stürzt er sich gleich in ein neues Abenteuer: einen anstrengenden Kampf mit zwei Riesen. Danach bricht er allerdings in Enites Nähe zusammen. Alte und neue Wunden haben ihn ausgezehrt.
Auferstanden von den Toten
Enite glaubt Erec tot und stimmt eine lange Klage um ihn an, in der sie Gott zürnt und sich selbst den wilden Tieren zum Fraß anbietet. Kurz bevor sie sich vor Verzweiflung Erecs Schwert in den Bauch stößt, erscheint Graf Oringles und hält sie davon ab. Von Enites Schönheit geblendet, schmiedet der Graf sofort Pläne, die junge Frau und vermeintliche Witwe zu heiraten. Er bringt sie in sein Schloss, und noch während sie dort beim aufgebahrten Leib ihres Mannes Totenwache hält, zwingt er sie zur Teilnahme am Hochzeitsmahl. Ihren Widerstand versucht er mit Schlägen zu brechen. Von Enites Schreien wacht Erec auf, verlässt die Bahre und geht dem Festsaal entgegen, wo er sich ein Schwert schnappt und Oringles kurzerhand tötet. Der Hof flieht in Panik vor dem scheinbar von den Toten auferstandenen Ritter. Wenig später machen sich auch Erec und Enite davon. Enite erzählt ihrem Mann von Oringles’ furchtbaren Avancen, woraufhin Erec endlich ihr Schweigegebot aufhebt und sie, für alle Zeit von ihrer Treue überzeugt, um Verzeihung für seine Rohheit bittet.
„Denn in den Fesseln der Minne ist mit Leichtigkeit ein sehr besonnener Mann zu fangen, den man anders nicht besiegen könnte. (...) Wäre sie nicht eine solche Erfüllung, dann gäbe es für den Lauf der Welt nichts Besseres und Vorteilhafteres, als wenn sie abgeschafft würde.“ (S. 215)
Inzwischen hat Guivreiz von Erecs Abenteuer erfahren. Er reitet gleich los, um dem Ritter gegen seine möglichen Verfolger beizustehen. Als sich jedoch beide in finsterer Nacht entgegenkommen, erkennen sie einander nicht und sehen im jeweils anderen einen Feind. Guivreiz haut Erec vom Pferd, und nur Enites Bitte um Gnade kann Schlimmeres verhindern. Nun erst bemerken die beiden Ritter ihren Irrtum und lassen vom Kampf ab. Erec, zum ersten Mal besiegt, wirft sich selbst halsbrecherische Überheblichkeit vor. Zwei Wochen lang lässt er sich nun in Guivreiz’ Schloss gesund pflegen.
Der letzte Kampf im Baumgarten
Nach der Genesung reiten Erec und Enite gemeinsam mit Guivreiz aus, um König Artus in einem seiner Schlösser zu treffen. Sie kommen allerdings vom Weg ab und gelangen in die Nähe der prachtvollen Burganlage Brandigan. Erec will die Burg sofort kennen lernen. Guivreiz rät erst energisch, dann flehentlich ab: Zahlreiche bekannte und mutige Männer hätten dort bereits ihr Leben gelassen, im Kampf mit einem Ritter, der im Baumgarten unterhalb der Burg lebe. Jetzt ist Erec erst recht entschlossen, die Burg zu besuchen. Dem Kampf will er nicht aus dem Weg gehen. Der Burgherr empfängt die Reisenden freundlich und stellt ihnen 80 Frauen vor, die alle sehr schön sind. Es sind die Witwen jener Krieger, die Mabonagrin, der Ritter des Baumgartens, bereits getötet hat.
„Nun ritt der Ritter Erec in der Richtung weiter, die der Weg ihm wies; er selbst wusste nicht, wohin: Er hatte nur das eine Ziel, Aventüre zu finden.“ (S. 303 f.)
Am nächsten Morgen weist der Burgherr Erec den Weg in den Baumgarten. Aus einem stundenlangen, erbitterten Kampf mit Mabonagrin geht Erec abermals als Sieger hervor. Er lässt dem Verlierer gegenüber Gnade walten und erfährt so von dessen Schicksal. Mabonagrin hat einst seiner Frau versprochen, so lange in trauter Zweisamkeit mit ihr im Garten zu leben, bis er dort besiegt würde. Die Niederlage empfindet der Ritter nun als Befreiung. Endlich darf er ausziehen in die Welt. Das Bedauern seiner Frau wird gemildert, als sich wenig später herausstellt, dass Enite ihre Cousine ist.
„Von männlichen Sorgen war sein Herz nicht ganz frei, denn es heißt, dass der kein ganz vollkommener Mann ist, der sich nicht fürchten kann, und er gilt als Tor. (...) Ein Mann soll zwar das fürchten, was sein Leben gefährdet, aber er soll frei sein von der Furcht, die feige ist. Diese Furcht kannte sein Herz nicht.“ (über Erec, S. 483 f.)
Die Weiterreise unternimmt Erec in Begleitung der 80 Witwen. An Artus’ Hof, so nimmt er an, wird es ihnen künftig besser gehen. Die allgemeine Wiedersehensfreude wird unterbrochen, als Erec die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält. Er muss mit Enite in sein eigenes Reich heimkehren. 6000 der Vornehmsten seines Landes reiten ihm entgegen. In der Heimat angekommen, richtet er für Volk und Hof ein sechswöchiges Fest aus. Bald ist er unter dem Beinamen „Erec der Staunenswerte“ bekannt. Bis ins hohe Alter führen er und Enite ein glückliches und gottergebenes Leben.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die mittelhochdeutsche Originalfassung des Erec ist in Reimpaarversen mit jeweils vier Hebungen und Senkungen verfasst. Es finden sich allerdings auch Verse mit nur drei Hebungen, die entweder noch aus einer stilistischen „Vorzeit“ stammen oder eine Folge unvollständiger Überlieferung sind. Von den Erfordernissen der Metrik abgesehen pflegt Hartmann einen klaren, um Verständlichkeit bemühten Stil. Weder in Beschreibungen noch in Metaphern lässt sich ein Hang zu gesuchter Originalität entdecken. Oftmals bezieht er sich ausdrücklich auf die angeblichen Quellen, die seinem Text zugrunde liegen, an anderen Stellen inszeniert er eine Zwiesprache mit dem Leser, um Spannung zu erzeugen oder Unerhörtes mitzuteilen. Zu Hartmanns Zeit lief die Rezeption des Epos vor allem über dessen mündlichen Vortrag. Die direkte Ansprache war dabei ein wichtiges dramaturgisches Element. Das Werk als Ganzes ist im Wesentlichen als chronologische Reihung von Episoden angelegt, wobei zwei Handlungsbögen – strukturell weitgehend identisch – aufeinanderfolgen. Im ersten zieht Erec nach anfänglicher Kränkung aus, besteht das Abenteuer, gewinnt seine Braut und wird am Hof als Held gefeiert. Im zweiten zieht Erec nach der Schmach am eigenen Hof erneut ins Feld, besteht alle Abenteuer, gewinnt seine Frau zurück und wird abermals, nun auf höherer Stufe, als Held verehrt.
Interpretationsansätze
- Erec ist ein klassischer höfischer Roman: So steht im Mittelpunkt der Handlung ein tugendhafter Ritter, der seine Ehre mehrt, indem er von Abenteuer zu Abenteuer eilt und sich daneben dem Minnedienst – der Liebe – gegenüber einer bildschönen Frau hingibt. Diese Darstellung der höfischen Welt folgt einem idealisierten Bild und orientiert sich nicht an den realen Gegebenheiten des Hochmittelalters.
- Die Kernproblematik des Romans ist die Balance zwischen den beiden zentralen Polen des ritterlichen Selbstverständnisses, Ehre und Minne. Ein vorbildlicher Ritter hat sich in beiden „Disziplinen“ hervorzutun. Dass er sich damit in Widersprüche verstricken kann, führt Hartmanns Werk beispielhaft vor.
- Erecs zentrale Verfehlung besteht im so genannten Verliegen. Nach seiner Hochzeit widmet er sich so ausschließlich der Liebe, dass er seine Ehre, früh im Kampf erworben, komplett verspielt. Hartmann stellt die Liebe als gefährliche Gefühlswallung dar, die ein Ritter sehr wohl genießen darf, aber auch unter Kontrolle haben sollte.
- Erec unternimmt eine büßerische Abenteuerreise, um dem Liebestaumel zu entkommen. Dabei fällt er aber ins andere Extrem: Während er Enite auf überzogene Weise von sich fernhält, stürzt er halsbrecherisch von Kampf zu Kampf und kommt dabei fast um. Erst in der Niederlage gegen Guivreiz erkennt er seine Überheblichkeit an und kann deshalb geheilt werden.
- Auch im Schicksal des Ritters Mabonagrin und seiner Frau werden Erec und Enite mit den Abgründen von Ehre und Minne konfrontiert. Das Paar lebte freudlos in einem vermeintlichen Paradies, weil es sein Glück gegen die Gesellschaft zu leben versuchte, statt das eigene Leben auch in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Auch Erec und Enite können erst als geprüfte Eheleute zu einem vorbildlichen Königspaar werden.
Historischer Hintergrund
Das Hochmittelalter
Die höfische Epik erlebte ihre erste Blüte im Hochmittelalter. Auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands, damals Machtzentrum des Heiligen Römischen Reiches, herrschte das Geschlecht der Staufer. Von 1155 bis 1190 war Friedrich I. Barbarossa Kaiser des feudalistisch strukturierten Reiches. Auf regionaler Ebene hatten adlige Lehnsherren die Macht. Sie lebten von den Abgaben ihrer Untertanen und waren dem König im Gegenzug Kriegsdienste schuldig. Friedrich machte von dieser Dienstpflicht reichlich Gebrauch. Sechsmal zog er gegen Italien zu Felde, um widerspenstige Regionen und Städte wieder unter seine Herrschaft zu bringen. Das Christentum war eindeutige Leitreligion. Umstrittener war der jeweilige Einflussbereich kirchlicher und weltlicher Würdenträger. Päpste und Könige sprachen einander wiederholt die Legitimität ab. Dennoch fanden sich beide Seiten mehrfach zu Kreuzzügen zusammen, um das Heilige Land den „Ungläubigen“ zu entreißen bzw. um die christlichen Eroberungen im Nahen Osten zu verteidigen.
Durch die Kreuz- und andere Feldzüge gewannen die Ritter an Bedeutung. Neben den Adligen konnten bald auch Mitglieder anderer Stände zu Rittern geschlagen werden. Dem schob Barbarossa später allerdings einen Riegel vor. Die adligen, „freien“ Ritter mussten für Ausstattung und Knappen erhebliche Mittel aufwenden. Ihr Standesdünkel beförderte jene Idealisierung des Ritterbildes, das die höfische Epik entwarf. Demnach waren Ritter nicht einfach berittene Krieger, sondern auch ethisch und religiös untadelige Charaktere. „Ritterlichkeit“ wurde zur Formel für einen Wertekanon, der zugleich dabei half, die Höherrangigkeit des Adels dauerhaft zu legitimieren. Das war den Feudalherren umso wichtiger, je unkontrollierbarer ihnen die politische und soziale Dynamik erschien. Im Hochmittelalter wuchs die Bevölkerung durch die intensivierte Bodennutzung deutlich an. Handel und Handwerk wurden wichtiger, Städte begannen sich als unabhängige Machtpole zu profilieren, Standesgrenzen bröckelten. Solche sozialen Spannungen fanden in der Ritterepik allerdings keinen unmittelbaren Niederschlag.
Entstehung
Die genauen Entstehungsbedingungen des Erec liegen im Dunkeln. So ist z. B. unklar, welcher adlige Dienstherr oder Mäzen die Dichtung unterstützt hat. Umso klarer weiß man allerdings über die Vorlage für den Erec Bescheid: Hartmanns Epos, das wohl nach 1180 verfasst wurde, ist eine Nachdichtung des höfischen Romans Erec et Enide von Chrétien de Troyes, entstanden um 1170. Der Stoff ist allerdings noch älter und entstammt ursprünglich dem Sagenkreis um den legendären britannischen König Artus und seine Tafelrunde. Hartmann beruft sich namentlich auf Chrétien, hat aber vermutlich noch andere Quellen punktuell in die Arbeit mit einbezogen. In jedem Fall haben beide Dichter den ersten Artusroman in ihrer jeweiligen Sprache geschaffen. Obwohl der Handlungsverlauf der beiden Versionen beinahe identisch ist, kann man Hartmanns Text nicht als einfache Übertragung ansehen. Mit mehr als 10 000 Versen reicht das deutsche Epos erheblich über die rund 6900 Verse der Vorlage hinaus. Zum einen verwendet Hartmann an ausgewählten Stellen wesentlich mehr Raum auf präzise Schilderungen. Zum anderen drängt er den hohen Anteil von direkter Rede bei Chrétien zurück und betont demgegenüber Bericht und Beschreibung.
Wirkungsgeschichte
Hartmanns Epos wurde von seinen Zeitgenossen bewundert. Mehrere der bekanntesten Dichter der Epoche nahmen ausdrücklich Bezug auf das Werk. Zahlreiche Anspielungen finden sich etwa in Wolfram von Eschenbachs Parzival. Zudem wurde von anderen Dichtern insbesondere das Motiv des Verliegens aufgegriffen. In Konrad von Stoffels Versroman Gauriel von Muntabel taucht sogar Erec selbst auf, um die Titelfigur vor den Gefahren des Verliegens zu warnen. Das gesamte 13. Jahrhundert über genoss Erec einen hervorragenden Ruf. Danach brach die literarische Rezeption weitgehend ab.
Das heutige Wissen über das Buch geht hauptsächlich auf eine Handschrift aus dem frühen 16. Jahrhundert zurück, die als Ambraser Heldenbuch bekannt ist. Im Auftrag des Kaisers Maximilian I. wurden in diesem monumentalen Band 25 Texte aus dem zwölften und 13. Jahrhundert gesammelt. So wurde Erec für die Nachwelt gerettet. Die Ambraser Überlieferung bildet allerdings nicht die Originalversion ab, weil der Verfasser sich als „denkender“ Schreiber verstand und die von ihm gesammelten Texte nach eigenem Ermessen „verbesserte“. Trotzdem hat man sich inzwischen daran gewöhnt, die Fassung des Ambraser Heldenbuchs mit Hartmanns Erec in eins zu setzen. Wie weit entfernt vom Original diese auch sein mag – heute gilt das Epos als zentrales Werk der mittelhochdeutschen Literatur.
Über den Autor
Die genauen Lebensdaten Hartmanns von Aue sind nicht überliefert. Auch über seine Lebensumstände ist kaum etwas bekannt. Ebenso wenig lassen sich seine Werke präzise datieren. Immerhin gilt als sicher, dass Hartmanns literarisch aktive Zeit etwa in die Jahre zwischen 1180 und 1210 fällt. Wahrscheinlich stammt er aus der Nähe von Freiburg im Breisgau, jedenfalls aus dem Gebiet des alten Herzogtums Schwaben. Über seinen Stand und seine Bildung äußert sich Hartmann u. a. im Prolog seiner Verserzählung Der arme Heinrich. Dort nennt er sich einerseits einen „gelehrten Ritter“, rechnet sich andererseits aber dem unfreien Stand der Ministerialen zu, einer sozialen Schicht am unteren Ende der Feudalhierarchie, deren Mitglieder für einen Dienstherrn verschiedenste Aufgaben in der Verwaltung wahrnehmen konnten. Eine Ausbildung zum Gelehrten konnten Menschen seines Standes am ehesten in einer Domschule erhalten. Seine Werke lassen auf Grundkenntnisse in Philosophie, Theologie und Rhetorik schließen. Die Selbstdarstellung als Ritter bezieht sich wohl weniger auf den eigenen Stand als vielmehr auf eine Geisteshaltung, die an das Idealbild der höfischen Gesellschaft anknüpft. Hartmann kannte sich gut mit ritterlichen Kampftechniken aus. Seine Teilnahme an einem Kreuzzug gilt allerdings als umstritten. Als Hartmanns erstes literarisches Werk wird das Klagebüchlein angesehen, ein allegorisches Zwiegespräch in Versen über die Minne. Nach dem Artusroman Erec (um 1180) sowie den höfischen Legenden Gregorius und Der arme Heinrich, die auf die Motive göttlicher Gnade und persönlicher Schuld Bezug nehmen, verfasste Hartmann Iwein (um 1200), ein weiteres Epos aus dem Artusumfeld.
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