- Essay
- Moderne
Worum es geht
Eine Rehabilitation der romantischen Liebe
In den späten 70er-Jahren galten Liebe und Treue als überholt, wenn nicht gar reaktionär. Roland Barthesʼ Buch über die Sprache der Liebe, das 1977 erschien, passte so gar nicht zum Zeitgeist. Der französische Strukturalist und Semiologe versucht sich dem Phänomen Liebe nicht metasprachlich und analytisch zu nähern, sondern indem er die Sprache der Liebe „nachbildet“. Diese sei nicht logisch, kohärent oder transzendent, sie beinhalte nur Redebruchstücke, banale Floskeln und Formeln, die der Liebende ununterbrochen hin- und herwälze. Diese „Figuren“, die aus Gelesenem, Gehörtem und selbst Erlebtem bestehen, fügt Barthes zu einer Art Mosaik zusammen. So finden sich philosophische Betrachtungen Nietzsches neben persönlichen Erlebnissen, und auf die Analyse einer Passage aus Goethes Werther folgt die Schilderung des Liebesleids aus der Ich-Perspektive. Bei aller Skepsis bejaht Barthes die Liebe. Darin besteht das Unzeitgemäße, aber auch das Zeitlose seines Werks.
Zusammenfassung
Über den Autor
Roland Barthes wird am 12. November 1915 in Cherbourg in der Normandie geboren. Er ist noch kein Jahr alt, als sein Vater, ein Marineoffizier, bei einer Schlacht in der Nordsee stirbt. Mutter Henriette, Tochter des berühmten Afrikaforschers und Kolonialbeamten Louis-Gustave Binger, zieht mit ihm zunächst zur Familie ihres Mannes in den Südwesten Frankreichs und später nach Paris. Die Familie lebt in ärmlichen Verhältnissen. Henriettes Eltern sind wohlhabend, doch nach der unehelichen Geburt von Rolands Halbbruder Michel 1927 verweigern sie jegliche finanzielle Unterstützung. Henriette arbeitet als Buchbinderin, um ihre Söhne zu ernähren. Zwischen 1935 und 1943 studiert Roland Barthes an der Sorbonne Literatur, Grammatik und Philologie. Aufgrund einer Tuberkuloseerkrankung verbringt er mehrere Jahre in Sanatorien und wird vom Militärdienst befreit. Die Krankheit steht einer traditionellen akademischen Karriere im Weg: Mehrmals versucht er zu promovieren – ohne Erfolg. 1947 geht er als Bibliothekar nach Bukarest und 1949 als Dozent an die ägyptische Universität von Alexandria, wo er den Linguisten Algirdas Greimas kennenlernt und eine Beziehung mit ihm beginnt. Barthesʼ Debüt Am Nullpunkt der Literatur (Le Degré zéro de lʼécriture, 1953) gilt bald als Manifest einer radikal neuen Textkritik. Sie richtet sich auch gegen den etablierten Wissenschaftsbetrieb, von dem Barthes sich ausgeschlossen fühlt. In den Mythen des Alltags (Mythologies) baut er 1957 die angewandte Zeichentheorie weiter aus. Ab 1960 unterrichtet er an der École pratique des hautes études. Erst 1976 wird er auf Betreiben Michel Foucaults an den eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Semiologie der Literatur am renommierten Collège de France berufen. 1977 erscheint mit Fragmente einer Sprache der Liebe (Fragments dʼun discours amoureux) sein erfolgreichstes Buch. Im selben Jahr stürzt ihn der Tod der Mutter in tiefe Depressionen. Sein Vorhaben, einen Roman zu schreiben, verwirklicht er nicht mehr. Roland Barthes stirbt am 26. März 1980 im Alter von 64 Jahren an den Folgen eines Verkehrsunfalls.
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