Blaise Pascal
Gedanken
über die Religion und einige andere Themen
Reclam, 2005
Was ist drin?
Glauben oder Wissen? Nur beides zusammen macht glücklich, sagt der Philosoph Blaise Pascal.
- Philosophie
- Renaissance
Worum es geht
Gedanken eines Genies
Er war ein Wunderkind des 17. Jahrhunderts: Blaise Pascal betrieb als 16-Jähriger anspruchsvolle mathematische Forschungen, wies wenige Jahre später die Existenz des Vakuums experimentell nach und konstruierte nebenbei eine mechanische Rechenmaschine, die als Vorläufer des heutigen Computers gilt. Pascal war aber auch ein kränklicher und tiefgläubiger Mensch; er ging mit 32 Jahren ins Kloster und starb kurz nach seinem 39. Geburtstag. Außer einigen mathematischen und naturwissenschaftlichen Schriften hat er nur wenige Aufzeichnungen hinterlassen. So wenige, dass sich Freunde und Verwandte nach seinem Tod entschlossen, seine zahlreichen Notizzettel als Buch herauszugeben. So sind die Gedanken entstanden, eine Sammlung von Textfragmenten zu theologischen und philosophischen Themen. Das Buch ist eine recht anspruchsvolle Lektüre: Viele Texte sind bloße Fragmente oder Andeutungen und für den nicht vorgebildeten Leser kaum verständlich. Wer sich dennoch auf das Buch einlässt, wird mit Aphorismen belohnt, die auch nach über 300 Jahren nichts von ihrer Treffsicherheit und Brillanz verloren haben.
Take-aways
- Die Gedanken begründeten Blaise Pascals Ruf als einer der wichtigsten Denker der christlichen Philosophie.
- Inhalt: Das Buch ist eine Sammlung von Aphorismen und kurzen Essays über religiöse und philosophische Themen: von der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Situation des Menschen in der Welt bis hin zu Versuchen, logische Beweise für die Wahrheit des christlichen Glaubens zu finden.
- Grundlage des Werks sind über 1000 Notizzettel mit Gedanken zu unterschiedlichen Themen, die in Pascals Nachlass gefunden wurden.
- Die Gedanken wurden erst nach Pascals Tod von seinen Freunden herausgegeben.
- Da die Zettel keine vorgegebene Ordnung haben, sind sie in verschiedenen Ausgaben ganz unterschiedlich zusammengestellt worden.
- Pascals logische Herangehensweise an das Thema Religion stieß bei atheistischen Denkern auf Widerstand.
- Er gehörte den Jansenisten an, einer religiösen Gruppierung in Frankreich, die den Protestanten nahestand und sich gegen die Jesuiten wandte.
- Die Gedanken beeinflussten moderne Philosophen wie Kierkegaard, Heidegger oder Sartre.
- Blaise Pascal war hochintelligent, aber kränklich. Er starb bereits mit 39 Jahren.
- Zitat: „Ich hätte viel größere Angst, wenn ich mich irrte und entdeckte, dass die christliche Religion wahr ist, als wenn ich mich irrte, indem ich sie wahr glaubte.“
Zusammenfassung
Der Sinn des Daseins
Im riesigen, stillen Weltall lebt der Mensch auf diesem einen Planeten, ohne zu wissen, woher er kommt, wohin er geht und welchen Sinn sein Leben überhaupt hat. Er weiß nur, dass er sterblich ist und jederzeit von Krankheit oder Unglück überfallen werden könnte. Um sein Leben angemessen zu gestalten, muss er seine Lage bewusst akzeptieren. Wenn er allein und unbeschäftigt ist, drängt sich ihm der Gedanke an seine prekäre Situation auf. Das ist unangenehm und macht Angst. Deshalb weichen die Menschen solchen Fragen aus und verdrängen sie. Sie haben sich alle möglichen Vergnügungen ausgedacht und sorgen dafür, dass sie immer auf Trab sind. Ein solches Vergnügen ist die Jagd: Eigentlich will man dabei gar keinen Hasen erlegen; den würde man vermutlich nicht geschenkt haben wollen. Es geht nur darum, sich die Zeit zu vertreiben, um nicht über sich selbst nachdenken zu müssen. Aus diesem Grund trichtert man auch Kindern schon von klein auf ein, dass sie immer tätig sein und nach Besitz und Ehre streben sollen. Jeder Mensch hat ein Bedürfnis nach Ruhe in sich, doch er spürt zugleich, dass er die Stille und das Alleinsein gar nicht ertragen könnte. So führt er ein hektisches Leben und läuft letztlich vor sich selbst davon.
Die Suche nach Gott
So unsicher unsere Lage hier auf der Erde ist, eines ist absolut gewiss: Wir werden alle sterben. Es geht uns in diesem Punkt wie Gefangenen, von denen jeden Tag einige getötet werden, damit die anderen sehen, welches Schicksal auch sie erwartet. Wenn wir andere Menschen sterben sehen, wissen wir, dass wir auch einmal an die Reihe kommen. Angesichts dieser Tatsache hat der Mensch im Leben nur eine wichtige Aufgabe: Er muss für sich selbst die Frage klären, ob Gott existiert und ob es ein Leben nach dem Tod gibt. Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt in der Natur Hinweise auf einen Schöpfergott, aber sie reichen nicht aus, um sich wirklich sicher zu sein. Deswegen bleibt jedem Menschen gar nichts anderes übrig, als selbst nach der Wahrheit zu suchen. Es gibt viele Zweifler, die Gott ablehnen, ohne sich jemals wirklich mit ihm beschäftigt zu haben. Aber nur wer ernsthaft nach Gott gesucht hat und dabei erfolglos geblieben ist, darf auch behaupten, dass Gott nicht existiert. Unsere Situation wird noch schwieriger dadurch, dass es verschiedene Religionen gibt und jede behauptet, die einzig wahre zu sein. Auch hier haben wir keine andere Wahl, als uns mit ihnen auseinanderzusetzen und eine Entscheidung zu treffen. Das Thema einfach zu ignorieren, wie es viele Menschen tun, ist der falsche Weg.
Der Weg zum Glauben
Nüchtern betrachtet, bringt es nur Vorteile, sich für den Glauben zu entscheiden. Angenommen, Gott würde tatsächlich existieren. Dann hat ein Gläubiger Aussicht auf das ewige Leben, während einen Nichtgläubigen die Verdammnis erwarten würde. Falls es jedoch Gott nicht gibt, hat der Ungläubige nichts gewonnen, aber der Gläubige hat wenigstens ein glückliches und ehrbares Leben geführt. Also ist es in jedem Fall besser, zu glauben, selbst dann, wenn wir nicht sicher sein können, dass Gott existiert. Viele Menschen lehnen es ab, sich mit dem Thema Religion zu beschäftigen, weil es zu viele Ungewissheiten birgt. Aber viele andere Dinge sind genauso ungewiss: Keiner von uns kann wissen, ob er morgen überhaupt noch lebt. Im Krieg beginnt man eine Schlacht, ohne zu wissen, wer siegen wird. Glaube ist deshalb nur durch eigene Überzeugung und Entscheidung möglich. Das Glauben kann man nicht von anderen lernen, sondern man muss seinen Weg selber finden. Deshalb steht der Glaube auch nicht im Gegensatz zur Vernunft, sondern äußert sich gerade darin, dass man seinen Verstand gebraucht, um zu einer Erkenntnis in Bezug auf die Religion zu kommen. Zugleich aber ist der Glaube immer eine Offenbarung, ein Geschenk Gottes. Folglich bringt es nichts, jemanden überzeugen oder gar mit Gewalt bekehren zu wollen. Menschen, die nicht glauben, kann man bedauern, man darf sie aber nicht unter Druck setzen.
Ein Glaube mit Tradition
Das Christentum beruft sich auf das Judentum und damit auf eine Tradition, die weit zurückreicht. Das Judentum ist eine sehr alte Religion, das jüdische Gesetzbuch das älteste der Welt, es ist sogar älter als die Schriften der klassischen Antike. Außerdem ist das Christentum die einzige Religion, in der der Religionsstifter schon lange vor seinem Erscheinen durch Prophezeiungen vorausgesagt wurde. Über Jahrhunderte hinweg gaben die jüdischen Propheten immer wieder Hinweise auf den kommenden Messias, die sich später in Jesus Christus erfüllt haben. Beides weist darauf hin, dass diese Überlieferung wahr sein könnte. Christentum und Judentum sind nicht so unterschiedlich, wie manche denken. Denn auch das Judentum gründet sich in seinem Kern nicht auf Gesetze, sondern auf die Beziehung zu Gott. Insofern haben fromme Christen und fromme Juden im Prinzip denselben Glauben.
Beweise für den christlichen Glauben
Alle Menschen jagen immer dem Glück hinterher. Sogar ein Selbstmörder nimmt sich nur deshalb das Leben, weil er seinem Unglück entkommen möchte. Die Sehnsucht nach Glück kommt daher, dass wir von Gott kommen und von dorther das vollkommene Glück noch in Erinnerung haben. Wir können es aber auf der Erde nicht finden, außer im Glauben. Das ist der Grund, weshalb Christen in der Regel viel glücklicher und liebevoller sind als andere Menschen. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass das Christentum richtig ist.
„Was soll ich tun? Ich sehe überall nur Dunkelheit. Soll ich glauben, dass ich nichts bin? Soll ich glauben, dass ich Gott bin?“ (S. 37)
Die Apostel verkündigten nach dem Tod Jesu dessen Auferstehung. Damit lehnten sie sich gegen den herrschenden Glauben auf und brachten sich selbst in Lebensgefahr. Sie müssen von ihrer Botschaft völlig überzeugt gewesen sein, sonst hätten sie solche Gefahren nie auf sich genommen. Außerdem ist es ziemlich schwierig, sich eine Auferstehung nur einzubilden: Entweder man sieht den Auferstandenen oder man sieht ihn nicht. Von daher erscheint es nur logisch, dass am christlichen Glauben etwas dran sein muss.
Selbstliebe und Selbstbetrug
Der Mensch steckt in einer paradoxen Situation: Er möchte sich selbst lieben, sieht aber zugleich seine Fehler und Unzulänglichkeiten, die das unmöglich machen. Um seine Selbstliebe zu erhalten, verschließt er die Augen vor seinen Fehlern und versteckt sie auch vor anderen. Doch damit betrügt er sich selbst und seine Umwelt. Zugleich wagt es niemand, einen anderen offen zu tadeln. Man fürchtet Nachteile, vor allem bei ranghohen Menschen, bei denen man nicht in Ungnade fallen will. Niemand würde sich trauen, jemandem ins Gesicht zu sagen, was er hinter seinem Rücken über ihn redet. So beruht der ganze zwischenmenschliche Umgang auf Lüge und Heuchelei. Nur die katholische Kirche bietet mit der Beichte einen Ausweg. Hier darf man ehrlich sein und kann offen über seine Fehler und Schwächen reden.
Was ist der Mensch?
Der Mensch ist zugleich wichtig und unwichtig, darüber muss er sich im Klaren sein. Wenn er sich nur für wichtig hält, wird er überheblich; wenn er sich nur für unwichtig hält, wird er unglücklich. Das Christentum hat diese Situation richtig erkannt: In dieser Lehre wird der Mensch zugleich als gut und schlecht, heilig und sündhaft angesehen. In jedem Menschen kämpfen Vernunft und Leidenschaft gegeneinander. Die meisten versuchen das Problem zu lösen, indem sie entweder ihre Leidenschaften oder ihre Vernunft abtöten wollen. Das funktioniert aber nicht, denn weder Verstand noch Gefühle lassen sich zum Schweigen bringen. Inneren Frieden kann der Mensch nur finden, wenn er die Gegensätze in sich versöhnt und vereint. Wir lieben einen anderen Menschen wegen seiner Eigenschaften, etwa weil er schön oder klug ist. Das sind aber nur einzelne Merkmale, nicht das eigentliche Ich dieses Menschen. Deshalb haben wir kein Recht, jemanden zu verachten, der viel auf Titel oder andere Äußerlichkeiten gibt; eigentlich tun wir alle nichts anderes. Wenn wir nur Äußerlichkeiten wahrnehmen, was macht dann das eigentliche Ich eines Menschen aus, und wo ist es zu finden?
Die Grenzen der Erkenntnis
Als Mittel zum Erkenntnisgewinn hat der Mensch nur seine Sinne und die Vernunft. Beides aber ist nicht verlässlich: Die Sinne können sich täuschen, die Vernunft lässt sich gern von starken Emotionen beeinflussen. Außerdem ist der Mensch immer von äußeren Gegebenheiten abhängig. Selbst der Klügste kann nicht mehr vernünftig urteilen, wenn ihn nur eine Kleinigkeit stört, ein Geräusch etwa oder eine Fliege. Letztlich bestimmt u. U. also eine Fliege über sein Urteilsvermögen. Wahre Erkenntnis erlangt man nur durch das Zusammenspiel von Verstand und Gefühl; eines allein kann keine Erkenntnis schaffen. Oft gibt das Gefühl die These vor, die der Verstand dann beweist.
„Kann es etwas Lachhafteres geben, als dass ein Mensch das Recht hat, mich zu töten, weil er jenseits des Wassers wohnt und sein Fürst mit dem meinen im Streit liegt, obwohl ich keinen mit ihm habe?“ (S. 60)
Verglichen mit der Größe des Weltalls ist der Mensch ein Staubkorn, und das All ist so groß, dass der Mensch es nicht erfassen und verstehen kann. Zugleich lassen sich alle Dinge immer weiter zerkleinern, und auch die ganz kleinen Dinge kann der Mensch nicht erfassen. In beidem, im Großen wie im Kleinen, liegt eine Unendlichkeit, die uns überfordert.
Staat und Gerechtigkeit
Die Gesetzgebung in einem Staat kann sich nicht allein auf die Sitten dieses Landes gründen, sonst wird sie zur Willkür. Es gibt Länder, in denen es als Tugend gilt, zu stehlen, dennoch ist das nicht gut. Deshalb sollte es übergeordnete Grundsätze für Gut und Böse geben, die für alle Staaten gelten. Wenn das nicht der Fall ist, entscheidet allein die geografische Lage. Es wäre sehr unvernünftig, wenn auf der einen Seite eines Gebirges oder einer Grenze etwas erlaubt ist, was auf der anderen als Verbrechen gilt.
„Wenn unsere Lage wirklich glücklich wäre, müssten wir unsere Gedanken nicht durch Zerstreuungen davon ablenken.“ (S. 64)
Gewalt und Gerechtigkeit hängen voneinander ab. Gerechtigkeit lässt sich ohne Gewalt nicht durchsetzen, und Gewalt ohne Gerechtigkeit ist böse. Man kann die Menschen nicht dazu bringen, der Gerechtigkeit zu gehorchen, auch nicht mit Gewalt. Deshalb bringt man ihnen bei, dass es gerecht ist, der Gewalt zu gehorchen, sodass wenigstens Friede garantiert ist. Krieg ist eine sehr unlogische Sache: Wenn man in Friedenszeiten einen Menschen tötet, ist man ein Mörder. Wenn aber Krieg ist und man einen Menschen, der aus einem anderen Land kommt, umbringt, dann ist das gut, und man gilt als tapfer.
Wahrheit und Einbildung
Äußerlichkeiten entscheiden darüber, wie viel Ansehen ein Mensch in der Gemeinschaft hat. Ein König wird vom Volk für etwas Besonderes gehalten, aber nur deshalb, weil er mit Prunk und Hofstaat auftritt. Aus demselben Grund tragen Richter Talare. Wenn wir einen Richter in seiner ganzen Aufmachung sehen, halten wir ihn gleich für kompetent. Letztlich ist es die Einbildungskraft des Menschen, die darüber entscheidet, was er denkt und wie er sich fühlt. Wenn jemand auf einem breiten Brett steht, fühlt er sich sicher. Wenn aber genau dieses Brett über einem tiefen Abgrund liegt, wird er ins Wanken kommen, auch wenn er vom Verstand her weiß, dass es breit genug ist, um darauf zu stehen. Entscheidend ist auch hier nicht das Wissen, sondern die Einbildungskraft. Die reine Wahrheit gibt es nicht, alles kann gut oder schlecht sein.
„Woher kommt es, dass ein Hinkender uns nicht erzürnt und ein hinkender Geist uns erzürnt? Das kommt, weil ein Hinkender erkennt, dass wir gerade gehen, und ein hinkender Geist sagt, wir seien die Hinkenden.“ (S. 74)
Ehe man einem Menschen widerspricht, sollte man erst prüfen, aus welcher Perspektive er eine Sache sieht. Mit einiger Wahrscheinlichkeit hat er aus seiner Sicht gar nicht so Unrecht. Erst dann kann man dem anderen die eigene Sicht der Dinge mitteilen. Wenn der andere erkennt, dass er aus seiner Perspektive durchaus Recht hat, es aber noch andere Sichtweisen gibt, kann er diese auch viel eher gelten lassen.
Glück und Unglück
Der Mensch lebt nie in der Gegenwart, sondern immer in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Er erträumt sich, dass etwas Schönes auf ihn zukommt, oder versetzt sich in vergangene Zeiten zurück, die er im Rückblick idealisiert. Das liegt daran, dass die Gegenwart meist nur schwer zu ertragen ist. Wenn es uns gerade schlecht geht, wünschen wir uns etwas anderes, und wenn es uns gut geht, schmerzt uns der Gedanke, dass es bald Vergangenheit sein wird. Deshalb leben wir nicht gern bewusst in der Gegenwart, wir nutzen sie nur, um für die Zukunft zu planen. Wir Menschen warten stets auf das große Glück, das noch kommen soll, und bleiben deshalb unglücklich. Was uns wirklich unglücklich macht, ist die Tatsache, dass wir etwas nicht haben, was uns eigentlich zusteht. Keiner trauert darüber, dass er keine drei Augen hat, wer aber nur noch eines hat, ist traurig. Niemand bedauert es, dass er kein König ist, außer einem entthronten König.
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Gedanken von Blaise Pascal sind kein durchkomponierter Text, sondern beruhen auf einer Sammlung von über 1000 Zetteln, auf denen der Autor einzelne Gedanken und längere Textentwürfe notiert hat. Der Umfang der einzelnen Texte reicht von wenigen Stichworten bis hin zu kurzen Essays, die mehrere Seiten umfassen. Das Themenspektrum ist breit: Zum Teil handelt es sich um Vorarbeiten für ein theologisches Werk zur Verteidigung des Christentums, das Pascal nicht mehr fertigstellen konnte. Daneben finden sich philosophische Texte und Notizen zum Konflikt zwischen Jansenisten und Jesuiten. Die einzelnen Fragmente sind durchnummeriert und in Kapitel bzw. Serien gegliedert; ein Teil dieser Gliederung stammt von Blaise Pascal selbst, der Rest von den Herausgebern. Pascals Sprache ist stilistisch brillant und voller Ironie; immer wieder bringt er seine Gedanken in scharfzüngigen Aphorismen auf den Punkt. Zugleich stellt das Werk den Leser aber auch vor Herausforderungen: Da Pascal die Texte für seinen eigenen Gebrauch formulierte, ist vieles für Außenstehende nur schwer verständlich. Einige Notizen brechen gar mitten im Satz ab. Pascal zitiert gern und ausführlich aus der Bibel, auch auf Lateinisch, und verwendet zahlreiche Anspielungen auf biblische Texte, die sich einem ohne entsprechendes Hintergrundwissen kaum erschließen.
Interpretationsansätze
- Die Textfragmente in Pascals Gedanken sind zu einem großen Teil Vorarbeiten für sein Projekt einer Verteidigung des Christentums gegen die freigeistigen und atheistischen Tendenzen seiner Zeit.
- Im Unterschied zu vielen anderen Denkern sieht Pascal in Glaube und Vernunft keinen Gegensatz, sondern eine Einheit. Wichtig ist für ihn eine ganzheitliche Herangehensweise: Nur im ausgewogenen Zusammenspiel von Glaube und Vernunft kann der Mensch glücklich werden. Sobald er jedoch einen Aspekt ausblendet oder verdrängt, verliert er sein inneres Gleichgewicht.
- Die Vernunft ist für Pascal ein Mittel, um zur Erkenntnis Gottes und zum Glauben zu gelangen. Obwohl sie einen hohen Stellenwert hat, darf man nicht alles von ihr abhängig machen, denn alle menschliche Erkenntnis ist relativ und von vielen äußeren Faktoren abhängig, die das Individuum nicht beeinflussen kann.
- Der Glaube ist bei Pascal das Ergebnis eines intellektuellen Prozesses. Deshalb ist es auch möglich, sich ihm von einem logischen Standpunkt her zu nähern und ihn argumentativ beweisen zu wollen. Da sich der wahre Glaube laut Pascal nur in inneren Auseinandersetzungen finden lässt, sind Zweifel und Unglaube nichts Schlechtes, sondern notwendige Schritte auf dem Weg zum Glauben und zur Erkenntnis.
- Pascal vertritt eine eher pessimistische Weltsicht: Die Welt ist bei ihm ein trauriger Ort, der Mensch immer von Unglück und Tod bedroht. Sein Glück kann er nur in dem finden, was über die sichtbare Welt hinausreicht, nämlich im Glauben.
- Die Ungewissheit in religiösen Dingen ist für Pascal kein Argument gegen, sondern für den Glauben: Solange man keine eindeutige Erkenntnis hat, ist es am sichersten, zu glauben, um der ewigen Verdammnis zu entgehen. Das ist der Kern der berühmten Pascalʼschen Wette: Der Erwartungswert des Gewinns sei für den Gläubigen größer als für den Ungläubigen.
Historischer Hintergrund
Die katholische Kirche und die Reformer
Die Reformation, die zu Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, erschütterte die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Über Jahrhunderte hinweg war ihre Autorität in Glaubensdingen unangefochten geblieben. Doch mit dem Wirken Martin Luthers und anderer Reformer breiteten sich in den folgenden Jahrzehnten reformatorische Strömungen in Europa aus. Für die Kirche bedeutete diese neue Entwicklung den Verlust nicht nur religiöser, sondern auch politischer Macht. Entsprechend versuchte sie, den neuen Glauben aufzuhalten, durch Kriege ebenso wie durch missionarische Anstrengungen. Entscheidenden Anteil an dieser so genannten Gegenreformation hatte der 1534 gegründete Jesuitenorden. Durch die missionarischen Bemühungen der Jesuiten gelang es tatsächlich, den Protestantismus in Teilen Europas wieder zurückzudrängen.
Es gab jedoch auch Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche, die inhaltlich den Protestanten recht nahestanden. Eine davon war der Jansenismus in Frankreich, benannt nach dem belgischen Bischof Cornelius Jansen, der Anfang des 17. Jahrhunderts wirkte. Ähnlich wie die Protestanten waren die Jansenisten davon überzeugt, dass sich der Mensch seine Erlösung nicht durch Werke verdienen könne, sondern auf die Gnade Gottes angewiesen sei. Zugleich wandten sie sich gegen eine allzu enge Verbindung zwischen Religion und Politik und verurteilten Prunk und Verschwendung. Damit war ein Konflikt mit den papsttreuen Jesuiten vorprogrammiert: Diese sahen fromme Werke als wichtigstes Mittel der Erlösung an, waren stark politisch aktiv und liebten prunkvolle Gottesdienste. Die Jansenisten gerieten bald in Konflikt mit dem Papst, der ihre Lehre verurteilte. Ab 1680 wurde die Bewegung in Frankreich unterdrückt, 1710 ihr Zentrum, das Kloster Port-Royal in der Nähe von Versailles, zerstört. 1719 wurde der Jansenismus endgültig vom Papst verboten.
Entstehung
Als Blaise Pascal im August 1662 starb, fanden sich in seinem Nachlass über 1000 Notizzettel, auf denen er Gedanken zu verschiedenen Themen notiert hatte, u. a. zu einem geplanten theologischen Werk zur Verteidigung des Christentums. Entstanden waren die Texte vermutlich ab 1658. Einen Teil davon hatte Pascal selbst noch gegliedert, der Rest war ungeordnet. Freunde und Verwandte sammelten die Zettel, versuchten sie zu ordnen, klebten sie auf größere Papierbögen und schrieben sie ab. Es entstanden drei Urversionen, die nicht identisch sind: die aufgeklebten Zettel, auch „Originalsammlung“ genannt, und zwei Abschriften. In den ersten Jahren nach Pascals Tod bereitete ein Komitee die Herausgabe des Werks vor. Geleitet wurde es von Artus Gouffier de Roannez, einem guten Freund Pascals. Um Konflikte mit der Kirche zu vermeiden, ließen die Herausgeber Texte aus, die sich allzu kritisch gegen die Jesuiten und die Amtskirche aussprachen. Vorsichtshalber wurde das Manuskript 1669 einigen Theologen als Vorausausgabe zur Begutachtung vorgelegt. Nach deren Zustimmung erschien 1670 die erste offizielle Ausgabe der Gedanken.
Da es keine autorisierte Fassung des Werks gibt und sich die Reihenfolge der Zettel nicht eindeutig bestimmen lässt, ordneten auch die Herausgeber späterer Ausgaben die Fragmente nach ihren eigenen Vorstellungen, fügten Weggelassenes hinzu und verzichteten dafür auf andere Passagen, die ihnen nicht wichtig erschienen. So blieben die Gedanken ein sehr veränderliches Werk, dem jeder Herausgeber seinen eigenen Stempel aufzudrücken versuchte. Erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte man den Ehrgeiz, eine möglichst vollständige Ausgabe zu erstellen. Zugleich tauchten bis ins 20. Jahrhundert hinein immer wieder Notizzettel auf, die in keiner der bisherigen Ausgaben erhalten waren und neu aufgenommen wurden.
Wirkungsgeschichte
Blaise Pascals rationaler Zugang zum christlichen Glauben und die Selbstverständlichkeit, mit der er logische Begründungen für die Richtigkeit des Christentums sucht, erregten über die Jahrhunderte die Gemüter, vor allem bei atheistischen Denkern. Schon Voltaire setzte sich mit Pascal auseinander und kritisierte seine Theologie als menschenverachtend, weil Pascal die Lage des Menschen in der Welt als kläglich und elend ansah. Friedrich Nietzsche schwankte zwischen Ablehnung und Bewunderung; für ihn war Pascal „der einzige logische Christ“.
Pascal gilt bis heute als einer der wichtigsten Denker des Christentums. Er prägte Philosophen wie Sören Kierkegaard, Martin Heidegger, Albert Camus und Jean-Paul Sartre, und sein Einfluss reicht bis in die Gegenwart. Blaise Pascal wird bis heute auch wegen seiner naturwissenschaftlichen Forschungsarbeiten geachtet. So trägt eine Einheit für physikalischen Druck seinen Namen. Und eine von ihm erfundene mechanische Rechenmaschine gilt als Vorläufer des modernen Computers. Aus diesem Grund benannte man 1972 die Programmiersprache Pascal nach ihm.
Über den Autor
Blaise Pascal wird am 19. Juni 1623 in Clermont-Ferrand als Sohn eines Richters geboren und verliert bereits mit drei Jahren seine Mutter. 1631 zieht der Vater mit ihm und seinen beiden Schwestern nach Paris, um den Kindern eine möglichst gute Ausbildung zu bieten. Blaise Pascal ist ein kränkliches, aber hochbegabtes Kind. Schon mit 16 Jahren veröffentlicht er eine mathematische Abhandlung, die die Fachwelt in Erstaunen versetzt. Als der Vater wenig später das Amt des Steuereinnehmers für die Normandie übernimmt, konstruiert Pascal die „Pascaline“, eine der ersten mechanischen Rechenmaschinen. Sie bringt ihrem Erfinder viel Beachtung, aber wenig Geld ein. Pascal plagen schon mit 18 Jahren Lähmungserscheinungen an den Beinen, später leidet er unter chronischen Schmerzen. 1646 gelingt es ihm, die Existenz eines luftleeren Raumes nachzuweisen, was man vorher für unmöglich gehalten hat. Andere seiner Experimente beschäftigen sich mit dem Luftdruck, außerdem veröffentlicht er Arbeiten zur Wahrscheinlichkeitsrechnung. Zugleich wendet sich der Naturwissenschaftler Pascal mehr und mehr der christlichen Religion zu. In den Auseinandersetzungen zwischen Jansenisten und Jesuiten steht die Familie Pascal auf der Seite der Reformer. Nach mehreren tief greifenden religiösen Erfahrungen – er ist u. a. Zeuge, wie seine Nichte durch die Berührung einer Reliquie von einer Krankheit geheilt wird – zieht sich Pascal 1655 aus der Gesellschaft zurück und lebt in der Gemeinschaft der Jansenisten von Port-Royal. Dort verbringt er viel Zeit mit Gebet und Meditation. 1656/57 veröffentlicht er anonym die Lettres provinciales (Briefe in die Provinz), in denen er sich aktiv in die Auseinandersetzung zwischen Jesuiten und Jansenisten einmischt und die Jesuiten angreift. Das Werk wird bei den Lesern ein Riesenerfolg, doch die Kirche setzt es auf den Index. Das asketische Leben im Kloster tut Pascal nicht gut, er wird immer kränklicher. Aus dem Wunsch heraus, sich sozial zu betätigen, gründet er Anfang 1662 in Paris ein Transportunternehmen für Bedürftige, der Beginn des öffentlichen Nahverkehrs in Paris. Nur einige Monate später, am 19. August 1662, stirbt Blaise Pascal mit 39 Jahren.
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