Knut Wicksell
Geldzins und Güterpreise
Eine Studie über die den Tauschwert des Geldes bestimmenden Ursachen
Wirtschaft und Finanzen, 1997
Was ist drin?
Wie lässt sich das Preisniveau dauerhaft stabil halten? Mit der Beantwortung dieser Frage ebnete Knut Wicksell 1898 den Weg für eine Stabilitätspolitik mithilfe des Bankensystems.
- Ökonomie
- Moderne
Worum es geht
Geld macht den Unterschied
Spielt Geld eine wesentliche Rolle im Wirtschaftskreislauf? Oder ist es nur ein "Schleier", ein neutrales Tauschmittel, das den Handel nicht wirklich beeinflusst? Das sind Fragen, die die Wissenschaftler des 19. und auch noch des 20. Jahrhunderts beschäftigten. Für den schwedischen Ökonomen und Freidenker Knut Wicksell war Geld nicht neutral. In seinen Augen spielte es durchaus eine Rolle, und zwar eine gewichtige: Die Geldmenge, damit war er sich mit den Vertretern der so genannten Quantitätstheorie einig, hat einen großen Einfluss auf das Preisniveau. Will man Inflation oder Deflation in den Griff bekommen, kann dies nur über den Geldmarkt geschehen - aber nicht mit der Notenpresse, sondern über die Höhe des Kreditzinses. Wicksell rückte das immer wichtiger werdende Bankensystem ins Zentrum seiner Theorie, die heute als "kumulativer Prozess" bekannt ist: Über die Beobachtung der Preise und die Veränderung der Kreditzinsen lässt sich demnach das Preisniveau steuern. Ein Unternehmer wird nur dann eine (kreditfinanzierte) Investition tätigen, wenn er sieht, dass die Kosten für den Kredit unter dem zu erwartenden Gewinn der Investition liegen. Dadurch wird eine Investitions-, Angebots- und Nachfragekaskade ausgelöst, welche die Preise erhöht. Sind die Preise zu hoch, geht das Ganze auch umgekehrt: indem die Kreditzinsen erhöht werden. Wicksells Buch Geldzins und Güterpreise gilt heute als Grundlagenwerk zur Geldpolitik.
Take-aways
- Knut Wicksells Werk Geldzins und Güterpreise beschäftigt sich mit der Frage: Wie kommt es zu Preisschwankungen in der Wirtschaft und warum sind die Preise nie stabil?
- Das Buch nimmt wichtige Elemente moderner Zins- und Geldpolitik vorweg.
- Eine Inflation ist für die Wirtschaft genauso ungesund wie eine Deflation: Erstere, weil die Lebenshaltungskosten steigen, Letztere, weil sie die Wirtschaft lähmt und zu Arbeitslosigkeit führt.
- Will man einen Preisanstieg messen, muss man eine bestimmte Anzahl von Gütern und Dienstleistungen (Warenkorb) zu zwei verschiedenen Zeitpunkten untersuchen.
- Ältere Theorien zur Bestimmung des Preisniveaus sind die Produktionskostentheorie des Geldes und die Quantitätstheorie.
- Die Produktionskostentheorie bestimmt den Geldwert anhand des Metallwertes der Geldstücke. Gemäß der Quantitätstheorie beeinflusst die im Umlauf befindliche Geldmenge den Preis von Gütern.
- Wicksell lehnt die Produktionskostentheorie des Geldes wie auch die Quantitätstheorie in ihrer Reinform ab.
- Kredite spielen eine zentrale Rolle für die Bestimmung des Preisniveaus und die umlaufende Geldmenge.
- Der Geldzins beeinflusst die Kredite erheblich: Sind Kredite günstig (Zinsen niedrig), werden sie auch vermehrt nachgefragt.
- Ein Unternehmer vergleicht den "natürlichen Zinssatz" einer Investition (d. h. den Gewinn) mit dem Kreditzins der Banken: Ist der Kreditzins günstiger, macht der Unternehmer unter dem Strich Gewinn und investiert; in der Folge steigen die Preise.
- Die Inflation kann am besten kontrolliert werden, indem der Zins des Bankensystems so lange erhöht wird, bis der Preisanstieg gestoppt ist.
- Der Schwede Wicksell publizierte Geldzins und Güterpreise 1898 in deutscher Sprache. Erst zehn Jahre nach seinem Tod wurde das Werk von der Fachwelt gewürdigt.
Zusammenfassung
Inflation und Deflation
Zu allen Zeiten hat es sowohl Ökonomen als auch einfache Arbeiter stark interessiert, woran es eigentlich liegt, dass die Güterpreise schwanken. Besonders wenn der Anstieg der Preise dauerhaft ist, führt das für denjenigen, der ein festes Arbeitseinkommen erzielt, zu großen Nachteilen, weil er sich einfach immer weniger leisten kann. Doch so schlimm eine Inflation ist, ihr Gegenteil, die Deflation, ist auch nicht besser: Der Preisverfall lähmt die Wirtschaft und führt mittelfristig zu Entlassungen und Arbeitslosigkeit. Manche meinen, dass eine langsame Erhöhung des Preisniveaus der Wirtschaft sogar zuträglich wäre. Das ist aber Unsinn, denn eine solche quasi feste Inflation würde automatisch dazu führen, dass die Menschen mit dieser Preissteigerung rechnen. Ihr Verhalten wäre vergleichbar mit dem eines Menschen, der seine Uhr vorstellt, um immer pünktlich zu kommen. Weil er aber weiß, dass er sie vorgestellt hat, stolpert er über seine eigene Raffinesse, er zieht die zusätzlichen Minuten im Geist wieder ab – und kommt daher trotzdem zu spät. Nein, ein stabiles Preisniveau muss das erklärte Ziel für die Wirtschaft sein. Man sollte daher versuchen, die Steigerung oder Abwertung der Preise in den Griff zu bekommen. Wie wenig dies bislang gelungen ist, bezeugt das stetige Auf und Ab der Preise in der Vergangenheit.
Die Messung der Kaufkraft
Betrachtet man Warenpreise zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, so kommt man sehr schnell zu der Erkenntnis, dass die Kaufkraft des Geldes abnimmt, wenn die Preise steigen. Das ist allerdings nur dann richtig, wenn die Preise aller betrachteten Waren gleichmäßig steigen. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass die Verbraucher zu zwei verschiedenen Zeitpunkten ganz unterschiedliche Waren bzw. einen Warenkorb mit unterschiedlicher Durchmischung konsumieren. Das bedeutet, dass die Preise zu den beiden Zeitpunkten nicht so einfach verglichen werden können. Um herauszufinden, ob das tägliche Leben teurer oder billiger geworden ist, muss also eine Durchmischung verschiedener Güter (dazu gehören auch Dienstleistungen) betrachtet werden. Hat man einen solchen richtig durchmischten Warenkorb aus Nahrungsmitteln, Dienstleistungen, Miete, Freizeitvergnügen, Reisen usw. bestimmt und stellt beim Vergleich zweier verschiedener Zeitpunkte fest, dass für diese die gleiche Summe ausreicht, so ist die Kaufkraft des Geldes stabil. Wohlgemerkt ist hierdurch nur eine grobe Annäherung möglich: Man kann nur feststellen, ob die Preise gesunken oder gestiegen sind. Will man das Preisniveau aber steuern und stabil halten, kommt man nicht um eine genauere Bestimmung des (mittleren) Preisniveaus herum.
Grenznutzentheorie und Rolle des Geldes
Die gegenwärtige Wirtschaftswissenschaft bedient sich vor allem der Theorie des Grenznutzens, um den Tauschwert einer Ware zu bestimmen. Der Grenznutzen (d. h. der Nutzen, den eine weitere Einheit eines bestimmten Gutes stiftet) nimmt mit fortgesetztem Konsum immer weiter ab. Verkürzt ausgedrückt: Das zehnte Glas Bier schmeckt nicht mehr so gut wie das erste. Der Käufer wird demgemäß einen Tausch von Geld gegen Ware nur so lange fortsetzen, wie für ihn der Wert der Ware den Wert des eingesetzten Geldes übersteigt. Der konkrete Wert eines Gutes kann im individuellen Kaufverhältnis zwischen wenigen Wirtschaftssubjekten durchaus schwanken. Auf einem offenen, anonymen Markt ist dies aber weitaus seltener der Fall: Hier ergibt sich – zumindest in der Theorie – aus Angebot und Nachfrage ein Preis, der dafür sorgt, dass der Markt geräumt wird, d. h. dass die optimale Menge eines Gutes auf dem Markt gehandelt wird. Geld spielt bei der Bemessung des Wertes eine große Rolle: Ohne Geld müssten bei verschiedenen Produkten, die direkt getauscht werden (z. B. Eier gegen Milch), immer die Verkäufer und Käufer der Waren direkt aufeinandertreffen: ein aufwändiger und Zeit raubender Prozess. Geld erleichtert die Sache: Es fungiert als Tauschmittel, aber auch als Mittel der Wertaufbewahrung. Wie kann der Preis nun bewusst gesteuert werden? Über den Warenmarkt geschieht dies nicht, denn selbst wenn die relativen Preise einer gekauften Ware zu den relativen Preisen einer verkauften Ware in einem Missverhältnis stehen, so wird dieses über kurz oder lang wieder ins Gleichgewicht gebracht: Wer für einen Liter Milch statt einer Geldeinheit 1,2 Geldeinheiten zahlen muss, wird sich nicht beschweren, solange er seine Eier auch statt für eine Geldeinheit für 1,2 Geldeinheiten verkaufen kann. Das bedeutet: Regulierend kann nicht vom Warenmarkt, sondern nur vom Geldmarkt aus eingegriffen werden.
Produktionskostentheorie und Quantitätstheorie
Es gibt zwei Theorien, die sich damit beschäftigen, wie dem Geld Wert beigemessen wird:
- Die Produktionskostentheorie des Geldes verfolgt den Ansatz, den Wert des Geldes als eine „innere Qualität“ des Rohmaterials anzusehen, aus dem Geld besteht. Die Produktionskosten und der Metallwert bestimmen deswegen den Geldwert. Ein prominenter Vertreter dieser Werttheorie war Karl Marx mit seiner Arbeitswertlehre: Das Geld ist so viel wert wie die Mühen, die zu seiner Erzeugung aufgewendet werden mussten. Marx erkannte aber nicht, dass eine wachsende Geldmenge die Preise verändern kann. Er war eher der Meinung, dass ein Zuviel an Geld einfach den Geldkreislauf verlassen würde – eine Annahme, die sich als irrig erwiesen hat.
- Die zweite Theorie bewertet die Rolle des Geldes erheblich realistischer. Es handelt sich dabei um die Quantitätstheorie des Geldes, die einen Einfluss der Geldmenge auf das Preisniveau annimmt. Normalerweise liegen zwischen Kauf und Verkauf von Waren größere Zeitabstände. Um diese zu überbrücken, muss der Unternehmer einen gewissen Geldbetrag in der Kasse halten. Was geschieht aber, wenn innerhalb dieser Frist die Warenpreise steigen? Der Unternehmer wird, weil ihm der Wert seiner Kasse zu gering erscheint, mehr Waren anbieten und weniger Waren nachfragen. Die Folge: Die Preise sinken wieder und kehren zu ihrem vorherigen Niveau zurück. Entsprechend umgekehrt verläuft dieser Mechanismus, wenn es zu einer Preissenkung kommt. So logisch das erscheint, so augenscheinlich ist doch ein Fehler dieser Theorie: Sie setzt nämlich die Kassenhaltung und den überwiegenden Bargeldverkehr voraus. Doch die meisten Geschäfte werden nicht von individueller, sondern von quasi kollektiver Kassenhaltung – nämlich durch die Banken – begleitet sowie durch bargeldlosen Verkehr (Schecks, Wechsel, Giralgeld). Außerdem geht die Theorie davon aus, dass sich die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht ändert, was ebenfalls falsch ist.
Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes
Gerade die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes wird in den meisten Theorien eher stiefmütterlich behandelt. Für das Verständnis des Geldwesens ist sie aber unabdingbar. Die Umlaufgeschwindigkeit bezeichnet die Häufigkeit, mit der die vorhandene Geldmenge innerhalb einer bestimmten Frist den Besitzer wechselt. Es gibt drei Varianten:
- In der reinen Barwirtschaft gibt es keine Kreditgeber: Jeder bezahlt seine Waren aus einer Kasse, in die er auch den Erlös der eigenen Verkäufe hineinlegt. Kommt es zu allgemeinen Preiserhöhungen, hat dies zur Folge, dass bestimmte Käufe aufgeschoben werden oder aber dass höhere Zahlungen durch höhere Einnahmen ausgeglichen werden. Weil also mehr Geld in Umlauf kommt, erhöht sich die Geldumlaufgeschwindigkeit. Die Kassenhaltung der Wirtschaftssubjekte lässt sich dadurch erklären, dass beabsichtigte und unbeabsichtigte Ausgaben oft in verschiedenen Zeiten anfallen: Erstere vielleicht jedes Jahr im Frühling zu einer Messe o. Ä., Letztere zu irgendeinem Zeitpunkt, sodass man eine Reserve bilden muss, um diese Ausgaben ggf. bestreiten zu können. In einer solchen Barwirtschaft hätten Veränderungen der Geldmenge, etwa zur Belebung der Konjunktur, überhaupt keine Wirkung, außer eben den Effekt, dass die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes verändert wird.
- Etwas anders verhält es sich bei einer Wirtschaft mit einfachen Krediten: Hierbei lässt sich die umlaufende Bargeldmenge beliebig vermindern. Überspitzt gesagt, würde eine einzige – rasend schnell hin- und hergereichte – Geldeinheit genügen, um eine Vielzahl von Käufen und Verkäufen abzuwickeln. Wie das? Ganz einfach: Wenn jeder jedem Kredit gibt, lassen sich Waren kaufen, obwohl das entsprechende Bargeld überhaupt nicht verfügbar ist, sondern lediglich die Forderung darauf. Knackpunkt einer solchen Mechanik ist das mangelnde Vertrauen der Handelspartner untereinander: Niemand gibt Kredit, wenn er befürchten muss, das Geld nicht zurückzubekommen und womöglich bald selbst zum Schuldner zu werden.
- Dieses Manko beseitigt die organisierte Kreditwirtschaft. Der Darlehensverkehr wird hier durch Geschäftsbanken zentralisiert und die Übertragung von Forderungen mit einem sicheren Rahmen versehen. Ein Wechsel z. B., der von einer kreditwürdigen Person ausgestellt wird, kann durch Dutzende Hände gehen, ohne dass hierdurch Zahlungen ausgelöst werden, außer beim letzten Besitzer, der den Wechsel einlöst. Ähnlich verhält es sich beim reinen Giroverkehr, bei dem Guthaben einfach von einem Bankkonto auf ein anderes umgeschrieben werden, ohne dass jemals eine klingende Münze rollt. Durch Banken wird auch die Zeit minimiert, die eine Privatperson gewöhnlich bräuchte, um jemanden zu finden, der ihr Kredit einräumt.
Die Rolle des Geldzinses
Durch den stetig anwachsenden bargeldlosen Geschäftsverkehr stellt sich die Frage, inwieweit die Edelmetallvorräte überhaupt noch einen Einfluss auf Preisänderungen haben können. Steht es nicht vielmehr in der Macht der Banken, z. B. durch Kreditrestriktionen oder -erleichterungen, die Preise zu beeinflussen? Die Antwort auf diese Frage ist ein klares Ja. Nicht etwa die Emission von Geldnoten selbst ist es, die zu einem Anstieg der Preise führt, sondern die Erleichterung von Krediten. Werden Kredite billiger, werden sie vermehrt nachgefragt. Dies wiederum führt zu einer Erhöhung der Geldmenge. Eine Senkung der Kreditzinsen beinhaltet ein Signal zu mehr Produktion. Denn es spielt eine gewaltige Rolle für kreditfinanzierte Investitionen – und die sind in der Mehrzahl –, ob sich das benötigte Kapital mit einer Verzinsung von beispielsweise 2 % oder 8 % erlangen lässt.
Der natürliche Kapitalzins
Wie lässt sich erklären, dass die Warenpreise durch die Kreditzinsen beeinflusst werden können? Und auf welche Weise lassen sich die Preise stabilisieren? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich über das Wesen des so genannten „natürlichen Kapitalzinssatzes“ klar werden. Dabei handelt es sich letztlich um den Gewinn, den ein Unternehmer mit einer Investition zu erzielen hofft, und zwar mit dem Geld, das ihm zur Verfügung steht. Entspricht der Geldzins einer Geschäftsbank exakt diesem natürlichen Zinssatz, haben die Preise keinerlei Tendenz zur Veränderung. Man spricht dann von der „normalen Zinsrate“. Wenn aber der Geldzins vom natürlichen Zinssatz abweicht, können folgende zwei Impulse ausgelöst werden:
- Liegt der Geldzins unter dem natürlichen Kapitalzins, lohnt es sich für einen Unternehmer eher, kreditfinanzierte Investitionen zu tätigen. Er weitet die Produktion aus, stellt Arbeitskräfte ein, diese verdienen mehr, geben dann auch mehr aus, die Nachfrage steigt an und damit erhöhen sich auch die Preise. Fazit: Geldzins < natürlicher Kapitalzins -> steigende Preise.
- Liegt der Geldzins der Bank über dem natürlichen Kapitalzins, so ist eine kreditfinanzierte Investition aus Sicht des Unternehmers ökonomischer Unsinn. Er wird also keine zusätzlichen Mittel aufnehmen, muss vielleicht seine Investitionen einschränken und vielleicht sogar Arbeitskräfte entlassen, um sich der Situation anzupassen. Durch die daraufhin zurückgehende Nachfrage sinken die Preise. Fazit: Geldzins > natürlicher Kapitalzins -> sinkende Preise.
„Man kann ohne Übertreibung behaupten, dass noch in der Gegenwart viele selbst der hervorragendsten Nationalökonomen ohne eine wirkliche, logisch durchdachte Theorie des Geldes dastehen.“ (Vorwort, S. III)
Streng genommen kommt es niemals zu einer absoluten Gleichheit von natürlichem Zinssatz und Geldzinssatz. Es wird immer kleine und kleinste Unterschiede geben. Das führt zu einem kumulativen Prozess, bei dem die Preise immer weiter sinken oder steigen, bis sich natürlicher Zinssatz und Geldzins einander angenähert haben. Um die Preise stabil zu halten, sollte also versucht werden, den Geldzinssatz an den natürlichen Kapitalzins künstlich anzugleichen. Da man Letzteren nicht berechnen kann, genügt es, die Preise zu beobachten: Steigen sie, müssen die Zinsen erhöht, fallen sie, müssen die Zinsen gesenkt werden.
Zum Text
Aufbau und Stil
Geldzins und Güterpreise kommt als schmales Büchlein daher. Die rund 190 Seiten können dem modernen Leser dennoch einige Schwierigkeiten bereiten. Wicksell gibt zu, dass „bei mehr Darstellungstalent oder verfügbarer Zeit sich alles in viel einfacherer, schlichterer, überzeugenderer Weise hätte darstellen lassen müssen“. Tatsächlich ist es nicht ganz einfach, zwischen den Vorgriffen und Wiederholungen, den Vergleichen mit anderen Schulen und Dogmen die eigentlichen Innovationen Wicksells zutage zu fördern. Wicksell verzichtet in seiner Darstellung weitestgehend auf mathematische Formeln, und wenn er doch darauf zurückgreift, tut er dies in gesonderten Abschnitten, die der Leser notfalls auch überspringen kann. Er bedauert überdies, dass er nichts weiter als Hypothesen aufgestellt habe, die er nicht empirisch nachweisen könne.
Interpretationsansätze
- Wicksell entwickelt eine Methode, die die Lebenshaltungskosten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten vergleichbar machen soll. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Preisindex der gebräuchlichsten Waren und – das war zu seiner Zeit neu und originell – Dienstleistungen aufgestellt werden müsse. Die moderne Statistik der Lebenshaltungskosten operiert mit einem solchen „Warenkorb“.
- Weil er die Macht der Banken bei der Beeinflussung der Preise erkennt, fordert Wicksell in den Schlussfolgerungen seines Buches, dass Wirtschaft und Politik alles unternehmen müssen, um die Preisstruktur stabil zu halten. Wie das konkret geschehen soll, kann Wicksell sich nicht vorstellen, er sieht aber bereits die Notwendigkeit, dass eine staatliche Institution diese Aufgabe übernehmen muss. Damit nimmt er die Idee einer unabhängigen Zentralbank vorweg, die als „Hüterin der Währung“ agiert.
- Die Rolle der Geschäftsbanken sieht Wicksell sehr kritisch: Er hält die von ihm beobachtete Bankpolitik für unsinnig, die einen „günstigen“ Zinssatz für Bankdarlehen festsetzt und darunter keine Kredite vergeben möchte, weil es „sich nicht rechnet“. Wicksell verurteilt dieses kapitalistische Vorgehen auf Schärfste: Volkswirtschaftlichen Belangen sei der Vorzug vor privatwirtschaftlichen Interessen zu geben.
- Wicksell bringt – und John Maynard Keynes wird ihm später darin folgen – die Erwartungen der Wirtschaftssubjekte in die Preistheorie hinein: Der natürliche Zinssatz wird bei Wicksell zu einem Großteil von den Spekulationen der Unternehmer über zukünftige Profite beeinflusst.
Historischer Hintergrund
Inflation, Deflation und Geldpolitik
Im Gegensatz zum restlichen Europa befand sich Knut Wicksells Heimatland Schweden im ausgehenden 19. Jahrhundert, als er Geldzins und Güterpreise verfasste, in einer Phase des Preisrückgangs. Nach 1850 waren die Preise gestiegen, vor allem während der Krisen von 1857 und 1864–1866. Ab 1873 jedoch sanken sie; die Deflation war da. Anders als bei einer Inflation, bei der das Preisniveau steigt, also das Geld immer weniger wert wird, bezeichnet eine Deflation das genaue Gegenteil: Weil zu wenig Geld im Umlauf ist, sinkt das Preisniveau, damit verringern sich aber auch die wirtschaftlichen Absatzchancen. Die Folge: Die Wirtschaft schrumpft und es drohen Entlassungen und Arbeitslosigkeit. Die größte Deflation erlebte die Welt in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts: Der Zusammenbruch der New Yorker Börse 1929 löste die Weltwirtschaftskrise aus. Knut Wicksell hatte schon drei Jahrzehnte zuvor die Notwendigkeit erkannt, die Preise stabil zu halten, und in seiner Arbeit vor allem die so genannte klassische Quantitätstheorie erweitert. Diese Theorie, die bereits auf das 16. Jahrhundert zurückgeht, nahm ein proportionales Verhältnis zwischen der Geldmenge und dem Preisniveau an. Wicksell kritisierte, dass sich die Quantitätstheorie nur auf Bargeld, nicht aber auf das immer gebräuchlicher werdende Giralgeld (auf Konten) bezog.
Entstehung
Knut Wicksell brachte, wie er selbst im Vorwort des Buches schreibt, fast zwei Jahre seines Lebens mit der Fertigstellung von Geldzins und Güterpreise zu. Beweggrund für den Beginn der Arbeit war, dass Wicksell sich über Argumente für und gegen die Quantitätstheorie klar werden wollte. Zu diesem Zweck unterzog er die Werke ihres berühmten Vertreters David Ricardo und ihres bis dahin größten Gegners Thomas Tooke einer eingehenden Analyse. Er kam zu der Erkenntnis, dass die Quantitätstheorie die einzige theoretisch ausgeformte Geldtheorie darstellte. Tookes Äußerungen sah Wicksell hingegen sehr kritisch: Er habe zwar viel gegen die Quantitätstheorie vorgebracht, aber gar nichts für eine neue, bessere Theorie getan. Wicksell musste also feststellen, dass die vorhandenen Theorien mit etlichen Defiziten behaftet waren, die es auszuräumen galt. Er verneinte die Ansicht der nationalökonomischen Klassiker um Ricardo, wonach Geld nichts als ein „Schleier“ sei und keinerlei Einfluss auf die realen Gütertauschprozesse habe. Zudem reicherte Wicksell die bereits bestehende Geldtheorie um den Begriff des „natürlichen Kapitalzinses“ an, der als Vergleichsmaßstab für den Darlehenszinssatz fungiert.
Wirkungsgeschichte
Es hätte nicht viel gefehlt, und die wissenschaftliche Welt hätte von Knut Wicksells Theorien überhaupt keine Notiz genommen. Der Schwede Wicksell publizierte auf Deutsch, um sein Werk einem größeren Publikum zugänglich zu machen – aber schon damals sprachen die bedeutenden Vertreter der Nationalökonomie vorwiegend Englisch. Dankenswerterweise lobte wenigstens John Maynard Keynes Wicksells Theorie in seinem eigenen Treatise on Money (1930); da war Wicksell bereits seit vier Jahren tot. Keynes räumte ein, dass seine eigene Abhandlung der von Wicksell ähnlich sei. Wicksell versuchte zwar bereits 1906, seine Theorie auch im englischsprachigen Raum bekannt zu machen. Das scheiterte aber an seinen mangelnden Sprachkenntnissen. Erst zehn Jahre nach seinem Tod wurde Geldzins und Güterpreise auch ins Englische übersetzt: 1936 erschien Interest and Money in einer Übersetzung des Keynes-Schülers R. F. Kahn. Wicksells Arbeit wurde dann mehr oder weniger als wissenschaftshistorische Abhandlung gelesen, weil mittlerweile viele seiner Ideen bereits anderweitig publiziert bzw. abgewandelt worden waren und man nicht richtig feststellen konnte, was an Wicksells Arbeit besonders originell sein sollte. An dieser Reaktion zeigt sich die ganze Tragik eines Wissenschaftlers, der seiner Zeit voraus war, dies aber nicht richtig kommunizieren konnte. Der Ökonom Joseph A. Schumpeter musste 1965 über Wicksell feststellen: „Sein internationaler Ruf aber blieb weit hinter seiner Leistung zurück, bis Ende der 20er und zu Beginn der 30er Jahre unseres Jahrhunderts die Fachwelt zu ahnen begann, dass er die wertvollsten Elemente der modernen Geld- und Zinstheorie weitgehend vorweggenommen hatte.“
Geldzins und Güterpreise inspirierte große Ökonomen wie Friedrich August von Hayek und den Monetaristen Milton Friedman zu ihren geld- und zinstheoretischen Schriften. Einen großen Einfluss übte Wicksells Schrift aber auch auf die (den Monetaristen genau entgegengesetzte) Theorie John Maynard Keynes’ aus. Überdies beeinflusste er die so genannte Stockholmer Schule der Ökonomie, deren Vertreter der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Erik Lindahl sowie die späteren Nobelpreisträger Gunnar Myrdal, Bertil Ohlin und Erik Lundberg waren. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin verleiht jährlich den Knut-Wicksell-Preis an Nachwuchswissenschaftler. Das Verhalten vieler moderner Notenbanken, die wie die Bank of England unter der Bezeichnung „Inflation Targeting“ über Zinsveränderungen die Inflation zu stabilisieren versuchen, geht auf Wicksells Vorschläge zurück.
Über den Autor
Johan Gustaf Knut Wicksell wird am 20. Dezember 1851 als jüngstes von fünf Kindern eines Lebensmittelhändlers in Stockholm geboren. Vater und Mutter sterben früh, sodass Knut bei Verwandten aufwächst. 1865–1869 besucht er das Gymnasium und tritt einer Gruppe von Freidenkern bei, die in einem literarischen Zirkel gegen das Establishment andichten, singen und texten. Nach dem Abitur studiert Wicksell bis 1872 Philosophie, Geschichte, Latein, skandinavische Sprache, Mathematik und Astronomie an der Universität von Uppsala. Während der Studienzeit kapselt sich Wicksell von Freunden ab, aus dem frommen jungen Mann wird ein Atheist. Er wendet sich den Sozialwissenschaften zu und wird Hauslehrer, um seine weiteren Studien finanzieren zu können. Ein Vortrag über die Trunksucht, der in der Forderung der Geburtenkontrolle gipfelt, um die soziale Verelendung in den Griff zu bekommen, bringt ihm einen öffentlichen Skandal ein. Wicksell begibt sich 1885 auf eine Studienreise nach London, wo er die englischen Klassiker der Ökonomie liest und an politischen Diskussionen teilnimmt. Es folgen weitere Studien- und Vortragsreisen durch Europa. In Kopenhagen lernt er die norwegische Feministin Anna Bugge kennen, mit der er 1889 zusammenzieht. Gemäß seiner Überzeugung heiratet er sie nicht, sondern schließt mit ihr lediglich einen „Unterhaltsvertrag für die Aufzucht der Kinder“ und eine Regelung der Erbverhältnisse. Nachdem seine beiden Kinder Sven und Finn geboren sind, widmet sich Wicksell in den 90er Jahren seiner akademischen Arbeit. In rascher Folge erscheinen die Schriften Über Wert, Kapital und Rente (1893), Zur Lehre von der Steuerincidenz (1895), Finanztheoretische Untersuchungen (1896) und Geldzins und Güterpreise (1898). Erst mit 50 Jahren, im Jahr 1901, erhält er eine Professur an der Universität von Lund. Jahre der Lehre und gelegentlichen Publikation, vor allem in Zeitschriften, schließen sich an; in diese Zeit fällt auch der eine oder andere Skandal (u. a. zwei Monate Haft wegen Blasphemie). Nach der Emeritierung im Jahr 1916 kehrt Wicksell nach Stockholm zurück. Hier berät er die Bank von Schweden und tritt Regierungsausschüssen bei. Am 3. Mai 1926 stirbt er an einer Lungenentzündung.
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