Douglas R. Hofstadter
Gödel, Escher, Bach
Ein Endloses Geflochtenes Band
Klett-Cotta, 2006
Was ist drin?
Hofstadters ebenso brillanter wie ausschweifender Streifzug in die Sackgassen, Kreuzungen und Kreisverkehre des logischen Denkens.
- Philosophie
- Gegenwartsliteratur
Worum es geht
Selbstreferenzialität und das Abenteuer des Denkens
Gödel, Escher, Bach ist ein hochkarätiges Sachbuch, ein Denk- und Leseabenteuer ersten Ranges und ein Kaleidoskop intellektueller Assoziationen. Sein Thema sind die Voraussetzungen und Grenzen der Intelligenz, besonders das Phänomen des Selbstbezugs - also etwa die Fähigkeit des Denkenden, über das Denken an sich nachzudenken. Diese Selbstreferenzialität gilt als wichtiges Kriterium für Intelligenz. Hofstadter bringt Beispiele aus verschiedensten Wissensgebieten, zieht verblüffende Parallelen und greift gar auf Denkweisen des Zen-Buddhismus zurück, wodurch das Buch seinen Gegenstand perfekt spiegelt: Es ist auf tausenderlei Art selbstreferenziell. Eine wichtige Rolle spielen die "seltsamen Schleifen", die Hofstadter u. a. anhand der Zeichnungen des Künstlers M. C. Escher und der Kompositionen von Johann Sebastian Bach erläutert. Außerdem macht er den Leser mit dem Unentscheidbarkeitstheorem des Mathematikers Kurt Gödel bekannt. Gödel wies nach, dass in jedem genügend komplexen System Sätze existieren, die mit den Regeln des Systems nicht als wahr oder falsch erkannt werden können. Hofstadter warnt zwar vor einer direkten Übertragbarkeit des Theorems auf andere Gebiete, kommt aber doch zu dem Ergebnis, dass es in gewisser Weise universell ist - ein Wesenszug der Welt, wie sie ist.
Take-aways
- Gödel, Escher, Bach ist ein brillanter Streifzug durch die Grundlagen, Verzweigungen und Abgründe des logischen Denkens.
- Hofstadters Bestseller war eines der ersten erfolgreichen Sachbücher des Computerzeitalters; sein philosophischer Gehalt ist immer noch aktuell.
- Der klare Aufbau in 20 Kapitel wird aufgelockert durch eingefügte Dialoge, intelligente Spielereien und reichhaltige kulturelle Bezüge.
- Das Grundmotiv des Buches bildet das Phänomen der "seltsamen Schleifen", eine Form von Zirkelschlüssen und logischen Widersprüchen.
- Seltsame Schleifen werden anhand von Johann Sebastian Bachs Musik, M. C. Eschers Zeichnungen und Kurt Gödels mathematischem Theorem erläutert.
- Gödels Theorem besagt, dass ab einem bestimmten Komplexitätsgrad ein widerspruchsfreies und zugleich vollständiges logisches System unmöglich ist.
- Derartige Aussagen - ebenso wie das Erkennen einer seltsamen Schleife - können aber nur gemacht werden, wenn man sich "außerhalb des Systems" stellt.
- Die Unterscheidung, ob eine Aussage innerhalb des Systems oder von außen über das System gemacht wird, ist grundlegend für das Arbeiten mit formalen Systemen.
- Die Fähigkeit, ein System von außen zu betrachten, ist eine wesentliche Voraussetzung für Intelligenz.
- Auch streng formale Systeme erreichen mit zunehmender Komplexität einen kritischen Punkt, ab dem sie nicht mehr widerspruchsfrei sind.
- Der Übergang zwischen Nicht-Intelligenz und Intelligenz ist ebenso fließend wie der zwischen einfachen und komplexen Systemen.
- Dass es jemals "denkende" Computer geben wird, ist nicht ausgeschlossen; sollte das aber der Fall sein, werden wir sie genauso wenig vollständig verstehen wie uns selbst.
Zusammenfassung
Selbstreferenzialität und seltsame Schleifen
Wenn man sich mit logischen Systemen beschäftigt, dann geht es auch um das Wesen der Intelligenz, um die Voraussetzungen und Möglichkeiten des Denkens; und damit letztlich auch um die Frage, ob wir überhaupt verstehen und präzise beschreiben können, was Denken ist. Viele Denkfiguren beruhen auf dem Phänomen der "seltsamen Schleife" - dies ist kein wissenschaftlicher Begriff, sondern ein der Verständlichkeit halber gewählter Ausdruck. Seltsame Schleifen sind logische Strukturen, die sich mit den Mitteln der klassischen Logik nicht auflösen lassen. Ein bekanntes Beispiel ist der Satz des Epimenides: "‚Alle Kreter lügen’, sagte der Kreter." Dieser Satz ist ein Paradoxon: Nimmt man ihn für wahr, besagt er, dass alle Kreter lügen. Da aber ein Kreter ihn ausspricht, hätte der Kreter die Wahrheit gesagt, was den Satz ungültig macht. Der Grund, warum solche Sätze logisch nicht auflösbar sind, ist ihre Selbstreferenzialität. Sie verknüpfen eine inhaltliche Aussage mit einer Aussage über die Gültigkeit des Satzes. Die beiden Aussagen repräsentieren unterschiedliche Bedeutungsebenen, die miteinander kollidieren. Diese Unterscheidung der Bedeutungsebenen - also die Unterscheidung, was innerhalb und was außerhalb des Systems passiert - ist für formale Systeme extrem wichtig. Und die Fähigkeit, nicht nur innerhalb eines Systems zu funktionieren, sondern das System zu verlassen und Aussagen über dieses zu treffen, ist ein wesentliches Merkmal von Intelligenz.
Seltsame Schleifen bei Bach, Escher und Gödel
Das Phänomen der seltsamen Schleife findet man in den verschiedensten Bereichen. Der Komponist Johann Sebastian Bach war besonders versiert in der Kunst der Fuge und des Kanons: musikalische Formen, bei denen ein Thema nach festen Regeln mit verschiedenen Stimmen wiederholt und abgewandelt wird. Einer von Bachs kunstvollsten Kanons heißt Canon per Tonos. Das Besondere an ihm ist, dass er am (vermeintlichen) Ende unbemerkt eine Tonart höher erklingt als am Anfang; zudem schließt das Ende reibungslos an den Anfang an, sodass man nach erneutem Durchlauf wieder um eine Tonart steigt usw., bis man nach sechs Durchläufen genau eine Oktave höher ist und sich in der Anfangstonart wiederfindet.
„Beim Studium formaler Systeme ist die Unterscheidung zwischen der Arbeit innerhalb des Systems und den Aussagen und Beobachtungen über das System äußerst wichtig.“ (S. 42)
Der niederländische Zeichner und Grafiker Maurits Cornelis Escher hat wie kein Zweiter optische Täuschungen, logische Widersprüche und seltsame Schleifen dargestellt. Bekannt ist etwa das Bild vom Wasserfall, der zu seinem Ursprung zurückfließt, oder das von den Männern, die auf einer endlosen Treppe laufen, ohne wirklich an Höhe zu gewinnen oder zu verlieren. Von Escher stammt auch das Bild einer Hand, die aus dem Blatt Papier, auf dem sie gezeichnet ist, hervorwächst, um eine zweite Hand zu zeichnen, die ihrerseits aus dem Papier herauswächst und die erste Hand zeichnet.
„Übrigens ist es eine Bedingung für formale Systeme, dass das Bündel von Axiomen durch ein Entscheidungsverfahren gekennzeichnet ist - es muss einen Lackmustest für Axiomheit geben.“ (S. 45)
Der österreichische Mathematiker Kurt Gödel hatte für die Mathematik eine ähnliche Bedeutung wie Einstein für die Physik. Gödel wies nach, dass es ein umfassendes widerspruchsfreies System, wie es Logiker seit der Antike erträumt hatten, nicht gibt. Sein Beweis "Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme" erschien 1931. Darin zeigt er, dass es in jedem genügend komplexen System Sätze gibt, die sich mit den Mitteln des Systems weder beweisen noch widerlegen lassen: "Alle widerspruchsfreien axiomatischen Formulierungen der Zahlentheorie enthalten unentscheidbare Aussagen." Diese Erkenntnis wird als "Gödels Unentscheidbarkeitssatz" oder als "Gödels Unvollständigkeitssatz" bezeichnet. Der zweite Name bezieht sich darauf, dass sich die Widersprüche eines Systems mit einer gegebenen Anzahl von Sätzen oft dadurch auflösen lassen, dass ein zusätzlicher Satz eingeführt wird; dann ist aber das System nicht mehr vollständig (da es ja bereits vorher vollständig war).
Eine Einführung in formale Systeme
Formale Systeme bestehen aus Sätzen, die nach festen Regeln gebildet werden. Zur Erläuterung betrachten wir ein einfaches System, das MIU-System. Es enthält nur die drei Buchstaben M, I und U. Innerhalb des Systems sind verschiedene Folgen dieser Buchstaben möglich. Sofern sie nach den Regeln des Systems erzeugt wurden, bezeichnet man sie als "innerhalb des Systems gültige Sätze". Das System enthält vier Regeln für die Bildung von Sätzen:
- Regel 1: Wenn eine Buchstabenfolge mit I endet, kann ein U angehängt werden. Zum Beispiel: Aus MUI kann MUIU werden.
- Regel 2: Jede Buchstabenfolge, die auf M folgt, kann verdoppelt werden. Zum Beispiel: Aus MIU kann MIUIU werden.
- Regel 3: Die Buchstabenfolge III kann in U verwandelt werden. Zum Beispiel: Aus MIIII kann MUI oder MIU werden.
- Regel 4: Die Buchstabenfolge UU kann gestrichen werden. Zum Beispiel: Aus MUUI kann MI werden.
„Eine überaus rätselhafte Tatsache an Gödels Beweismethode ist die, dass er auf eine Weise argumentiert, die sich anscheinend nicht ‚einkapseln’ lässt - sie widersteht der Eingliederung in jegliches formale System.“ (S. 95)
Alle Regeln gelten nur in der beschriebenen Richtung, sie sind nicht umkehrbar. Zur Übung des Umgangs mit dem System brauchen wir noch einen Ausgangspunkt, ein Axiom. Axiome sind Sätze, die innerhalb eines Systems gegeben sind. Ein formales System kann eines oder mehrere oder unendlich viele Axiome enthalten. Unser System enthält nur ein Axiom, nämlich MI. Die Aufgabe lautet nun, den Satz MU zu erzeugen bzw. - in der Sprache der Logik - ihn abzuleiten. Ausgehend vom Axiom MI haben wir am Anfang zwei Möglichkeiten. Erstens: Wir können aus MI entweder MIU machen (Regel 1) oder MII (Regel 2). Aus MIU lässt sich dann nach Regel 2 MIUIU bilden; aus MII lässt sich nach Regel 1 MIIU machen, nach Regel 2 MIIII (und weiter MIIIIIIII), aus MIIII nach Regel 3 MIU oder MUI usw. Man sieht, dass schon nach wenigen Schritten die Anzahl der Wahlmöglichkeiten sehr rasch zunimmt. Versuchen Sie einmal, herauszufinden, mit welchen Schritten der Satz MU abgeleitet werden kann. Achtung: Möglicherweise müssen Sie unendlich lange auf die Antwort warten ...
Der Unterschied zwischen Mensch und Computer
Die meisten Menschen werden aufs Geratewohl beginnen, Sätze zu erzeugen, und allmählich werden sie Merkmale des Systems erkennen. So ist es etwa eine Eigenschaft des Systems, dass der Anfangsbuchstabe M nie verändert wird. Es gibt also keine gültigen Sätze, die nicht mit M beginnen. Den meisten wird dies anfangs nicht auffallen, irgendwann aber springt das Muster ins Auge, und wenn sie darüber nachdenken, stellen sie fest, dass der Anfangsbuchstabe M durch das Axiom vorgegeben ist und dass keine der vier Regeln den Anfangsbuchstaben verändert. Sie könnten also logisch begründen (d. h. beweisen), dass Sätze, die mit I oder U beginnen, innerhalb des Systems nicht gültig sind. Dadurch haben sie die Grenzen des Systems überschritten, was ein Indiz für selbstständiges Denken ist. Noch schneller würden die meisten auf dieses Gesetz stoßen, wenn man ihnen direkt die Aufgabe stellte, einen Satz zu erzeugen, der mit U beginnt. Sie würden bald feststellen, dass dies nicht möglich ist.
„Am häufigsten tritt Rekursion im täglichen Leben in Erscheinung, wenn man die Erfüllung einer Aufgabe zugunsten einer einfacheren Aufgabe, oft derselben Art, aufschiebt.“ (S. 137)
Ein Computer dagegen würde das nicht erkennen, er würde stur einen Satz nach dem anderen erzeugen, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Er ist nicht in der Lage, das System zu verlassen. Natürlich könnte man den Computer so programmieren, dass er nach einer bestimmten Zahl erfolgloser Versuche abbricht; oder man könnte ihn so programmieren, dass er unter bestimmten Bedingungen die Regeln missachtet (was aber auch eine Regel ist). Der Unterschied ist jedoch, dass es überhaupt möglich ist, einen Computer so zu programmieren, dass er innerhalb eines extrem begrenzten Systems bleibt. Beim Menschen ist das nicht möglich. Der Mensch nimmt in der Regel die Widersprüche innerhalb eines Systems wahr, ohne dass ihm das ausdrücklich aufgetragen wird.
Natürliche und künstliche Intelligenz
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Computer in der Lage sein werden, das System zu verlassen, also z. B. ihr eigenes Programm umzuschreiben, wird darüber bestimmen, wie intelligent sie werden können. Beim MIU-System haben wir gesehen, dass ein einfacher Computer nicht imstande wäre, die Aufgabe als unlösbar zu erkennen - ein Hinweis auf nicht intelligentes Verhalten. Der Übergang zwischen nicht intelligentem und intelligentem Verhalten ist aber fließend. Das wird klar, wenn man versucht, die Merkmale von Intelligenz zu definieren. Folgende Eigenschaften sind mit Sicherheit wesentliche Voraussetzungen für Intelligenz: flexibel auf Situationen reagieren, mehrdeutige und/oder widersprüchliche Botschaften beurteilen, trotz Unterschieden wesentliche Ähnlichkeiten zwischen Situationen erkennen, neue Begriffe erzeugen, neuartige Ideen entwickeln. Man sieht, dass all diese Punkte ein Element enthalten, das sich nicht genau definieren lässt. Deshalb scheint es fraglich, ob man solche Voraussetzungen einem Computer einprogrammieren kann. Der ultimative Test bestünde darin, zu prüfen, ob ein Computer in der Lage wäre, nach Gödels Methode grundsätzliche Grenzen eines komplexen Systems aufzuzeigen.
Wie muss ein System beschaffen sein, damit Gödels Satz zutrifft?
Die Möglichkeit, in einem formalen System eine unentscheidbare Aussage zu formulieren, hängt von drei Bedingungen ab:
- Das System muss reichhaltig genug sein, um in ihm alle Aussagen, wahre wie falsche, durch Zahlen ausdrücken zu können.
- Alle allgemeinen rekursiven Beziehungen müssen durch Formeln in dem System repräsentiert sein.
- Alle Axiome und Muster, die durch Anwendung der Regeln entstehen, müssen durch ein Entscheidungsverfahren feststellbar sein.
„Das allgemeine Prinzip der Schleife ist also dieses: Führe eine Anzahl verwandter Schritte immer und immer wieder durch und breche das Verfahren ab, wenn spezifische Bedingungen erfüllt sind.“ (S. 161)
Sobald diese drei Bedingungen erfüllt sind, ist jedes System entweder unvollständig, oder es enthält Widersprüche. Die Größe des Systems scheint also eine Rolle zu spielen. In der Physik gibt es den Begriff der "kritischen Masse", unterhalb derer ein spaltbares Material keine Kettenreaktion zeigt. Komplexe formale Systeme scheinen sich ähnlich zu verhalten. Zwar lassen sich widerspruchsfreie Systeme denken, die unterhalb des kritischen Punktes existieren, aber sie wären extrem "harmlos" und kämen keiner arithmetischen Wahrheit nahe. Sobald aber ein System die Fähigkeit zur Selbstbezüglichkeit erreicht, ist der kritische Punkt überschritten, und das System wird automatisch widersprüchlich.
Werden wir je unseren eigenen Geist verstehen können?
Wie Gödel gezeigt hat, stoßen widerspruchsfreie formale Systeme an Grenzen, wenn sie Aussagen über sich selbst machen. Aber ist diese Erkenntnis auch allgemeingültig? Gödels Satz kann, wenn man ihn metaphorisch, als Denkanstoß verwendet, auch auf anderen Gebieten durchaus zu Erkenntnissen führen. Aber diese müssen dann nach den Methoden der jeweiligen Wissenschaft gewonnen werden. Es ist ein Irrtum, Gödels Satz, der nach den Gesetzen der mathematischen Logik erstellt wurde, eins zu eins auf einen völlig anderen Bereich übertragen zu wollen.
„Der Gebrauch von Wörtern ist seinem Wesen nach dualistisch, da jedes Wort ganz offensichtlich eine begriffliche Kategorie repräsentiert.“ (S. 271)
Auf den menschlichen Geist bezogen, scheint Gödels Satz nahezulegen, dass wir letzten Endes unseren Geist und unser Gehirn nicht verstehen können. Aber was genau bedeutet "unser Gehirn/unseren Geist verstehen"? Es könnte bedeuten, dass man die Funktionsweise des Gehirns und des Bewusstseins erklären kann, wie ein Ingenieur eine Maschine erklärt. Es könnte bedeuten, dass man eine so umfassende Vorstellung seines Geistes hat, dass man von sich selbst nicht überrascht werden kann. Es könnte bedeuten, dass man die Physiologie seines Gehirns vollständig erfasst. Es könnte bedeuten, dass man einen kompletten Plan seines Gehirns und seiner Inhalte besitzt. Es könnte bedeuten, dass man in jedem Augenblick wüsste, was auf der Ebene der Neuronen vor sich geht.
„Oder nehmen wir eine Sequenz von Bildern auf einem Fernsehschirm, die eine lachende Shirley McLaine zeigt. Wenn wir uns diese Sequenz anschauen, wissen wir, dass wir nicht wirklich eine Frau betrachten, sondern Mengen von flackernden Punkten auf einer ebenen Fläche. Wir wissen es - aber nichts liegt unseren Gedanken ferner.“ (S. 306)
Einige dieser Definitionen sind offenkundig unsinnig: etwa die Vorstellung, man könne die Aktivität jedes einzelnen Neurons erfassen. Andere dagegen scheinen plausibel. So hat die Vorstellung, sich selbst intuitiv vollkommen verstehen zu können, einen gewissen archaischen Reiz. Es kann aber niemals ein Verstehen im logischen Sinn sein, und ebenso wenig wird es ohne Widersprüche abgehen. Die Welt ist zu kompliziert, als dass ein Mensch es sich leisten könnte, alle seine Ansichten miteinander in Einklang zu bringen. Dasselbe gilt auch für einen intelligenten Computer. Ein wirklich intelligentes Programm besäße eine Übersicht über die Welt, die nicht nur auf programmiertem Wissen beruht, sondern auch auf Wahrnehmung. Solch ein Programm, das den kritischen Punkt der Komplexität überschritten hätte, wäre dann auch nicht mehr vorhersagbar.
Zum Text
Aufbau und Stil
Gödel, Escher, Bach ist ein faszinierendes, monströses Werk: Umfang und Faktenfülle sind enorm, hinzu kommt die kaum auslotbare Menge an Anspielungen. Struktur und Stil des Buches spiegeln konsequent den Grundgedanken, dass der Inhalt nicht von der Form zu trennen ist. Der Aufbau ist extrem kunstvoll: Jedes der 20 Kapitel wird durch einen Dialog eingeleitet, der das Thema des Kapitels in spielerischer Form vorbereitet. Protagonisten der Dialoge sind neben anderen Figuren Achilles und die Schildkröte aus dem berühmten Paradox des Zenon (darin liefern sich die beiden ein Wettrennen, das Achilles nicht gewinnen kann, solange die Schildkröte mit einem Vorsprung startet). Die Dialoge spielen alle mit den Formen des Kanons und der Fuge, etwa indem die Sprecher Formulierungen der Vorredner aufgreifen oder sich gegenseitig die Bälle zuspielen. Diese Umsetzung der musikalischen Form in Text ist teilweise sehr virtuos. So lässt sich etwa der Dialog zum "Krebs-Kanon" auf der Ebene der Redebeiträge vorwärts und rückwärts lesen. Und in "Contrakrostipunktus" ergeben die Anfangsbuchstaben der einzelnen Dialogteile aneinandergereiht die Aussage "Hofstadters Contrakrostipunktus akrostisch bespiegelt sagt JS Bach", während die Anfangsbuchstaben dieser Aussage selbst, ab dem J rückwärts gelesen, ihrerseits JSBACH ergeben. Andere Dialoge sind wirklich komisch (etwa "Contrafaktus"), und immer wieder finden sich im Text Kalauer ("Beethovens neunte Zenphonie"). Bei aller Logik, Stringenz und Faktenfülle ist das Buch zugleich auch unlogisch, ungeordnet und lustbetont. Es ist häufig redundant, viele Abschnitte sind schlicht zu lang geraten, und die Reihenfolge, in der einzelne Gedanken auftauchen, ist oft nicht zwingend.
Interpretationsansätze
- Gödel, Escher, Bach ist ein hochkomplexes, in seiner gedanklichen Tiefe kaum auszulotendes Werk. Es geht philosophische Fragen wie die nach dem Wesen des Denkens, der Intelligenz, der Wahrnehmung, der Sprache etc. auf wissenschaftlicher Basis, aber mit unzähligen kulturellen Assoziationen auf spielerische Weise an.
- Es ist auch eine Einführung in das Arbeiten mit formalen Systemen, speziell in die Computerprogrammierung. Zu diesem Zweck macht es den Leser mit Gödels Unvollständigkeitstheorem bekannt, demzufolge jedes komplexe System Aussagen enthält, die sich mit den Mitteln des Systems weder beweisen noch widerlegen lassen. Dies führt Hofstadter zu der Frage, wie es möglich ist, die Gültigkeit eines Systems zu erkennen, das in sich widersprüchlich ist - oder, etwas weiter gefasst, wie es möglich ist, etwas als wahr zu erkennen, auch wenn es unlogisch ist.
- Die Möglichkeit, außerhalb des Systems zu denken, also etwas Unlogisches als wahr zu erkennen, gilt Hofstadter als Ausweis einer spezifisch menschlichen Intelligenz, zu der Maschinen bislang nicht in der Lage sind. Somit stellt sich die spannende Frage, ob es grundsätzlich möglich ist - und somit eines Tages möglich sein wird -, einen Computer so zu programmieren, dass er sein eigenes Programm verlässt.
- Obwohl Hofstadter die zu erwartenden Fähigkeiten zukünftiger Computer z. T. skeptisch einschätzt (so hält er einen Schachcomputer, der jeden Menschen besiegt, für unmöglich), kann er sich intelligente Computer grundsätzlich vorstellen. Diese würden dann aber so komplex sein, dass sie nicht mehr völlig durchschaubar und beherrschbar wären. Und damit wären sie dem Menschen noch einen Schritt nähergekommen.
Historischer Hintergrund
Die Gödel’sche Revolution und die Entdeckung komplexer Systeme
Im 20. Jahrhundert gab es in vielen Bereichen der Wissenschaft umwälzende Entdeckungen, die ein bis dahin eher statisches, klar umrissenes Weltbild durch ein dynamisches, chaotisches, unscharfes ersetzten. In der Physik geschah dies durch die Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, in der Geologie durch die Plattentektonik, in der Psychologie durch die Lehre vom Unbewussten. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt fand eine solche Revolution auch in der Mathematik statt. Der Österreicher Kurt Gödel bewies 1931, dass es in jedem genügend komplexen formalen System Sätze gibt, die sich mit den Mitteln des Systems weder beweisen noch widerlegen lassen.
Dieses "Gödel’sche Unvollständigkeitstheorem" war der Todesstoß für den alten Traum von einem umfassenden und zugleich in sich geschlossenen logischen System. Es regte aber auch viele Mathematiker zu weiteren Forschungen über formale Systeme, Zufälligkeit und künstliche Intelligenz an. Der britische Mathematiker Alan Turing, einer der Pioniere der Computerentwicklung, ließ sich von Gödel zu seinem berühmten "Turing-Test" inspirieren, anhand dessen man die Kreativität und "Lebensähnlichkeit" eines Computers überprüfen kann. Sein Landsmann Roger Penrose befasste sich mit der Frage, ob Computer mathematische Einsichten haben können. Der polnisch-französische Mathematiker Benoît Mandelbrot veröffentlichte 1977 mit Fractals: Form, Chance and Dimension eines der ersten Bücher über Chaos, Fraktale, Selbstähnlichkeit und komplexe Systeme, das freilich vom großen Publikum weitgehend nicht beachtet wurde. Dieses wurde erst allmählich auf das Thema aufmerksam - u. a. durch den phänomenalen Erfolg von Gödel, Escher, Bach im Jahr 1979.
Entstehung
Hofstadter gibt an, als Halbwüchsiger das Buch Gödel’s Proof gelesen zu haben und davon begeistert gewesen zu sein. Als Mathematikstudent in Stanford und Berkeley war er jedoch von der Art und Weise, wie dort fortgeschrittene Logik gelehrt wurde, enttäuscht, sodass er sich anderen Gebieten zuwandte, vor allem der Physik. Später lief ihm das Thema wieder über den Weg. Als er 1973 an der Universität von Oregon, wo er inzwischen studierte, einen Kurs über Gödel halten durfte, war sein Interesse wieder erwacht, und er entdeckte immer neue Aspekte. Zwar musste er während seiner Physik-Dissertation das Thema wieder auf Eis legen, doch nach der Promotion kehrte er ins Haus seiner Eltern nach Stanford zurück und schrieb dort 1976/77 ohne finanziellen Druck (er nannte es "ein zweijähriges Hofstadter-Stipendium") das Manuskript von Gödel, Escher, Bach. Interessant ist auch die technische Entstehungsgeschichte des Werks, das als eines der ersten Bücher überhaupt mit einem Textverarbeitungssystem und einem primitiven Satzsystem gefertigt wurde, die beide ein Freund Hofstadters entwickelt hatte; die Umsetzung in die Druckmaschine erfolgte allerdings noch mit Lochstreifen und erforderte mühselige und zeitraubende Detailarbeit beim Formatieren.
Wirkungsgeschichte
Gödel, Escher, Bach wurde ein Überraschungserfolg und machte seinen Autor schlagartig berühmt. Für das Buch erhielt Hofstadter 1980 sowohl den Pulitzerpreis als auch den American Book Award und stand wochenlang auf der Bestsellerliste der New York Times. Allerdings dürfte nur ein Bruchteil des Publikums größere Teile des Buches gelesen haben. Mit liebevollem Spott wird es zuweilen als "das am zweitmeisten nicht gelesene Buch aller Zeiten" bezeichnet - wobei nur Stephen Hawkings Kurze Geschichte der Zeit vor Hofstadters Bestseller platziert ist.
Eine euphorisierende Wirkung hatte das Buch (die deutsche Übersetzung erschien erst 1985) auf die gerade im Entstehen begriffene Computerszene. Die Mischung aus "harter" Logik und populärer Darstellung, aus einer Expedition zu den Grenzen künstlicher Intelligenz und frei schweifender, bildungsgesättigter Philosophie war unerhört. Der deutsche Wissenschaftspublizist Gero von Randow bezeichnete das Buch denn auch als "erstes Exemplar einer neuen Gattung". Das Buch machte Kurt Gödel und seinen Unvollständigkeitssatz, den bis dahin nur Mathematiker kannten, einer größeren Öffentlichkeit bekannt; in dessen Kielwasser fanden auch Begriffe wie "Komplexität" und "Selbstähnlichkeit" ihren Weg zum breiteren Publikum. Gödel, Escher, Bach war somit nicht nur das erste populäre Sachbuch des Computerzeitalters, sondern auch ein Wegbereiter für die Popularität der so genannten Chaostheorie.
Die assoziative Struktur des Buches und die Vermengung naturwissenschaftlicher und kultureller Bezüge regten Nachahmer zu Titeln wie Gödel, Götzen und Computer oder Gödel, Zappa, Rock ’n’ Roll an.
Über den Autor
Douglas R. Hofstadter wird am 15. Februar 1945 in New York in eine polnischstämmige jüdische Akademikerfamilie geboren. Sein Vater Robert ist Professor an der Stanford University und erhält 1961 für seine Arbeiten zur Elektronenstreuung an Atomkernen den Nobelpreis für Physik. In seiner Jugend verbringt Douglas Hofstadter ein Jahr in Genf und später einige Zeit in Schweden, wo er jeweils die Landessprache lernt und Erfahrungen sammelt, die sein Interesse an Sprache und Übersetzungen fördern. Nach dem College studiert er zunächst Mathematik in Stanford und in Berkeley, gibt dies aber Ende 1967 frustriert auf und wechselt zur Physik an der University of Oregon. Nach einem Semester am City College in New York kehrt er wieder nach Oregon zurück. Dreimal wechselt er den Doktorvater, seinen letzten, Gregory Wannier, begleitet er 1974 für ein Semester nach Regensburg, wo er eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent innehat und für seine Dissertation in Festkörperphysik forscht. Ende 1975 wird er promoviert. Die folgenden zwei Jahre lebt er im Haus seiner Eltern in Stanford, bildet sich in künstlicher Intelligenz, Computerprogrammierung und ähnlichen Themen weiter und schreibt den größten Teil von Gödel, Escher, Bach. 1977 erhält er eine Stelle als Assistenzprofessor an der University of Indiana in Bloomington. 1979 erscheint Gödel, Escher, Bach. Nach dem Erfolg des Buches wird Hofstadter gebeten, beim Wissenschaftsmagazin Scientific American den Bereich der mathematischen Unterhaltung zu übernehmen, wo er seine Begabung zur intellektuellen Spielerei auf höchstem Niveau ausleben kann. Aus diesen Beiträgen entsteht 1985 ein Buch mit dem Titel Metamagical Themas (ein Anagramm zu "Mathematical Games", auf Deutsch unter dem Titel Metamagicum erschienen). 1980 wird Hofstadter Professor in Bloomington, wo er bis heute forscht und lehrt. Er führt einen Titel, der es in seiner Komplexität mit seiner populärwissenschaftlichen Prosa aufnehmen kann: Hofstadter ist "ordentlicher Professor für Kognitions- und Computerwissenschaften" sowie "beigeordneter Professor für Geschichte und Philosophie der Wissenschaften, Philosophie, Komparatistik und Psychologie". Er arbeitet in verschiedenen Forschungsgruppen zu Fragen der Wahrnehmung, der Kreativität und der künstlichen Intelligenz.
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