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Handbuch der politischen Ökonomie

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Handbuch der politischen Ökonomie

Manuale di Economia Politica. Con una Introduzione alla Scienza Sociale

Wirtschaft und Finanzen,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Ein fast vergessener Klassiker der Nationalökonomie: Paretos Werk ist voller zündender Ideen, aber auch ideologischer Brandsätze.


Literatur­klassiker

  • Ökonomie
  • Moderne

Worum es geht

Pareto: Brillanz und Fragwürdigkeit

Viele haben seinen Namen schon einmal irgendwo gehört: Das „Pareto-Optimum“ und die „Pareto-Verteilung“ dürfen schließlich in keinem Grundkurs der Volkswirtschaftslehre fehlen. Doch das umfangreiche Werk des kontrovers diskutierten Ökonomen und Soziologen ist nur wenigen bekannt. Dabei war Vilfredo Pareto einer der Ersten, die den Versuch unternahmen, wirtschaftswissenschaftliche Theorien in den Kontext der Gesellschaft einzubetten. Im Manuale di Economia Politica steht die Theorie des wirtschaftlichen Gleichgewichts im Mittelpunkt. Der Autor zeigt sich als begeisterter Anhänger der mathematisch-naturwissenschaftlichen Methode – doch ergänzt er diese um eine gänzlich unwissenschaftliche, beißende Gesellschaftskritik, in der er sämtliche Ideale und Ideologien seiner Epoche in Grund und Boden stampft. Paretos sozialdarwinistische und antidemokratische Ansichten ließen ihn zu einem gefeierten Theoretiker der Faschisten werden. Dennoch ist die Lektüre aufschlussreich: Das Manuale zeigt unmissverständlich, wie nah geniale wissenschaftliche Theorien und gefährliche praktische Schlussfolgerungen beieinanderliegen können.

Take-aways

  • Mit dem Manuale di Economia Politica etablierte sich Vilfredo Pareto als einer der wichtigsten Vertreter der neoklassischen Ökonomie.
  • Den Kern des Buches bildet die volkswirtschaftliche Gleichgewichtstheorie.
  • Das Pareto'sche Gleichgewichtstheorem liefert u. a. den mathematischen Beweis dafür, dass Monopole und protektionistische Maßnahmen aller Art dem Verbraucher schaden.
  • Pareto verwirft das Konzept eines a priori gegebenen Nutzens von Gütern und setzt dem sein Konzept der "Ophelimität" (subjektive Nutzenvorstellung) entgegen.
  • Im Zustand des "Pareto-Optimums" ist es nicht mehr möglich, dass es jemandem besser geht, ohne dass gleichzeitig jemand anders schlechter gestellt wird.
  • Die Armut der unteren Schichten lässt sich nicht durch Umverteilung beheben. Dies gelänge nur, wenn das Bruttosozialprodukt schneller wachsen würde als die Bevölkerung.
  • Die Wohlfahrtspolitik verhindert ein gesundes Bevölkerungsgleichgewicht, weil sie der natürlichen Auslese entgegenwirkt.
  • Obwohl Pareto eine streng mathematische, wertfreie Methode der "reinen" Ökonomie befürwortet, weicht er selbst in seinem Werk oft davon ab.
  • Wesentlicher Teil seiner Gesellschaftstheorie ist das sozialdarwinistische Konzept eines "Kreislaufs der Eliten".
  • Demnach streben permanent neue Eliten an die Spitze. Die alten, durch zu viel Bequemlichkeit degenerierten Aristokratien werden ausgelöscht.
  • Die Faschisten verehrten Pareto als einen ihrer größten Theoretiker, obwohl er selbst ein erklärter Feind aller Ideologien war.
  • Im Managementjargon taucht gelegentlich das "Pareto-Prinzip" auf. Es besagt, dass 80 % des Ergebnisses durch 20 % des Aufwands erreicht werden.

Zusammenfassung

Das Ideal der Wissenschaft

Die Volkswirtschaftslehre ist im Grunde nur an zwei Dingen interessiert: an der Beschreibung von Tatsachen und an der Herleitung von Gesetzen. Sie hat keinen konkreten Nutzen für die Menschheit und soll die Welt auch nicht mit einer neuen Religion der Nationalökonomie beglücken und verbessern. Sie soll nichts sein als reine Ökonomie und die logisch-erfahrungsgemäße Betrachtung von Gegebenheiten. Wenn z. B. regelmäßig beobachtet wird, dass das Pflügen der Erde (A) eine erfolgreiche Weizenernte (B) begünstigt, dann lässt sich daraus ein Gesetz ableiten. Die Haarfarbe des Bauern (C) spielt dagegen keine Rolle. A beeinflusst B, jedoch nicht C. Streng genommen kann es bei soziologischen und ökonomischen Gesetzen keine Ausnahmen geben, denn eine „uneinheitliche Einheit“ ergibt keinen Sinn. Jedoch träfe diese Annahme nur auf eine perfekte Welt zu. Tatsächlich kann die Wissenschaft immer nur Einzelphänomene beobachten, die sich überschneiden, beeinflussen, gegenseitig aufheben und durch neu auftretende Phänomene verändern. Theorien vermögen daher der Wirklichkeit nur Schritt für Schritt näherzukommen, sie jedoch nie ganz zu erreichen. Die Naturwissenschaften können dabei auf Experimente zurückgreifen, während die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sich i. d. R. auf die Analyse vergangener Phänomene beschränken müssen.

Der Mensch als Gegenstand der Ökonomie

Wirtschaftliche Tatsachen sind rational erfassbar. Der Wissenschaftler kann auf ihrer Grundlage Hypothesen erstellen, diese mithilfe der Mathematik belegen und Theorien ableiten. Letztere gelten jedoch nur für den „homo oeconomicus“. Tatsächlich ist der Mensch aber auch und vor allem ein Gefühlswesen, das aus moralischen, religiösen, eigennützigen oder auch altruistischen Motiven heraus handelt. Der Irrtum vieler besteht darin, ihren persönlichen Glauben an den lieben Gott oder das Ideal von Freiheit, Gleichheit oder Gerechtigkeit etc. zur universellen Wahrheit erklären zu wollen. Ein Beispiel ist der immer wieder bemühte Begriff der Solidarität. In ihrem Namen werden Streikbrecher verprügelt und bürgerliche Unternehmer ihres Eigentums beraubt. Tatsächlich wird die Solidarität immer dann bemüht, wenn eine bestimmte Gruppe, in diesem Fall die Arbeiterklasse, sich Vorteile zu verschaffen sucht, niemals aber, um selbst etwas abzugeben. Es ist nur äußerst selten möglich, Phänomene dieser Art zu objektivieren und sie wissenschaftlich zu behandeln. Umso wichtiger ist es in der reinen Volkswirtschaftslehre, den Gegenstand der Forschung so weit wie möglich auf seine Essenz zu reduzieren. Es geht darum, zu untersuchen, wie Menschen wiederholt nach bestimmten Kriterien handeln, um sich die Güter zu beschaffen, die ihre Bedürfnisse stillen.

Das allgemeine ökonomische Gleichgewicht

Der Begriff vom volkswirtschaftlichen Gleichgewicht lässt sich mit dem Bild einer Marktwaage erklären: Sie hält so lange die Balance, bis die Bedingungen, d. h. die Gewichte auf einer der beiden Waagschalen, sich verändern. Wirtschaftliches Handeln besteht letztendlich aus dem Zusammenspiel zwischen Wünschen und Geschmäckern der Menschen auf der einen und Hindernissen auf der anderen Seite. Ein Marktgleichgewicht tritt dann ein, wenn durch Wünsche verursachte Bewegungen durch Hindernisse auf der Gegenseite ausgebremst werden. Dabei gibt es im Wesentlichen drei Arten von Marktteilnehmern:

  1. Typ I befriedigt einzig seine Bedürfnisse und verändert durch sein Handeln den Marktzustand automatisch und unbewusst. Wenn alle Marktteilnehmer so sind, herrscht vollkommener Wettbewerb.
  2. Typ II zieht aus der Veränderung des Marktes ganz bewusst seinen Nutzen und strebt danach, sich ein Monopol zu schaffen.
  3. Typ III besitzt effektiv ein Monopol, allerdings mit dem Ziel des größtmöglichen Wohlstands für alle. Dies trifft auf den theoretischen Fall einer kollektivistischen Wirtschaftsordnung zu.
„Ich habe nicht vor, irgendjemanden mit diesem Werk zu überzeugen. Ich untersuche einzig die Gleichförmigkeiten von Phänomenen.“ (S. 3)

Eine wichtige Größe in der Gleichgewichtstheorie sind die Indifferenzkurven. Im Fall eines Handels zwischen den Personen A und B drücken sie aus, wie viel jeder bereit ist von einem Gut zu geben, um ein anderes zu erhalten. Im Gleichgewichtszustand treffen sie sich an dem Punkt, wo beide maximalen Nutzen erfahren, ohne dass einer von ihnen schlechter dasteht als vor dem Geschäft.

Geschmäcker und Hindernisse

Der Wert oder Nutzen eines Gutes für den Verbraucher ist von vielen verschiedenen Bedingungen abhängig. Die bisherigen Nutzenkonzepte sind eindimensional und daher wissenschaftlich unzulänglich. Ein neues Konzept ist das der "Ophelimität". Die Ophelimität bezeichnet die subjektive Vorstellung eines Nutzens, gleichgültig ob dieser tatsächlich objektiv vorhanden ist. Sie äußert sich unterschiedlich, je nachdem ob es sich um lebensnotwendige oder um Luxusprodukte handelt. Zum Beispiel ist es ein großer Unterschied, ob eine Frau ein Paar oder 100 Paar Schuhe besitzt. Die totale Ophelimität sagt aus, wie viel Vergnügen die Frau bei dem Besitz einer bestimmten Anzahl von Schuhen verspürt; die elementare Ophelimität hingegen gibt an, wie viel zusätzliche Freude ihr ein weiteres Paar Schuhe bereitet.

„Wenn die Mechanik Körper auf einfache physikalische Punkte reduziert und wenn die reine Volkswirtschaftslehre echte Menschen auf den homo oeconomicus reduziert, benutzen beide ganz ähnliche Abstraktionen, die einer ähnlichen Notwendigkeit entspringen.“ (S. 14)

Auf dem Weg der Bedürfnisbefriedigung stoßen die Menschen auf eine Kette von Hindernissen, die sie überwinden müssen. Diese Kette endet meist beim Einzelhändler und beginnt bei der Produktion, d. h. der Transformation von Rohstoffen in andere Güter. Einem groben Modell zufolge ähnelt ein Unternehmen einem Wassertank, der von mehreren kleinen Wasserleitungen (Produktionsfaktoren) gespeist wird. Der auslaufende Strom stellt das Produkt und der Tank das Kapital dar. Hierbei wird nicht, wie fälschlicherweise oft behauptet wird, das Kapital in Produkte verwandelt, sondern lediglich der Dienst, den es leistet. Der Wert dieser Leistung kommt in den Bruttozinsen zum Ausdruck. Die Transformation muss nicht direkt, sondern kann auch in räumlichem oder zeitlichem Abstand stattfinden. Im ersten Fall geschieht dies durch den Transport eines Gutes an einen anderen Ort, wo höhere Preise erzielt werden, und im zweiten z. B. durch seine Lagerung über einen längeren Zeitraum.

Das Gleichgewicht und seine Störungen

Die maximale Ophelimität für alle Beteiligten tritt dann ein, wenn die Transformation möglichst komplett ist. Hundertprozentige Transformation bedeutet, dass der Gewinn gleich null ist. Der vollkommene Wettbewerb (Typ I) kommt dieser Situation am nächsten. Doch auch in einer kollektivistisch organisierten Wirtschaft (Typ III) könnte die komplette Transformation theoretisch stattfinden. In der Praxis ist das jedoch nicht der Fall, weil dies unter dem Vorwand von ethischen und humanitären Maßnahmen verhindert wird. Der Irrglaube, man könne ökonomische Phänomene nach moralischen Kriterien beurteilen, führt oft zu Fehlschlüssen. Ein Beispiel ist die populäre Annahme, der Profit der Hersteller habe automatisch einen Verlust für die Verbraucher zur Folge. Tatsächlich leiden Letztere weitaus stärker durch Versuche, das Marktgeschehen künstlich zu steuern. So verhindern z. B. Syndikate oder Kartelle, dass die Preise unter ein festgesetztes Niveau sinken.

„Heute ist eine humanitär-demokratische Religion entstanden, und nur diese ist wahr und gut; die anderen, einschließlich der christlichen, sind falsch und schädlich.“ (S. 50)

Zwischen allen, die direkt an der Produktion teilhaben, stellt sich über kurz oder lang ein Gleichgewicht ein. Wenn die Preise für Produktionsfaktoren steigen (z. B. Löhne), ziehen mit einem gewissen Zeitverzug auch die Preise der Güter proportional an. In dem Zeitraum, in dem die Waage sich nach einer Lohnerhöhung wieder auf ihr Gleichgewicht zubewegt, profitieren vor allem die Arbeiter. Die großen Verlierer sind alle, die von einem festen Einkommen leben müssen, da ihre Einnahmen – relativ betrachtet – sinken.

Der Kreislauf der Eliten

Zivilisierte menschliche Gesellschaften waren schon immer hierarchisch organisiert und werden es auch immer sein. Daran können auch die Träume aller so genannten „Menschenfreunde“ nichts ändern. Menschen sind von Natur aus unterschiedlich stark, schön, intelligent und begabt, und diese Ungleichheit spiegelt sich auch in der Verteilung der Reichtümer wider. Die Kurve der Einkommensverteilung ist über Jahrhunderte sehr stabil geblieben. Verändert hat sich jedoch die Zusammensetzung der drei Gesellschaftsschichten:

  1. Die unterste Schicht lebt in solcher Armut, dass als einziges Element der natürlichen Auslese nur die hohe Kindersterblichkeit zum Tragen kommt.
  2. In der mittleren, zahlenmäßig wichtigsten Schicht kommt die natürliche Auslese voll zur Wirkung: Die Starken und Talentierten streben unablässig nach oben.
  3. An der Spitze treffen sie auf eine Aristokratie, die zwangsläufig im Laufe der Zeit verweichlicht und degeneriert, weil hier aufgrund des materiellen Überflusses auch die Kranken, Dummen und Unangepassten überleben.
„Tatsächlich waren fast alle Revolutionen nicht etwa das Werk des einfachen Volkes, sondern vielmehr Sache des Adels, vor allem des verarmten Adels.“ (S. 129 f.)

Zahlreiche Beispiele aus der Geschichte belegen, dass zwischen der zweiten und dritten Gruppe ein permanenter Austausch stattfindet. Dieser geschieht entweder durch langsames Durchsickern oder aber plötzlich, d. h. durch Revolution. Doch auch die Bedeutung der untersten Schicht ist nicht zu unterschätzen, denn sie dient als Auffangbecken für minderwertige Elemente, die ansonsten die mittlere Gruppe beeinträchtigen und so den natürlichen Kreislauf der Eliten verhindern würden. Vor diesem Hintergrund stellen z. B. Lohnsteigerungen eine Gefahr dar, da sie die Kräfte der natürlichen Auslese bremsen. Die Anwendung des Gleichgewichtstheorems auf die Einkommensverteilung belegt: Es ist nur dann möglich, das Mindesteinkommen zu heben und die Einkommensunterschiede zu verringern, wenn das Gesamteinkommen schneller wächst als die Bevölkerung.

„In Wirklichkeit ist es aber so, dass die Fleißigsten und Umsichtigsten zeitweilig einen Gewinn machen, bis sie den Gleichgewichtspunkt erreicht haben, während die Langsamsten und Unvorsichtigsten verlieren und sich ruinieren.“ (S. 315)

Doch weder die Bevölkerung noch der allgemeine Wohlstand können unendlich wachsen. Zunehmender Reichtum lässt die Geburtenrate zunächst ansteigen, ab einer bestimmten Schwelle aber wieder fallen. Mit wachsendem Wohlstand entstehen demokratische Regierungsformen, die mit ihm aber auch wieder verschwinden, und in der Gesellschaft bilden sich verstärkt schädliche Vorstellungen, wie z. B. die des Feminismus oder der Gleichheit aller Menschen. In früheren Zeiten haben die Eliten zumindest versucht, dem Druck von unten zu widerstehen. Heute dagegen scheinen sie sehenden Auges ins Verderben zu laufen.

Ökonomische und soziale Wirklichkeit

Wenn Menschen in ihrem ureigensten Interesse handeln, versuchen sie diesem oft einen anderen Anstrich zu geben. Die Gewerkschaftler etwa, allesamt Gegner des so genannten unfairen Wettbewerbs und Befürworter von protektionistischen Zöllen, behaupten, aus humanitären, nationalen oder sonstigen Idealen heraus zu handeln. Dabei profitieren in Wahrheit immer nur kleine Gruppen von diesen Maßnahmen, während die Mehrheit der Verbraucher verliert. Mehr noch: Der Gewinn der Minderheit ist insgesamt geringer als der Verlust der Mehrheit, sodass Wohlstand in großem Stil vernichtet wird. Nur der steigende technische Fortschritt hat diese Entwicklung ausgleichen können, indem er stets neue Reichtümer entstehen ließ.

„Wir können sagen, dass die Mitglieder einer Gesellschaft in einer gewissen Lage das Maximum an Ophelimität genießen, wenn es unmöglich ist, sich von dieser Lage geringfügig zu entfernen, ohne allen Mitgliedern dieser Gesellschaft zu nutzen oder zu schaden.“ (S. 337)

In früheren Zeiten war die herrschende Klasse kaum an steigenden Preisen interessiert, da sie von festem Einkommen lebte. In der parlamentarischen Demokratie wurde sie durch Arbeiter und Unternehmer ersetzt. Die Folge: Preise und Löhne stiegen so schnell wie nie zuvor. Wenn die Wirtschaft nach Jahren des Aufschwungs in eine Rezession zu gleiten droht, versuchen Politiker, den natürlichen Zyklus durch wirtschafts- und währungspolitische Eingriffe aufzuhalten. Damit verschlimmern sie jedoch nur die Krise, weil der Fall am Ende umso dramatischer ausfällt. Objektiv betrachtet kann man sagen, dass wirtschaftliche Phänomene stets nach den Interessen der herrschenden Klasse reguliert werden. Subjektiv interpretiert bedeutet dies, dass heute im Namen von "Moral" und "Fortschritt" die alte Gesellschaft angegriffen wird. Doch Zeiten rapider gesellschaftlicher Veränderungen werden immer wieder durch Phasen der Erstarrung abgelöst, in der die neuen Eliten ihre Macht zu festigen versuchen. Dies ändert nichts an der bestehenden Wirtschaftsform, wohl aber an der Gewichtung der Kräfte: Immer neue Monopole, Privilegien und Beschränkungen entstehen auf Kosten des freien Wettbewerbs. Je mehr Gruppen im Namen des öffentlichen Interesses auf die Wirtschaft Einfluss zu nehmen versuchen, desto mehr verliert diese an Dynamik.

Zum Text

Aufbau und Stil

Pareto betont zu Anfang seine Absicht, sich in erster Linie mit der „reinen“ Volkswirtschaftslehre beschäftigen zu wollen. Wie sehr er diese Selbstverpflichtung verletzt, wird schon im Aufbau seines Werks deutlich: Nur vier der neun Kapitel bilden den ökonomischen Kern des Buchs, also die theoretische Weiterentwicklung und Ergänzung der allgemeinen Gleichgewichtstheorie. In den übrigen fünf Kapiteln legt er ausgiebig seine aus heutiger Sicht äußerst fragwürdigen Ansichten über Politik und Gesellschaft, über dekadente Bürgerliche, primitive Arbeiter und verdorbene Frauenzimmer dar. In den Fußnoten nutzt er jede Gelegenheit, um Fachkollegen wissenschaftliche Ungenauigkeit, Träumerei oder schlicht Beschränktheit vorzuwerfen. Auch im Haupttext argumentiert Pareto oft polemisch, schweift vom Thema ab und wiederholt gebetsmühlenartig die Tiraden gegen sein persönliches Feindbild, den „Menschenfreund“. Hiervon hebt sich seine didaktische Begabung jedoch wohltuend ab: Komplizierte Sachverhalte erklärt er mithilfe von anschaulichen Beispielen und mathematische Zusammenhänge stellt er im Fließtext durch Funktionsskizzen dar. Wer sich für Formeln und ihre Herleitung interessiert, kann diese im Anhang des Buches nachlesen.

Interpretationsansätze

  • Pareto verwarf die Vorstellung, dass der Nutzen eines Produkts für den Verbraucher messbar sei, und ersetzte sie durch die Theorie der Ophelimität: Dabei geht es um nachvollziehbare Wahlakte, die auf subjektiven Nutzenvorstellungen beruhen.
  • Pareto baute die Grenzproduktivitätstheorie in die Gleichgewichtstheorie ein, indem er die Lehre einer festen Produktionsfunktion (entwickelt von Léon Walras) als unrealistisch verwarf und durch die These ersetzte, der Preis eines jeden Produktionsfaktors sei gleich seiner Grenzproduktivität.
  • Anders als viele frühere Ökonomen, etwa Adam Smith oder Léon Walras, glaubte Pareto nicht, dass Märkte automatisch auf ein Gleichgewicht zustreben. Im Gegenteil, sie können sich auch davon fortbewegen (instabiles Gleichgewicht).
  • Die „reine“ Theorie erklärt laut Pareto nur den Zustand des freien Wettbewerbs. Sobald jedoch Monopole und Kartelle auftreten, muss die Wissenschaft konkrete ökonomische Phänomene beobachten.
  • Diese Erkenntnis gründet nicht zuletzt auf Paretos Analyse menschlicher Gefühle: Wider besseres Wissen trifft der Mensch immer wieder grobe wirtschaftliche Fehlentscheidungen, welche die „reine“ Theorie nicht zu erklären vermag.
  • Die von Pareto geforderte Trennung von Meinung und Wissenschaft gelingt ihm selbst nicht ganz. Er gibt auch dann vor, objektiv gesellschaftliche Tatsachen zu analysieren, wenn es sich um seine eigenen, von persönlichen Erfahrungen geformten Ansichten handelt.
  • In zahlreichen Ausflügen in die Soziologie zeigt er eine sozialdarwinistische, elitäre und antidemokratische Gesinnung, die ihn später zu einem wichtigen Theoretiker der Faschisten werden ließ.

Historischer Hintergrund

Fin de Siècle in Italien - zwischen Anarchie und Faschismus

Als Paretos Manuale 1906 erschien, hatte der Autor viele seiner früheren liberalen Ideale und den Glauben an einen beständigen Fortschritt der Menschheit begraben. Sein Heimatland Italien wurde seit der nationalen Einigung 1861 von politischen und wirtschaftlichen Krisen erschüttert, anarchistische Attentate im Norden sowie die Mafia und Camorra im Süden untergruben die Staatsautorität. In Frankreich, wo Pareto seine ersten Lebensjahre verbracht hatte, gewannen radikale Arbeiterorganisationen in den 1890er Jahren an Einfluss. Die ersten Jahre des 20. Jahrhunderts waren von Machtkämpfen zwischen links und rechts geprägt. In der zunehmenden Gewaltbereitschaft der Arbeiterklasse in ganz Europa, verbunden mit der schwindenden Autorität der Regierenden, sah Pareto sichere Anzeichen eines zivilisatorischen Niedergangs. Steigender Protektionismus, Nationalismus und der Einfluss des Wohlfahrtsgedankens in der Wirtschaftspolitik überzeugten ihn davon, dass die herrschenden Regierungen unfähig zu wirtschaftlich vernünftigem Handeln waren.

Entstehung

Paretos ökonomisches Hauptwerk ist eine Weiterentwicklung des zweibändigen Cours d’économie politique (1896/97), den er während seiner Tätigkeit als Professor an der Universität Lausanne verfasst hat. Allerdings distanziert er sich im Vorwort des Manuale deutlich von einigen früheren Standpunkten, z. B. dem unbedingten Glauben an die Freiheit. Trotz dieser Einschränkung bleibt er auch im Manuale seinem großen Vorbild Adam Smith treu, indem er immer wieder auf dessen Pionierarbeit für die Volkswirtschaftslehre zu sprechen kommt.

Eine Vorbildfunktion hatte außerdem sein Freund und Förderer, der damals führende italienische Nationalökonom Maffeo Pantaleoni. Pantaleoni war es auch, der ihn mit dem Schweizer Wirtschaftstheoretiker Léon Walras bekannt machte, dessen Lehrstuhl an der Universität von Lausanne Pareto im Jahr 1893 übernahm. Pareto war ein begeisterter Anhänger der von Walras entwickelten mathematischen Methode, entfremdete sich jedoch sowohl persönlich als auch in Sachfragen von seinem Vorgänger. Er reagierte zeitlebens äußerst gereizt auf Versuche, ihn unter dem Begriff der „Lausanner Schule“ mit Walras in einen Topf zu werfen.

Wirkungsgeschichte

Zu Lebzeiten blieb Vilfredo Pareto die Anerkennung versagt, die ihm nach seinem Tod von verschiedenen Autoren zuteil wurde. Das mag u. a. an seinem ungewöhnlich bissigen Stil gelegen haben. Sein Biograf Georges H. Bousquet meinte dazu: „Paretos Ironie ist gelegentlich übertrieben, was seinem wissenschaftlichen Werk abträglich war, denn nur allzu oft schlägt er, wenn er polemisiert, einen Ton an, der in wissenschaftlichen Schriften im Allgemeinen nicht anzutreffen ist.“ Von dem Manuale di Economia Politica gibt es bis heute keine deutsche Übersetzung, und die englische wurde erst 1971 veröffentlicht.

Die Tatsache, dass Benito Mussolini sich als Paretos Schüler bezeichnete, mag einer breiten Akzeptanz nicht gerade förderlich gewesen sein. Eine italienische Zeitschrift nannte ihn gar den „Karl Marx des Faschismus“. Zu seiner Verteidigung sei allerdings erwähnt, dass Pareto vom Faschismus selbst nicht allzu viel hielt. Zwar begrüßte er nach Mussolinis Machtübernahme 1922 dessen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ordnung. Nachdem Mussolini die Regierung in Rom gestürzt hatte, soll Pareto auf seinem Sterbebett triumphierend gemurmelt haben: „Ich habe es doch gesagt.“ Doch als die Faschisten die Meinungsfreiheit an Universitäten verbieten wollten, schrieb er kurz vor seinem Tod 1923 noch einen Protestaufruf. Die Paradoxie seines Wirkens liegt vielleicht gerade darin, dass er als erklärter Feind von ideologischen Verblendungen maßgeblich zur Entstehung einer grausamen und zerstörerischen Ideologie beigetragen hat.

Paretos Leistungen in der Volkswirtschaftslehre sind unbestritten. Der Neoklassiker gilt als einer der Begründer moderner Theorien der Preise und Ressourcenallokation sowie als Vorläufer der modernen Ökonometrie. Sein Ansatz zur Gleichgewichtstheorie wurde in den 30er Jahren wiederbelebt und hat seither nicht an Einfluss verloren.

Über den Autor

Vilfredo Pareto wird am 15. Juli 1848 in Paris geboren. Sein Vater, der aus einer angesehenen Familie aus Genua stammt, ist als Liberaler und Republikaner ins Exil nach Frankreich geflohen. Seine Mutter ist Französin. 1854 kehrt die Familie aufgrund einer Amnestie nach Italien zurück. Bereits mit 22 Jahren promoviert der mathematisch begabte Pareto an der Turiner Universität als Ingenieur und arbeitet anschließend rund 20 Jahre lang in diesem Beruf, zunächst bei den Römischen Eisenbahnen und dann als Generaldirektor eines Montanunternehmens. Während dieser Zeit beschäftigt er sich bereits intensiv mit ökonomischen und soziologischen Themen und hält an der Wirtschaftsakademie in Florenz wirtschaftspolitische Vorträge. Zahlreiche Geschäftsreisen führen ihn durch ganz Europa, wo er viele Eindrücke der verschiedenen Kulturen und Gesellschaftsformen sammelt, die sich später in seinen Werken niederschlagen werden. 1880 und 1882 kandidiert der überzeugte Demokrat und Liberale in zwei toskanischen Wahlkreisen erfolglos für das Parlament. Entmutigt von den festgefahrenen politischen und wirtschaftlichen Strukturen in Italien scheidet Pareto 1890 aus seinem Beruf aus. Um die Jahrhundertwende, enttäuscht von den politischen Entwicklungen in Italien und Frankreich, wandelt sich der einstige radikale Demokrat zum entschiedenen Gegner der Demokratie.Auf Empfehlung seines Freundes Maffeo Pantaleoni wird der Autodidakt 1893 als Nachfolger von Léon Walras auf den Lehrstuhl für Nationalökonomie an der Universität Lausanne berufen. Bereits mit seinem ersten Werk, dem Cours d’économie politique (1896/97), erreicht er internationale Bekanntheit. Nach einer stattlichen Erbschaft von seinem Onkel entschließt er sich 1898, die Lehrtätigkeit aufzugeben und sich nur noch der Wissenschaft zu widmen. Er kauft in Céligny (Schweiz) eine Villa. 1902 legt er mit Les systèmes socialistes eine tief greifende Kritik des Sozialismus vor, 1906 erscheint das Manuale di Economia Politica und 1916 sein soziologisches Hauptwerk, das vierbändige Trattato di Sociologia Generale. Kurz vor seinem Tod am 19. August 1923 ernennt Mussolini ihn zum „Senator des Königreichs Italien“.

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