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Handbüchlein der Moral und Unterredungen

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Handbüchlein der Moral und Unterredungen

Kröner,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
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Was ist drin?

Die berühmte Lebenslehre des früheren Sklaven und stoischen Philosophen Epiktet.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Römische Antike

Worum es geht

Ein Hauptwerk der stoischen Philosophie

Wie können wir glücklich leben und sogar zufrieden sterben? Der stoische Philosoph Epiktet beantwortete diese uralte Menschheitsfrage in einer Weise, die in ihrer Schlüssigkeit und Überzeugungskraft bis heute nachwirkt. Gemäß der stoischen Tradition sah er die Grundlage eines geglückten Lebens darin, vor allem an sich selbst zu arbeiten. Die persönliche Entwicklung ist der Lebensbereich, den zu bestimmen in unserer eigenen Macht steht. Wenn wir unsere Erfolgserlebnisse, unabhängig von äußeren Werturteilen, nur aus unserem eigenen Fortschritt schöpfen, dann kann uns niemand von einem erfolgreichen Leben abhalten, ganz egal was für eine Stellung wir im Alltag haben. Unsinnig ist dagegen die Fixierung auf äußere Umstände: Geliebte Menschen können sterben, unser Besitz kann uns genommen werden, gesellschaftliche Ehrenämter können uns verwehrt bleiben. Wir sollten das Beste aus den Umständen machen, die wir im Leben vorfinden. Gerade dieser Schicksalsglaube ist aber auch der Punkt, an dem sich der moderne Leser vielleicht reiben wird. Wir sind es nicht gewohnt, unsere Lebensumstände lediglich mit stoischer Würde zu ertragen, sondern wollen meist das Leben aktiv gestalten. Trotzdem: Für alle, die zu sehr auf Äußerlichkeiten achten, kann Epiktets Lehre heilsam sein.

Take-aways

  • Das Handbüchlein der Moral gibt den Kern der Ethik des stoischen Philosophen Epiktet wieder.
  • Epiktet war ein Sklave im alten Rom, der wegen seines vornehmen Geistes freigelassen wurde.
  • Der erste Schritt zu einem glücklichen Leben ist nach Epiktet die Unterscheidung davon, was in unserer Macht steht und was nicht.
  • Wir haben die Macht über unser eigenes Denken und Handeln, unser Begehren und unsere Abneigungen und die daraus erwachsenden Vorstellungen.
  • Hingegen müssen wir die natürliche, gottgegebene Realität akzeptieren, so z. B. die Tatsache, dass geliebte Menschen sterblich sind.
  • Die Rolle, die uns im Leben zugeteilt wurde, sollen wir nicht hinterfragen, sondern uns darauf konzentrieren, sie so gut wie möglich zu erfüllen.
  • Wir dürfen unseren Wert nicht von den Kriterien anderer abhängig machen, sondern müssen fest zu unseren eigenen Prinzipien und Überzeugungen stehen.
  • Man muss die richtige Vorstellung von den Göttern haben, ihre Existenz anerkennen und ihren Willen für das eigene Leben akzeptieren.
  • Versuchungen und Herausforderungen sollten wir mit Selbstbeherrschung, Ausdauer und Gleichmut begegnen.
  • Das Wichtigste bei der Philosophie ist die Praxis: Es genügt z. B. nicht, den Beweis zu führen, dass man nicht lügen soll, wenn man es dann trotzdem tut.
  • Wenn man etwas verliert – sei es Geld, ein Grundstück, ein Freund oder ein Kind –, so hat man es bloß zurückgegeben. Nichts gehört einem wirklich.
  • Das Handbüchlein der Moral wurde von Epiktets Schüler Arrianus zusammengestellt; der Philosoph selbst hat keine Schriften hinterlassen.

Zusammenfassung

Die wichtigste Unterscheidung

Ein wesentlicher Ausgangspunkt für ein erfolgreiches, glückliches Leben ist die Unterscheidung zwischen dem, was in unserer Macht steht, und dem, worauf wir keinen Einfluss nehmen können. Wir haben die Macht über unser eigenes Denken und Handeln, über unser Begehren und unsere Abneigungen, denn dies sind die Dinge, die von uns selbst kommen. Keine völlige Kontrolle haben wir dagegen über unseren Körper, unseren Besitz oder unsere gesellschaftliche Stellung. In dem, was in unserer Macht steht, sind wir von Natur aus frei: Hier kann uns keiner behindern oder uns Vorschriften aufzwingen. In den Bereichen, die wir nicht zu kontrollieren vermögen, unterliegen wir äußeren Einflüssen: Dort können uns die Dinge vorgeschrieben oder verwehrt werden.

„Von den Dingen stehen die einen in unserer Gewalt, die anderen nicht. In unserer Gewalt steht unser Denken, unser Tun, unser Begehren, unsere Abneigung, kurz: alles, was von uns selber kommt. Nicht in unserer Gewalt steht unser Leib, unsere Habe, unser Ansehen, unsere äußere Stellung – mit einem Wort, alles, was nicht von uns selber kommt.“ (S. 21)

Wird diese Unterscheidung nicht klar vorgenommen, entstehen Probleme und Unzufriedenheit. Zudem müssen wir die natürlichen Gesetzmäßigkeiten des Lebens beachten: Wer z. B. hohe Ziele anstrebt, muss auch bereit sein, entsprechende Opfer zu bringen. Wenn wir unzufrieden sind, dann sollten wir herausfinden, ob die Ursache bei den Dingen liegt, die in unserer Macht stehen, oder in dem Bereich, der sich unserem direkten Einfluss entzieht. Ist Letzteres der Fall, dann sollten wir für uns selbst beschließen: Das bekümmert mich nicht, denn es liegt nicht bei mir, etwas daran zu ändern. Diese Erkenntnis sollte vor allem darüber bestimmen, was wir begehren und was wir ablehnen. Menschen sind unglücklich, wenn sie nicht bekommen, was sie erstreben, oder wenn sie erleiden, was sie vermeiden wollten. Wenn wir aber nur das vermeiden wollen, was naturgemäß in unserer Macht steht, dann werden wir nicht leiden. Wollen wir aber Dinge umgehen, deren Vermeidung nicht in unserer Macht steht, wie Krankheit oder Tod, dann werden wir zwangsläufig unglücklich.

Die Realität akzeptieren

Wenn wir einen geliebten Menschen küssen, dann sollte uns bewusst sein, dass wir jemanden küssen, der sterblich ist. Nur so kann uns sein möglicher Tod nicht völlig aus der Fassung bringen. Wenn wir entscheiden, in ein öffentliches Bad zu gehen, dann müssen wir damit rechnen, versehentlich bespritzt oder gar bestohlen zu werden, und wir dürfen die Fassung nicht verlieren, wenn dies tatsächlich geschieht. Vor allem aber dürfen wir unsere Vorstellungen von den Dingen nicht mit den Dingen selbst verwechseln. So ist der Tod nichts Furchtbares, sonst hätte sich ja auch Sokrates vor ihm gefürchtet. Das Furchtbare ist vielmehr unsere Angst vor dem Tod. Überhaupt sollten wir die Ursache von Unzufriedenheit oder Angst vor allem in unseren eigenen Vorstellungen suchen. Auch sollten wir nur auf unsere eigenen Errungenschaften stolz sein, etwa darauf, dass unsere Vorstellungen vernunftgemäß sind, und nicht auf äußere Dinge, wie etwa den Besitz eines schönen Pferdes. Schicksalhafte Ereignisse sollten wir willig annehmen. Selbst eine Krankheit kann nur unseren Körper lähmen, nicht aber unseren Willen. Versuchungen und Herausforderungen sollten wir mit Selbstbeherrschung, Ausdauer und Gleichmut begegnen. Wenn ein geliebter Mensch stirbt oder wir etwa ein Grundstück verlieren, dann sollten wir uns sagen, wir hätten diese Dinge nur zurückgegeben. Alles im Leben sollten wir als vorübergehend und geliehen betrachten.

Keine unnötige Angst vor der Zukunft

Vor allem dürfen wir uns nicht von unnötigen Sorgen um die Zukunft behindern lassen. Es ist besser, arm zu sein, als in ständiger Angst um sein Vermögen zu leben. Wir dürfen nicht zulassen, dass äußere Ereignisse uns die innere Ruhe rauben. Auch die Meinung anderer über uns darf uns nicht beeinträchtigen. Wir müssen uns allein auf das konzentrieren, was in unserer Macht steht. Wenn wir frei sein wollen, dann darf sich unser Begehren oder unser Wunsch, etwas zu vermeiden, nicht auf das richten, was in der Macht eines anderen steht. Wahrhaft göttlich handelt derjenige, der selbst auf begehrenswerte Dinge, die er im Leben einfach ergreifen könnte, manchmal bewusst verzichtet. Wenn andere trauern, dann können wir sie trösten, wir sollten aber gleichzeitig innerlich Abstand halten, weil wir wissen, dass es nicht die Ereignisse selbst, sondern ihre Vorstellungen davon sind, die sie traurig machen.

Die Lebensrolle gut spielen

So wie einem Schauspieler seine Rolle vom Direktor zugewiesen wird, so bekommen wir alle unsere Rollen im Leben zugeteilt. Es liegt nicht an uns, über unser Schicksal zu verfügen und zu bestimmen, ob wir etwa als Bettler, Krüppel oder mächtiger Herrscher leben. Wir können aber entscheiden, ob wir die uns zugeteilte Rolle gut erfüllen wollen oder nicht. Der einzige Weg zur inneren Freiheit liegt darin, uns nicht um das zu sorgen, was nicht in unserer Macht steht. Deshalb sollten wir erfolgreiche Menschen auch nicht beneiden, denn unser Ziel ist die wahre Freiheit, nicht Macht, Vermögen oder Ansehen. Wir sollten uns vor allem stets den Tod vor Augen halten, dann werden wir uns weder zu kleinlichen Gedanken noch zu übergroßen Begierden hinreißen lassen. In unserem Bemühen um innere Klarheit sollten wir uns auch von dem Spott unserer Umwelt nicht beirren lassen. Am Ende wird man uns bewundern, wenn wir unseren Grundsätzen ständig treu geblieben sind.

Sich nicht von äußerlichen Kriterien bestimmen lassen

Wir sind nur wahrhaft frei, wenn wir nicht von den Urteilen anderer abhängig sind. Es steht nicht in unserer Macht, Ehrenämter oder gesellschaftliche Einladungen zu erlangen. Deshalb sollten sie auch nicht unseren Selbstwert bestimmen. Vielleicht können wir unseren Mitmenschen nicht durch Einfluss und Vermögen helfen, aber wir können ihnen ein verlässlicher Freund sein. Dem Staat dienen wir am besten, wenn wir dabei helfen, andere zu treuen und tüchtigen Bürgern heranzuziehen. Wir können nur das tun, was uns im Rahmen unserer freien Lebensweise möglich ist und unsere Grundsätze nicht verletzt. Geben wir aber unsere Integrität auf, dann sind wir am Ende niemandem nützlich. Wir sollten uns auch nicht über mangelndes gesellschaftliches Ansehen grämen, wenn es eine Verleugnung unserer Prinzipien bedeuten würde, dieses zu erlangen. Alles im Leben hat seinen Preis. Es mag uns Einfluss und Einladungen kosten, den Mächtigen und Erfolgreichen nicht zu schmeicheln; wenn wir aber für solche Dinge unsere Grundsätze verleugnen, dann verlieren wir noch mehr.

Der Umgang mit Leiden

Wir dürfen unser eigenes Leid nicht als schwerwiegender betrachten als das der anderen. Wenn einem anderen etwa ein geliebter Mensch stirbt, dann sagen wir, das sei eben das menschliche Los. Widerfährt uns das Gleiche, dann sollten wir deshalb auch nicht untröstlich sein. Es liegt an uns selbst, die Fassung nicht zu verlieren. Bei allen Vorhaben müssen wir uns immer darüber bewusst sein, welche Voraussetzungen zur Erreichung des Ziels zu erfüllen sind und ob wir bereit sind, mit den Folgen unserer Entscheidung zu leben. Vieles, was wir im Prinzip für erstrebenswert halten, hat einen Preis, den wir nicht zu zahlen bereit sind. So erfordert z. B. eine Teilnahme an den Olympischen Spielen viel Training und Verzicht. Wenn wir das nicht auf uns nehmen wollen, sollten wir dieses Ziel auch nicht anstreben. Zudem ist der Erfolg in keinem Fall garantiert, sodass wir auch mit der Aussicht leben müssen, u. U. zu den Verlierern zu gehören.

Erfüllung der Pflichten

Es liegt in unserer persönlichen Verantwortung, unsere Verpflichtungen als Kind, Nachbar oder Mitbürger zu erfüllen. Und zwar nicht nur, wenn es uns leichtfällt, sondern auch dann, wenn wir ungerecht behandelt werden. Im Hinblick auf die Götter ist es wichtig, eine richtige Vorstellung von ihnen zu haben. Wir müssen uns bewusst sein, dass sie wirklich existieren und die Welt auf gute Weise regieren. Wir sollten ihnen gehorchen und unser Schicksal willig annehmen, weil wir wissen, dass unser Leben von weiser Einsicht geleitet wird. Dann werden wir ihnen keine Vorwürfe machen, wenn wir das Gefühl haben, im Leben zu kurz zu kommen. Eine solche Haltung ist nur möglich, wenn wir die Frage nach Gut und Böse lediglich dort aufwerfen, wo die Bereiche betroffen sind, die in unserer Macht stehen. Ein Mensch gewinnt Gottvertrauen, wenn ihm die Dinge gelingen, die er in Angriff nimmt. Deshalb werden wir auch voller Glauben sein, wenn wir das Richtige anstreben, denn dieses erreichen wir dann ja auch. Eine falsche Zielsetzung dagegen kann leicht dazu führen, dass wir mit den Entscheidungen der Götter hadern.

„Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen.“ (S. 24)

In unseren Gesprächen sollten wir möglichst nicht übliche Themen wie Zirkusspiele, Sport oder Essen und Trinken anschneiden, vor allem aber sollten wir nicht über unsere Mitmenschen reden, sondern die Unterhaltung auf würdige Themen lenken, so gut es geht. In Anwesenheit von Fremden ist es oft am besten, ganz zu schweigen. Einen Eid sollten wir nur ablegen, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt. Die Befriedigung der körperlichen Bedürfnisse sollten wir so einfach wie möglich gestalten und auf Luxus verzichten. Allerdings sollten wir nicht mit unserer Selbstbeherrschung prahlen. Bei einer gelegentlichen Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen sollten wir Zurückhaltung üben und uns von der Gegenwart wichtiger Persönlichkeiten nicht beirren lassen.

Umgang mit Versuchungen und Anfeindungen

Bei sinnlichen Versuchungen sollten wir vorsichtig sein und beherrscht mit ihnen umgehen. Wer etwas Rechtes tut, soll sich auch von Kritik nicht beirren lassen. Bei all unserem Handeln sollten wir uns darum bemühen, Anstand und Zurückhaltung zu üben. Wir sollten nur Aufgaben übernehmen, denen wir gewachsen sind. Die jungen Mädchen sollten sich nicht allein darauf verlassen, den Männern durch ihre Schönheit und Aufmachung zu gefallen, sondern sollten wissen, dass ihre Ehre auf Anstand und Bescheidenheit beruht. Wir sollten uns insgesamt weniger auf die körperliche Dinge konzentrieren und stattdessen an der Entwicklung unserer geistigen Fähigkeiten arbeiten. Werden wir angegriffen und beleidigt, so sollten wir uns bewusst sein, dass dies die Entscheidung des anderen ist, die er dann auch zu vertreten hat. Ist er im Unrecht, dann tut uns das keinen Abbruch; die Beleidigung kann uns nicht schaden, wenn wir es nicht zulassen. Jeder Gegenstand hat zwei Henkel: Tut uns ein Bruder Unrecht, dann ist der richtige Henkel, den wir ergreifen sollten, nicht die Tatsache, dass er uns Unrecht tut, sondern dass er trotz allem unser Bruder ist. Wenn wir reicher oder redegewandter als andere sind, dann haben wir nur größeren Besitz oder eine bessere Redegewandtheit, wir sind deshalb noch lange nicht besser, denn wir sind ja weder unser Besitz noch unsere Redefähigkeit. Wir sollten auch keine voreiligen Urteile fällen und uns niemals selbst als Philosophen bezeichnen, sondern die Menschen durch unsere Taten belehren und überzeugen.

Das Glück in sich selbst suchen

Der Ungebildete macht nie sich selbst, sondern immer die Umstände für seine Lage verantwortlich, ein Philosoph sieht dagegen alle Verantwortung bei sich. Der Mensch, der auf dem richtigen Weg fortschreitet, stellt vor allem an sich selbst Forderungen und ist äußerem Lob oder Tadel gegenüber unempfindlich. Er konzentriert sich allein auf die Dinge, die in seiner Macht stehen und misstraut seinen eigenen Motiven. Wir sollten nur auf die Erkenntnisse stolz sein, die wir auch wirklich in unserem Leben anwenden, und wir sollten unseren Prinzipien immer treu bleiben. Als reife Menschen sollten wir uns zu den höchsten moralischen Zielen bekennen und bewusst täglich an uns arbeiten, statt unsere Verantwortung in diesen Bereichen immer wieder auf den nächsten Tag zu verschieben. Wenn wir nachlässig sind und immer nur vergeblich gute Vorsätze fassen, die wir nicht umsetzen, werden wir keine Fortschritte machen und uns im Leben wie im Sterben als Stümper erweisen. Stattdessen sollte das, was wir als richtig erkannt haben, auch für unser Handeln zum unverbrüchlichen Gesetz werden. Jeden Tag stehen wir so im Ringkampf und müssen uns bewähren. Sokrates hat seine Größe erreicht, weil er nur nach der Vernunft lebte. Wir sollten seinem Vorbild nacheifern.

Was zählt, ist die Praxis

Am wichtigsten bei der Philosophie ist die Umsetzung der Lehren in die Praxis. So sollten wir z. B. nicht lügen. Die philosophische Beweisführung, dass man in der Tat nicht lügen soll, ist nur das Zweitwichtigste. Und erst an dritter Stelle kommt das Verständnis für die Prinzipien der Beweisführung. Wir aber machen es meist umgekehrt: Wir befassen uns vor allem mit den Regeln der Beweisführung und vernachlässigen dabei den ersten Teil fast vollständig. So kann es vorkommen, dass wir zwar lügen, aber ausgezeichnet beweisen können, dass man nicht lügen darf.

Zum Text

Aufbau und Stil

Das Handbüchlein der Moral ist eine kurze Sammlung praktischer Lebensprinzipien. Der griechische Titel des Büchleins lautet „Encheiridion“ und bedeutet „Dolch“ – der Ratgeber soll dem Leser als eine praktische Waffe im Lebenskampf dienen. Die Schrift ist in 52 kurze Abschnitte unterteilt, die in ihrer Anordnung in logischer Folge eine umfassende Lebensanleitung ergeben. Das Büchlein beginnt mit der grundlegenden Ermahnung, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf das richten sollten, was in unserer Macht steht, auf unser eigenes Denken und Handeln und unsere Wertvorstellungen. An verschiedenen Beispielen wird verdeutlicht, was dies in der Praxis bedeutet. Epiktets Ausführungen schließen mit dem Rat, das Schicksal willig anzunehmen und sich lediglich darum zu bemühen, die zugeteilte Rolle im Leben mit Würde und Verantwortung wahrzunehmen. Jeder der 52 Abschnitte ist kurz und prägnant und bietet eine auch in sich abgerundete Denkanregung.

Die Sprache ist weitgehend einfach und klar. Epiktet unterrichtete seine Schüler nicht in der griechischen Hochsprache, sondern in der Umgangssprache; entsprechend schlicht, aber auch authentisch und einprägsam wirken seine von den Schülern aufgezeichneten Aussagen. Die Beispiele sind einleuchtend und auch für den modernen Menschen leicht nachvollziehbar. An manchen Stellen wird zudem die feine Ironie Epiktets deutlich: Es muss unterhaltend gewesen sein, seinen Lehrvorträgen zuzuhören. Ein Beispiel aus den Unterredungen: „Der Hörsaal eines Philosophen ist wie das Sprechzimmer eines Arztes: Man soll aus ihm nicht fröhlich, sondern schmerzgebeugt herauskommen.“// // Interpretationsansätze

  • Der freigelassene Sklave Epiktet gilt neben dem Kaiser Marc Aurel und dem Schriftsteller und Staatsmann Seneca als Hauptvertreter der späten Stoa, einer philosophischen Richtung, in deren Mittelpunkt die Lebensbewältigung und moralische Fragen stehen.
  • Das Handbüchlein der Moral stellt nichts weniger als eine in sich geschlossene Anleitung zum glücklichen Leben dar und ist damit einer der Urtexte der Lebenshilfeliteratur.
  • Die Grundlage ist die Lehre der stoischen Philosophie: Der Mensch soll sich vor allem um das kümmern, was in seiner Macht steht (sein Denken und Handeln sowie sein Begehren und seine Abneigungen), und den ganzen Rest, die Welt, wie sie nun einmal ist, als gottgegeben akzeptieren.
  • Die Welt erscheint als Bühne, der Mensch als Schauspieler: Er muss seine Rolle, die ihm von den Göttern (der „Regie“) gegeben wurde, so gut wie möglich spielen, ohne die Rollenzuteilung zu hinterfragen. Hier zeigt die stoische Philosophie eine deutliche Neigung zum Fatalismus. Genau damit werden viele heutige Leser Schwierigkeiten haben, denn nach heutigem Verständnis betont Epiktet zu stark Passivität und Fatalismus im Umgang mit den Herausforderungen des täglichen Lebens.

Historischer Hintergrund

Die Stoa

Zu Beginn der römischen Kaiserzeit war die Philosophie in Rom hoch angesehen. Selbst manche Kaiser verfassten philosophische Abhandlungen. Wer etwas auf sich hielt, lud Philosophen zu seinen Gastmählern ein oder „sponserte“ gar seinen eigenen Philosophen. Vieles, was dabei unter dem Etikett „Philosophie“ betrieben wurde, war aber auch entsprechend oberflächlich. Immerhin entstand eine Atmosphäre, in der echte, tiefgründige Philosophie gedeihen konnte.

Sehr einflussreich im alten Rom war die Philosophie der Stoa. Die von Zenon von Kition um 300 v. Chr. gegründete Schule wird in drei Epochen unterteilt: frühe, mittlere und späte Stoa. Benannt wurde die Stoa nach dem Ort, an dem Zenon lehrte, nämlich in der Stoa poikile (griechisch: „bemalte Vorhalle“) in Athen.

Die stoische Philosophie beinhaltet die drei Disziplinen Logik, Physik und Ethik. In der Logik unterscheiden die Stoiker zwischen den realen Dingen und ihren Namen. Die Bedeutung der Dinge ist nicht körperlich, sondern ein Produkt geistiger Tätigkeit. In der stoischen Physik wird ein Zyklus gelehrt, dessen Urelement das Feuer ist. Aus dem Feuer entwickeln sich die anderen Elemente: Luft, Wasser und Erde. Das Urfeuer wird von den Stoikern aber auch als Seele gesehen und als Kraft, die alles vernünftig bewegt: Gemäß einer festgelegten Ordnung, dem Schicksal, kommt alles Leben aus dem Urfeuer und kehrt wieder in dieses zurück. In der stoischen Ethik sind die persönliche Erkenntnis und die Tugend für das Glück entscheidend. Diese Ethik ist eine soziale, da der Mensch als ein zur Gemeinschaft bestimmtes Wesen gesehen wird.

Die wichtigsten Vertreter der späten Stoa waren neben Epiktet der Philosoph und Dichter Seneca und der Kaiser Marc Aurel. Die Stoa setzte sich bewusst von der Konkurrenzphilosophie des Epikureismus ab (benannt nach dem Philosophen Epikur), indem sie das Tugendprinzip und die Leidenschaftslosigkeit pries und das Lustprinzip verdammte.

Entstehung

Schon als Epiktet noch ein Sklave war, erlaubte sein damaliger Herr Epaphroditos ihm, die Vorträge des damals berühmten stoischen Philosophen Gaius Musonius Rufus zu besuchen – wohl auch deshalb, weil es zu jener Zeit unter den reichen Römern zum guten Ton gehörte, sich einen gebildeten Sklaven zu halten. Nach seiner Freilassung (dem Vernehmen nach wegen seiner „Geistesvornehmheit“) begann Epiktet selbst damit, die stoische Philosophie zu lehren.

Wie sein großes Vorbild Sokrates auch hat Epiktet seine Lehren nicht selbst niedergeschrieben. Flavius Arrianus, einer seiner Schüler, zeichnete einen Teil seiner mündlichen Vorträge auf, der uns unter dem Titel Unterredungen vorliegt. Aus diesen Texten wiederum stellte Arrianus Epiktets ethische Lehren als Handbüchlein der Moral zusammen. Erst nach Epiktets Tod veröffentlichte er diese ursprünglich für seinen Privatgebrauch angefertigten Mitschriften.

Wirkungsgeschichte

Schon zu Lebzeiten war Epiktet hoch angesehen. Kaiser Hadrian kannte ihn persönlich und schätzte ihn, der spätere Kaiser und Stoiker Marc Aurel bewunderte und verehrte ihn. Der Kirchenlehrer Augustus soll ihn als den edelsten der Stoiker bezeichnet haben. Das Handbüchlein der Moral hat über Jahrhunderte hinweg Bekanntheit genossen und Einfluss ausgeübt. In der Spätantike wurde das Buch – wegen der heidnischen Elemente in zensierter Form – von der christlichen Kirche als Lehrmaterial für die moralische Unterweisung eingesetzt. Wegen seiner hilfreichen Ausführungen über den Umgang mit Leiden war es auch als „Trostbüchlein“ weit verbreitet.

In der Renaissance gelangte Epiktet im Rahmen der Rückbesinnung auf die antike Philosophie zu erneuter Bedeutung. Sein Buch wurde sogar in die Volkssprache übersetzt. Auch spätere Philosophen wie Blaise Pascal befassten sich mit seinen Lehren.

Der im Handbüchlein der Moral enthaltene Satz „Nicht die Dinge selbst beunruhigen die Menschen, sondern die Vorstellungen von den Dingen“ wird auch heute noch viel zitiert. Der darin ausgesprochene Gedanke wurde im 20. Jahrhundert von dem amerikanischen Psychologen Albert Ellis bei der Entwicklung der kognitiven Verhaltenstherapie umgesetzt, einer psychologischen Methode, bei der es darum geht, irrationale Vorstellungen und Gedanken aufzulösen und sie durch eine rationale und realitätsgerechte Sichtweise zu ersetzen.

Über den Autor

Über das Leben des Griechen Epiktet (der Name bedeutet nicht mehr als „der Hinzuerworbene“) ist relativ wenig Gesichertes bekannt. Er wird um das Jahr 50 n. Chr. in Hierapolis in Phrygien (dem heutigen Pamukkale in der Türkei) in die Sklaverei hineingeboren. Später kommt er nach Rom, wo er eine Zeit lang im Dienst des reichen und mächtigen Epaphroditos steht, der als Vertrauter des Kaisers Nero großen Einfluss ausübt und selbst ein freigelassener Sklave ist. Der römische Autor Celsus berichtet folgende Anekdote über Epiktets Gleichmut: Während er noch ein Sklave ist, wird er einmal von seinem Herrn Epaphroditos gequält, indem dieser ihm das Bein verdreht. Mit völliger Gelassenheit warnt Epiktet seinen Herrn, dass das Bein bald brechen werde, wenn er nicht damit aufhöre. Als das Bein dann wirklich bricht, ist Epiktets Kommentar lediglich: „Habe ich dir nicht gesagt, dass es brechen würde?“ Von dieser Zeit an soll Epiktet lahm gewesen sein. Als Schüler des damals hoch angesehenen Stoikers Gaius Musonius Rufus erlangt Epiktet umfangreiche Philosophiekenntnisse. Nach dem Tod Neros wird er von seinem Herrn freigelassen. Anschließend beginnt Epiktet damit, andere in seiner Philosophie zu unterrichten. Dabei lebt er bewusst in Armut. Seine einzigen Besitztümer sind angeblich eine Tonlampe, ein Strohsack, eine Decke und eine Sitzbank. Er bleibt sein Leben lang unverheiratet und hat keine Kinder. Im Jahr 94 n. Chr. müssen alle Philosophen laut einem Dekret des Kaisers Domitian Rom und sogar ganz Italien verlassen. Epiktet lässt sich daraufhin in der Hafenstadt Nikopolis in Epirus im Nordwesten Griechenlands nieder, wo er eine Philosophenschule eröffnet und diese bis zu seinem Tod leitet. Seine Schule erfreut sich bald eines großen Zulaufs vor allem auch unter den hochgestellten jungen Römern und erlangt große Berühmtheit. Epiktet stirbt wahrscheinlich um das Jahr 135 n. Chr. in Nikopolis.

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