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Historisches und kritisches Wörterbuch

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Historisches und kritisches Wörterbuch

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Was ist drin?

Ein Hauptwerk der Aufklärung, geschrieben im Geist des Skeptizismus.


Literatur­klassiker

  • Philosophie
  • Aufklärung

Worum es geht

Fragen über Fragen

Bayles Historisches und kritisches Wörterbuch hat mit heutigen Wörterbüchern fast nichts gemein. Die Eintragungen beginnen mit einem kurzen Abriss der Lebensgeschichte berühmter historischer Figuren, konzentrieren sich dann aber auf Aspekte, die manchmal nur nebenbei mit der jeweiligen Person zu tun haben. Bayles erstes Prinzip bei der Diskussion von Theorien und Überlieferungen ist das der Fairness: Menschen sollten nach ihren Taten bewertet und nicht aufgrund ihrer Meinungen verdammt werden. Diese grundlegende Haltung führt, einmal angewendet, zu erstaunlichen Erkenntnissen: Man kann Atheist sein und trotzdem ein vorbildliches Leben führen, auch gibt es die eine oder andere extrem überzeugende ketzerische Theorie, und die vermeintliche Überlegenheit des christlichen Glaubens lässt sich recht schnell ins Wanken bringen. Auch wenn Bayle nach solchen Äußerungen schnell und unermüdlich versichert, dass der christliche Glaube natürlich der einzig wahre sei, ist der Samen eines skeptisch-humanistischen Weltbilds längst gesät. Es gibt gute Gründe, warum das Wörterbuch nicht als Nachschlagewerk, sondern als philosophischer Klassiker in die Geschichte einging: Bayle liefert keine Antworten, sondern lehrt die Leser, Fragen zu stellen.

Take-aways

  • Pierre Bayles Historisches und kritisches Wörterbuch ist eines der wichtigsten Werke der Aufklärung.
  • Inhalt: In mehr als 2000 Artikeln stellt Bayle die wichtigsten Figuren der europäischen Geistesgeschichte vor und diskutiert anhand ihrer Biografien Fragen zu Ethik, Religion und Politik.
  • Bayle schrieb zu einer Zeit, als Europa von Kriegen zwischen Katholiken und Protestanten zerrissen war.
  • Bayle stammte aus einer protestantischen Familie, trat zum katholischen Glauben über und machte diese Entscheidung nach kurzer Zeit wieder rückgängig.
  • Toleranz gegenüber Andersgläubigen und Atheisten ist das prägende Element seines Werkes.
  • Für diese Haltung und seine Kritik an biblischen Figuren wurde er scharf kritisiert.
  • Bayle gilt als Mitbegründer der modernen kritischen Geschichtswissenschaft.
  • Sein Wörterbuch war als Verbesserung des Vorgängerwerks von Louis Moréri geplant, ging jedoch weit über dessen Ansatz hinaus.
  • Das Werk hatte enormen Einfluss auf die Denker der Aufklärung von Diderot bis Leibniz.
  • Zitat: „Den Metaphysikern steht die Prüfung zu, ob es einen Gott gibt und ob er untrüglich ist. Aber die Christen müssen als Christen voraussetzen, dass diese Sache bereits entschieden ist.“

Zusammenfassung

Wie sollen wir die Handlungen biblischer Figuren bewerten?

König David begann seine Karriere als einfacher Schäfer und stieg dann zum Berater, Schwiegersohn und Waffenträger von König Saul auf. Nach dessen Tod bestieg er den Thron und regierte 33 Jahre lang Israel. Sowohl als Heerführer wie auch als König hat er einige moralisch fragwürdige Taten begangen. Einen Teil dieser Taten gibt die Bibel als historische Quelle und nicht als Offenbarung wieder, das heißt, David hat sie aus eigenem Antrieb und nicht auf Gottes Befehl begangen. Einige dieser Taten würden wir bei heutigen Würdenträgern aufs Schärfste verurteilen – müssen wir sie bei David entschuldigen, weil er von Gott auserwählt war? Das Argument, damals hätten eben rauere Sitten geherrscht, mag gelten, es ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass diese Verbrechen zu verurteilen sind. Viele von Davids Taten geschahen aus purem Eigennutz und sind eines Heiligen nicht würdig. Manche schließen daher rückwärts: Weil David heilig war, müssen es seine Handlungen auch gewesen sein. Das hieße jedoch, Davids Handlungen mit einem anderen Maßstab zu bewerten als die Taten gewöhnlicher Leute. Aber wie legt man dann fest, für wen dieser besondere Maßstab gilt? Am Ende ist es besser, klare Richtlinien der Moral anzulegen, die für alle gelten. Man muss bedenken, dass ein Mensch fromm sein kann und dennoch Fehler hat und dass man diejenigen Geschichten der Bibel, die nicht als direkte Botschaft des Heiligen Geistes gekennzeichnet sind, durchaus bewerten kann.

Ist Gott glücklich?

Der griechische Philosoph Epikur ist vor allem für seine Atomlehre berühmt. Seine These vom Glück als höchstem Ziel ist oft und meist absichtlich falsch verstanden worden. Es ist den Stoikern zu verdanken, dass viele Menschen ein schlechtes Bild von dieser Lehre haben, die im Kern Mäßigung und einen ausgewogenen Lebensstil empfiehlt. In Sachen Religion hat Epikur die Meinung vertreten, dass man die Götter ehren solle, aber nichts von ihnen zu erwarten habe – weder Strafe noch Lohn. Wenn man es genau nimmt, folgt daraus eben das, was die meisten Theologen uns raten: Tue Gutes, nicht, weil du dir etwas davon erhoffst, sondern allein, um Gutes zu tun und Gott zu ehren. Epikurs Gott lenkt die Welt nicht, er ist nicht ihre Ursache und nicht ihr Richter. Als unsterbliches, glückseliges Wesen interessiert er sich nicht für die Geschäfte der Menschen. Diese gottlose Lehre hatte zumindest für Epikurs Lebenswandel keine negativen Folgen: Selbst seine Feinde gaben zu, dass er sich in allen Lebenslagen vorbildlich verhielt. Es zeigt sich also, dass ein Mensch, der nicht an das Jenseits oder an Gottes Vorsehung glaubt, nicht automatisch all seinen Begierden freien Lauf lässt, wie manche Kritiker dieser Lehre meinen.

„Ich spreche nur etwas sehr Wahrscheinliches aus, wenn ich Epikur die Überzeugung unterstelle, dass die Götter die Erschaffung der Welt bald bereuen würden und dass die Mühe, ein so ungelehriges und widerspenstiges Lebewesen wie den Menschen zu regieren, ihre Glückseligkeit trüben würde.“ (Bd. 1, S. 101)

Epikur zufolge sind die Atome und die Materie ewig und nicht von Gott erschaffen. Wenn man diese These berücksichtigt, ist es leichter nachzuvollziehen, warum Epikur davon ausging, dass sich die Götter nicht für die Geschicke der Welt interessieren. Warum sollte ein vollkommen glückseliges Wesen die Herrschaft über die Materie, die unabhängig von ihm existiert, an sich reißen? Nehmen wir andererseits einmal mit anderen Denkern an, der derzeitige Zustand der Welt sei auf ein Eingreifen Gottes zurückzuführen, das heißt, Gott habe an irgendeinem Punkt beschlossen, die Materie zu verändern – muss man dann nicht sagen, dass in Anbetracht des offensichtlichen Leids in der Welt der vorhergehende Zustand besser gewesen sein muss? Müsste Gott nicht tief unglücklich über sein Scheitern sein? Er würde, wenn er nicht aufgeben will, unermüdlich gegen die Bosheit der Menschen und die Tücken der Materie ankämpfen. Epikur kam zum Schluss: Wenn die Welt nicht von Gott erschaffen ist und wenn Gott glückselig ist, dann gibt es keine Vorsehung. Dieser Schluss ist nur mit der Annahme zu umgehen, dass Gott Urheber der Materie ist. Ein Dilemma bleibt dennoch bestehen: Wenn die Götter mit ihrem Werk zufrieden sind, sind sie mit dem Bösen zufrieden; sind sie nicht mit ihrem Werk zufrieden, sind sie unglücklich.

Ist die Natur Gott?

Jupiter war ein grausamer Gott und beging abscheuliche Verbrechen. Als Vorbild für einen guten und gerechten Lebensstil taugt er nicht. Fast jede Tat lässt sich mit dem Hinweis rechtfertigen, dass die Götter nicht anders handeln. Allerdings zeigt die Geschichte, dass sich auch die Christen, obwohl sie zur Nächstenliebe angehalten sind, früher oft nicht den Lehren Jesu entsprechend verhalten haben. Nach heidnischer Lehre stammte Jupiter von Saturn ab und dieser wiederum vom Himmel. In diesem System musste es einen ersten Ursprung geben, den manche im Äther sahen, andere im Wasser oder einfach in der ewigen Materie. Allen Auffassungen gemeinsam ist, dass dieser erste Ursprung unbewusst und körperlich war. Aus dieser These lassen sich zahlreiche ungeheuerliche Schlüsse ableiten – zum Beispiel, dass Menschen und Götter sich nur wenig unterscheiden oder dass die Seele nicht vom Körper verschieden ist. Die nicht-denkende Natur mit Gott gleichzusetzen, führt unweigerlich zu einer atheistischen Grundhaltung.

Gibt es den Teufel?

Die armenische Sekte der Paulikianer zählte zu den Manichäern. Sie hatte im siebten Jahrhundert großen Zulauf. Grundstein ihrer Lehre war die Annahme, dass es zwei unabhängige Prinzipien gibt, das Gute und das Böse, die in ewiger Feindschaft existieren. Der große Reiz dieser These liegt darin, dass Gott vom Vorwurf, Urheber der Sünde und des Übels zu sein, freigesprochen wird. Wenn die Menschen Böses tun, kann dafür sein Gegenspieler verantwortlich gemacht werden. Bei allen Übeln in der Welt stellt sich die Frage: Wenn Gott die Macht, das Wissen und den Willen hat, sie zu verhindern, warum tut er es nicht? Auf diese Frage sind viele Antworten gefunden worden und alle lassen sich recht leicht widerlegen, so zum Beispiel die These, dass wir das Gute erst schätzen lernen, wenn wir das Leid kennen, oder dass uns die Glückseligkeit langweilig werden würde, wenn es nicht auch Schlechtes gäbe. Gott, könnten die Paulikianer sagen, hat es ja in der Hand, unsere Gehirne so zu konstruieren, dass das Vergnügen niemals fade wird. Auch der Ansatz, der freie Wille sei ein Geschenk und das Übel wert, das sein Preis ist, ist leicht auszuhebeln. Als allwissend hätte Gott voraussehen müssen, für wie viele Gräuel die Menschen dieses Geschenk missbrauchen würden. Keine Schule des Christentums hat eine überzeugende Antwort auf diese Frage gefunden, deshalb bleibt nur, sich auf den Glauben zurückzuziehen.

Gibt es letzte Wahrheiten?

Der griechische Philosoph Pyrrhon wurde namensgebend für die Haltung, sich in Diskussionen einer eindeutigen Antwort zu enthalten. In seinen Schriften fand er oft ebenso viele Gründe, die für eine These sprachen, wie Gründe dagegen. In den meisten Wissenschaften und auch im Alltag ist eine solche Haltung unproblematisch – man kann sich darauf einigen, eine letztgültige Antwort hinauszuschieben, bis man mehr weiß, und sich bis dahin auf eine vorläufige Hypothese verständigen. In Fragen der Religion liegen die Dinge anders. Wenn wir zum Beispiel mit Descartes sagen, dass unsere Sinne uns über die Beschaffenheit der Dinge täuschen können, ist das ganz im Sinn des Pyrrhonismus. Aber heißt das auch, dass Gott uns absichtlich täuschen könnte? Nach einer anderen Lesart gehen christliche Religion und Pyrrhonismus perfekt Hand in Hand, denn der Glaube bietet einen Ausweg aus dem unendlichen Zweifeln und eine Alternative zur ewig skeptischen Vernunft.

Ist die ganze Welt Gott?

Der Philosoph Baruch de Spinoza stellte eine ganz neue Theorie über Gottes Eigenschaften auf. Spinozas Lehre ist kompliziert und schwer verständlich, und wer ihr anhängt, ist so wenig religiös, dass er im Grunde Atheist ist. Spinozas zentrale These ist, dass Gott die einzige Substanz (das heißt ein vollkommen unabhängiges Wesen) im Universum ist und dass alles andere nur Modifikationen dieser Substanz sind. Schon früher hat es ähnliche Ideen (zum Beispiel die Annahme einer Weltseele) gegeben, aber erst Spinoza hat sie in ein System gebracht. Wenn es aber nur die eine Substanz gibt, warum unterscheiden wir dann verschiedene Dinge? Wenn alle Menschen Modifikationen Gottes sind, kann er dann gleichzeitig lieben und hassen? Was heißt Veränderung? Und wie lässt sich diese mit der ewigen Unveränderlichkeit Gottes vereinbaren? Die Antwort wäre, dass die Materie oder Substanz als solche immer besteht; sie geht nicht verloren, sondern nimmt nur immer neue Formen an. Wenn Gott also nichts anderes ist als die Natur, dann entfallen die Tröstungen der Religion. Auch kann es keine Wunder geben – schließlich würde sich Gott dann gegen sich selbst richten. Manche Kritiker haben behauptet, dass Spinoza mit seinem Begriff „Modifikation“ nichts anderes als „erschaffene Substanz“ meinte, um die sterblichen und von Gott erschaffenen Wesen vom ewigen, unabhängigen Wesen Gottes zu unterscheiden. Wenn das tatsächlich so ist, wäre seine Theorie nichts Besonderes mehr, und seine Gefolgschaft wird schnell schwinden.

Kann man von den Schriften eines Autors auf seinen Charakter schließen?

Der französische Gelehrte de La Mothe le Vayer hat unter Pseudonym mehrere anstößige Schriften veröffentlicht. Seine Kritiker haben darin den Beweis seiner Gottlosigkeit gesehen, doch sein vorbildliches Leben steht diesem Urteil entgegen. Auch in den Werken von Seneca und sogar Augustinus finden sich obszöne Passagen, und dennoch würde niemand am Charakter dieser Autoren zweifeln. Zudem sollte streng zwischen solchen Schriften unterschieden werden, die nur sehr lebhaft schildern, und solchen, die zur Nachahmung auffordern. Beinahe entgegengesetzt liegt der Fall bei Martin Luther: Unzählige Geschichten über seine Schwächen und Fehler wurden – teils ohne jede Grundlage – weitergegeben, um seinem Ansehen zu schaden. Gewiss, er hätte sich in vielen Situationen diplomatischer verhalten können und hatte bestimmt seine Fehler, doch das ändert nichts an seinem Verdienst. Womöglich war es sogar seine aufbrausende Art, die ihn so erfolgreich gemacht hat. In jedem Fall sollte man die überzogenen Gerüchte um seine Person von Luthers Rolle in der Weltgeschichte trennen.

Ist der Islam als Ganzes zu verurteilen?

Mohammed soll an Epilepsie gelitten und seiner Frau erzählt haben, dass der Erzengel Gabriel zu ihm spreche und so die Anfälle verursache. Daraufhin, so die Legende, hat sie ihn zum Propheten erklärt. Nachdem er eine größere Gefolgschaft gefunden hatte, verbreitete er seine Religion mit Waffengewalt. Es gibt Hinweise, dass er die Vorgaben des Korans an seinen persönlichen Interessen ausrichtete. Er selbst behauptete nie, Wunder zu wirken, doch einige Anhänger beschworen es. Was andere Leute über ihn sagten, sollte nicht Mohammed selbst zum Vorwurf gemacht werden. Unter den Vorwürfen, die gegen den Islam im Umlauf sind, ist auch der, dass er unmoralisches, sittenloses Handeln eher zulasse als das Christentum. Das ist nicht wahr. Vielmehr erlegt er seinen Anhängern deutlich strengere Regeln auf. Die 40 Gebote der Moral, die der Islam verkündet, können auch von Christen unterschrieben werden.

„Seht da die Manichäer, die mit einer völlig absurden und widersprüchlichen Lehre die Erfahrungen hundertmal besser erklären als die Rechtgläubigen mit der so richtigen, notwendigen und einzig wahren Annahme eines ersten Prinzips, das unendlich gut und allmächtig ist.“ (Bd. 1, S. 199)

Lässt man die Einwände, die man gegen Mohammeds eigennütziges Verhalten und seinen Charakter haben kann, einmal beiseite, zeigt sich, dass es nur wenig starke Argumente gegen den Islam gibt. Es ist eine Religion, die sich kriegerisch gibt und sich doch im Alltag oft sittlicher und toleranter gegenüber Andersgläubigen zeigt als das Christentum. Die Massaker, die im Namen der christlichen Kirche zum Beispiel an den Waldensern begangen wurden, zeigen, dass Christen nicht vorschnell über den Islam urteilen sollten.

Gibt es Ordnung im Chaos?

Der römische Dichter Ovid beschrieb in seinen Metamorphosen den Beginn der Welt. Das Chaos war seinen Angaben nach eine einzige ungeordnete Masse, in der Trockenes und Nasses, Warmes und Kaltes in ständigem Streit lagen, und die erst durch das Eingreifen eines Gottes in Form gebracht wurde. In diesen Aussagen geht einiges nicht zusammen: Eine homogene Masse kann nicht aus einander entgegengesetzten Teilen bestehen. Nach allem, was wir wissen, würde sich im Chaos nach einer Phase des Durcheinanders ein Gleichgewicht nur aufgrund der jeweiligen Eigenschaften der Dinge einstellen. Wenn so das Chaos aussieht – eine Welt ohne Gott, in der sich alles nach einfachen Gesetzen regelt –, hätte Ovid Gott ganz umsonst auftreten lassen. Denker wie Descartes und Epikur stimmen zu, dass es womöglich nur einige wenige einfache Gesetze braucht, mit denen die Natur arbeitet. Es spricht für die Größe Gottes, dass er diese Regeln schuf. Ovid behauptet weiter, dass Gott durch sein Eingreifen den Kampf zwischen den widerstreitenden Elementen beendet hat. Das ist offensichtlich nicht wahr, denn diesen Kampf sehen wir weiterhin und er ist der Grund für die Fruchtbarkeit und Vielfalt der Natur. Auch der ständige Kampf zwischen Körper und Seele, der im Menschen tobt, dauert an. Wir sind unseren Leidenschaften ausgeliefert und die Vernunft ist allzu oft machtlos.

Zum Text

Aufbau und Stil

Bayles Wörterbuch umfasst mehr als 2000 Artikel, von denen in der vorliegenden Ausgabe gut 30 ausgewählt und auf zwei Bände verteilt wurden. Bei der Auswahl wurden die philosophischen Artikel in den Mittelpunkt gestellt – historische Figuren aller Epochen, von der griechischen Antike bis fast in Bayles Gegenwart, bilden den Schwerpunkt. Manche Artikel widmen sich auch Städten, Gruppen oder fiktionalen Charakteren. Die Artikel unterscheiden sich mitunter stark in der Länge; zum Teil nur vier Seiten lange Texte wechseln sich ab mit langen Artikeln von bis zu 90 Seiten. Anstatt die einzelnen Lebensgeschichten möglichst umfassend darzustellen, hält Bayle den einführenden Text äußerst kurz und konzentriert sich dann bei jeder Person auf einzelne unklare Punkte oder Details ihrer Biografie. Oft ist zum Verständnis ein gewisses Vorwissen zur entsprechenden Epoche oder philosophischen Schule von Vorteil. Mit seiner kritischen Herangehensweise an die Quellen demonstriert er, mit wie viel Vorsicht historische Aussagen zu bewerten sind. Grundsätzlich ist Bayles Stil leicht verständlich, ja erstaunlich lebhaft. Der Autor hält mit seiner Meinung nicht hinterm Berg, ruft auf zur fairen Beurteilung der vorgestellten Personen und warnt vor der Verbreitung von Vorurteilen.

Interpretationsansätze

  • Bayles Wörterbuch ist eine Auseinandersetzung mit der geistesgeschichtlichen Überlieferung. Es bietet also weit mehr als ein Register der wichtigsten Personen der abendländischen Geschichte: Durch die zahlreichen Fußnoten und Anmerkungen wird das Werk zu einer kritischen Gesamtschau.
  • Bayles tolerante Haltung gegenüber Atheisten war revolutionär. Der Vorwurf, Atheist zu sein, kam für viele Denker der frühen Neuzeit einem Todesurteil gleich. Bayle macht deutlich, dass Gottlosigkeit nicht automatisch Sittenlosigkeit bedeutet. Damit einher geht sein Standpunkt, dass sich Religion in manchen Fällen auf den reinen Glauben zurückziehen darf, während Wissenschaft und Philosophie in dem, was sie fragen und erforschen möchten, nicht eingeschränkt werden sollten.
  • Bayles Wille, Vorurteile zu entkräften, und mit sauberem, wissenschaftlichen Vorgehen zur Wahrheit durchzudringen, macht ihn zum Aufklärer par excellence. Zugleich beherrschte Bayle, wie viele Denker des 17. Jahrhunderts, das Spiel, unbequeme Wahrheiten zwischen den Zeilen zu verstecken oder anderen in den Mund zu legen. Wie es am Ende um sein eigenes Glaubensbekenntnis stand – war er Atheist, Fideist, Calvinist, Materialist? –, ist bis heute umstritten.
  • Manche von Bayles Themen ziehen sich durch mehrere Artikel, die nur im Verbund ein vollständiges Bild seines Standpunkts ergeben. Was ihm wirklich wichtig ist, zum Beispiel das Thema Toleranz, wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit eingestreut, wohl auch, weil Bayle bewusst war, dass nur wenige das ganze Werk lesen würden.
  • Es ist kaum möglich, Bayles Thesen, wo er denn zu einer eindeutigen Formulierung kommt, in ein einheitliches System zu überführen. Vielleicht ist genau das die wichtigste Position, die sich ihm zuschreiben lässt: die These, dass ein vollständiges, allumfassendes philosophisches System illusorisch ist. Bayles Skeptizismus hat Methode – und führt am Ende zu seiner Herzensangelegenheit: Wenn absolute Wahrheiten mit der Vernunft nicht ausgemacht werden können, dürfen sie auch in Fragen des Glaubens niemandem aufgezwungen werden.

Historischer Hintergrund

Europa im Zeitalter der Religionskriege

Das 16. und das 17. Jahrhundert waren geprägt von religiös motivierten Auseinandersetzungen: Der Protestantismus, im 16. Jahrhundert aufgekommen, setzte sich in immer mehr Regionen gegen die katholische Lehre durch. Das führte zu gewaltsamen Konflikten, etwa zu den Hugenottenkriegen. Zwar wurde in vielen Ländern den Untertanen Religionsfreiheit zugesichert, zum Beispiel in Frankreich mit dem Edikt von Nantes 1598, im Alltag indes wurden Protestanten weiterhin verfolgt und ausgegrenzt.

Als der römisch-deutsche Kaiser Ferdinand II. mit Gewalt gegen Reformationsbewegungen im Reich vorging, weitete sich der Konflikt zum Dreißigjährigen Krieg aus. Dieser wurde offiziell zwischen den Konfessionen, tatsächlich aber um politische Einflussbereiche ausgetragen. Erst mit dem Westfälischen Frieden von 1648 kehrten wieder stabilere Verhältnisse in Europa ein.

Die Auseinandersetzungen um Religionszugehörigkeit fanden dennoch kein Ende: Das Edikt von Nantes wurde 1685 mit dem Edikt von Fontainebleau widerrufen, und Hunderttausende Hugenotten flohen aus Frankreich. Die Niederlande wurden in der Folge zur Wahlheimat ausländischer Geistesgrößen, darunter René Descartes, der sich für mehrere Jahre dort niederließ. Neben der Philosophie gelangten durch die liberale Haltung in den Niederlanden auch die Malerei (Rembrandt van Rijn, Jan Vermeer) und die Naturwissenschaften (Christiaan Huygens) zu einer nie gekannten Blüte.

Mit der Kriegserklärung Frankreichs endete zu Beginn der 1670er-Jahre die Blütezeit der niederländischen Republik. Frankreich ging als Sieger aus dem Holländischen Krieg hervor und baute seine Vormachtstellung in Europa – auch in kultureller Hinsicht – endgültig aus.

Entstehung

Die Idee, ein Personenregister historischer Figuren zu erstellen, hatte Pierre Bayle schon um 1690. Er veröffentlichte ein Werk mit einigen wenigen Artikeln, das von der Fachwelt jedoch eher zurückhaltend aufgenommen wurde. Bayle nahm sich vor, das Grand dictionnaire historique des Jesuiten Louis Moréri zu verbessern. Dieser Rückbezug ist prägend für das Wörterbuch: Bayle nahm nur solche Artikel auf, die entweder bei Moréri nicht zu finden waren oder die nach Meinung Bayles Fehler enthielten. Dieses Vorhaben verwandelte sich schnell in ein völlig neues Projekt: Bayle gab sich nicht mit der unreflektierten Wiedergabe der zeitgenössischen Informationen zufrieden, sondern sichtete weitere Quellen und stellte die Informationen einander kritisch gegenüber. Seine Auswahl war alles andere als systematisch – Artikel über Jesus oder Platon sucht man vergeblich. Bayle verzichtete zudem auf die Aufnahme noch lebender Personen.

Bayle war während seines Studiums zum katholischen Glauben konvertiert, hatte diese Entscheidung aber wenig später rückgängig gemacht. Dieser Religionswechsel hinterließ klare Spuren in seiner Haltung. Er rief zeit seines Lebens zu Toleranz auf. Obwohl selbst Protestant, ergriff Bayle nirgends eindeutig Partei und kritisierte beide Seiten gleichermaßen – im Jahrhundert der Religionskriege ein außergewöhnliches Maß von Fairness.

Wirkungsgeschichte

Das Historische und kritische Wörterbuch erschien 1697 in vier Bänden. Es wurde in den folgenden Jahrzehnten mehrfach neu aufgelegt und in mehrere Sprachen übersetzt. Die deutsche Ausgabe wurde unter der Leitung von Johann Christoph Gottsched 1741 bis 1744 erstellt. Heftige Kritik blieb nicht aus: Vor allem Bayles tolerante Haltung gegenüber Atheisten, sein Skeptizismus und sein kritischer Umgang mit religiösen Quellen trafen, auch in der protestantischen Kirche, auf wenig Gegenliebe. Am Ende des ersten Bandes finden sich deshalb vier Erklärungen, in denen Bayle seinen schärfsten Kritikern antwortet. Bis zu seinem Tod 1706 setzte er sich in weiteren Schriften mit Einwänden auseinander.

Pierre Bayle ist einer der meistgelesenen Autoren des 18. Jahrhunderts. Ohne ihn wäre die berühmte Enzyklopädie von Denis Diderot und Jean-Baptiste le Rond d’Alembert undenkbar. Mit dem Theodizee-Problem nahm er eines der zentralen Themen der Philosophie des 18. Jahrhunderts vorweg. Bayle stand in Briefkontakt mit Gottfried Wilhelm Leibniz, und sein Einfluss auf Leibnizʼ Schrift zum Thema ist deutlich spürbar. Wilhelm Dilthey sah in Bayles Werk eine „Rüstkammer der philosophischen Skepsis und der historischen Kritik für die französische Aufklärung“.

Bayle hatte zudem enormen Einfluss auf die moderne Geschichtswissenschaft. Während das Interesse an seinem Werk zwischenzeitlich nachließ, setzt sich die Forschung seit den 1960er-Jahren wieder verstärkt mit Bayle auseinander.

Über den Autor

Pierre Bayle wird am 18. November 1647 im heutigen Carla-Bayle in den Pyrenäen geboren. Der Sohn eines hugenottischen Predigers studiert in Puylaurens und Toulouse. 1669 tritt er zum katholischen Glauben über. Nach 18 Monaten bereut er die Entscheidung und flieht als Renegat ins protestantische Genf. Er verdient seinen Lebensunterhalt als Hauslehrer und vertieft sich in die Schriften seiner Zeitgenossen, unter anderem in die von René Descartes. Ab 1675 lehrt er Philosophie an der Akademie Sedan in Lothringen. Als Frankreichs Einfluss in Lothringen zunimmt, geht er nach Rotterdam und nimmt eine Stelle am städtischen Gymnasium an. In seinen ersten Werken, die 1682 und 1683 erscheinen, setzt er sich mit dem Glauben an Kometen auseinander. Schon hier entwickelt er die Idee, dass Atheisten durchaus ethische Grundsätze haben können. 1684 bis 1687 gibt er die Zeitschrift Nouvelles de la République des Lettres heraus. 1685 fliehen 200 000 Protestanten aus Frankreich, wo sie nach Aufhebung des Toleranzediktes nicht länger geschützt sind. Im selben Jahr wird Bayles Bruder Jacob inhaftiert und stirbt Monate später im Gefängnis in Bordeaux. Bayle fordert daraufhin umso nachdrücklicher die Trennung von Kirche und Staat und plädiert für Gewissens- und Religionsfreiheit. Das bringt ihm nicht nur den Unwillen der Katholiken, sondern auch den der Protestanten ein. Bayle verliert seine Stelle und konzentriert sich auf sein Mammutwerk, das Historische und kritische Wörterbuch (Dictionnaire historique et critique, 1697). Die letzten Jahre seines Lebens verbringt er damit, auf Einwände gegen das Werk zu reagieren. Bayle gilt heute als einer der wichtigsten Denker der französischen Aufklärung. Er stirbt am 28. Dezember 1706 in Rotterdam.

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