Walter Scott
Ivanhoe
dtv, 2009
Was ist drin?
Ein Mittelalter-Bestseller und einer der ersten historischen Romane überhaupt.
- Historischer Roman
- Romantik
Worum es geht
Lebendiges Mittelalter
Als Sir Walter Scotts Roman Ivanhoe 1820 erschien, war das Mittelalter schon seit einiger Zeit schwer in Mode. Ritter- und Schauergeschichten erfreuten sich beim europäischen Publikum ebenso großer Beliebtheit wie alte Balladensammlungen. Doch Walter Scott, der mit seinen historischen Schottlandromanen bereits beachtliche Erfolge erzielt hatte, ging es um mehr als um bloße Kulisse, Schauder und billige Gruseleffekte. Der Edinburgher Anwalt stellte die mittelalterliche Gesellschaft mit ihrer Vielfalt an Ständen und Berufen, Trachten und Dialekten als einen lebendigen Gegenentwurf zur eintönigen Gegenwart dar. In Ivanhoe vermischt er historische Fakten und Fiktion, Dichtung und Wahrheit und beschwört in detailreichen Schilderungen die Atmosphäre längst vergangener Zeiten herauf. Der historische Roman gilt als einer der ersten seiner Art, als Vorbild für ein Genre, das bald in ganz Europa Nachahmung fand. Wer das Buch heute liest, mag über manches Klischee und die mitunter haarsträubende Handlung schmunzeln – gute Unterhaltung findet er allemal.
Take-aways
- Walter Scotts Roman Ivanhoe ist einer der ersten historischen Romane.
- Inhalt: Der angelsächsische Ritter Ivanhoe kehrt unerkannt aus Palästina nach England zurück, wo die normannischen Adligen die Herrschaft an sich zu reißen drohen. Im Freiheitskampf der Angelsachsen unterstützt Ivanhoe seinen König Richard Löwenherz und erobert nebenbei das Herz der schönen Adelsdame Rowena.
- Im Zentrum des Romans steht der Gegensatz zwischen den bodenständigen angelsächsischen und den verfeinerten französischen Sitten.
- Scott entwirft ein lebendiges Panorama des englischen Mittelalters und mischt bewusst historische Fakten und Fiktion.
- Der schottische Autor verklärt das Mittelalter mit seinem Ständesystem zu einer Welt, die Helden zulässt – im Gegensatz zur gleichmacherischen Gegenwart des Schriftstellers.
- Gleichzeitig gibt er Einblicke in den mittelalterlichen Antisemitismus.
- Die Nebenfigur Robin Hood prägte das Bild des angelsächsischen Sozialrevolutionärs.
- Scotts historische Romane regten im 19. Jahrhundert viele europäische Schriftsteller zur Nachahmung an.
- Ivanhoe wurde mehrfach verfilmt und als Oper auf die Bühne gebracht.
- Zitat: „Vier Menschenalter hatten nicht gereicht, das feindselige Blut der Normannen und der Angelsachsen zu vermischen (...)“
Zusammenfassung
Sachsenstolz und Normannenhass
In seiner späten Herrschaftszeit gerät König Richard I., genannt Löwenherz, in österreichische Gefangenschaft. Sein Bruder, der unbeständige, ausschweifende Prinz John, hat sich mit König Philipp II. von Frankreich gegen Richard verbündet und hofft, nach dessen Tod selbst den Thron zu besteigen. Mit großzügigen Geld- und Landschenkungen versucht er, sich die Unterstützung des Adels zu sichern. Die eigentliche Macht liegt nämlich bei den normannischen Feudalherren; die angelsächsischen Fürsten und Adligen wurden bis auf wenige Ausnahmen ausgerottet und entmachtet. Die despotischen Edelleute knechten ihre Untergebenen und kümmern sich weder um Gesetz noch um Moral. Das Geld für ihr extravagantes Leben leihen sie sich gegen hohe Zinsen von Juden, die sie fortwährend demütigen und auch mal skrupellos töten, wenn diese ihr Geld zurückfordern. Das Land stöhnt unter der Tyrannei der Normannen, besonders die kleinen Leute leiden.
„Vier Menschenalter hatten nicht gereicht, das feindselige Blut der Normannen und der Angelsachsen zu vermischen (...)“ (S. 6)
In Rotherwood im Nordosten Englands lebt der 60-jährige Cedric, ein ebenso freimütiger wie hitziger Haudegen, der aufgrund seiner Abstammung von altem Dienstadel den Beinamen „der Angelsachse“ trägt. An einem stürmischen Abend bitten der Abt von Jorvaulx und der gerade aus Palästina zurückgekehrte Ritter Brian de Bois-Guilbert, Angehöriger des Templerordens, um Einlass. Sie sind in Begleitung eines fremden Pilgers. Obwohl Cedric als guter Angelsachse und Anhänger König Richards die Normannen hasst, besinnt er sich auf seine Gastfreundschaft.
„Sein Misstrauen war entschuldbar, denn mit Ausnahme vielleicht der Fliegenden Fische gab es kein Wesen auf Erden, in der Luft oder im Wasser, das der Gegenstand so unausgesetzter, allgemeiner und unversöhnlicher Verfolgung gewesen wäre wie die Juden zu jener Zeit.“ (über Isaac, S. 80)
Beim Abendessen, an dem auch Cedrics schöne Ziehtochter Rowena, der Schweinehirt Gurth und der Hofnarr Wamba teilnehmen, sucht gleich nochmals ein Fremder Schutz vor dem Sturm, ein Jude namens Isaac. Obwohl die anderen Gäste protestieren, wird der alte, ärmlich wirkende Mann hereingelassen, allerdings darf er sich nicht mit an den Tisch setzen. Das Gespräch kommt auf Wilfred von Ivanhoe, einen berühmten angelsächsischen Ritter, der Bois-Guilbert in Palästina mit seiner Lanze vom Pferd gestoßen hat. Der Templer prahlt, er würde Ivanhoe, sollte er je nach England zurückkehren, zum Kampf auffordern – und besiegen.
Der geheimnisvolle Fremde
In der Nacht warnt der Pilger den Juden, Bois-Guilbert plane seine Ermordung, und führt ihn aus Rotherwood fort. Zum Dank vermittelt ihm Isaac, der in Wahrheit ein wohlhabender Mann ist, Rüstung und Pferd. Der Jude hat erkannt, dass es sich bei dem vermeintlichen Pilger um einen Ritter handelt, der zu einem Turnier will. An diesem wird auch Bois-Guilbert teilnehmen. Bei dem Turnier, zu dem die Massen herbeiströmen, zeigt sich zur Freude von Prinz John wieder einmal die Überlegenheit der normannischen Ritter. Schon scheint Bois-Guilbert als Sieger festzustehen, als ihn ein geheimnisvoller Fremder unter dem Namen „der enterbte Ritter“ zum Zweikampf herausfordert. Der Fremde siegt und gibt sich unter dem Jubel des Publikums als Angelsachse zu erkennen, er bleibt aber anonym. Zähneknirschend gewährt ihm Prinz John das Vorrecht des Siegers: Er darf eine Dame zu seiner Herzenskönigin küren. Seine Wahl fällt auf Rowena.
„Nun weiß man ja, dass jemand weit eher und strafloser ein wirkliches Moralgesetz übertreten, als nicht vertraut mit der geringfügigsten Bestimmung der Etikette und des guten Tons scheinen darf.“ (S. 185)
Am zweiten Turniertag geht der „Enterbte“, wenn auch angeschlagen, wieder als Sieger aus den blutigen Kämpfen hervor. Bei der Siegerehrung, die auf seinen Wunsch Rowena vornimmt, reißt man dem halb Ohnmächtigen endlich den Helm vom Kopf. Erschüttert erkennt der im Publikum sitzende Cedric seinen Sohn Ivanhoe, den er einst aus seinem Haus verbannt hat. Der tapfere Ritter ist schwer verletzt. Bei dem anschließenden Wettbewerb im Bogenschießen tritt ein unbekannter Bauernbursche namens Locksley gegen die besten Schützen des Landes an und gewinnt überlegen. Prinz Johns Angebot, in seine Dienste zu treten, schlägt Locksley aus: Wenn er jemandem diene, dann nur König Richard. Wutentbrannt wendet sich der Prinz wieder seinen Geschäften zu. Der Jude Isaac soll ihm noch am selben Tag 20 000 Kronen schicken, andernfalls müsse er sterben.
„Lasst uns hinrichten und nehmt uns das Leben, wie ihr schon unsere Freiheiten genommen habt, damit eure Tyrannei vollständig werde.“ (Cedric zu den Normannen, S. 258)
Warum aber hat Cedric seinen Sohn Ivanhoe damals verstoßen? Unter den Angelsachsen gibt es seit jeher verschiedene Auffassungen darüber, wer Anspruch auf die Führerschaft im Kampf gegen die normannischen Unterdrücker hat. Die einen bevorzugen einen gewissen Athelstane von Coningsburgh, die anderen Rowena. Beide sind Abkömmlinge der letzten angelsächsischen Herrscher. Um die Spaltung seines Volkes zu überwinden, plante Cedric Athelstanes Heirat mit Rowena. Die aber verliebte sich in Ivanhoe, mit dem sie aufgewachsen war und der ihre Liebe im Stillen erwiderte. Da eine Verbindung der beiden Cedrics Plänen im Weg stand, wurde Ivanhoe enterbt und musste das Haus des Vaters verlassen.
Entführung und Befreiung
Auch andere haben ein Auge auf Rowena geworfen, etwa der normannische Adlige Maurice de Bracy. In einem Wald wird die schöne Dame auf sein Kommando zusammen mit Cedric, Athelstane, Isaac und dessen Tochter Rebecca entführt und auf das nahe gelegene Schloss des Barons Reginald Front-de-Bœuf gebracht. Rowena weist Bracys Heiratsantrag zurück, doch als dieser droht, Cedric und den verletzten Ivanhoe, der sich ebenfalls in dem Schloss befinde, töten zu lassen, gibt sie nach. Zur gleichen Zeit versucht Bois-Guilbert, die ebenso schöne wie kluge Rebecca zur Heirat zu erpressen – vergeblich. Sie ist viel zu tapfer und beständig, als dass sie sich von dem unmoralischen Templer einschüchtern ließe. Wie sich herausstellt, war sie es, die sich um den schwer verletzten Ivanhoe kümmerte, ihn vom Turnierplatz fortschaffte und seine Wunden versorgte. Dabei geriet sie in die Hände der Entführer.
„So wurden wir durch normannische Künste längst verweichlicht, ehe wir unter den Waffen der Normannen fielen.“ (Cedric, S. 262)
Unterdessen planen Gurth und Wamba die Befreiung der Entführten, unterstützt von einer bunten Schar aus Knechten und Dorfbewohnern sowie vom zielsicheren Bogenschützen Locksley. Die Führung übernimmt ein geheimnisvoller Schwarzer Ritter. Wamba gelangt als Mönch verkleidet ins Schlossinnere, wo er mit Cedric die Kleider tauscht. Kaum ist dieser so der Gefangenschaft entronnen, beginnt auch schon der Sturm auf die Festung. Es hagelt Pfeile und Wurfgeschosse. Die Angreifer treibt ihre unbändige Wut voran, doch es scheint, als seien sie den gut ausgerüsteten Verteidigern der Burg unterlegen. In einer gefährlichen Aktion überwinden Cedric und der Schwarze Ritter den Burggraben, dringen ins Schloss ein und überwältigen die Verteidiger. Front-de-Bœuf stirbt, und Bracy wird gefangen genommen. Als das Schloss brennt, fliehen die wenigen überlebenden Normannen in die umliegenden Wälder.
„Oh, wie viel besser war doch unsere vaterländische Kost, in Frieden und Freiheit verzehrt, als die üppige Schwelgerei, der zuliebe wir nun Leibeigene und Sklaven des fremden Eroberers geworden sind!“ (Cedric, S. 262)
Nach der Schlacht sammeln sich die siegreichen angelsächsischen Kämpfer und verteilen die Beute untereinander. Athelstane ist tot, Ivanhoe und Rowena aber sind gerettet, ebenso Isaac. Dieser beklagt das Schicksal seiner Tochter Rebecca, die von Bois-Guilbert verschleppt worden ist. Der befreite Cedric dankt dem Narren Wamba und dem treuen Gurth, dem er ein Stück Land schenkt und ihn damit vom Leibeigenen zum unabhängigen Grundbesitzer macht. Während der Angelsachse und seine Leute sich auf den Heimweg nach Rotherwood machen, verabschiedet sich der geheimnisvolle Schwarze Ritter – er hat noch etwas zu erledigen. Zuvor aber lässt er Gnade walten und schenkt Bracy die Freiheit.
Die Adelsverschwörung
Am Hof kursiert das Gerücht, König Richards Rückkehr in seine Heimat stehe unmittelbar bevor. Die normannischen Adligen wollen Prinz John deshalb möglichst rasch zum König krönen. Seine Anhänger dürfen mit Schenkungen und zahlreichen Privilegien rechnen. Die Verschwörung scheint perfekt, allerdings fehlen drei wichtige Akteure: Reginald Front-de-Bœuf, Maurice de Bracy und Brian de Bois-Guilbert. Auch vom Juden Isaac, der dem Prinzen die notwendigen finanziellen Mittel beschaffen soll, fehlt jede Spur.
„Sei also guten Mutes und glaube, du seist zu einem großen Werk bestimmt, das dein Arm im Angesicht deines Volkes ausführen soll.“ (Rebecca zu Ivanhoe, S. 359)
Da taucht plötzlich Bracy auf, blutbeschmiert und mit deutlichen Spuren des Kampfes an seiner Rüstung. Die Nachricht, die er überbringt, schlägt mit voller Wucht ein: Richard Löwenherz ist zurück. In dem Schwarzen Ritter, der die kleine Schar tapferer Kämpfer gegen die normannischen Adligen angeführt hat, will Bracy den König selbst erkannt haben. Prinz Johns Vorschlag, den Schwarzen Ritter in eine Falle zu locken, ihn zu töten oder zumindest gefangen zu nehmen, lehnt Bracy entschieden ab: Gegen den Mann, der ihm das Leben schenkte, will er seine Hand nicht erheben.
Die Jüdin als Sündenbock
Mit einem Empfehlungsschreiben in der Tasche begibt sich Isaac zum Stift der Templer, um seine Tochter freizukaufen. Als der Großmeister des Ordens, bei dem er vorspricht, von den wunderbaren Heilkünsten Rebeccas hört, glaubt er, sie habe Bruder Brian de Bois-Guilbert verhext. Allein dessen Liebeswahn sei es geschuldet, dass er sie entführt und in das Kloster verschleppt habe. Der Entschluss des Großmeisters steht fest: Die Hexe muss sterben. Vor dem Tribunal, das Rebecca der Zauberei bezichtigt und zum Tod verurteilt, fordert die tapfere Angeklagte ein Gottesurteil. Ein Zweikampf, in dem ein von Rebecca bestimmter Kämpfer gegen Bois-Guilbert antritt, soll über ihre Schuld oder Unschuld entscheiden. Ihre Chancen stehen jedoch schlecht: Wer wird sein Leben schon für eine der Hexerei angeklagte Jüdin einsetzen?
„Ein Augenblick der Gefahr ist oft auch der Augenblick herzlicher Liebe und Zuneigung.“ (S. 363)
Da zeigt sich der verliebte Bois-Guilbert auf einmal reumütig. Auf die Gefahr hin, seine Ehre und die Achtung seiner Standesgenossen zu verlieren, will er nicht zum Zweikampf erscheinen, um Rebecca damit zum Freispruch zu verhelfen – unter einer Bedingung: Sie muss seine Geliebte werden. Als sie das ablehnt, wünscht er, er wäre Jude, würde mit Geld handeln und vor den Edelleuten kriechen. Die Juden, entgegnet Rebecca stolz, seien von den Christen gezwungen worden, Geldgeschäfte zu betreiben. Erst Unterdrückung und Verfolgung hätten sie zu dem gemacht, was sie seien. Sie vergibt Bois-Guilbert, seine Geliebte aber kann sie niemals werden.
Die Rückkehr des Königs
Der Schwarze Ritter besucht den verwundeten Ivanhoe, den er aus dem brennenden Schloss befreit und in einer Abtei untergebracht hat. Er lädt ihn auf die Burg des verstorbenen Athelstane ein, wo sich die Angelsachsen zur Trauerfeier versammeln. Kaum hat der Schwarze Ritter das Kloster in Begleitung des Narren Wamba verlassen, erhebt sich Ivanhoe von seinem Krankenlager und schwingt sich aufs Pferd. Die Ahnung, dass seine Hilfe gebraucht wird, lässt ihm keine Ruhe. Tatsächlich werden der Schwarze Ritter und Wamba schon bald angegriffen. Normannische Ritter wollen sie im Auftrag des Prinzen John töten, doch eine Bande von Gesetzlosen unter der Führung des treffsicheren Bogenschützen Locksley rettet sie. Vor den rauen, aber herzensguten Waldbewohnern und Ivanhoe, der hinzugekommen ist, gibt sich der Schwarze Ritter endlich zu erkennen: Er ist tatsächlich Richard Löwenherz, der König von England. Auch Locksley gibt nun seinen wahren Namen preis: Robin Hood, der berühmte „König der Geächteten“.
„Die Liebe zum Kampf ist unsere Nahrung – der Staub der Schlacht unser Lebensatem!“ (Ivanhoe, S. 373)
Bei der großen Trauerfeier für Athelstane auf Schloss Coningsburgh fordert König Richard Cedric auf, seinem Sohn Ivanhoe zu vergeben. Kaum hat Cedric das getan, taucht zur Überraschung aller Athelstane auf, der quicklebendig ist. Der Schwerthieb, der ihn traf, hat ihn nicht getötet, sondern nur in Ohnmacht versetzt. Großzügig verzichtet er zugunsten Ivanhoes auf die Hand Rowenas, die ihn ohnehin nicht liebe.
Die Liebe siegt
Rebecca steht schon vor dem Scheiterhaufen, da prescht im letzten Moment doch noch ein Kämpfer für sie heran: Ivanhoe. Verwundet und auf einem erschöpften Pferd reitend, unterliegt er zunächst dem kraftvollen Bois-Guilbert, der aber zum allgemeinen Erstaunen ebenfalls vom Pferd fällt. Er ist tot: Nicht Ivanhoes Lanze, sondern seine eigenen Leidenschaften haben ihn getötet. König Richard sprengt, gefolgt von einer großen Schar Bewaffneter, auf seinem Pferd herbei und löst den verschwörerischen Templerorden auf. Rebecca ist gerettet. Gemeinsam mit ihrem Vater verlässt sie England, das Juden keinen Schutz bietet, und zieht nach Granada.
„Ihr sollt heute sehen – verzeiht mir die Prahlerei, Herr Ritter –, wie die nackte Brust eines Angelsachsen ebenso kühn den Gefahren der Schlacht trotzt wie die Stahlrüstung eines Normannen.“ (Cedric zu Richard, S. 392)
Trotz des Siegs über die normannischen Verschwörer ist Cedric enttäuscht. Durch die Rückkehr des edelmütigen, aber letztlich zu romantischen und launenhaften Königs Richard haben sich all seine Hoffnungen auf eine Wiederherstellung der angelsächsischen Oberherrschaft in England zerschlagen. Schließlich stimmt der alte Angelsachse einer Heirat Ivanhoes und Rowenas doch noch zu. Die Liebe siegt über alle politischen Bedenken.
Zum Text
Aufbau und Stil// Walter Scotts Ivanhoe// unterteilt sich in 44 Kapitel, denen als Motto jeweils ein Zitat, etwa von Homer, Shakespeare oder Schiller, vorangestellt ist. Die Erzählung ist zwar chronologisch aufgebaut, setzt sich aber aus verschiedenen Handlungssträngen zusammen, die immer wieder verknüpft werden. Der auktoriale, allwissende Erzähler kennt selbst die verborgensten Absichten seiner zahlreichen Figuren, die er wie ein Marionettenspieler bewegt. Souverän führt er den Leser über häufig wechselnde Schauplätze, lenkt dessen Aufmerksamkeit auf bestimmte Sachverhalte oder bittet ihn freundlich, noch etwas Geduld zu haben. Immer wieder mischt er sich mit Erklärungen und bisweilen ironischen Kommentaren, Vorausdeutungen und Rückschauen in den Verlauf der Geschichte ein, die temporeich und spannend inszeniert wird. Dramatische Auftritte und lange Dialoge verleihen dem Roman insgesamt etwas sehr Theatralisches. Einen zwiespältigen Eindruck hinterlassen die langen Beschreibungen von Einrichtungen, Kleidern und Accessoires: Trotz der Absicht, eine versunkene Epoche zum Leben zu erwecken, wirken sie bisweilen schematisch und kulissenhaft.
Interpretationsansätze
- Walter Scotts Ivanhoe begründete zusammen mit seinem sechs Jahre zuvor erschienenen Roman Waverley das Genre des historischen Romans, das ein lebendiges Panorama einer historischen Epoche entwirft. Statt in trockenem Ton über Kriege und Ereignisse zu dozieren, beschwört es die Atmosphäre vergangener Zeiten herauf.
- Als ausgewiesener Kenner der mittelalterlichen Geschichte vermischt Scott bewusst Historie, alte Sagen und Balladen, Fakten und Fiktion. So ist etwa Richard I. eine historisch verbürgte Figur, während der Held Ivanhoe ebenso frei erfunden ist wie die Auseinandersetzungen zwischen Angelsachsen und Normannen am Ende des 11. Jahrhunderts.
- Ob Robin Hood als Sozialrevolutionär existiert hat, ist bis heute nicht erwiesen. Aus dem einfachen Wegelagerer und Helden zahlreicher mittelalterlicher Balladen machte Scott einen edlen und gerechten Freiheitskämpfer – und prägte damit für die kommenden Jahrhunderte das populäre Bild des Rebellen.
- Walter Scott war von der Beständigkeit menschlicher Gefühle und Leidenschaften überzeugt. In seiner Vorrede zum Roman betont er, die Empfindungen, Meinungen und Handlungsweisen der Menschen seien stets dieselben, ganz gleich in welcher Zeit man lebe, welcher sozialen Schicht oder Religion man angehöre.
- Bei allem Detailreichtum und aller Lebendigkeit erscheinen Scotts Figuren bisweilen als Stereotype und bloße Verkörperungen eines Nationalcharakters. Die Normannen mit ihren verfeinerten Sitten sind höflich, aber falsch und verlogen, die Angelsachsen dagegen erscheinen als gefühlvolle, mutige Grobiane, die das Herz auf der Zunge tragen.
- An den beiden Figuren Isaac und Rebecca führt Scott seinen Lesern den mittelalterlichen Antisemitismus drastisch vor Augen. Während die ebenso schöne wie kluge und großherzige Jüdin Rebecca alle Vorurteile widerlegt, entspricht ihr Vater Isaac allerdings teilweise dem Klischee des kriecherischen, raffgierigen Geldverleihers.
Historischer Hintergrund
Romantische Verklärung des Mittelalters
Die Bewegung der Romantik, die ihren Anfang in Deutschland nahm und dann auf andere europäische Länder übergriff, war von einer starken Sehnsucht nach der Vergangenheit geprägt. Entsprechend groß war das Interesse an Geschichte und historischen Persönlichkeiten, an Sitten und Gebräuchen der Vorfahren. Aus der rauen Wirklichkeit der napoleonischen Kriege und der beginnenden Industrialisierung flüchtete man sich in ein idealisiertes Mittelalter, das als Epoche der Unschuld galt. In England begann die nostalgische Verklärung alles Mittelalterlichen gegen Ende des 18. Jahrhunderts. So setzte sich etwa in der Architektur ein neogotischer Baustil durch, der bis ins frühe 19. Jahrhundert zunehmend an Popularität gewann.
Auch die Literatur der Zeit tendierte zu einer rückwärtsgewandten, wenn auch nicht unbedingt konservativen Denkart. In seinem ungeheuer erfolgreichen Roman Das Schloss von Otranto schuf Horace Walpole 1764 das Vorbild für zahllose Schauer-, Gespenster- und Rittergeschichten. Im 19. Jahrhundert wandten sich neben Walter Scott romantische Dichter wie etwa John Keats dem Mittelalter zu. Sie sahen in der pittoresken Epoche nicht nur eine dankbare Kulisse für ihre Werke, sondern eine ideale Lebensform und eine Alternative zu der als eintönig empfundenen Gegenwart. Die Vielfalt an Ständen mit ihren jeweils spezifischen Aufgaben, Sitten, Kleidungen und Dialekten stand in scharfem Kontrast zur normierten, uniformierten Eintönigkeit der Gegenwart. Obwohl in der Ständegesellschaft des Mittelalters jeder seinen festen Platz und seine Aufgabe hatte, bot sie in den Augen vieler Romantiker dem Mutigen, Abenteuerlustigen doch eine größere individuelle Freiheit und mehr Handlungsmöglichkeiten.
Entstehung
In Ivanhoe wandte sich Walter Scott nach mehreren Schottlandromanen erstmals einem Stoff aus der englischen Geschichte zu. Die Anregung dazu erhielt er möglicherweise bei einem Gespräch mit seinem alten Freund William Clerk, der ihn darauf aufmerksam machte, dass die englischen Begriffe für Lebewesen meist aus dem Angelsächsischen stammen („sheep“, „pig“, „cow“). Sobald die Tiere aber auf den Tisch kämen, erhielten sie französischstämmige Namen („mutton“, „pork“, „beef“). Wie auch immer es um den Wahrheitsgehalt dieser Anekdote stehen mag, sie weist auf die Stoßrichtung des Romans, in dessen Zentrum der Gegensatz zwischen den bodenständigen angelsächsischen und den verfeinerten französischen Sitten steht. Darüber hinaus hegte Scott schon seit seiner Kindheit ein reges Interesse für das Mittelalter. Neben Beiträgen zu den Themen Romantik und Drama schrieb der leidenschaftliche Sammler alter Waffen auch einen Artikel über das Rittertum für die Encyclopedia Britannica. Für die Szenen der Belagerung und des Kampfes um die Burg diente Scott Johann Wolfgang von Goethes Drama Götz von Berlichingen als Vorbild, das Scott 1799 ins Englische übersetzt hatte.
Nach einer überwundenen Gallensteinerkrankung begann Scott im Juni 1819 mit der Niederschrift des Ivanhoe, die er bereits im November abschloss. Der Roman kam Ende Dezember, vordatiert auf 1820, in drei Bänden heraus. Als Angabe des Verfassers diente lediglich der Hinweis „by the author of Waverley“, womit auf den Roman Walter Scotts verwiesen wurde, der 1814 ebenfalls anonym erschienen war.
Wirkungsgeschichte
Sowohl bei den Kritikern als auch bei den Lesern war Ivanhoe ein großer Erfolg. Innerhalb von nur zwei Wochen war die erste Auflage von 10 000 Exemplaren vergriffen, schon bald folgten eine zweite und eine dritte. Nur vereinzelt wurden die eher stereotypen Charaktere, eine überfrachtete Handlung und mitunter haarsträubende Wendungen kritisiert. Kurz nach seinem Erscheinen wurde Ivanhoe in mehrere Sprachen übersetzt, 1827 erstmals ins Deutsche. Das Werk, das bis heute zu den beliebtesten des Autors zählt, löste in ganz Europa eine regelrechte Mode des historischen Romans aus und regte viele Schriftsteller zur Nachahmung an: in Frankreich Victor Hugo und Alexandre Dumas, in Italien Alessandro Manzoni, in Russland Leo Tolstoi, in Deutschland Gustav Freytag, Wilhelm Raabe und Theodor Fontane.
Ivanhoe wurde zur beliebten Vorlage für Opern, von Gioachino Rossinis Ivanhoé (1826) über Heinrich Marschners Der Templer und die Jüdin (1829) bis zu Otto Nicolais heute eher unbekanntem Werk Il templario (1840). In England war Arthur Sullivans 1891 uraufgeführte Oper Ivanhoe ein Großerfolg. Scotts Roman wurde auch oft verfilmt, erstmals im Jahr 1913. Am bekanntesten ist heute der 1952 unter der Regie von Richard Thorpe entstandene Film Ivanhoe – Der schwarze Ritter mit Robert Taylor und Elizabeth Taylor, der für drei Oscars nominiert wurde. 1995 drehte Ralph L. Thomas Ivanhoe, der junge Ritter.
Über den Autor
Walter Scott wird am 15. August 1771 als neuntes Kind seiner Eltern in Edinburgh geboren. Als Folge einer Kinderlähmung hat er sein Leben lang ein lahmes Bein. Die frühe Kindheit verbringt er auf dem Hof des Großvaters, wo er die Natur und die schottische Sagenwelt kennen lernt. Bereits mit 13 Jahren beginnt der eifrige Leser ein Jurastudium an der Universität Edinburgh, das er aus gesundheitlichen Gründen jedoch immer wieder unterbrechen muss und erst 1792 abschließt. Nebenbei übersetzt er Werke deutscher Dichter aus der Epoche des Sturm und Drang, gibt eigene Balladensammlungen heraus und schreibt Artikel für verschiedene Zeitungen. 1797 heiratet er Charlotte Carpenter. 1812 zieht der Rechtsanwalt, der inzwischen den Posten des Ersten Sekretärs am Edinburgher Zivilgericht innehat, mit seiner Frau und den vier gemeinsamen Kindern auf das Landgut Abbotsford am Tweed. Hier schreibt er neben mehreren Verserzählungen auch seinen ersten Roman Waverley (1814) der anonym erscheint und im Sturm das Publikum erobert. Mit den Honoraren für die nachfolgenden Schottlandromane baut der Gutsherr, der ab 1820 den Baronetstitel trägt, nach und nach seinen Landsitz aus. In rascher Folge erscheinen Romane wie Die Braut von Lammermoor (The Bride of Lammermoor, 1819), Das Kloster (The Monastery, 1920) oder Kenilworth (1821). Der Zusammenbruch eines Verlagshauses, bei dem er Teilhaber ist, stürzt ihn 1826 in den finanziellen Ruin. Er lehnt jede Hilfe ab und beschließt, sich aus eigener Kraft durch das Schreiben von der immensen Schuldenlast zu befreien. In den kommenden Jahren folgt ein Buch dem nächsten, darunter auch die neunbändige Biografie Das Leben des Napoleon (Life of Napoleon, 1827). Unter dem Arbeitsdruck leidet seine Gesundheit. Nach mehreren Schlaganfällen reist der inzwischen über die Grenzen Schottlands hinaus bekannte Dichter 1831 nach Italien und Malta, wo er unermüdlich weiter an seinen historischen Romanen schreibt. Nachdem er in seine Heimat zurückgekehrt ist, stirbt Walter Scott am 21. September 1832 in Abbotsford an einem erneuten Schlaganfall.
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