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Jakob und sein Herr

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Jakob und sein Herr

oder Der Glaube an das Walten des Schicksals

Diogenes Verlag,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Diderots skurriler Antiroman hat in 200 Jahren nichts an Intelligenz und Frische eingebüßt.


Literatur­klassiker

  • Roman
  • Aufklärung

Worum es geht

Schicksal oder Willensfreiheit?

Folgt unser Leben einem vorherbestimmten Schicksal oder haben wir die Fäden selbst in der Hand? Der launische Diener Jakob und sein namenloser Herr zotteln in Diderots berühmtem Roman zu Pferd übers Land und kommen immer wieder auf diese alles entscheidende Frage zurück. Dazu passend, inszeniert der Autor ein literarisches Verwirrspiel der Extraklasse: Es finden sich Liebesgeschichten, die den eigentlichen Reisebericht unterbrechen, Anekdoten, die wiederum diese Liebesgeschichten zweiteilen, Zwischenfälle, von denen die Anekdoten unterbrochen werden, und Kommentare des Erzählers, der schließlich alles infrage stellt. Jakob und sein Herr ist an stilistischer Raffinesse kaum zu überbieten und wohl nur mit Laurence Sternes Tristram Shandy zu vergleichen – den Diderot im Roman denn auch ausführlich zitiert. Goethe sprach von einer „köstlichen und großen Mahlzeit in Einschiebeschüsseln“, Hans Magnus Enzensberger nannte den Roman „eines der intelligentesten Bücher der Weltliteratur“. In der Tat: Das Werk liest sich heute so frisch wie vor 200 Jahren.

Take-aways

  • Jakob und sein Herr gilt als Meilenstein des modernen Romans und ist Diderots bekanntestes Buch.
  • Inhalt: Jakob und sein Herr unternehmen zu Pferd eine neuntägige Reise durch Frankreich. Sie erzählen sich Geschichten und hören auch von ihren Reisebekanntschaften so manche pikante Anekdote. Immer wieder kommt eine von Jakob aufgestellte These zur Sprache: alles irdische Geschehen sei vorherbestimmt.
  • Die Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern immer wieder unterbrochen.
  • Der Erzähler selbst räumt ein, die Handlung nach Lust und Laune zu verändern.
  • Jakobs Schicksalsglaube wird damit auch formal umgesetzt: Im Roman wie im Leben geschieht nur, was von „höherer Stelle“ gewollt ist.
  • Dieser Verzicht auf die Illusionswirkung der Geschichte war seinerzeit höchst innovativ und nahm die Theatertheorie Bertolt Brechts vorweg.
  • Aus Angst vor den Zensurbehörden ließ Diderot den Text in Frankreich zunächst nicht veröffentlichen.
  • Friedrich Schiller übersetzte 1785 Auszüge ins Deutsche; erst 1796 erschien die französische Originalausgabe.
  • Schriftsteller von Goethe bis Enzensberger äußerten ihre Begeisterung über das Werk.
  • Zitat: „Das musste so kommen, denn es stand dort oben in den Sternen geschrieben ...“

Zusammenfassung

In der Hand des Schicksals

Der Diener Jakob und sein Herr sind auf Reisen. Jakob glaubt, dass das Leben vorherbestimmt ist, und will als Beweis seine persönliche Liebesgeschichte erzählen: Er zog einst mit seinem Regiment in den Krieg, wurde von einer Kugel ins Knie getroffen und auf einem Karren abtransportiert. Vor einer Bauernkate wurde er ohnmächtig, später wachte er im Bett der armen Bauern wieder auf.

„Wo waren die beiden einander zum ersten Mal begegnet? – Ei, von ungefähr, wie alle Leute. – Wie hießen sie? – Was mag’s Euch kümmern? – Wo kamen sie her? – Vom nächstgelegenen Ort. – Wo gingen sie hin? – Kann man denn jemals wissen, wo man hingeht?“ (Leser und Erzähler über Jakob und seinen Herrn, S. 5)

Bevor Jakob weitererzählen kann, wird es Nacht und damit Zeit, eine Unterkunft zu suchen. Die beiden kehren in ein Wirtshaus ein. Im Nachbarzimmer randalieren ein Dutzend Rabauken, die Jakob mit vorgehaltener Pistole ins Bett schickt. Die Überzahl der Männer macht ihm keine Angst. Wollte das Schicksal, dass ihm etwas zustößt, wäre er ohnehin verloren; da das Schicksal ihm aber wohlgesinnt ist, passiert ihm – so Jakobs Theorie – ganz bestimmt nichts.

„Du siehst, lieber Leser, ich bin schon mitten im Erzählen, so recht im Zug, und es hinge bloß von mir ab, dich ein Jahr, zwei oder gar drei Jahre lang nach der Erzählung von Jakobs Liebesabenteuer zappeln zu lassen.“ (Erzähler, S. 7)

Am folgenden Tag erzählt Jakob, wie er in der Bauernkate von einem Wundarzt versorgt wurde und dann den Bauern belauschte, der seiner Frau Vorwürfe machte: Sie hätte Jakob nicht aufnehmen sollen, die Familie könne sich auch ohne den Gast kaum versorgen. Allerdings scheint der Bauer in der folgenden Nacht die Geldsorgen wieder vergessen zu haben: Soweit Jakob es erlauschen kann, macht er seiner Frau ein weiteres Kind.

Die Uhr und die Börse

Während Jakob und sein Herr ihre Reise fortsetzen und plaudernd vor sich hin reiten, fällt ihnen auf, dass sie bei ihrer letzten Nachtruhe die Uhr des Herrn und Jakobs Geldbörse haben liegen lassen. Jakob reitet zurück und bekommt auf dem Weg die Uhr von einem Krämer angeboten, der das gute Stück zuvor als Diebesgut erstanden haben muss. Jakob nimmt sie ihm ab – mit vorgehaltener Pistole. Der Krämer schreit um Hilfe, Jakob wird verhaftet und im nächsten Dorf dem Polizeipräsidenten vorgeführt.

„Es stand beides, eins neben dem andern, in den Sternen geschrieben. Alles steht beisammengeschrieben. Es ist gleichsam eine riesengroße Schriftrolle, die ganz unmerklich und allmählich aufgerollt wird.“ (Jakob, S. 14)

Bei diesem handelt es sich zufällig um den Gastgeber, bei dem Jakob und sein Herr in der vergangenen Nacht untergekommen sind. Er lässt seine gesamte Dienerschaft vortreten, und der Krämer erkennt den Dieb, der ihm die Uhr verkauft hat. Die Börse bekommt Jakob von einem Mädchen zurück, das behauptet, er habe sie damit für ihre Liebesdienste bezahlt. Jakob kann sich nicht daran erinnern, tritt ihr aber – schicksalsergeben – eine kleine Bezahlung ab.

Die Geschichte vom Hauptmann

Jakob erzählt seine Liebesgeschichte weiter: In der Bauernkate warf der Wundarzt einen Blick auf Jakobs Knie und stellte zufrieden fest, dass das Bein nicht amputiert werden musste. Zum Entsetzen des Bauern verkündete er jedoch, dass Jakob noch mehrere Monate liegen müsse und das Haus nicht verlassen dürfe.

„,Dieses Gesindel will ich zur Vernunft bringen.‘ ,Weißt du auch, dass ihrer gut ein Dutzend sind?‘ ,Und wären sie ihrer hundert, ihre Zahl hat da gar nichts zu besagen, wenn in den Sternen geschrieben steht, sie seien nicht zahlreich genug.‘“ (Jakob und sein Herr, S. 15)

Abermals unterbrochen wird die Erzählung, weil Jakob und sein Herr an einem Trauerzug vorbeikommen. Am Sarg entdeckt Jakob das Wappen seines ehemaligen Hauptmanns, den er heiß geliebt und von dem er seine Schicksalsphilosophie übernommen hat. Er erzählt, wie der reiche Hauptmann einst in einem halb freundschaftlichen, halb verfeindeten Verhältnis zu einem armen Offizier stand: Die beiden konnten nicht voneinander lassen, duellierten sich, pflegten sich wieder gesund, duellierten sich erneut und wurden vom Kriegsminister schließlich auf separate Posten versetzt. Die Trennung jedoch ertrugen sie nicht, weshalb sie beschlossen, einander in einem alles entscheidenden Kampf zu töten – was in letzter Sekunde von anderen Offizieren verhindert wurde.

Das Pferd des Henkers

Jakobs Pferd geht mehrmals durch und galoppiert jeweils zu einer Bergkuppe, auf der sich ein Hinrichtungsplatz befindet. Zu guter Letzt trägt es Jakob zu einem Haus, an dessen Torbogen er sich böse den Schädel stößt. Wie sich herausstellt, gehörte das Pferd zuvor einem Henker und ist nun sozusagen nach Hause gerannt. Jakobs Herr, sonst alles andere schicksalsgläubig, gibt zu bedenken, das Henkerspferd könne ein schlechtes Omen sein.

„Diesmal nun tat der Herr zuerst den Mund auf und fing mit seinem gewohnten Kehrreim an: ,Und jetzt, Jakob, wie steht’s mit der Geschichte deiner Liebe?‘“ (S. 22)

Jakob erzählt weiter: Da er in der Bauernkate nicht willkommen war, verhandelte er mit dem Wundarzt. Für 24 Franken im Monat wollte der ihn schließlich mit zu sich nehmen und von seiner Frau pflegen lassen. So war Jakob zwar fast sein ganzes Geld los, konnte sich aber zumindest humpelnd bald wieder fortbewegen. Im Nachbardorf traf er vor einem Wirtshaus die weinende Jeanne, die ihren Krug zerbrochen und all ihr Öl verloren hatte. Er schenkte ihr zwölf Franken, wurde dabei beobachtet und für einen reichen Mann gehalten. Auf dem Heimweg ging er Räubern in die Falle: Sie nahmen ihm sein letztes Geld ab.

Die Liebe des Marquis des Arcis

Für die Nacht machen Jakob und sein Herr wieder Station in einem Wirtshaus. Die Wirtin erzählt eine Geschichte über einen ihrer Gäste, den Marquis des Arcis. Nach langem Werben konnte der Marquis die stolze Madame de La Pommeraye als Geliebte gewinnen, verlor dann jedoch das Interesse an ihr und begann sie zu vernachlässigen. Um ihn auf die Probe zu stellen, sagte sie ihm, ihre Liebe zu ihm sei erloschen, worauf er erwiderte: „Oh, genau wie bei mir!“ Madame de La Pommeraye war verletzt und sann auf Rache. Sie engagierte die Bordellbesitzerin Madame d’Aisnon und deren Tochter Mademoiselle Duquênoi. In einem bescheidenen Haus in der Vorstadt quartierte sie die beiden verruchten Damen ein und ließ sie zur Tarnung das strenge Leben höchst enthaltsamer Christinnen führen. Dann inszenierte sie ein Treffen mit dem Marquis, der sich prompt bis über beide Ohren in die Tochter verliebte. Bald übertrafen sich seine Angebote: Er wollte das Mädchen entführen, er bot Geld und Schmuck, schließlich sogar sein halbes Vermögen und eines seiner beiden Häuser. Madame de La Pommeraye sorgte jedoch dafür, dass die Damen alles scheinbar züchtig ablehnten. So blieb dem Marquis schließlich nichts anderes, als die ehemalige Hure zu heiraten. Nach vollzogener Trauung verriet ihm die Pommeraye triumphierend, wen er sich da zur Frau genommen hatte. Das Schicksal hatte jedoch eine überraschende Wendung parat: Nach einem kurzen Wutanfall besann sich der Marquis auf seine Liebe und zog mit der Mademoiselle aufs Land, wohin ihr schlechter Ruf nicht langte. Die beiden führten fortan ein glückliches Leben.

Die Geschichte vom armen Richard

Das Wetter ist zu schlecht zum Reisen. Jakob nimmt seine Liebesgeschichte wieder auf: Jeanne, die Frau mit dem zerbrochenen Ölkrug, arbeitete als Bedienstete im Schloss des Herrn Desglands. Als dieser von der Wohltat Jakobs hörte, ließ er ihn ins Schloss Miramont holen und dort versorgen. Für seine persönliche Pflege war Denise zuständig, die Tochter Jeannes, in die Jakob sich bald verliebte.

„Und dort bog sein Ross plötzlich in ein niedriges Tor ein, sodass zwischen dem Schlussstein besagten Torbogens und Jakobs Kopf ein erschrecklicher Zusammenprall erfolgte. Und dabei musste entweder der Stein das Feld räumen oder dann Jakob rücklings herunterfallen. Und wie man sich unschwer denken kann, traf das Zweite ein.“ (S. 101)

Jakobs Herr kennt das Schloss Miramont und verspricht, bei Gelegenheit die Geschichte von Herrn Desglands und seinem Pflaster zu erzählen. Als die beiden wieder abreisen, werden sie vom Marquis des Arcis und dessen Sekretär Richard begleitet. Der Marquis erzählt ihnen Richards Geschichte. Der junge Mann hatte sich einst zur Ausbildung in ein Kloster begeben. In einem anderen Kloster herrschte zu jener Zeit der Abt Pater Hudson, der zahlreiche seiner Beichtkinder missbrauchte und auch sonst keine Ausschweifung ausließ. Obwohl Hudson sich nach außen wie ein Heiliger gab, kursierten bald Gerüchte über sein Treiben, und ausgerechnet Richard wurde als Kommissar in das Kloster geschickt. Hudson erkannte, dass man ihn im Verdacht hatte, und arrangierte ein Treffen zwischen Richard und einer Dirne, die angeblich gegen den Abt aussagen wollte. Tatsächlich wurde nun Richard selbst in Gesellschaft des unsittlichen Mädchens von der Polizei gestellt. Der Abt setzte sich scheinheilig für seine Entlassung aus dem Gefängnis ein und wurde für die vermeintlich großzügige Geste zum Minister befördert. Richard trat aus dem Kloster aus.

Ergaunerte Liebesdienste

Am nächsten Tag erzählt Jakob, wie er seine Unschuld verloren hat. Sein Freund Lump und er waren beide die Näherin Justine verliebt. Das Mädchen gab Jakobs Freund den Vorzug, sie schlief jede Nacht mit ihm auf dem Hängeboden über der Werkstatt von Lumps Vater. Eines Morgens verschliefen die beiden, und Justine musste auf dem Boden bleiben, weil sie nicht mehr ungesehen an dem Vater vorbeikonnte. Lump klagte seinem Freund sein Leid, woraufhin Jakob die Lage schamlos ausnutzte: Er stieg selbst auf den Hängeboden und erpresste Justine: Er drohte ihr, sie zu verraten, wenn sie nicht mit ihm schlief. Anschließend lockte er den Vater aus dem Haus, sodass das Mädchen vom Boden herunterkonnte. Lump gegenüber beteuerten sowohl Jakob als auch Justine, dass nichts vorgefallen sei. Lump vertraute daraufhin seinem Freund und seiner Liebsten noch mehr als zuvor.

„,Jakob ist für Euch, und Ihr wurdet für Jakob geschaffen.‘“ (Jakob zum Herrn, S. 234)

Auch der Herr erzählt eine Liebesgeschichte. Er liebte ein Mädchen namens Agathe, machte ihr wertvolle Geschenke, durfte sie aber nicht anfassen. Was er nicht wusste: Sein Freund, der Chevalier de Saint-Ouin, hatte ein Verhältnis mit Agathe und war sogar Nutznießer der Geldgeschenke des Herrn. Er wollte diesen deshalb in eine Ehe mit dem Mädchen zwingen. Scheinbar reumütig beichtete er seine Beziehung zu Agathe und schlug dem Herrn vor, sich an ihr zu rächen: Er gab ihm einen Schlüssel, mit dem dieser an seiner Stelle in Agathes Zimmer und zu in ihr Bett schlüpfen sollte. Der Herr tat, wie ihm geheißen, und wurde in der Dunkelheit tatsächlich von zwei weichen Armen empfangen.

Das Ziel der Reise

Jakob unterbricht die Erzählung seines Herrn und bittet darum, zunächst die versprochene Geschichte vom Schlossherrn Desglands und seinem Pflaster hören zu dürfen. Der Herr erzählt: Desglands führte eine Liebesbeziehung mit seiner lebensfrohen Nachbarin. Eines Tages veranstaltete er ein Abendessen, bei dem nicht nur diese Dame, sondern auch Desglands Nachfolger an ihrer Seite auftauchte. Desglands forderte den Nebenbuhler zum Duell und trug beim Zweikampf ein großes, schwarzes Pflaster auf der Wange. Als der Nebenbuhler schwer verletzt zusammenbrach, schnitt er sich mit der Schere ein Stückchen von dem Pflaster ab. Immer wieder duellierten die beiden sich, worauf Desglands jeweils ein Stück Pflaster abschnitt, und immer wieder erholte sich der Nebenbuhler. Erst als dieser endlich starb, entfernte der Schlossherr das Pflaster ganz.

„Der Herr: ,Du beklagst dich, wenn man dich unterbricht, und dann unterbrichst du einen selbst.‘ Jakob: ,Das kommt vom schlechten Beispiel, das Ihr mir gegeben habt.‘“ (S. 338)

Nun darf der Herr seine Liebesgeschichte mit Agathe zu Ende erzählen: Er lag noch in ihren Armen, als der Bettvorhang aufgerissen und der Herr von Agathes gesamter Familie sowie von einem Beamten ans Licht gezerrt wurde. Man verlangte von ihm, Agathe endlich zu heiraten, schließlich sei sie schwanger. Kurz darauf sah der Beamte jedoch zufällig den Chevalier mit dem Herrn zusammensitzen und erkannte ihn wieder: Der Chevalier war derjenige, von dem der Beamte in der Nacht alarmiert wurde, um den Herrn aus Agathes Bett zu holen. Vor Gericht wurde der Herr zwar nicht dazu verurteilt, Agathe zu heiraten, er musste jedoch für den Unterhalt des kleinen Sohnes aufkommen – der dem Chevalier wie aus dem Gesicht geschnitten war. Die Reise, auf der sich der Herr nun mit Jakob befindet, soll ihn mit diesem Sohn zusammenbringen. Der Herr will das ausstehende Kostgeld bei der Amme bezahlen und den Sohn dann in eine Lehre geben.

Happy End im Schloss Miramont

Jakob erzählt das Ende seiner Liebesgeschichte: Der Wundarzt im Schloss schnitt das immer noch schmerzende Knie erneut auf und holte einen Fetzen von Jakobs Hose hervor, der zusammen mit der Kugel ins Fleisch gedrungen war. Nach der Operation heilte das Bein endgültig aus. Denise pflegte ihn täglich. Zum Dank kaufte er ihr kleine Geschenke, schließlich ein Strumpfband, von dem er sagte, dass es für seine Liebste sei, und er wolle es ihr selbst anlegen. Sie ließ es geschehen.

„Und warum habt Ihr nicht jedes Mal aufgehört, Agathe zu lieben, wenn Ihr es wolltet? Herr, man verbringt drei Viertel seines Lebens damit, zu wollen, ohne etwas zu tun.“ (Jakob, S. 367)

Beim Haus des Sohnes angekommen, trifft der Herr mit dem Chevalier de Saint-Ouin zusammen, der ausgerechnet an diesem Tag zusammen mit Agathe das Kind besucht. Der Herr sticht ihn wutentbrannt nieder und flieht. Der Chevalier stirbt. Jakob wird für diesen Mord ins Gefängnis geworfen, bald jedoch von einer Räuberbande befreit und in deren Gruppe aufgenommen. Der Herr lebt inzwischen auf dem Schloss von Desglands, das von ebenjener Räuberbande überfallen wird. Jakob erkennt seinen Herrn und verhindert die Plünderung. Er bleibt ebenfalls auf dem Schloss, heiratet Denise, zeugt viele Kinder mit ihr und lebt glücklich in der Nähe seines Herrn.

Zum Text

Aufbau und Stil

Diderots Jakob und sein Herr ist als Antiroman bezeichnet worden. Tatsächlich handelt es sich um ein kurios verschachteltes Erzählkunstwerk und nicht um eine Romanhandlung im herkömmlichen Sinn, die linear verläuft. Vordergründig wird von der neun Tage dauernden Reise berichtet. In diese Erzählung werden allerdings so viele Geschichten eingeschoben, dass das Prinzip des Unterbrechens schließlich selbst zum Thema wird. Schon auf der ersten Seite setzt Jakob an, seine Liebesgeschichte zu erzählen, doch bis zum Ende des Buches wird er dabei ständig gestört: von den Zwischenfragen seines Herrn, von Diskussionen, Streitereien, Erzählungen und Anekdoten, die Jakob plötzlich wichtiger erscheinen als seine Liebesgeschichte. Zudem lassen sich die Reisenden von ihren Bekanntschaften in Gespräche verwickeln. Dabei kommt es vor, dass auch diese Einschübe wieder unterbrochen werden – etwa weil die Wirtin im Gasthaus sich laufend um ihre Angestellten kümmern muss. Zu allem Überfluss schaltet sich der Erzähler des Romans ein, um den Leser (der ebenfalls als Figur auftritt) auf die Fiktionalität des Ganzen hinzuweisen. Das große Kunststück Diderots besteht darin, dass es ihm trotz dieser verwirrenden Konstruktion gelungen ist, einen unterhaltsamen Roman zu schreiben.

Interpretationsansätze

  • Jakob und sein Herr sind Vertreter gegensätzlicher philosophischer Prinzipien: Determinismus vs. Willensfreiheit. Jakob glaubt, dass alles irdische Geschehen in einer himmlischen Schicksalsrolle geschrieben steht und vorherbestimmt ist. Sein Herr dagegen vertritt das Prinzip des freien Willens: der Mensch habe sein Schicksal selbst in der Hand.
  • Die Ironie der Geschichte liegt darin, dass beide Hauptfiguren nicht ihrem jeweiligen Prinzip gemäß handeln: Der Schicksalsglaube führt bei Jakob nicht zu einer gottergebenen Passivität, sondern zu einer aktiven und wachen Lebenseinstellung. Jakob ist ein durch und durch lebenserfahrener und tatkräftiger Mensch – während der Herr von seinem freien Willen eher selten Gebrauch macht und meistens lethargisch wirkt. Typisch für Jakob ist, dass er sämtliche Vorkommnisse erst im Nachhinein als vorherbestimmt interpretiert. Er stürzt sich munter in eine Situation und erklärt anschließend, er habe ja gar nicht anders handeln können.
  • Diderots Erzählweise spiegelt Jakobs Determinismus: Der Erzähler erklärt, dass er sich alle Geschichten zufällig ausgedacht habe und dass er sie auch ganz anders hätte erzählen können. Gleichzeitig gibt er vor, sich der Wahrheit verpflichtet zu fühlen, und bezieht sich auf Dinge, die er wirklich gehört haben will. Jakob und sein Herr fragen sich, ob immer das passiere, was vom Schicksal vorgesehen sei, oder ob man im Nachhinein Schicksal nenne, was sich vorher ereignet habe. Der Leser wiederum weiß nicht, ob der Erzähler den Verlauf der Handlung oder ob ein vorangegangenes Geschehen die Erzählung bestimmt.
  • Diderot nimmt den von Brecht für das Theater entwickelten Verfremdungseffekt vorweg: So wie bei Brecht die Schauspieler jederzeit als wirkliche Menschen in ihrer Rolle zu erkennen sein sollen, durchbricht Diderot die Illusion der Erzählung und weist immer wieder darauf hin, dass der Roman nicht mit der Wirklichkeit zu verwechseln sei.

Historischer Hintergrund

Die Aufklärung in Frankreich

Der absolutistische Regierungsstil Ludwig XIV. verhalf dem französischen Königreich Anfang des 18. Jahrhunderts zu strahlender Größe. Frankreich war der politische und kulturelle Mittelpunkt Europas, Französisch wurde weit über die Landesgrenzen hinaus als Modesprache gesprochen. Gleichzeitig hatten die kriegerische Außenpolitik und die legendäre Verschwendungssucht des „Sonnenkönigs“ verheerende Folgen für die französische Staatskasse. Das Land war verschuldet, die Steuern hoch. Bei Ludwigs Tod war das Volk froh, dass die 72-jährige Amtszeit des Königs ein Ende hatte.

Unter seinem Nachfolger Ludwig XV. schärfte sich dieser kritische Blick des Volkes auf die politische Führung. Der junge König rief zu Beginn seiner Amtszeit verstärkt den Hochadel in höhere Regierungspositionen und festigte damit zunächst dessen Stellung. Die liberalen Kräfte im Land begannen jedoch zunehmend, gegen das absolutistische Staatswesen aufzubegehren. Das durch die Manufakturen reich gewordene Bürgertum forderte die Gleichstellung mit dem Adel sowie die Sicherung grundlegender Rechte und eine moralische Unabhängigkeit von der Kirche. Neben Diderot lieferten namhafte Intellektuelle wie Montesquieu, Voltaire und Rousseau das passende religions- und gesellschaftskritische Gedankengut. Ihre Theorien der Aufklärung stellten jeglichen Autoritätsglauben prinzipiell infrage. In Deutschland empfahl unterdessen Immanuel Kant dem Menschen, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“. Die Entwicklung des Buchdrucks und das aufkommende Verlags- und Zeitungswesen sorgten dafür, dass breitere Bevölkerungsschichten Zugang zu literarischen und theoretischen Texten bekamen und plötzlich Möglichkeiten zur Bildung hatten, die ihnen zuvor verwehrt geblieben waren. Es entstand ein kritisches Gesellschaftsklima, das nach dem Tod Ludwig XV. schließlich zur Französischen Revolution führte.

Entstehung

Eine erste Inspiration zu seinem Roman fand Daniel Diderot vermutlich bei der Lektüre von Laurence Sternes Roman Das Leben und die Ansichten Tristram Shandys, dem er das Erzählprinzip der ständigen Unterbrechungen entnahm und aus dem er sogar längere Passagen abschrieb – nicht ohne dies im Buch selbst zuzugeben. Aus dem September des Jahres 1771 ist überliefert, dass Diderot erste Passagen seines Romans im Freundeskreis vortrug; die endgültige Fertigstellung zog sich jedoch noch einige Jahre hin.

Erst zwischen 1778 und 1780 wurden einige Ausschnitte in der Zeitschrift Correspondance littéraire veröffentlicht. Die Zeitschrift hatte den Vorteil, dass sie handgeschrieben war und zumeist mit der Diplomatenpost exklusiv an Abonnenten im Ausland geschickt wurde. Damit entging der Text der französischen Zensurbehörde, von der Diderot bereits 1749 für seinen religionskritischen Brief über die Blinden zu einigen Monaten Gefängnis verurteilt worden war. Die erste vollständige Ausgabe des Romans wurde in Frankreich erst nach dem Umweg über Deutschland veröffentlicht. Friedrich Schiller übersetzte die Geschichte von Madame de La Pommerayes Rache und veröffentlichte den Text 1785 in seiner Zeitschrift Rheinische Thalia. Genau dieser Ausschnitt wurde anonym ins Französische zurückübersetzt und 1793 in Paris publiziert. Komplett erschien der Roman erstmals 1792, wiederum nur in deutscher Sprache. Die französische Erstausgabe wurde erst 1796 veröffentlicht – nach Diderots Tod.

Wirkungsgeschichte

Die Liste der Schriftstellerkollegen, die sich im Lauf der Jahrhunderte begeistert über Diderots Roman äußerten, ist lang. Johann Wolfgang von Goethe las das Manuskript auf Empfehlung Schillers und schrieb im April 1780 in sein Tagebuch: „von 6 Uhr bis halb 12 Diderots Jacques le Fataliste in der Folge durchgelesen, mich (...) an einem solchen ungeheuren Mahle ergötzt und Gott gedankt, dass ich so eine Portion mit dem größten Appetit auf einmal als wärs ein Glas Wasser und doch mit unbeschreiblicher Wollust verschlingen kann.“ Georg Wilhelm Friedrich Hegel erklärte in seiner Phänomenologie des Geistes das Verhältnis von Herrschaft und Knechtschaft gar am Beispiel von Diderots Roman.

Sowohl für die Bühne als auch für den Film wurde der Text immer wieder bearbeitet. Milan Kundera verfasste 1981 eine Version für das tschechische Theater, die unter dem Titel Jacques und sein Herr 2003 auf Deutsch erschien. Schließlich fand Hans Magnus Enzensberger eine einfache Erklärung dafür, dass der Roman noch immer nicht an Wirkung verloren hat: Er sei „eines der intelligentesten Bücher der Weltliteratur“.

Über den Autor

Denis Diderot wird am 5. Oktober 1713 als Sohn eines wohlhabenden Messerschmieds in Langres geboren. Nach seiner Schulzeit geht er nach Paris, wo er Philosophie und Naturwissenschaft studiert. Die vom Vater verlangte theologische Karriere schlägt er aus und er wird stattdessen für ein Jahr Anwaltsgehilfe. Danach lebt er von schlecht bezahlten Gelegenheitsarbeiten, geht häufig als Bohemien in die Pariser Cafés, wo er sich mit Intellektuellen wie Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, Jean-Jacques Rousseau, Étienne Bonnot de Condillac und Melchior Grimm anfreundet. Als er den Vater bittet, in seine Heirat mit einer Wäscheverkäuferin einzuwilligen, lehnt dieser ab und schickt den Sohn ins Kloster von Troyes. Diderot gelingt bald die Flucht nach Paris, wo das Paar sich 1743 heimlich trauen lässt. Vier Jahre später wird Diderot Leiter eines berühmten verlegerischen Projekts: der 28-bändigen Enzyklopädie (Encyclopédie), dem Anspruch nach eine Zusammenstellung des gesamten Wissens der Zeit. 1749 wird Diderot wegen seines religionskritischen Briefes über die Blinden (Lettre sur les aveugles) von der Zensurbehörde für drei Monate in Vincennes eingesperrt. Viele seiner literarischen Werke lässt er daraufhin unveröffentlicht, darunter später berühmte Werke wie Die Nonne (La religieuse), Rameaus Neffe (Le neveu de Rameau) oder Jakob und sein Herr (Jacques le fataliste et son maître). Zu Lebzeiten tritt er vor allem als Philosoph, Naturwissenschaftler, Kunstkritiker und Dramatiker in Erscheinung. Seine Abhandlung Paradox über den Schauspieler (Le paradoxe sur le comédien, 1773) revolutioniert die Theaterszene. 1765 kann Diderot, der stets unter Geldnot leidet, die russische Zarin Katharina II. als Mäzenin gewinnen. Sie kauft ihm seine Bibliothek ab und besoldet ihn für 50 Jahre im Voraus als Bibliothekar. 1773 reist er auf ihre Einladung hin für ein halbes Jahr nach St. Petersburg. Am 31. Juli 1784 stirbt er in Paris an Herzversagen.

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