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König Ödipus

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König Ödipus

Artemis & Winkler,

15 Minuten Lesezeit
12 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Sophokles’ Meistertragödie über den vergeblichen Versuch, dem eigenen Schicksal zu entkommen.


Literatur­klassiker

  • Tragödie
  • Griechische Antike

Worum es geht

Das unentrinnbare Schicksal

Das Schicksal von Ödipus, das Sophokles so drastisch dargestellt hat, hat die Leser und Theaterzuschauer über Jahrhunderte bewegt, denn es rührt an die Grundfragen der Menschheit. Ödipus wird als Kind von seinen Eltern ausgesetzt, weil sie der Erfüllung eines schlimmen Orakelspruchs entgehen wollen. Der Junge überlebt, wächst in Unkenntnis seiner wahren Herkunft als Erbe eines benachbarten Königshauses auf und erhält bald die gleiche göttliche Prophezeiung. Gerade sein verzweifelter Versuch, diesem Fluch zu entfliehen, macht den ahnungslosen Ödipus zum Vatermörder und Muttergatten. Dank seiner herausragenden intellektuellen Fähigkeiten muss er sich am Ende selbst entlarven. Sophokles lässt in dem Stück nicht nur den Willen der Götter über menschliches Handeln triumphieren, er zeigt auch die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit auf: Selbst der Klügste unter den Menschen erkennt erst am Ende seine eigene zentrale Rolle bei der Entfaltung dieser Tragödie. Die Frage, inwiefern unser freier Wille uns Handlungsfreiheit selbst angesichts schicksalhafter Ereignisse ermöglicht, bewegt auch den modernen Menschen. Viele der im König Ödipus angeschnittenen Themen sind daher auch heute noch aktuell – oder besser: zeitlos.

Take-aways

  • König Ödipus ist eines der wichtigsten Dramen der westlichen Kulturgeschichte und gilt als Sophokles’ Hauptwerk.
  • Schon Aristoteles hat dieses Stück als Idealbeispiel einer Tragödie dargestellt.
  • Das Werk fußt auf dem Mythos von Ödipus, dem prophezeit wird, seinen Vater zu töten und mit seiner Mutter Kinder zu zeugen.
  • Am Anfang der Tragödie ist die Stadt Theben, in der Ödipus als König herrscht, von einem göttlichen Fluch belastet.
  • Als Bedingung für die Aufhebung des Fluches fordert das Orakel von Delphi die Überführung des Mörders des früheren Königs Laïos.
  • Ödipus, Laïos’ Nachfolger und Ehemann von dessen Witwe Iokaste, beginnt sofort mit einer umfassenden Ermittlung.
  • Ödipus hält sich selbst für den Sohn des Königspaares von Korinth.
  • Als Zweifel über seine Herkunft aufkommen, versuchen verschiedene Personen, ihn von der weiteren Suche nach seinen wahren Vorfahren abzuhalten.
  • Ödipus besteht aber unerbittlich auf der Wahrheitsfindung. Schließlich erfährt er, dass er der Sohn des Laïos ist, den er, ohne ihn zu kennen, im Streit getötet hat.
  • Iokaste erträgt die Schande nicht, gleichzeitig Ödipus’ Mutter und Frau gewesen zu sein, und erhängt sich.
  • Ödipus sticht sich selbst die Augen aus, weil er seine Schmach und vermeintliche Schuld nicht mehr länger mit ansehen kann.
  • Diese Tragödie von Sophokles hat über Jahrhunderte die Gemüter bewegt und wird bis heute regelmäßig aufgeführt.

Zusammenfassung

Der Fluch über Theben

König Ödipus tritt aus seinem Palast in Theben und trifft auf eine Gruppe von jungen Männern und Priestern, die ihn ersuchen, die Plage, die als göttlicher Fluch über Theben lastet, zu beheben. Denn seit Ödipus die Stadt von einem Ungeheuer, der Sphinx, befreit hat, steht er im Ruf, der Beste und Klügste der Menschen zu sein und die Hilfe der Götter zu genießen. Ödipus erwidert ihnen, dass er bereits seinen Schwager Kreon zum Orakel nach Delphi geschickt habe, um zu erfahren, wie er den Fluch abwenden könne. Kurz darauf tritt Kreon auf: Er hat vom Gott Apollon in Delphi die Antwort erhalten, dass der Fluch aufgehoben werde, sobald der Mörder des Laïos, der sich immer noch im Land befinde, ausfindig gemacht und entweder getötet oder aus Theben verbannt worden sei. Laïos war Ödipus’ Vorgänger auf dem Königsthron.

Wie Ödipus nach Theben kam

Der junge Ödipus wuchs als Thronfolger des Königreichs Korinth auf. Eines Tages erzählte ihm ein betrunkener Korinther, dass er möglicherweise nicht der leibliche Sohn des Königs Polybos sei. Da dieser und seine Frau Merope ihm zwar ihre große Liebe bezeugten, gleichzeitig aber auch auf seine Fragen nach seiner Herkunft nur ausweichende Antworten gaben, machte sich Ödipus heimlich auf den Weg zum Orakel von Delphi. Doch statt die Frage nach seiner Herkunft zu beantworten, prophezeite ihm das Orakel Schreckliches: Er werde sich des Vatermordes und des Inzests mit seiner Mutter schuldig machen. Entsetzt beschloss Ödipus daraufhin, nicht mehr nach Korinth zurückzukehren, und reiste stattdessen in Richtung Theben weiter. Auf dem Weg dorthin tötete er im Streit um das Wegerecht einen ihm unbekannten wohlhabenden Reisenden und dessen Begleiter. Nur ein Diener konnte ihm entkommen.

„O Kinder, jung Geschlecht aus Kadmos’ altem Stamm! / Wie deut’ ich’s, dass ihr hier auf diesen Plätzen sitzt, / mit hilfeflehenden Gezweigen reich geschmückt? / Die Stadt indes ist angefüllt von Weihrauchduft, / zugleich von Bittgesängen und von Wehgeschrei. / Ich hielt es nicht für recht, von Boten, Kinder, dies, / von andren zu vernehmen, und so komm’ ich selbst, / von allen der berühmte Ödipus genannt.“ (Ödipus, S. 9)

Als Ödipus in Theben ankam, löste er das Rätsel, das die Sphinx ihm stellte, und befreite die Stadt damit von der Terrorisierung dieses Untiers. Aus Dankbarkeit für die Befreiung machten die Thebaner Ödipus zum Thronfolger von König Laïos, der kurz zuvor ermordet worden war. Ödipus nahm dessen Witwe Iokaste zur Frau. Im Laufe der Jahre zeugte er mit ihr vier Kinder. Nun plötzlich scheint die Stadt unter einem Fluch zu liegen.

Versuche zur Ermittlung des Täters

Da gemäß dem Orakelspruch nur die Bestrafung des Mörders von Laïos den Fluch aufheben kann, beginnt Ödipus sofort mit der entsprechenden Ermittlung. Der einzige Überlebende jener Auseinandersetzung, bei der Laïos den Tod fand, berichtete damals, sie seien von einer zahlenmäßig überlegenen Räuberbande angegriffen worden. Kreon hatte die Sache wegen der von der Sphinx verursachten Schwierigkeiten aber nicht weiterverfolgen können. Ödipus wendet sich an den Chor – der die Ältesten der Thebaner repräsentiert – und bittet diesen um Mithilfe bei der Aufklärung des Königsmordes. Der Chor fleht die Götter um Beistand bei der Überführung des Täters an. Ödipus verspricht dem Täter, dass er ihm – falls er sich stellen sollte – das Leben lassen und ihn lediglich in die Verbannung schicken werde. Gleichzeitig droht er jedem Strafe an, der den Mörder beherbergt oder mit ihm Umgang pflegt, und er verflucht den Mörder selbst, sollte er sich nicht stellen. Er verpflichtet sich, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um die Ermittlung zum Erfolg zu führen.

„Auf, Bester du der Menschen, richt’ empor die Stadt! / Auf, hilf und hüt’ dich, da dich dieses Land noch jetzt / als Retter preist für das, was du geleistet einst.“ (Priester zu Ödipus, S. 11 f.)

Der Chorführer schlägt vor, den blinden Seher Teiresias zu befragen, denn dieser kenne den Willen der Götter. Ödipus entgegnet, dass er auf Kreons Anraten den Seher bereits habe rufen lassen. Als dieser eintrifft, weigert er sich aber zuerst, sein Wissen preiszugeben. Er deutet an, dass dies für Ödipus besser sei. Erst als Ödipus ihn der Komplizenschaft beim Mord an Laïos bezichtigt, bricht Teiresias sein Schweigen: Er enthüllt, dass niemand anders als Ödipus selbst der gesuchte Täter sei.

„Du sagst das Rechte. Aber Götter nötigen, / wo sie nicht wollen, das vermöcht’ auch nicht ein Mensch.“ (Ödipus zum Chorführer, S. 25)

Ödipus weist diese Beschuldigung als Provokation zurück. Da sagt ihm Teiresias außerdem, dass er mit Iokaste in Blutschande lebe. Ödipus vermutet daraufhin ein Komplott Kreons mit der Absicht, ihn zu stürzen. Er zweifelt Teiresias’ seherische Gabe an: Schließlich habe er es ja trotz seiner Fähigkeiten nicht geschafft, die Stadt von der Sphinx zu befreien; das sei erst ihm selbst, Ödipus, gelungen. Teiresias erwidert, Ödipus sei der eigentliche Blinde, und sagt ihm ein bitteres Ende vorher. Der Seher geht und hinterlässt noch die Prophezeiung, Laïos’ Mörder sei ein geborener Thebaner, der sich des Vatermords und Inzests schuldig gemacht habe, und dies werde noch am selben Tag offenbar werden. Doch auch der Chor schenkt ihm keinen Glauben: Schließlich hat Ödipus die Bürger von der Sphinx befreit und sie halten an ihm fest, solange seine Schuld nicht eindeutig erwiesen ist. Zudem können sie sich nicht vorstellen, wie ein Mann voller Klugheit und Tugend, wie es Ödipus ist, einer solchen Freveltat überführt werden könnte.

Die Wahrheit kommt allmählich ans Licht

Kreon verteidigt sich gegen die Beschuldigung, eine Intrige gegen Ödipus geschmiedet zu haben. Ödipus meint, es sei doch seltsam, dass Laïos schon seit vielen Jahren tot sei und Ödipus erst jetzt plötzlich vom blinden Seher des Mordes beschuldigt werde. Noch dazu sei der Seher ja auf Kreons Anraten hin befragt worden. Kreon erwidert, er habe als Schwager des Königs Macht und Einfluss genug gehabt, ohne gleichzeitig die Last des Königsamtes tragen zu müssen. Er wüsste nicht, warum man ihn ehrgeizigerer Pläne beschuldigen sollte. Die Zeit werde erweisen, wer unschuldig sei. Ödipus bleibt aber bei seinen Anschuldigungen.

„Ach, ach, wie schlimm, zu wissen, wo’s dem Wissenden / nicht frommen kann! Dies hab’ ich wohl gewusst und doch / missachtet: Sonst hätt’ ich mich nicht hierher verfügt.“ (Teiresias, S. 29)

Da tritt Iokaste auf, um den Streit zwischen Mann und Bruder zu schlichten. Sowohl sie als auch der Chor bitten Ödipus, von seiner Attacke gegen Kreon abzulassen. Iokaste will aber auch wissen, was den ganzen Streit ausgelöst hat. Ödipus berichtet ihr von der Anschuldigung des Sehers und von seinem Verdacht gegen Kreon. Iokaste versichert ihm daraufhin, dass die menschliche Seherkunst nicht zuverlässig sei. So sei auch ihrem früheren Mann Laïos prophezeit worden, er würde von seinem Sohn getötet werden; stattdessen sei er aber an einer Weggabelung von Räubern ermordet worden. Sie fügt an, dass das Kind, das damals von dem königlichen Ehepaar aus Angst vor dem Orakelspruch ausgesetzt wurde, mit seinen durchbohrten, gefesselten Füßen ohnehin nicht habe überleben können. Ihm sei so der Vatermord erspart geblieben.

„Ich will mir selbst und dir nicht wehe tun. Warum / forschst du vergebens nach? Von mir erfährst du’s nicht.“ (Teiresias zu Ödipus, S. 29)

Als Ödipus von Laïos’ Tod an einer Weggabelung hört, befällt ihn eine seltsame Vorahnung. Er befragt Iokaste nach dem Ort der Tat, nach Laïos’ Aussehen und der Zahl seiner Begleiter. Bei jeder Antwort stöhnt Ödipus auf. Er berichtet Iokaste von seinen Zweifeln hinsichtlich seiner Herkunft, von seiner Reise nach Delphi und auch von dem tödlich geendeten Streit um das Wegerecht. Ödipus dämmert die Erkenntnis: Er selbst ist Laïos’ Mörder. Er will nun Theben verlassen – aber nicht nach Korinth zurückkehren, um dort nicht auch noch zum Vatermörder und Gatten der Mutter zu werden. Iokaste aber beruhigt Ödipus: Der Diener, der damals der Auseinandersetzung entkam, hat ja vor der versammelten Stadt von einer ganzen Räuberbande gesprochen, die die Reisenden angegriffen habe. Es keimt wieder Hoffnung in Ödipus auf, dass Laïos’ Ermordung und sein eigener Kampf an der Weggabelung zwei verschiedene Ereignisse sind.

„Hiernach bewirf nur Kreon, wirf auf meinen Mund / mit Unrat: Unter Sterblichen ist keiner, der / je schlimmer als du selbst zerrieben werden soll.“ (Teiresias zu Ödipus, S. 35)

Iokaste will es bei diesem Stand der Ermittlungen bewenden lassen. Ödipus aber besteht darauf, jenen Diener zu sich zu rufen. Dieser hat sich auf eigenen Wunsch weitab von der Stadt als Hirte einsetzen lassen, nachdem Ödipus Laïos’ Nachfolge angetreten hatte. Nun erscheint noch einmal der Chor, der die Allmacht der Götter betont: Ein Frevler könne seiner gerechten Strafe garantiert nicht entkommen. Sonst wäre es ja nutzlos, den Göttern zu dienen. Würde die Weissagung der Götter an Laïos nicht in Erfüllung gehen, dann würde das einen herben Machtverlust für die Götter bedeuten.

Botschaft aus Korinth

Ein korinthischer Bote tritt auf und verkündet Ödipus, dass ihn die Korinther zum König machen wollen, da sein Vater Polybos an Altersschwäche gestorben sei. Iokaste ist hocherfreut, denn nun muss sich Ödipus nicht mehr vor dem prophezeiten Vatermord fürchten. Überhaupt, meint sie, würden sich die Vorhersagen der Seher zunehmend als trügerisch und nichtssagend erweisen. Ödipus fürchtet aber noch immer, dass er zumindest mit seiner Mutter Merope in Korinth Blutschande begehen könnte. Der Bote aus Korinth klärt ihn daraufhin auf, dass er nicht das leibliche Kind des Königspaares ist. Er berichtet, er selbst sei es gewesen, der damals den Säugling Ödipus zu dem kinderlosen Paar gebracht habe. Das Kind sei ihm von einem Hirten, einem Diener Laïos’, übergeben worden. Wie sich herausstellt, handelt es sich um den gleichen Hirten, den Ödipus gerade herbeirufen ließ und der als Einziger den Kampf überlebt hat, bei dem Laïos ums Leben gekommen ist. Iokaste beschwört Ödipus, die Angelegenheit nicht weiterzuverfolgen; er besteht aber darauf, Klarheit über seine Herkunft zu erlangen. Daraufhin enteilt sie in den Palast. Der Chor bringt die Hoffnung zum Ausdruck, Ödipus’ Herkunft möge sich als vornehm, ja vielleicht sogar göttlich erweisen.

Des Rätsels Lösung

Nun wird der thebanische Hirte herbeigeführt, der ehemalige Diener Laïos’. Zwar erinnert er sich an den korinthischen Boten, will ihn aber zuerst davon abhalten, die alte Geschichte mit dem Säugling zu erzählen. Nach längerem Drängen und unter Drohungen berichtet er, was sich damals zugetragen hat: Laïos war von dem Orakel in Delphi prophezeit worden, dass er eines Tages von seinem eigenen Sohn getötet werden würde. Die Königin Iokaste selbst hatte daraufhin ihren neugeborenen Sohn dem Diener übergeben, um ihn auszusetzen. Dem Kind wurden die Knöchel durchbohrt, und es wurde an den Füßen gefesselt. Die Mutter wollte ihren eigenen Sohn ins Verderben schicken, weil sie hoffte, so den prophezeiten Vatermord verhindern zu können. Der mitleidige Diener übergab das Kind einem Hirten aus Korinth, weil er glaubte, wegen der großen Entfernung könne sich die fatale Prophezeiung nicht erfüllen. Ödipus erkennt nun die Zusammenhänge: Er hat tatsächlich seinen Vater Laïos getötet und seine Mutter Iokaste zur Frau genommen. Der Chor bejammert das Schicksal des Ödipus stellvertretend für das Los aller Menschen: Alle, die sich glücklich schätzen, leben in einem Wahn, aus dem es einmal ein böses Erwachen geben wird.

Das schaurige Ende

Ein Diener berichtet, was sich nach diesen Enthüllungen im Königspalast von Theben zugetragen hat: Iokaste hat Selbstmord begangen. Sie war zum Palast geeilt, verzweifelt und sich die Haare raufend ins eheliche Schlafgemach gerannt und hatte die Tür hinter sich verschlossen. Dort klagte sie dem verstorbenen Laïos ihr Schicksal. Danach kam auch Ödipus in höchster Erregung in den Palast, verlangte ein Schwert und fragte nach Iokaste. Keiner der Männer wollte ihm Auskunft geben, aber die Götter müssen ihm den Weg gezeigt haben. Ungestüm brach er die Doppeltür zum Schlafgemach auf und fand dort Iokaste, die sich erhängt hatte. Mit einem lauten Aufschrei löste er die Frau von dem Strick und legte sie auf den Boden. Dann ergriff er die goldenen Ziernadeln an ihrem Gewand und stach sich damit die Augen aus. Dabei rief er, dass seine Augen jetzt nicht mehr das Unheil sehen könnten, das über ihn gekommen sei und das er selbst angerichtet habe. Immer wieder stach er sich in die Augen, bis ihm das Blut in Strömen über den Bart rann. Ödipus und Iokaste waren einstmals wahrhaft glücklich, meint der Diener, nun aber ist ihnen nur Schmach und Leid geblieben.

„Im Hass zwar, sieht man, gibst du nach; doch schwer wird’s dir, / sobald der Zorn vergeht: Naturen solcher Art / sind ja, mit Recht, sich selbst am schmerzlichsten zur Last.“ (Kreon zu Ödipus, S. 49)

Der blinde Ödipus wird aus dem Palast geführt. Seinem eigenen Urteilsspruch über Laïos’ Mörder gehorchend, fordert Ödipus nun, man möge ihn aus Theben verstoßen. Der Chor beklagt beim Anblick des Ödipus, dieser habe sich durch seine Selbstblendung noch zusätzliches Leid zugefügt. Ödipus besteht darauf, dass er keine Wahl hatte und am liebsten auch noch taub wäre. Als Kreon, der mittlerweile die Herrschaft in Theben übernommen hat, auftritt, fordert ihn Ödipus auf, ihn aus dem Land zu verbannen. Kreon will aber erst den Urteilsspruch des Gottes Apollon abwarten. Ödipus bittet ihn, für seine beiden Töchter Antigone und Ismene zu sorgen; seine Söhne könnten als Männer für sich selbst Sorge tragen. Als Kreon die Mädchen zu ihm bringt, umarmt er sie und bejammert ihr unehrenhaftes Schicksal, bevor er ins Haus zurückgeführt wird.

„Weh mir! Es scheint, ich habe selbst soeben mich / in grauenhaften Fluch verstrickt und weiß es nicht.“ (Ödipus, S. 53)

Der Chor spricht die Mahnung aus, das Schicksal des Ödipus zu bedenken, der das Rätsel der Sphinx lösen konnte, viel Macht gewann, von allen beneidet wurde und nun solches Unglück erleiden musste. Kein Sterblicher sollte glücklich gepriesen werden, bevor er nicht sein Leben ohne Leiden beendet hat.

Zum Text

Aufbau und Stil

Die Tragödie König Ödipus wurde nach einem klaren Grundschema konzipiert: In sechs so genannten Epeisodien, die jeweils von Liedern des Chors unterbrochen werden, kommt Ödipus der Wahrheit immer näher. Die einfache Konstruktion war schon allein deshalb notwendig, weil Tragödien zur damaligen Zeit im Rahmen von Dichterwettbewerben zu Ehren des Gottes Dionysos nach strikten Regeln aufgeführt wurden: Auf den einleitenden Prolog folgten immer abwechselnd darstellende Szenen und Chorgesänge. Das Stück gewinnt seine Dynamik vor allem aus dem Zusammenwirken der beiden Stilelemente Chor und Schauspieler. Sophokles hat dabei den Chor – der übrigens zu seiner Zeit mit Laien besetzt wurde, während die Schauspieler schon Profis waren – von zwölf auf 15 Mitglieder erhöht und ihn in den Dialog der Schauspieler einbezogen. Im König Ödipus repräsentiert der Chor die Stadtältesten. Entsprechend nimmt er am Geschehen teil und ist nicht nur kommentierendes Element. Die Zuschauer, denen der Ödipusmythos vertraut war, kannten die grundlegenden Fakten, im Unterschied zu den handelnden Figuren, die alles erst im Verlauf des Stücks ergründen müssen. Ausnahmen sind der Seher Teiresias und der thebanische Bote: Sie sind Spannungselemente, weil sie von Ödipus bei seiner Wahrheitssuche unter Druck gesetzt werden, ihr Wissen preiszugeben. Im griechischen Original ist das Stück auch sprachlich hoch strukturiert: Durch verschiedene Sprechrhythmen werden Akzente gesetzt, und ein Teil des Geschehens wird mittels Gesängen vermittelt, sodass das Stück in der Originalaufführung für uns Heutige eher den Eindruck einer Barockoper als eines modernen Sprechdramas vermittelt.

Interpretationsansätze

  • Das Stück wirft die Frage der menschlichen Freiheit auf. Ist unser Leben vorherbestimmt oder haben wir Willensfreiheit? Für Sophokles ist der freie Wille des Menschen durch den Willen der Götter eingeschränkt. Sich über diese Grenzen hinwegsetzen zu wollen, ist für ihn Hybris, frevelhafter Übermut, die eigentliche Schuld des Menschen.
  • König Ödipus macht deutlich, dass es angesichts der Verwicklungen des Lebens oft alles andere als einfach ist, die Schuldfrage definitiv zu klären. Wie Ödipus sind wir alle in gewissem Sinne Opfer und Täter zugleich.
  • Sophokles thematisiert die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit. Selbst Ödipus in seiner großen Klugheit hat Schwierigkeiten, die unangenehme Wahrheit zu erkennen.
  • Ödipus projiziert in typisch menschlicher Weise das Böse von sich weg, nach außen. Er verflucht sogar Laïos’ Mörder, ohne zu wissen, dass der Fluch ihn selbst treffen wird. Diese Art von dramatischer Ironie durchzieht das ganze Stück.
  • Der Schlusschor zieht aus allem die Lehre: Glück ist flüchtig. Wo Menschen sich in dauerhafter Sicherheit wähnen, hängen sie nur einer Illusion nach.
  • Ein wichtiges Motiv ist die Blindheit: So sieht etwa der blinde Teiresias die Wahrheit, während der sehende und scharfsinnige Ödipus für sie blind ist – und sich am Ende, als er die Wahrheit erkennt, tatsächlich selbst blendet.

Historischer Hintergrund

Die Wiege des Theaters in Europa

Die Grundlagen des Dramas, wie sie die alten Griechen festlegten, bestimmen bis heute teilweise die Konventionen des Theaters im westlichen Kulturkreis. Die Anfänge dieser Literaturform finden sich in den religiösen Festlichkeiten im Rahmen des Dionysoskultes. Diese Feste waren ursprünglich von Tänzen und Gesängen, später von dramatischen Sprechgesängen geprägt. Der Grieche Thespis soll daraus im sechsten Jahrhundert v. Chr. zum ersten Mal Elemente der Tragödie für diese festlichen Gelegenheiten entwickelt haben. Er stellte dem singenden Chor einen Schauspieler entgegen und eröffnete damit die Möglichkeit eines Dialogs und einer dramatischen Handlung. Der Dichter Aischylos führte einen zweiten Schauspieler in die Szenen ein, Sophokles dann sogar einen dritten. Letzterer stand zeitlich zwischen den anderen beiden großen griechischen Dramatikern Aischylos und Euripides.

Die Tragödien wurden zu Sophokles’ Zeit im Rahmen des Dramatikerwettbewerbs, der alljährlich anlässlich der Feierlichkeiten für den Gott Dionysos stattfand, aufgeführt. Jeder Dichter musste hierfür drei Tragödien und eine Komödie einreichen. Der für die Dionysosspiele verantwortliche Staatsbeamte wählte dann drei Dichter, denen er jeweils einen Chor zuteilte, für die Aufführung ihrer Stücke. Diese drei Dichter traten in einen Wettstreit miteinander. Ein Gremium von zehn Schiedsrichtern bestimmte den Sieger. Das Ganze war ein glanzvolles Fest, das die Bewohner Athens mehrere Tage in Atem hielt.

Entstehung

Bereits um 800 v. Chr. war den Griechen laut dem Dichter Homer die Geschichte des Ödipus allgemein bekannt. Alle drei großen griechischen Dichter haben später entsprechende Dramen geschrieben, aber nur die Ödipustrilogie von Sophokles ist erhalten geblieben. Die Tragödie König Ödipus ist der erste Teil der Trilogie, wurde aber erst als zweites Stück aufgeführt. Mehrere Jahre zuvor war die Antigone aufgeführt worden, die inhaltlich den Abschluss der Trilogie darstellt. Den Mittelteil bildet Ödipus auf Kolonos, in dem Ödipus’ Asyl in Athen beschrieben wird. Sophokles reichte 30-mal die durch die Wettbewerbsstatuten vorgeschriebene Vierzahl von Stücken zum Dichterwettbewerb ein. Mindestens 18-mal gewann er. Dritter und damit Letzter wurde er nie, allerdings belegte er mit König Ödipus lediglich einen zweiten Platz. Insgesamt soll Sophokles 123 Stücke verfasst haben, von seinen Tragödien sind aber nur sieben vollständig erhalten. Ein Grund für den Verlust der Mehrzahl der Dramen liegt darin, dass die Stücke im Rahmen des Dionysosfestes nur ein einziges Mal zu Ehren des Gottes aufgeführt wurden. Möglicherweise findet sich im Prolog von König Ödipus eine Anspielung auf die Pest, die Athen im Jahr 430 v. Chr. heimsuchte und an der der Staatsmann Perikles, mit dem Sophokles befreundet war, 429 v. Chr. starb. Bis heute gibt es aber keine gesicherten Informationen über das genaue Aufführungsdatum der Tragödie.

Wirkungsgeschichte

Sophokles’ König Ödipus ist eines der erfolgreichsten Theaterstücke aller Zeiten. Schon Aristoteles hat das Drama in seiner Poetik, der Darlegung seiner Theorie der Dichtkunst, weitgehend zur Grundlage für die Erörterung der idealen Tragödie gemacht. Das Stück wurde im Laufe der Zeit in eine Vielzahl von Sprachen übersetzt, erlebte weltweit unzählige Inszenierungen und ist bis heute Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen. In fast einzigartiger Weise hat das Stück das Interesse sowohl der Philosophen und Literaturwissenschaftler als auch der Künstler, vor allem der Literaten und Dramatiker, geweckt. Schon in der Antike gab es Nachdichtungen, wie die vom Dichter und Philosophen Seneca. Selbst der junge Julius Cäsar hat eine Version des Stoffes verfasst. Während der italienischen Renaissance wurde das wiederentdeckte Stück zum bekanntesten griechischen Drama.

Der zerbrochene Krug (1808) von Heinrich von Kleist greift das Motiv des Ermittlers als Täter, wenn auch unter umgekehrten Vorzeichen, bewusst in Anlehnung an Sophokles auf. Autoren wie Pierre Corneille, Voltaire oder Max Frisch befassten sich in ihren Werken mit dem Ödipusmythos. Igor Strawinsky vertonte eine Textversion von Jean Cocteau als szenisches Oratorium. Pier Paolo Pasolini verarbeitete das Thema filmisch. Heiner Müller erstellte eine Neufassung der Tragödie, die 1967 in der DDR uraufgeführt wurde.

Der Einfluss des König Ödipus reicht auch über die Literatur hinaus. Die Tatsache, dass die Thematik des Stücks anscheinend von ungewöhnlich großem Interesse für die Menschen unterschiedlicher Zeitperioden war, hat Sigmund Freud als Beleg für den von ihm postulierten Ödipuskomplex angesehen: Freud zufolge rivalisieren kleine Jungen in einer bestimmten Lebensphase mit ihrem Vater, um an der Seite der Mutter ihre Machtposition einnehmen zu können. Auch Carl Gustav Jung und Erich Fromm befassten sich mit der Deutung des Mythos.

Über den Autor

Sophokles wird 497 oder 496 v. Chr. im Dorf Kolonos nahe Athen geboren. Um seine Gestalt ranken sich zahlreiche Legenden. Verlässliche biografische Daten über den Verlauf seines für die damalige Zeit relativ langen Lebens sind aber nur wenige überliefert. Sein Vater Sophillos ist ein reicher Waffenhersteller, und Sophokles erhält eine gute Ausbildung. Wegen seiner Statur, seiner athletischen Geschicklichkeit und seiner herausragenden musikalischen Fähigkeiten führt er als Jugendlicher angeblich den Dankgesang anlässlich des griechischen Sieges über die Perser in der Seeschlacht von Salamis im Jahr 480 v. Chr. an. 471 oder 470 v. Chr. reicht er seine ersten vier Dramen für den Wettkampf der Dichter bei den Dionysosfesten ein und belegt auf Anhieb den zweiten Platz. 468 v. Chr. gewinnt er zum ersten Mal diesen Wettkampf – und das auch noch im direkten Vergleich mit dem berühmten Aischylos. Vom Alter und von seinen Überzeugungen her steht Sophokles zwischen Aischylos und Euripides, dem letzten der drei großen Dichter. Bei Aischylos lernt Sophokles nach eigenem Bekunden das Stückeschreiben. Er verfasst gut 130 Dramen, von denen jedoch nur sehr wenige erhalten sind, u. a. die thebanische Trilogie Antigone, König Ödipus und Ödipus auf Kolonos. In den Jahren 443/442 v. Chr. wird Sophokles zu einem der Schatzmeister des Attischen Seebundes bestimmt. Im Samischen Krieg bekleidet er gemeinsam mit dem Staatsmann Perikles, mit dem er befreundet ist, das offizielle Amt eines Strategen, das er auch später noch zeitweise ausübt. 413/412 v. Chr. ist er Mitglied der oligarchischen Regierung, die Athen nach der katastrophalen militärischen Niederlage der Athener auf Sizilien zeitweise regiert. Um das Jahr 406 v. Chr. stirbt Sophokles in seiner Heimatstadt, ohne je eine der zahlreichen Berufungen an einen auswärtigen Königshof angenommen zu haben. Es wird berichtet, er sei an einer Weintraube erstickt – der Wahrheitsgehalt dieser Anekdote ist jedoch umstritten.

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