Andreas Moring
Künstliche Intelligenz und Intuition
Robuste und nachhaltige Entscheidungen in digitalen Arbeitswelten
Springer Gabler, 2023
Was ist drin?
In unsicheren Situationen sollten Sie nicht auf KI vertrauen – sondern auf Ihre Intuition.
Rezension
Ist uns künstliche Intelligenz bald hochüberlegen? Wenn es um nüchterne Datenanalyse geht, ganz bestimmt. In unsicheren, strategisch wichtigen Situationen allerdings sollten Sie auf Ihr Bauchgefühl vertrauen, sagt Andreas Moring. Intuition ist das Resultat vielfältigster Erfahrung – ein Schatz, auf den keine KI zurückgreifen kann. In seinem Buch liefert der Management-Professor tiefe Einblicke in die Funktionsweise unseres Gehirns und dessen Einfluss auf unser Handeln. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, rät er, Mensch und Maschine gemäß ihren Stärken einzusetzen. Die besten Resultate liefern sie erst im Zusammenspiel.
Take-aways
- Künstliche Intelligenz wird neben standardisierten Tätigkeiten auch anspruchsvolle Aufgaben übernehmen.
- Mitarbeitende müssen sich als Trainer der KI verstehen.
- Intuition ist eine menschliche Fähigkeit, die der Computer nicht besitzt.
- In unsicheren Situationen sind intuitive Entscheidungen besser als rein analytische.
- Bremsen Sie Ihre Intuition nicht aus, indem Sie alle möglichen Risiken durchspielen.
- Nehmen Sie Anstrengung als eine positive Herausforderung wahr.
- Achtsamkeit hilft dabei, Intuitionen zu erkennen und von Emotionen zu unterscheiden.
- Trainieren Sie Ihre Intuition regelmäßig, am besten in einer natürlichen Umgebung.
Zusammenfassung
Künstliche Intelligenz wird neben standardisierten Tätigkeiten auch anspruchsvolle Aufgaben übernehmen.
Künstliche Intelligenz hat revolutionäre Folgen für unseren Berufsalltag. Ihre Entwicklung vollzieht sich rasant. Besonders gut ist KI im Erkennen, Vergleichen, Zuordnen, Prognostizieren und Optimieren. Sie kann schnell große Datenmengen analysieren sowie Muster und Korrelationen erkennen. Inzwischen ist sogenannte generative KI sogar in der Lage, neue Inhalte und Lösungen zu finden, wie die Beispiele ChatGPT und Midjourney zeigen.
„Es wird eine neue Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine geben – wir wissen nur noch nicht genau, welche.“
Aktuell wird KI in Unternehmen noch überwiegend für die automatische und autonome Erledigung von Routineaufgaben eingesetzt. Das betrifft nicht nur die industrielle Produktion, sondern zunehmend auch standardisierte Bürotätigkeiten wie die Bearbeitung und Abwicklung von Versicherungsfällen, Dienstleistungen und Prozessen im Kundenservice. Auch in der Qualitätskontrolle und im Wissensmanagement, etwa beim Texten, Dolmetschen und Programmieren, kommt KI zum Einsatz. Dadurch fallen viele sogenannte White-Collar-Jobs im Mittelbau von Unternehmen weg. Um KI gewinnbringend in Ihrem Unternehmen zu nutzen, reicht es allerdings nicht, standardisierte Aufgaben von Menschen auf Maschinen zu übertragen. Richtig gesteuert, wird KI zunehmend auch anspruchsvolle Aufgaben übernehmen können.
Mitarbeitende müssen sich als Trainer der KI verstehen.
Die Digitalisierung wird zu neuen Prozessen und Abläufen führen. Um herauszufinden, wie diese bestenfalls aussehen könnten, brauchen Sie Mitarbeitende, die neben Kreativität, Selbstständigkeit und Motivation auch über das nötige technische Verständnis verfügen. Die Beschäftigten sollten sich als Trainer der KI verstehen, die sich im Zuge des maschinellen Lernens durch Nutzung und Daten-Input ständig weiterentwickelt und verbessert. Um das volle Potenzial neuer KI-Systeme zu nutzen, müssen bestehende Mitarbeitende geschult und neue eingestellt werden. Berechnungen zeigen: Für jeden Euro, der für neue digitale Technologien ausgegeben wird, fallen zehn weitere Euro für Neueinstellungen, Weiterbildung und die Umstrukturierung von Geschäftsprozessen an. Wichtig ist, die Beschäftigten von Beginn an in den Change-Prozess einzubeziehen und sie rechtzeitig auf die neuen Aufgaben vorzubereiten. Nur wenn sie Vertrauen und ein Grundverständnis der neuen Technologien haben, sind sie bereit, sich darauf einzulassen. Sie müssen erkennen, dass die Technologie sie nicht ersetzen wird, sondern unterstützen kann.
„Vor allem bei lernenden Systemen ist darauf zu achten, dass ausreichend Entscheidungsmöglichkeiten bei den Beschäftigten verbleiben und sie nicht zum Anhängsel ‚autonomer Systeme‘ werden.“
Halten Sie vor der Implementierung von KI-Systemen fest, welche Probleme und Aufgaben damit gelöst werden sollen. In einer Einführungsphase können die neuen Anwendungen und Arbeitsprozesse überprüft und ggf. angepasst werden. Stellen Sie dazu folgende Fragen: Lassen die KI-Systeme die persönliche Entwicklung des Beschäftigten zu? Unterstützen sie die Mitarbeitenden oder ist die Umstellung eine zusätzliche Belastung? Wie steht es um die vereinbarten Datenschutz- und Privacy-Richtlinien? Nach den Pilotprojekten sollen die Beschäftigten die KI bewerten und weitere Innovationen vorschlagen.
Intuition ist eine menschliche Fähigkeit, die der Computer nicht besitzt.
Für eine produktive Kooperation zwischen Mensch und Maschine müssen die Zuständigkeiten klar verteilt sein. Routinemäßige Aufgaben, logisch-mathematische Probleme und Datenanalysen, bei denen mechanische und analytische Intelligenz gefragt ist, fallen in den Bereich der KI. Intuitive Intelligenz, also die Fähigkeit, fantasievoll, kreativ und empathisch zu denken, ist dagegen eine Domäne des Menschen. Gerade wenn es um langfristige, komplexe Zusammenhänge und strategische Entscheidungen geht, ist die menschliche Intuition der KI deutlich überlegen.
„Gute Intuitionen ignorieren viele Informationen und beschränken sich auf das Wesentliche. Praktische Erfahrung ist dabei immer die Wurzel der Intuition.“
Intuition ist eine Form der Erkenntnis, die auf unbewusst verarbeitetem, assoziativ gelerntem Wissen beruht. Ihre Ergebnisse widersprechen zwar nicht den Regeln der Logik, sie folgen ihnen aber auch nicht unbedingt auf nachvollziehbare Weise. Sie sind schnell, automatisiert und mitunter schwierig zu begründen. Sie sind ganzheitlich in dem Sinne, dass sie die Gesamtheit einer Situation und nicht nur Teile davon betreffen. Beim Ballspiel etwa gehen wir nicht bewusst-analytisch, sondern intuitiv vor. Wir gleichen die Flugbahn des Balls mit unseren Erfahrungen ab und prognostizieren, wohin er sich bewegen wird. Gleichzeitig passen wir unsere Bewegungen und Geschwindigkeit an und fangen schließlich den Ball.
Neuere Hirnforschungen zeigen, dass Emotionen und Körperwahrnehmungen großen Einfluss auf das Denken haben. Strategische Entscheidungen treffen wir nicht mit „kühlem Kopf“, sondern im physiologischen Zusammenspiel von Gehirn, Körper und Sinnen. Ebenso lassen sich Intuition und Kompetenz nicht strikt voneinander trennen: Gute und richtige Intuitionen haben wir vor allem in den Bereichen, in denen wir auch große Erfahrung und Expertise haben. Nur in diesen Bereichen dürfen wir unseren Intuitionen vertrauen.
In unsicheren Situationen sind intuitive Entscheidungen besser als rein analytische.
Im Unterschied zu KI können Menschen sich schnell neue Fähigkeiten aneignen und ihr Denken über verschiedene Tätigkeiten hinweg verallgemeinern. Mit Intuition und Fachwissen können sie sich flexibel an neue Bedingungen anpassen. Allerdings haben intuitive Entscheidungen gerade in der Businesswelt einen schlechten Ruf. Untersuchungen zeigen: Je höher eine Führungskraft in der Hierarchie steht, desto mehr stützt sie sich bei Entscheidungen auf datenbasierte Verfahren und Analysen. Sie delegiert die Verantwortung für die Entscheidungen an die Maschine.
In einem stabilen Umfeld mögen KI-basierte Entscheidungen gut sein. Doch gerade dann, wenn sich Risiken und Eventualitäten nicht berechnen lassen, kann Intuition zu robusteren und resistenteren Entscheidungen führen. Statt die Verantwortung auf die intelligente, angeblich unfehlbare Maschine zu übertragen, sollten Führungskräfte daher in komplexen Situationen, unter Zeitdruck und bei unsicherer, unüberschaubarer Datenlage ihrem Bauchgefühl vertrauen. Die Ergebnisse von KI-Analysen sollten dabei nur als Orientierungshilfe, nicht als Handlungsempfehlung dienen.
„Kreativität und innovatives Verstehen entsteht durch andere Perspektiven und ungewohnte Umfelder. Ein KI-Modell kann nicht unterschiedliche Perspektiven zu einer Sache oder Situation einnehmen.“
Dazu ist es zunächst wichtig, die Angst vor intuitiven Entscheidungen, die womöglich im Widerspruch zu den KI-Empfehlungen stehen, zu überwinden. Machen Sie sich bewusst: Wenn Sie sich allein auf Automatismen, statistische Modelle und Datenanalysen stützen, leiden Kreativität, Innovation und Nachhaltigkeit ihres Unternehmens. Versuchen Sie auch nicht, intuitive Entscheidungen nachträglich mittels Fakten, Zahlen und Daten als rational zu präsentieren. Stehen Sie zu Ihrem Bauchgefühl und übernehmen Sie die Verantwortung für Ihre intuitiv getroffenen Entscheidungen.
Bremsen Sie Ihre Intuition nicht aus, indem Sie alle möglichen Risiken durchspielen.
Intuitive Entscheidungen spielen nicht in allen Branchen dieselbe Rolle. Manager aus der IT- und Technologiebranche, die als Fachleute für Technisches die Grenzen ihrer Systeme kennen, greifen häufiger auf Intuition zurück als Führungskräfte aus dem Bankenwesen oder der Versorgungswirtschaft. In einem zunehmend volatilen, unsicheren Umfeld ist es jedoch für alle Branchen wichtig, stärker auf Intuition zu setzen. Dazu bedarf es einer Unternehmenskultur, die intuitive Entscheidungen bei den Mitarbeitenden fördert und auch unkonventionelle Lösungen zulässt. Intuition muss gezielt trainiert werden.
„Unsere Rationalität versucht uns vom Handeln abzuhalten und vor ‚Risiken‘ zu schützen. Diesen Gedanken zu folgen bedeutet sozusagen auf Autopilot zu leben.“
Dabei hilft es, sich die Mechanismen und Automatismen im menschlichen Gehirn bewusst zu machen. Unser Denken ist evolutionär darauf ausgelegt, Risiken zu vermeiden. Das war sinnvoll zu einer Zeit, in der es öfter um Leben und Tod ging. In unserer heutigen Arbeitswelt aber ist diese Vorsicht übertrieben. Wenn wir bei einer Entscheidung spontan unserem unbewussten, intuitiven Wissen folgen möchten, wird sich sofort der bewusste Geist melden und alle möglichen Risiken und Gefahren durchspielen. Dadurch aber verzögert sich unsere Reaktion. Wir schieben die Entscheidung auf. Diese bremsenden Gedanken im eigenen Gehirn können Sie umgehen, indem Sie sie bewusst wahrnehmen, reflektieren – sich aber nicht nach ihnen richten. Erst dann sind Sie tatsächlich zu eigenverantwortlichen Entscheidungen in der Lage.
Nehmen Sie Anstrengung als eine positive Herausforderung wahr.
Langfristig lassen sich in der Kindheit angelegte Verhaltensmuster der Gefahrenmeidung und Bequemlichkeit durch stetiges Üben und Wiederholen überwinden. Sobald der Impuls, Risiken und Anstrengungen zu vermeiden, auftaucht, sagen Sie sich: „Dieses Erlebnis und diese Anstrengung sind großartig.“ Dadurch wird während der herausfordernden Tätigkeit Dopamin ausgeschüttet. Die Anstrengung selbst wird mit einem Gefühl der Freude und des Genusses belohnt. Mit der Zeit werden diese positiven Emotionen und Erinnerungen dann die abwehrenden Gedanken und die Risikofokussierung überlagern. Im Gehirn bilden sich neue Verknüpfungen, die mehr Intuition und zupackendes Handeln zulassen.
„Ein aktives Bewusstsein über den Fortschritt durch die eigene Anstrengung erhöht die Leistungsfähigkeit, weil sich die Bedeutung von Anstrengung und Schwierigkeit damit transformiert.“
Richten Sie den Fokus auch nicht auf das statische „Jetzt“, sondern auf das „Bald“, also auf Ihre Entwicklungspotenziale. Dadurch nehmen Sie Herausforderungen stärker als Erlebnisse wahr und erleben die Anstrengung als etwas Befriedigendes. Auch Lob und positives Feedback sind hilfreich – sei es von anderen, sei es von sich selbst. Entscheidend dabei ist: Die Anstrengung an sich sollte gelobt werden, nicht das Erreichen irgendeines Ziels. Je schneller die positive Rückmeldung kommt, desto effektiver ist sie.
Achtsamkeit hilft dabei, Intuitionen zu erkennen und von Emotionen zu unterscheiden.
In unserer Gesellschaft und in der Businesswelt ganz besonders steht die Ratio hoch im Kurs. Machen Sie sich jedoch klar, dass es mehr als das rein rationale Wissen mit angeblich objektiven Kriterien und Kategorien gibt. Normalerweise nehmen wir nur wahr, was zu unseren gewohnten Denkmustern passt – und halten das für die Realität. Durch eine achtsame Haltung können wir die vielen Informationen, die im Alltag auf uns einströmen und die wir unbewusst verarbeiten, besser kennenlernen und verstehen. Dadurch entwickeln wir neue Wahrnehmungsmuster und trainieren unsere Intuition.
Um zu lernen, wie Intuition sich bei Ihnen persönlich manifestiert, sollten Sie sich selbst, Ihre Verhaltensmuster und Bedürfnisse genau kennen. Dazu sind Selbstreflexion und bewusste Wahrnehmung notwendig. Nur so können Sie laute und starke emotionale Impulse wie Angst oder Sehnsucht von den leiseren, subtileren Signalen der Intuition unterscheiden. Beachten Sie: Intuition manifestiert sich schnell und nur kurz, ohne Druck und Argumentation. Sie ist an sich emotionslos. Viele Menschen erleben sie als einen Zustand des inneren Gleichgewichts.
„Die klassische Büroarbeit im dauernden Sitzen verhindert Bewegung und befördert Frust und Ängste, also negative Emotionen, welche die menschliche Intuition unterdrücken oder nachträglich negativ überlagern.“
Besonders offen für intuitives Wissen sind wir im Zustand der Stille, der Ruhe und der Entspannung, wenn das rationale Denken in den Hintergrund tritt. Dazu ist es notwendig, loszulassen, einen Schritt von sich selbst zurückzutreten und das „Gedankenkarussell“ abzuschalten. Das bedeutet nicht unbedingt, sich in einen meditativen Zustand zu versetzen. Gerade körperliche Aktivität kann das Unbewusste und somit die Intuition anregen.
Trainieren Sie Ihre Intuition regelmäßig, am besten in einer natürlichen Umgebung.
Um im Gehirn neue und nachhaltige Verbindungen herzustellen, müssen Sie Ihre Intuition regelmäßig trainieren. Treten Sie so oft wie möglich aus dem gewohnten „Automodus“ heraus und hören Sie in Ihren Körper hinein. Stellen Sie sich in Entscheidungssituationen im Alltag immer wieder die Frage „Soll ich das tun?“. Dadurch lernen Sie, das sich anschließend einstellende Gefühl als „Ja“ oder „Nein“ zu deuten. Achten Sie dabei auch auf körperliche Signale wie Gänsehaut, Schwitzen, Frieren und einen veränderten Herzschlag.
„Weil wir meistens mehr oder weniger bewegungslos dasitzen, werden körperliche Erfahrungen quasi unmöglich gemacht. Das führt mittel- und langfristig zu Gefühlschaos in Menschen, es führt zu Entscheidungsunfähigkeit, es führt zu Unsicherheit und Erschöpfung.“
Die menschliche Intuition ist eine „archaische“ Intelligenz und eine körperliche, gleichsam natürliche Fähigkeit. Sie lässt sich nicht in Büros und Seminarräumen trainieren, sondern am besten in natürlicher Umgebung. Gerade in der Natur erleben wir unseren Körper besonders intensiv. Wir sind voller Energie und in ständiger Bewegung. Wir müssen uns körperlich anstrengen und schnell auf neue Herausforderungen und ungewohnte Reize reagieren. Hier geht es nicht darum, die optimale, sondern eine passende Lösung zu finden. Rationale Argumente und vermeintlich objektive Daten stehen nicht im Vordergrund. In der Natur nehmen wir vielmehr Kreisläufe und Notwendigkeiten, Abhängigkeiten und Bedürfnisse wahr. Und genau das ist auch im beruflichen Umfeld nötig, um empathische und zugleich robuste, nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Über den Autor
Andreas Moring ist Professor für Innovation und Digital Business an der International School of Management in Hamburg. Zugleich arbeitet er als Innovationsberater mit dem Schwerpunkt künstliche Intelligenz für Unternehmen unterschiedlicher Branchen und leitet Workshops zu dem Thema.
Dieses Dokument ist für den persönlichen Gebrauch bestimmt.
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