Giuseppe Verdi
La Traviata
Reclam, 1995
Was ist drin?
Verdis persönlichste Oper brachte ihm den Durchbruch zum Weltruhm.
- Oper
- Romantik
Worum es geht
Tod einer Kurtisane
Die blendend schöne Violetta hat viele Verehrer und ist der Mittelpunkt eines dekadenten Kreises der französischen Oberschicht in Paris um 1850. Sie ist ein Ausbund an Lebens- und Liebeslust – doch über ihr schwebt bereits der tödliche Schatten der Schwindsucht. Als ihr Verehrer Alfredo ihr seine Liebe erklärt, kehrt sie ihrem mondänen Leben den Rücken und sucht ihr Glück in der Zweisamkeit mit ihm. Doch Alfredos Vater sieht durch sie, die Dame mit anrüchiger Vergangenheit, die Familienehre gefährdet und bewegt Violetta zum Verzicht auf die Beziehung. Alfredo, der die Hintergründe nicht kennt, reagiert voller Eifersucht und schmäht Violetta öffentlich. Zu spät erfährt er, dass sie ihre Liebe für ihn und seine Familie geopfert hat. Als er voller Reue zu ihr eilt, ist es zu spät: Violetta stirbt in seinen Armen. Verdi schrieb seine Oper nach dem Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J., deutete aber dessen gesellschaftskritischen Ansatz zu einem individuellen Frauenschicksal um. Seine Musik konzentriert sich nuancenreich und subtil nur auf das Gefühlsleben der Hauptfiguren. La Traviata ist Verdis persönlichste Oper und die einzige, in der er einen zeitgenössischen Stoff vertont hat. Sie wurde zum Vorbild für den "Verismo", den naturalistischen Ansatz Puccinis und anderer Komponisten.
Take-aways
- La Traviata ist Verdis einzige Oper mit einem zeitgenössischen, nicht historischen Thema und zugleich sein persönlichstes Stück.
- Zusammen mit den ebenfalls um 1850 entstandenen Werken Rigoletto und Der Troubadour brachte La Traviata Verdi den Durchbruch zum Weltruhm.
- Hauptfigur ist die schöne Kurtisane Violetta, die in Paris um 1850 in der aristokratischen Oberschicht ein von Vergnügungssucht geprägtes Leben führt.
- Nach dem Liebesgeständnis ihres Verehrers Alfredo wendet sie sich vom mondänen Leben ab und will nur noch für ihn da sein – obwohl sie bereits von schwerer Krankheit gezeichnet ist.
- Alfredos Vater verlangt von ihr, sie solle auf ihren Geliebten verzichten, da diese unstatthafte Beziehung die Verheiratung von Alfredos Schwester gefährde.
- Aus Liebe zu Alfredo willigt Violetta ein und verlässt den Geliebten. Der wirft ihr eifersüchtig Untreue vor und beleidigt sie in aller Öffentlichkeit.
- Als er die wahren Hintergründe erfährt, eilt er reuevoll zu Violetta, doch sie hat nur noch wenige Stunden zu leben und stirbt in seinen Armen.
- La Traviata beruht auf dem Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J.
- Verdi deutete Dumas' gesellschaftskritischen Ansatz, der die Heuchelei des Bürgertums geißelt, zu einem individuellen tragischen Frauenschicksal um.
- Seine Musik konzentriert sich ganz auf die nuancierte Schilderung der Gefühlswelt der Hauptpersonen.
- La Traviata wurde nach Startschwierigkeiten in Venedig bald ein Riesenerfolg und war ein Vorbild für die Opern der kommenden Komponistengeneration.
- Verdi war nicht nur ein erfolgreicher und gefeierter Komponist, sondern wegen seines politischen Engagements für die Einigungsbewegung Italiens auch eine Art Nationalheld.
Zusammenfassung
1. Akt: Nur das Vergnügen zählt
In der kurzen Ouvertüre stimmen die Streicher ein wehmütig klagendes Thema an, das das tragische Schicksal der Hauptfigur vorwegnimmt. Nach wenigen Takten mischt sich ein Tanzthema mit den traurigen Klängen – es steht für das von Festen und Bällen geprägte glanzvolle Leben der Pariser Gesellschaft. Der Vorhang geht auf, die Banda (das Orchester auf oder hinter der Bühne) schmettert schnelle, Cancan-artige Musik: Im Salon der schönen Kurtisane Violetta Valéry (Sopran) findet ein Fest statt. Violetta begrüßt ihre Freunde, die recht spät ankommen: Baron Douphol (Bariton) mit Flora Bervoix (Mezzosopran) und Marquis d’Obigny (Bass). Dann tritt auch noch der Vicomte Gaston de Letorières (Tenor) ein, der einen weiteren Gast mitbringt, Alfredo Germont (Tenor). Alfredo hat Violetta schon früher gesehen, aber nicht näher kennengelernt. Er verehrt sie sehr. Gaston flüstert dies Violetta rasch zu, während alle übrigen schon in der Vorfreude auf das Diner schwelgen. Als man ihn dazu auffordert, erhebt sich Alfredo zu einem schwungvollen Trinklied: „Libiamo ne’ lieti calici“ („Laben wir uns aus Bechern der Freude“). Violetta antwortet umgehend und preist das reine Vergnügen: „Tra voi sapò dividere ...“ („Unter euch kann ich meine Zeit fröhlich verbringen“). Alle stimmen im Chor dazu ein.
„Laben wir uns aus Bechern der Freude an dem, was Schönheit zum Blühen bringt, und die flüchtige Stunde berausche sich im Genuss.“ (Alfredo, S. 17)
Aus einem benachbarten Saal klingt Tanzmusik herüber. Violetta fordert die Anwesenden auf, hinüberzugehen. Nur sie und Alfredo bleiben zurück. Ihr Verehrer bemerkt, dass Violetta plötzlich bleich geworden ist. Er macht sich ernsthafte Sorgen. Violetta wiegelt jedoch ab. Die gedämpfte Tanzmusik bleibt die ganze Zeit hörbar. Alfredo beteuert Violetta, dass ihr ein sorgender Liebhaber fehle und er diese Stelle in ihrem Leben gern einnehmen würde, doch die Kurtisane lacht ihn zunächst aus. Dann jedoch zögert sie und fragt ihn, wie lange er sie schon liebe. Alfredo hebt, begleitet von einem sehr langsamen Walzertakt, zu einer ausführlichen Antwort an: „Ah, si da un anno“ („Ach ja, seit einem Jahr“). Violetta bekennt ihm nun freimütig, sie sei so viel heldenhafte Liebe nicht wert und er solle sich eine andere suchen. Alfredo wiederholt darauf seine Worte und Violetta ihre Zurückweisung, aber bei dieser Wiederholung vereinigen sich ihre beiden Stimmen im Duett.
„Unter euch kann ich meine Zeit fröhlich verbringen; Aberwitz ist alles in der Welt, was nicht Vergnügen ist.“ (Violetta, S. 19)
Gaston taucht kurz in der Tür auf und erkundigt sich nach dem Verbleib der beiden. Violetta antwortet ihm, sie hätten nur miteinander gescherzt. Dann wendet sie sich wieder Alfredo zu und will von ihm das Versprechen, nicht mehr von Liebe zu reden. Alfredo nickt betrübt. Zum Zeichen ihrer Sympathie reicht Violetta ihm eine Kamelienblüte, die sie im Ausschnitt ihres Kleides trägt. Er soll ihr die Blume zurückbringen, wenn sie verblüht ist. Alfredo weiß: Kamelien verblühen sehr rasch, also wird es schon am nächsten Tag so weit sein. Er nimmt es als Hoffnungszeichen und verabschiedet sich glücklich.
„Eines Tages erstrahltet Ihr glücklich und himmlisch vor mir. Und seit diesem Tage lebte ich bebend von ungekannter Liebe.“ (Alfredo, S. 23)
Fast die ganze Zeit über war im Hintergrund die Musik aus dem Ballsaal zu hören, nun braust sie laut auf. Die Gesellschaft kommt erhitzt vom Tanz zurück. Alle singen im Chor davon, wie köstlich sie sich amüsiert haben. Der Morgen graut bereits und die Gäste verabschieden sich, um sich auszuruhen und Kraft für neue Vergnügungen zu sammeln. Violetta bleibt allein zurück. In sich gekehrt denkt sie darüber nach, was diese Bekenntnisse Alfredos für sie bedeuten: „È strano, è strano“ („Es ist seltsam, es ist seltsam“). Denn trotz des vergnüglichen Treibens in Paris fühlt sie sich oft einsam und verlassen. Kann diese Liebe ein Hoffnungszeichen für sie sein? Violettas Stimmung schlägt um: Nein! Das sind Illusionen! „Sempre libera“, „Frei muss ich sein“, ruft sie aus. Sie will sich am Genuss berauschen, im Strudel der Lust versinken. Unten auf der Straße geht derweil Alfredo vorbei. Der Preisgesang seines Liebesglücks klingt zwar noch einmal herauf, doch Violettas koloraturenverziertes „Sempre libera“ setzt sich am Ende des Aktes triumphal durch.
2. Akt: Nur die Liebe zählt
Im Gartenzimmer eines luxuriösen Landhauses bei Paris verweilt Alfredo und wähnt sich glücklich, weil er hier seit drei Monaten mit Violetta zusammenlebt: „Lunge da lei per me non v’ha diletto“ („Fern von ihr gibt es für mich keine Freude“). Die Kurtisane hat ihrem mondänen Leben in Paris entsagt und ist nun nur für ihn da. Er fühlt sich wie im Himmel. Alfredo besingt die verschiedenen Aspekte seines jungen Liebesglücks. Die begleitenden Streicher bringen seine Gefühle facettenreich zum Ausdruck. Violettas Zofe Annina (Mezzosopran) tritt hinzu. Sie kommt soeben aus Paris, wo sie das Hab und Gut ihrer Herrin verkauft hat. Denn Violetta kann kaum mehr die Ausgaben des Landaufenthalts decken. Alfredo ist darüber entsetzt, die Musik begleitet ihn mit Pauken und Trompeten: „O mio rimorso“ („Oh wie ich bereue“). In einer dramatischen Selbstanklage wird ihm klar, was er in seinem Liebesglück bisher übersehen hat. Sogleich eilt er nach Paris, um das Finanzielle zu regeln. Kaum ist er fort, tritt Violetta ein. Ein Diener bringt ihr eine Einladung zu einem Ball ihrer Freundin Flora, doch Violetta beachtet sie nicht.
„Es ist seltsam! ... Es ist seltsam! ... Ins Herz haben sich mir jene Worte gegraben! Wäre eine ernsthafte Liebe Unglück für mich?“ (Violetta, S. 29)
Da taucht unerwartet ein Herr auf, der sich als Giorgio Germont (Bariton) vorstellt: Alfredos Vater. Violetta ist diese Begegnung unangenehm. Sie vermutet, dass Germont ihr wegen ihres luxuriösen Lebensstils Vorwürfe machen wird. Um ihn zu beschwichtigen, beteuert sie, dass sie sich von ihrem ganzen Besitz – und damit von ihrer Vergangenheit – trennen und nur noch für Alfredo da sein will. Das ehrt zwar Violetta, doch es droht Germonts Absichten zu durchkreuzen. Er will sie nämlich dazu bewegen, sich von Alfredo zu trennen. Der Grund ist sein zweites Kind: „Pura sicome un angelo“, „rein wie ein Engel“ sei seine Tochter. In einem bewegten ariosen Gesang legt Germont ausführlich dar, dass seine Tochter ihren Verlobten unter den gegebenen Umständen nicht heiraten könne: Solange Alfredo an der skandalösen Beziehung zu Violetta festhalte, wolle jener Verlobte nicht in Germonts Familie einheiraten. Um des Glücks seiner Tochter willen verlangt Germont von Violetta das Opfer, auf Alfredo zu verzichten. Violetta weigert sich völlig aufgeregt, stockend. Diese Regung vollzieht auch die begleitende Orchestermusik in abgehackten Tönen deutlich mit. Germont gibt ihr, genauso abgehackt und dadurch überdeutlich, fast belehrend zu verstehen, dass die Liebesglut eines Tages erloschen sein werde – und was dann? Er wiederholt seine Bitte inständig. Violetta ist schmerzhaft berührt. Ihrem Elend scheint sie nicht entrinnen zu können. Denn sie weiß, dass sie sehr krank ist und wohl nicht mehr lange leben wird. Unter Tränen lässt sie sich erweichen, dem Glück der jungen Frau nicht im Weg zu stehen und dafür das eigene zu opfern. In einem großen, vielfältigen Wechselgesang bringt einerseits Germont seine Dankbarkeit und sein Mitgefühl zum Ausdruck; andererseits beteuert Violetta nochmals, auf Alfredo verzichten zu wollen. Versöhnt verabschieden sich die beiden mit einer Umarmung.
„Immer ungebunden muss ich mich von einem Vergnügen zum nächsten treiben lassen, ich will, dass mein Leben die Pfade des Vergnügens durchläuft.“ (Violetta, S. 31)
Violetta ruft ihre Zofe Annina und übergibt ihr eine rasch dahingeworfene Notiz. Dann setzt sie sich, um zu ruhiger Begleitmusik einen längeren Brief zu schreiben, wobei sie der zurückkehrende Alfredo überrascht. Da Violetta verwirrt reagiert, verlangt er den Brief zu sehen. Violetta antwortet erregt, dies spiegelt sich in der ebenso erregten Musikbegleitung des Orchesters. Violetta ist völlig ratlos, sie zwingt sich zur Ruhe und singt ausgesprochen langsam, auch um Alfredo zu beruhigen. Aber die tremolierenden Streicher bleiben peitschend und aufgewühlt. Über einem Crescendo (Anschwellen der Lautstärke) von Streichern und Blech fleht Violetta Alfredo noch einmal um seine Liebe an. Ihre Gesangsmelodie ist jetzt das Klagethema vom Anfang der Ouvertüre. Dann läuft sie in den Garten, um ihrer Gefühle Herr zu werden.
„Fern von ihr gibt es für mich keine Freude! “ (Alfredo, S. 33)
Alfredo will sich ablenken und greift zu einem Buch. Da meldet ein Diener, Violetta sei in einer Kutsche weggefahren. Alfredo nimmt an, sie wolle sich in Paris um die Auflö-sung ihres Haushalts kümmern. Als ein Bote einen Brief von Violetta bringt, ist Alfredo gespannt und besorgt. Die Violinen spielen nur noch Pizzicati (die Saiten werden nicht gestrichen, sondern mit den Fingern gezupft). Mit zitternden Händen liest Alfredo die erste Zeile. Es folgt ein Donnerschlag aus dem Orchester und ein Schrei aus Alfredos Mund. In diesem Moment erscheint Germont. Stolz will er den Sohn wieder in den Schoß der Familie aufnehmen und richtet in Form einer großen Arie eine feierliche Ansprache an ihn. Alfredo versteht nicht so recht, was sein Vater von ihm will. Germont schwelgt in der für ihn erfreulichen Vorstellung, den verlorenen Sohn mit nach Hause nehmen zu können, weil der das „Problem Violetta“ für gelöst hält. Da entdeckt Alfredo Floras Einladung auf dem Tisch. Er ist sicher, dass Violetta zu dem Ball, zurück in ihr altes Leben gegangen ist. Alfredo stürzt davon, sein Vater bleibt verdutzt zurück.
„O wie ich bereue! Wie schändlich von mir! Ich lebte in solcher Verblendung!“ (Alf-redo, S. 35)
Die Szene verwandelt sich. Begleitet von schneller, an den italienischen Volkstanz Tarantella erinnernder Musik ist in Floras Palast der Maskenball in vollem Gang, im Saal sind Spieltische aufgestellt. Der Marquis d’Obigny verrät Flora die Neuigkeit, Violetta und Alfredo hätten sich getrennt. Maskierte Gäste kommen herein. Die Frauen parodieren zu volksliedhafter Musik einen Zigeunerinnenchor; sie wollen Flora und dem Marquis aus der Hand lesen und verspotten ihre Leichtlebigkeit. Dann treten die Herren, angeführt von Gaston, in Stierkämpferkostümen ein und erzählen zu schmissiger Marschmusik eine neckische Liebesgeschichte um einen verliebten Stierkämpfer. Alle sind aufs Heiterste gestimmt, als Alfredo hereinplatzt, auf der Suche nach Violetta. Kurz darauf erscheint seine Angebetete tatsächlich – am Arm des Barons Douphol. Violetta ist überrascht, Alfredo zu sehen. Sie wünscht sich, sie wäre nicht gekommen.
„Gott gab mir eine Tochter, rein wie ein Engel; wenn Alfredo sich weigert, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren, wird der junge Mann, der sie liebt und wiedergeliebt wird und den sie heiraten sollte, sich der Verbindung verweigern, die beide glücklich machte ...“ (Germont, S. 41)
Alfredo lenkt sich mit einem Kartenspiel ab. Er gewinnt ständig, die Einsätze steigen. Der Baron, der in Alfredo den Nebenbuhler wittert, beteiligt sich herausfordernd. Alle Anwesenden verfolgen gespannt das Spiel. Als ein Diener die Gesellschaft zum Diner ruft, verlassen alle den Saal, doch Violetta hat Alfredo ein Zeichen gegeben, ihr zu folgen. Sie beschwört ihn, sich nicht wegen ihr auf ein Duell mit dem Baron einzulassen. Er solle am besten gleich gehen. Seiner Bitte, ihm zu folgen, verweigert sie sich. Eifersüchtig verdächtigt Alfredo sie, im Baron einen neuen Beschützer und Liebhaber gefunden zu haben. Violetta antwortet ausweichend, Alfredo sieht sich in seiner Annahme bestätigt. Die übrigen Gäste, von Alfredo herbeigerufen, verfolgen bestürzt die Auseinandersetzung. Alfredo bekennt, dass er sich von Violetta aushalten ließ, dass er nun aber alles zurückzahlen will – und wirft ihr den Spielgewinn vor die Füße. Germont, gerade angekommen, rügt das unehrenhafte Verhalten seines Sohnes. Alle sind entsetzt und stellen sich im Chor auf Violettas Seite. Allgemeine Verlegenheit macht sich breit. Bevor die Menschen die Szene verlassen, beschwört Violetta noch ein-mal ihre Liebe zu Alfredo: „Alfredo, Alfredo, di questo core ...“ („Wisst ihr denn nicht, welche Liebe tief und unermesslich in meinem Herzen brennt“).
3. Akt: Im Angesicht des Todes
Wie schon in den ersten Takten der Ouvertüre erklingt wieder das elegische Motiv verhauchenden Lebens, als Violetta frühmorgens in ihrem Schlafzimmer erwacht. Sie ist schwach und sterbenskrank. Ein Priester war schon am Vorabend bei ihr. Trotz der frühen Stunde kommt bereits Doktor Grenvil (Bass), um nach ihr zu sehen. Er flüstert der Zofe Annina zu, dass Violetta nur noch eine Frist von wenigen Stunden habe. Violetta schickt Annina nach der Post. Dann zieht sie unter dem Kopfkissen einen Brief hervor und liest noch einmal – in schwachem Sprechgesang – den Bericht Germonts über das Duell von Alfredo mit dem Baron: Letzterer wurde verwundet, und Alfredo ging ins Ausland. Germont enthüllte seinem Sohn schließlich die Gründe für Violettas Verzicht auf ihre Liebe. Alfredo will nun, wie es in dem Brief weiter heißt, so bald wie möglich kommen, um Violetta um Verzeihung zu bitten.
„Wisst ihr denn nicht, welche Liebe tief und unermesslich in meinem Herzen brennt? Dass ich unter den Lebenden keine Freunde, keine Verwandten habe?“ (Violetta, S. 43)
Violetta weiß, dass es dafür zu spät ist. Sie betrachtet sich im Spiegel und erinnert sich, begleitet von schwebenden Tönen, an das Glück vergangener Tage: „Addio del passato ...“ („Lebt wohl, schöne heitere Träume der Vergangenheit“). Es ist Violettas Abschiedsgesang. Ein letztes Mal kehrt ein wenig Lebensglut in sie zurück. Schließlich vertraut sie ihre Seele Gott an, seine Verzeihung erflehend. An diesem Tag ist in Paris Karneval. Von draußen dringt der Lärm eines Umzugs herauf.
„Lebt wohl, schöne heitere Träume der Vergangenheit, das rosige Antlitz ist schon bleich geworden; Alfredos Liebe, sie fehlt mir als Trost und Stütze der müden Seele ...“ (Violetta, S. 89)
Die Zofe kündigt Alfredos Kommen an. Die Liebenden fallen sich in die Arme und bitten einander in schnellem Wechselgesang um Verzeihung für alles Vorgefallene. Alfredo schlägt vor, Paris so schnell wie möglich zu verlassen; Violetta werde sich dann sicher wieder erholen. Violetta steht auf, sie möchte ebenfalls gerne daran glauben – doch ihr wird wieder schwindlig. Sie ist entschlossen, nach draußen zu gehen, am Karnevalstreiben teilzunehmen, kann aber nicht einmal ihren Schal festhalten. Kraftlos sinkt sie auf einen Stuhl. Violetta und Alfredo versichern einander noch einmal ihre Liebe; in ihrem Duett reimt sich „amor“ auf „dolor“. Alfredos Vater und der Arzt eilen herbei. Germont versöhnt sich mit Violetta und erklärt, sie wie eine Tochter zu betrachten. Zu einem Trauermarsch übergibt Violetta Alfredo als Andenken ihr Porträt in einem Medaillon und singt: „Se una pudica vergine ...“ („Wenn eine keusche Jungfrau in der Blüte ihrer Jahre dir ihr Herz schenke sollte, soll sie deine Ehefrau sein, ich will es so“). Violetta spürt, wie ihre Kräfte sie verlassen, sie bäumt sich noch einmal auf – und stirbt in Alfredos Armen.
Zum Text
Aufbau und Stil
La Traviata besteht aus drei Akten mit insgesamt vier Bildern (zwei Bilder im dritten Akt). Manchmal wird die Oper deshalb auch als vieraktiges Stück aufgeführt. In musikalischer Hinsicht sind die fließenden Übergänge von sprechgesangartigen, so genannten Parlando-Passagen zu ariosem Gesang das auffälligste Merkmal von La Traviata. Eine deutliche Abgrenzung zwischen Rezitativen und größeren und kleineren Arien gibt es hier nicht mehr. Musikalisch ist Verdis Oper darum eine Einheit und keine Abfolge von einzelnen Gesangsnummern – was in der damaligen Zeit neu und für das Publikum ungewohnt war. Gleichwohl hat jede der Hauptfiguren noch eine Reihe von Solopassagen, und es gibt Duette, Wechselgesänge und Chorszenen.
Vorherrschend ist ein lyrischer, elegischer Ton. Die Musik gestaltet intim und genau die Gefühlszustände der Personen: Wenn Violetta sich beispielsweise im zweiten Akt weigert, Alfredo den Brief zu zeigen, und sich in langsamen Worten um Fassung bemüht, bleibt die Orchestermusik aufgewühlt und nervös und bringt auf diese Weise Violettas inneren Gefühlsaufruhr zum Ausdruck. Ganz anders bei den Ballszenen: Hier ist die Musik walzerhaft und beschwingt (Alfredos Trinklied) oder auch volksliedähnlich (z. B. die Zigeunerinnen- und Matadorenszene). Die große musikalische Spannung und Bandbreite der Oper wird in Violettas Sterbegesang noch einmal verdichtet: vom zartesten Aushauchen des Lebens bis zum expressiven Aufbäumen als letztem Widerschein von Violettas Lebensgier.
Interpretationsansätze
- Verdi deutet seine Vorlage, den Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J., um. Steht bei Dumas der gesellschaftskritische Ansatz im Zentrum (die noble Kurtisane als Opfer bürgerlicher Doppelmoral), so gestaltet Verdi – vor allem musikalisch – das individuelle tragische Schicksal Violettas.
- Die Figur der Violetta macht eine starke Entwicklung durch: Als Edelprostituierte und „Traviata“ (wörtlich: „die vom Weg Abgekommene“) ist sie zunächst ein Spiegelbild der dekadenten Oberschicht, in der sie sich bewegt. Sie wandelt sich jedoch zur bedingungslos liebenden Frau, sobald sie sich selbst wirklich geliebt sieht, und opfert sogar noch diese Liebe für die Familienehre der Germonts.
- Violettas Bühnentod ist nicht nur ergreifend und schön, er war auch für das damalige Publikum eine ungewohnte Neuerung: Statt durch Gift oder Waffen zu sterben, erliegt Violetta der Schwindsucht (Tuberkulose). Die realistische Darstellung dieser Krankheit über drei Akte hinweg war damals fast skandalös.
- Verdi wählte in La Traviata – anders als in seinen anderen, historischen Opern – ein zeitgenössisches Sujet. Es muss ihm persönlich wichtig gewesen sein, das Gefühlsleben der Hauptfiguren nuanciert, wahrhaft und realistisch zu gestalten.
- In den beiden Germonts finden sich zwei typische Aspekte der Männerwelt wieder: Alfredo ist der idealistische, romantische, aber auch eifersüchtige Liebhaber. Sein patriarchalischer Vater vertritt die der Ehre und den traditionellen Werten verpflichtete Welt der Konvention.
Historischer Hintergrund
Risorgimento und die „Kaiserstadt“ Paris
Verdis Heimat Italien war in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein unter Fremdherrschaft stehendes, von Aufruhr gekennzeichnetes Land. Im Süden regierten die spanischen Bourbonen, in der Mitte lag der Kirchenstaat und der Norden wurde von den österrei-chischen Habsburgern beherrscht. Der Freischärler Giuseppe Garibaldi und der Rechtsanwalt Giuseppe Mazzini waren die führenden Köpfe des auch von Verdi unterstützten Risorgimento (wörtlich: „Wiedergeburt“), der nationalen Freiheits- und Einheitsbewegung, die sich vor allem gegen die Fremdherrschaft richtete und republika-nisch inspiriert war. Bis in die 1860er Jahre hinein erlitt die Bewegung aber immer wieder Rückschläge, auf militärischem Feld vor allem durch den österreichischen General Josef Wenzel Radetzky. 1848 kam es überall in Europa zu massiven Unruhen, die die Regime wenigstens zeitweise zu Kompromissen zwangen. In Frankreich, wo der Aufruhr begonnen hatte, musste der reaktionäre „Bürgerkönig“ Louis Philippe abdanken. Zum Präsidenten der nun errichteten Zweiten Republik wurde der Neffe Napoleons gewählt. 1852 krönte er sich selbst als Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen. Er regierte zwar autoritär, hinter ihm standen aber auch wirtschaftsliberale, bürgerliche Kräfte. Die alte Adelsoberschicht mit ihrem Müßiggang und ihren ererbten Privilegien blieb unangetastet, das neue Bürgertum konnte sich in zunehmender Gewerbefreiheit und in der Ausbeutung von Kolonien zumindest wirtschaftlich entfalten. Beide Schichten durchmischten sich. Das Bürgertum übernahm adlige Gesellschaftssitten wie Salons und Bälle. Paris wurde in der Epoche Napoleons III. zur Welthauptstadt des 19. Jahrhunderts, tonangebend in Kunst, Mode und Technik.
Entstehung
Um 1850, innerhalb zweier Jahre schuf Verdi mit Rigoletto, Der Troubadour und La Traviata die drei Opern, die ihm Weltruhm eintrugen, nachdem er in Italien bereits bekannt geworden war. Die Handlung von La Traviata basiert auf dem Roman Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J. Verdi hatte den Roman gleich nach seinem Erscheinen im Jahr 1848 gelesen. Es war ein zu jener Zeit viel diskutiertes Buch. Nachdem der Komponist auch das auf dem Roman basierende Drama gesehen hatte, fasste er den Plan für seine Oper und entwarf selbst das szenische Gerüst. Sein Librettist Francesco Maria Piave musste innerhalb kürzester Zeit das Textbuch schreiben. Die Arbeit stand unter erheblichem Zeitdruck, weil der Uraufführungstermin mit dem Teatro La Fenice in Venedig bereits vertraglich für März 1853 vereinbart war. Verdi schrieb die Musik für La Traviata in einem wahren Schaffensrausch innerhalb von 45 Tagen. Die Instrumentierung wurde erst während der Proben in Venedig komplettiert. La Traviata ist die einzige Oper Verdis, die einen Stoff aus der Gegenwart zur Vorlage hat und kein historisches Drama. Auch eigene Erfahrungen des Komponisten dürften dafür eine Rolle gespielt haben: Ebenso wie Dumas hatte Verdi eine Beziehung zu einer unverheirateten Frau und kannte die gesellschaftlichen Komplikationen nur zu gut, die sich daraus ergaben. Trotzdem ist La Traviata nicht einfach als autobiografi-sches Werk zu verstehen.
Wirkungsgeschichte
Die Oper war nicht auf Anhieb ein Erfolg. Das venezianische Premierenpublikum lehnte sie zunächst ab. Der Grund dafür ist wohl in Problemen der Aufführung zu suchen: Die korpulente Darstellerin der Violetta wirkte in der Rolle einer Schwindsüchtigen unglaubwürdig und der Darsteller des Germont agierte lustlos, weil er nicht die gewohnte Paraderolle hatte, in der er glänzen konnte. Das Publikum fand das Stück einerseits unmoralisch – immerhin stand hier eine Edelprostituierte im Mittelpunkt –, andererseits zu rührselig. Die Kritik hingegen reagierte positiv. Verdi arbeitete die Oper etwas um, bevor sie in einem kleineren Theater in Venedig noch einmal herausgebracht wurde, und erprobte sie in Neapel unter dem unverfänglicheren Titel „Violetta“. Seitdem hat sich La Traviata zu einer der populärsten Opern Verdis entwickelt. Das Werk wurde zum Vorbild für die späteren Komponisten des Verismo, etwa für Giacomo Puccini mit seiner La Bohème. Die Figur der Violetta entwickelte sich zu einer Glanzrolle aller dramatischen Koloratursoprane, zu denen z. B. in den 50er Jahren Maria Callas gehörte, deren Können von Luchino Visconti bei einer Aufführung in der Mailänder Scala meisterhaft in Szene gesetzt wurde. Im Jahr 1994 verkörperte Angela Gheorghiu die Violetta in einer viel beachteten Inszenierung des Royal Opera House in London.
Über den Autor
Giuseppe Verdi wird am 9. oder 10. Oktober 1813 in Le Roncole, einem kleinen Dorf in der Nähe von Parma, geboren. Er stammt aus sehr bescheidenen Verhältnissen. Seine musikalische Ausbildung verdankt er einem Kaufmann und Musikliebhaber aus dem benachbarten Städtchen Busseto, der ihm sogar Privatunterricht in Mailand finanziert, nachdem Verdi am dortigen Konservatorium nicht aufgenommen wurde. Das Leben des Komponisten ist von Schicksalsschlägen überschattet. Erst sterben seine beiden Kinder jeweils kurz nach der Geburt, und dann stirbt auch noch seine erste Frau früh. Doch als Komponist ist er erfolgreich, er erhält Zugang zur Mailänder Gesellschaft und kann sich ein Landgut kaufen, das er selbst bewirtschaftet. Dorthin zieht er sich so oft es geht zurück, hier entstehen einige seiner bedeutenden Werke. 1859 heiratet er seine langjährige Lebensgefährtin, die Sängerin Guiseppina Strepponi. Verdi ist ein glühender Patriot und unterstützt die nationale Einigungsbewegung in ihrem Freiheitskampf gegen die Vorherrschaft Österreichs. Er ist mit politischen Führern des Risorgimento befreundet und wird Abgeordneter, später Senator. Sein Gefangenenchor aus der Oper Nabucco (1842) ist bis heute so etwas wie die inoffizielle Nationalhym-ne Italiens. Weitere bekannte Opern Verdis sind: Macbeth (1847), Rigoletto (1851), Der Troubadour (1853), Ein Maskenball (1859), Aida (1871), Otello (1887) und Falstaff (1893). Häufig greift Verdi auf dramatische Vorlagen von William Shakespeare oder Friedrich Schiller zurück. Den Tod eines Freundes, des Schriftstellers Alessandro Manzoni, nimmt Verdi zum Anlass, sein ergreifendes Werk Messa da Requiem (1874) zu schreiben. Aufträge führen ihn an alle großen Opernhäuser Europas, von St. Petersburg bis nach London und Paris, in Italien vor allem aber nach Venedig (La Fenice) und Mailand (Scala). Verdi wird mit Ehrungen geradezu überschüttet. Er stirbt 88-jährig am 27. Januar 1901 in Mailand.Francesco Maria Piave wird am 18. Mai 1810 in Murano geboren. Er ist ein bedeutender Theaterdichter und Librettist. Gemeinsam mit ihm realisiert Giuseppe Verdi viele seiner Opern. Gut 15 Jahre lang arbeitet Piave als Regisseur und Librettist am Teatro La Fenice in Venedig, anschließend geht er auf Verdis Empfehlung hin an die Mailänder Scala. Piave verfasst insgesamt über 60 Libretti, neun davon für Opern von Verdi. Er stirbt am 5. März 1876 in Mailand.
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