E. T. A. Hoffmann
Lebens-Ansichten des Katers Murr
dtv, 2006
Was ist drin?
Die Autobiografie eines Katers, vermischt mit der Biografie eines Kapellmeisters, das war um 1820 schon ziemlich experimentelle Prosa – und ist bis heute vergnüglich und lesenswert.
- Roman
- Romantik
Worum es geht
Ein Kater als Schriftsteller
Katzenromane gibt es in der zeitgenössischen Literatur ja so einige. Doch die Idee ist nicht neu: Schon in den Lebens-Ansichten des Katers Murr von E. T. A. Hoffmann, einem fast 200 Jahre alten Text, tritt ein Kater höchstselbst als Autor auf und überliefert der Nachwelt seine Biografie. Dummerweise verwendet er dafür bereits beschriebenes Papier, nämlich ein Manuskript, das er bei seinem Besitzer, dem Kapellmeister Kreisler, findet. Durch einen vermeintlichen Fehler bei der Drucklegung ergibt es sich, dass sich die Lebensgeschichte des schriftstellernden Katers mit der Biografie des Kapellmeisters auf kuriose Weise vermischt. E. T. A. Hoffmann hat mit diesem Roman ein Kunstwerk hinsichtlich Form und Komposition geschaffen. Es gelingt ihm, zwei voneinander weitgehend unabhängige Geschichten parallel zu erzählen und trotzdem die beiden Handlungsfäden geschickt miteinander zu verweben. An den Leser stellt das hohe Anforderungen, zumal die Kreisler-Biografie nur aus Fragmenten besteht und für sich schon eine recht komplizierte Struktur besitzt. Aber gerade darum ist der Roman auch heute noch ein ungewöhnliches Lesevergnügen.
Take-aways
- E. T. A. Hoffmanns Roman Lebens-Ansichten des Katers Murr besteht aus zwei verschiedenen Handlungssträngen, die auf kunstvolle Weise parallel entwickelt werden.
- Zum einen ist dies die Autobiografie des Katers Murr, zum anderen die Biografie seines Herrn, des Kapellmeisters Johannes Kreisler.
- Während eines Unwetters wird der kleine Murr von Meister Abraham gefunden und aufgenommen.
- Als junger Kater ist Murr sehr wissensdurstig und ehrgeizig, er lernt lesen und schreiben.
- Später gerät er durch den Einfluss eines Freundes in eine Burschenschaft und vernachlässigt seine Bildung.
- Als die Gruppe zerschlagen wird, ändert Murr seine Ansichten und möchte in vornehmen Kreisen verkehren, hat aber dabei keinen Erfolg.
- Später wird der Kater von Meister Abraham an seinen Freund Kreisler weiterverschenkt. Dieser ist Kapellmeister am Hof des Fürsten Irenäus.
- Kreisler verliebt sich in die schöne Julia. Der Kapellmeister hat aber einen Nebenbuhler: Prinz Hector hat es ebenfalls auf sie abgesehen.
- Kreisler wehrt einen Annäherungsversuch des Prinzen bei Julia ab. Wenig später wird der Musiker von einem Unbekannten angeschossen und flüchtet daraufhin in ein Kloster.
- Der zweibändige Roman ist nicht abgeschlossen. Einen geplanten dritten Teil nahm Hoffmann nicht mehr in Angriff.
- Die Autobiografie des Katers Murr ist eine Parodie des Bildungsromans und eine Satire auf das behagliche Bürgertum, das der Kater verkörpert.
- Die ungewöhnliche Form des Romans weist auf Experimente moderner Prosa voraus.
Zusammenfassung
Jugend eines Katers
Meister Abraham ist ein Orgelbauer und Tüftler am Hof des Fürsten Irenäus; er besitzt magische Fähigkeiten. Eines Abends findet er im Fluss ein kleines Kätzchen und nimmt es mit nach Hause. Der junge Kater erhält den Namen Murr und entwickelt bald höchst ungewöhnliche Fähigkeiten: Er lernt heimlich lesen und schreiben. Murr ist sehr an höherer Bildung interessiert, studiert Meister Abrahams Bücher und betätigt sich sogar als Schriftsteller.
„Keinem Buche ist ein Vorwort nötiger, als gegenwärtigem, da es, wird nicht erklärt, auf welche wunderliche Weise es sich zusammengefügt hat, als ein zusammengewürfeltes Durcheinander erscheinen dürfte.“ (Vorwort des Herausgebers, S. 9)
Professor Lothario, ein Bekannter von Meister Abraham, bringt eines Tages seinen Pudel Ponto mit. Der Kater ist zuerst gar nicht begeistert von diesem sonderbaren Wesen, schließt dann aber bald Freundschaft mit dem Hund. Die beiden verstehen sich gut, auch wenn Ponto von Murrs intellektuellen Interessen nichts hält und sich deshalb öfters über ihn lustig macht. Eines Tages nimmt Ponto dem Kater ein Gedichtmanuskript ab und bringt es seinem Herrn. Da dieser weiß, dass Meister Abraham magische Fähigkeiten besitzt, schöpft er den Verdacht, der Text könnte von Murr stammen. Er beobachtet den Kater, erwischt ihn tatsächlich beim Schreiben und berichtet daraufhin Abraham von Murrs ungewöhnlichen Fähigkeiten. Abraham lacht darüber, wird aber dennoch misstrauisch und lässt Murr nicht mehr an seine Bücher. Der Kater ist sehr enttäuscht und achtet von nun an streng darauf, dass niemand mehr seine Studien beobachten kann.
„Sollte jemand verwegen genug sein, gegen den gediegenen Wert des außerordentlichen Buchs einige Zweifel erheben zu wollen, so mag er bedenken, dass er es mit einem Kater zu tun hat, der Geist, Verstand besitzt, und scharfe Krallen.“ (Vorwort des Autors, S. 13)
Kater Murr ruht sich gern in den Polstern einer Kutsche aus. Eines Tages, als er gerade wieder ein Nickerchen macht, setzt sich die Kutsche plötzlich in Bewegung. Als er das bemerkt, springt er entsetzt hinaus und findet sich in einer fremden Welt wieder: Bisher hat er Meister Abrahams Haus noch nie verlassen, nun ist er hilflos und findet nicht mehr heim. Die große Welt erweist sich als gefährlich: Murr hat Hunger, wird von Kindern gequält und von Hunden gejagt. Schließlich verkriecht er sich in ein Versteck und weint. Dort stöbert ihn glücklicherweise Ponto auf und bringt ihn wieder nach Hause.
Murr wird erwachsen
Eines Tages begegnet Murr dem hübschen Katzenmädchen Miesmies. Er ist hingerissen von ihr, wird aber bei seinem ersten Annäherungsversuch von zwei Katern verjagt. Einige Zeit später trifft er eines Nachts Miesmies wieder, und sie gesteht ihm ihre Liebe. Die beiden werden ein Paar, aber schon bald ist die Liebe zwischen ihnen erkaltet, und Murr muss von einem Bekannten, dem schwarzen Kater Muzius, erfahren, dass Miesmies ein Verhältnis mit einem anderen Kater in der Nachbarschaft hat. Daraufhin trennt er sich von ihr. Nun möchte er sich wieder ganz seinen Studien widmen, findet aber keinen rechten Gefallen mehr daran - die Gedanken an Miesmies lenken ihn ab. Nach draußen wagt er sich aber auch nicht, aus Angst, er könnte ihr begegnen. So bleibt Murr in der Wohnung und wird allmählich dick und träge.
„Dir weihe ich diese Zähren o! schönes Vaterland, dir dies wehmütig jauchzende Miau!“ (S. 20)
Bei einem Besuch von Freund Muzius stellt Murr fest, dass auch er sich verändert hat, er sieht struppig und verschlagen aus. Als Erstes fällt er über Murrs Fressnapf her und bezeichnet seinen Freund als Philister. Murr kann mit dem Begriff nichts anfangen, und Muzius erklärt ihm: Ein Katzphilister ist verlogen, feige, in sich selbst verliebt und denkt nur an seinen eigenen Vorteil. Das Gegenteil des Katzphilisters ist der Katzbursch, der ehrlich ist und sich für seine Freunde einsetzt. Murr kann nicht leugnen, dass er gewisse Ähnlichkeiten mit einem Katzphilister hat, und möchte auch gern ein Katzbursch werden. Deshalb überlässt er Muzius erst einmal sein bestes Futter. Muzius nimmt das Angebot gern an und führt Murr in der folgenden Nacht in den Kreis der Katzburschen ein. Murr trinkt mit den anderen so viel Katzpunsch, dass ihm am nächsten Morgen sterbensübel ist, aber Muzius hilft ihm mit noch mehr Katzpunsch darüber hinweg. Nun geht Murr jede Nacht zu den Treffen der Katzburschen, und als er eines Tages seinem Nebenbuhler begegnet, fordert er ihn mutig zum Duell. Aus dem Kampf geht er als Sieger hervor und ist fortan bei den Katzburschen hoch angesehen. Bald nimmt jedoch Hofhund Achilles Anstoß an dem Treiben der Katzburschen. Er stachelt andere Hunde an, die Katzburschen bei ihren nächtlichen Treffen so lange zu verbellen, bis auch die Menschen aufmerksam werden. Die Katzburschen werden verjagt, die Gruppe löst sich auf, und Murr bleibt nachts wieder zu Hause.
Murr strebt nach Vornehmheit
Einige Zeit später begegnet Murr seinem alten Freund Ponto wieder. Dieser sieht deutlich gepflegter und zufriedener aus als früher. Nach einigen Widrigkeiten im Haus des Professors hat sich Ponto einen neuen Herrn gesucht, den Baron Alzibiades von Wipp. Hier führt er ein angenehmes Leben, hat nicht viel zu tun und gibt sich alle Mühe, seinem neuen Stand entsprechend als kultivierter Pudel aufzutreten. Murr kommt ins Grübeln: So viel Energie hat er in seine höhere Bildung gesteckt und kann nun doch Ponto nicht das Wasser reichen. Er beschließt, von dem Pudel zu lernen. Ponto nimmt ihn mit in eine Gesellschaft vornehmer Hunde. Bei ihrem oberflächlichen Geschwätz langweilt sich Murr zwar zu Tode, aber bald verliebt er sich in eine hübsche Windhündin. Sie ist nicht besonders intelligent, aber Murr ist fasziniert von ihr - bis zu dem Abend, als er vor ihrem Haus ein Liebeslied anstimmt und ihm jemand Wasser auf den Kopf schüttet. Da wird Murr schlagartig klar, dass sein Streben nach Vornehmheit und sein Versuch, zum Hundeadel zu gehören, ihn in die Irre geführt haben.
„Nun wollte es aber das dunkle Verhängnis, dass eine große Feuerlilie dem Fürsten gerade auf die Nase fiel und sein ganzes Gesicht glutrot überstäubte, wodurch er ein ungemein majestätisches, der Feierlichkeit des Festes würdiges, Ansehen gewann.“ (S. 27)
Als Meister Abraham eine größere Reise antritt, bringt er Murr zu seinem Freund, dem Kapellmeister Johannes Kreisler, der Murrs Erziehung vervollkommnen soll.
Der Fürstenhof von Sieghartsweiler
Fürst Irenäus, zu dessen Hofstaat Meister Abraham gehört, herrschte einst über ein kleines Fürstentum. Irgendwann wurde es einem Großherzogtum zugeschlagen, und Irenäus zog in das Dorf Sieghartsweiler. Da er recht wohlhabend war, beschloss er, auch ohne Land seinen Fürstenhof genauso weiterzuführen wie bisher, mit Ministern, Hofstaat etc. Fürst Irenäus hat zwei Kinder: Prinzessin Hedwiga und den kindischen Prinzen Ignaz. Einflussreichste Persönlichkeit am Hof ist die verwitwete Rätin Benzon, deren Tochter Julia mit Hedwiga befreundet ist.
Ein geheimnisvoller Fremder
Eines Tages gehen Julia und Hedwiga im Park spazieren. Sie belauschen einen sonderbaren Fremden, der zur Gitarre singt, zwischendurch mit seinem Instrument spricht, es dann verärgert ins Gebüsch wirft und verschwindet. Julia holt die Gitarre wieder hervor und beginnt ihrerseits zu singen. Da erscheint der Fremde noch mal und verhält sich so merkwürdig, dass die beiden Mädchen flüchten, weil sie ihn für verrückt halten. Die Rätin Benzon kann sie beruhigen: Sie kennt den Fremden, es ist niemand anders als der Musiker Johannes Kreisler. Er ist nicht verrückt, sondern nur etwas exzentrisch. Kreisler ist Kapellmeister am großherzoglichen Hof, fühlt sich aber dort nicht wohl und ist deshalb zu Meister Abraham geflüchtet, mit dem er seit seiner Kindheit befreundet ist. Auf Abrahams Fürsprache hin kommt Kreisler als Kapellmeister an den Hof des Fürsten Irenäus. Künftig erteilt er Julia und Hedwiga Musikunterricht, und beiden wird der sonderbare Musiker immer sympathischer.
Der Schuss im Park
Fürst Irenäus kommt die Idee, für Hedwiga einen Mann zu suchen: Seine Wahl fällt auf Prinz Hector, dessen Vater, genau wie Irenäus, sein Land verloren hat. Hector kennt Hedwiga nicht, aber als er ihr Bild sieht, verliebt er sich und reist nach Sieghartsweiler, um sie zu heiraten. Zu Ehren des Prinzen gibt Irenäus einen Ball, aber nach einigen Tänzen bricht Hedwiga erschöpft zusammen. In einer Vision sieht sie Hector als Drachen. Hedwiga ist verstört und will den Prinzen nicht mehr sehen.
„Sie können nicht wegkommen von dem Worte Kreis, und der Himmel gebe, dass Sie denn gleich an die wunderbaren Kreise denken mögen, in denen sich unser ganzes Sein bewegt, und aus denen wir nicht herauskommen können, wir mögen es anstellen wie wir wollen. In diesen Kreisen kreiselt sich der Kreisler (...).“ (Kreisler, S. 77)
Abraham warnt Kreisler, der in Julia verliebt ist, dass Hector wohl Hedwiga heiraten werde, es aber zugleich auf Julia abgesehen habe, die naiv sei und deshalb leicht verführt werden könne. Kreisler ist außer sich, aber Abraham weiß Rat und überreicht ihm ein Abwehrmittel gegen den Prinzen: ein kleines Porträt eines Mannes. Kreisler hat keine Ahnung, was es mit dem Bild auf sich hat, nimmt es aber an.
„Kreisler zog ein Kästchen aus der Tasche, nahm ein kleines Bildnis heraus und hielt es dem Prinzen entgegen. Er blickte hin, alles Blut schwand von dem Antlitz, seine Augen starrten, seine Lippen bebten, zwischen den Zähnen murmelnd: ‚Maledetto!’, stürzte er fort.“ (S. 239)
Als Prinz Hector sich am gleichen Abend Julia im Park nähern will, schließt sich Kreisler den beiden an und zeigt dem Prinzen das Bild, worauf dieser entsetzt die Flucht ergreift. Als Kreisler danach noch allein im Park unterwegs ist, fällt ein Schuss. Der blutverschmierte Hut des Musikers wird am nächsten Morgen gefunden, er selbst ist spurlos verschwunden - ebenso der Prinz.
Die Flucht ins Kloster
Wenig später erhält Meister Abraham einen Brief von Kreisler und erfährt, was mit dem Freund geschehen ist: In jener Nacht im Park wurde der Kapellmeister von einem Unbekannten angeschossen, er stach seinen Gegner nieder und flüchtete. Am nächsten Tag traf er einen alten Freund, den Benediktinermönch Hilarius. Dieser nahm ihn mit ins Kloster. Dort hält sich Kreisler nun versteckt, komponiert Musik für die Mönche und ist ganz zufrieden. Eines Tages jedoch, gerade als er in Erinnerungen an Julia schwelgt, spricht ihn der Abt an und schlägt ihm vor, als Mönch in den Orden einzutreten, denn in der Liebe würde er sowieso sein Glück nicht finden. Diese Vorhersage trifft Kreisler tief. Wie sich herausstellt, ist der Abt über die Vorgänge am Fürstenhof informiert und weiß zu berichten, dass Hedwiga Sympathien für Kreisler hegt. Kreisler ahnt, dass die Rätin Benzon irgendwie ihre Finger im Spiel hat. Er weist das Ansinnen des Abtes zurück, nicht ohne seine Liebe zu Julia anzudeuten.
Die Rückkehr des Prinzen
Als Julia eines Abends allein in ihrem Zimmer ist, steht plötzlich Prinz Hector vor ihr und gesteht ihr seine Liebe. Sie wehrt sich jedoch gegen seine Annäherungsversuche, und Hector flüchtet. Am nächsten Morgen wird dem Fürsten gemeldet, dass ein Fremder nachts in das Schloss eingedrungen sei und sich nun im Pavillon versteckt halte. Irenäus glaubt zunächst an einen Aufstand und fürchtet sich. Bald aber wird offenkundig, dass es sich bei dem Unbekannten um Prinz Hector handelt, der nun erneut um Hedwig wirbt. Die Prinzessin empfängt ihn freundlich, aber in ihrer Gegenwart versucht er wieder, sich Julia anzunähern.
Der fremde Mönch
Von Hilarius erfährt Kreisler, dass im Kloster ein neuer Mönch erwartet wird, Bruder Cyprianus. Bisher ging es hier recht liberal zu, und Hilarius fürchtet, dass der asketische Cyprianus das Leben im Kloster verändern wird. Als Kreisler den Mönch zum ersten Mal sieht, erkennt er dessen Gesicht wieder: Es ist der Mann auf dem Bild, das ihm Meister Abraham gab, um Hector abzuwehren - nur trägt Cyprianus dort eine Offiziersuniform.
„Wollt Ihr indessen zur Zeit, mit einigen Grundzügen eines Katzphilisters vorliebnehmen, so kann - (Mak. Bl.) - - gar seltsames Schauspiel. In der Mitte des Zimmers stand Prinzessin Hedwiga (...)“.“ (S. 249)
Am nächsten Morgen eröffnet der Abt dem Musiker, dass er das Kloster verlassen muss: Der strenge Bruder Cyprianus will die Musik aus dem Kloster verbannen, deshalb ist auch für den Komponisten kein Platz mehr. Erzürnt stellt Kreisler Cyprianus zur Rede. Als dieser die Musik als Sünde bezeichnet, mutmaßt Kreisler, dass auch der strenge Mönch nicht ganz frei von Sünde sein könne. Er zeigt ihm das Bild, das er von Meister Abraham erhalten hat. Cyprianus bricht zusammen. Anschließend erzählt er aus seiner Vergangenheit: Er ist Prinz Hectors Bruder und lebte wie dieser früher als Offizier in Neapel. In jener Zeit hatte er allerhand Liebschaften. Doch dann lernte er die hübsche Angela kennen, gab seinen unsteten Lebenswandel auf und heiratete sie. Doch bald wurde auch sein Bruder auf Angela aufmerksam, und Cyprianus war dermaßen eifersüchtig, dass er schließlich sogar Angela vergiftete. Am gleichen Tag kam es auch zum offenen Konflikt mit Hector, der dabei seinen Bruder mit dem Dolch lebensgefährlich verletzte. Wie durch ein Wunder wurde Cyprianus gerettet, Angela jedoch starb.
„Mit einem biedern deutschen Pfotendruck nach altvörderischer Sitte nahmen wir Abschied.“ (S. 271)
Vom Abt erfährt Kreisler noch, warum beide Brüder so entsetzt waren, als sie das Bild sahen: Er hatte es in einem Kästchen aufbewahrt, das Beweise für die Taten der beiden Prinzen enthält.
Kreisler erhält ein Schreiben von Meister Abraham: Hedwiga und Hector werden nun doch heiraten - und Julia soll mit dem Prinzen Ignaz verkuppelt werden. Deshalb bittet Abraham seinen Freund, rasch zurückzukommen. Er berichtet ihm, dass ein Fest zum Namenstag der Fürstin stattfinden wird. An der Ausgestaltung dieses Festes ist Meister Abraham maßgeblich beteiligt. Die Feier kommt jedoch durch ein Unwetter zu einem jähen Ende. An diesem Abend findet Meister Abraham ein kleines Kätzchen ...
Zum Text
Aufbau und Stil
Die Struktur des Romans ist ausgesprochen kompliziert: E. T. A. Hoffmann gibt sich im Vorwort als Herausgeber des Buches aus; der Autor ist angeblich Kater Murr selbst, der seine Lebensgeschichte in Ichform schildert. Murr hat jedoch - so der Herausgeber - den Text auf ein anderes Manuskript geschrieben, das er bei seinem Besitzer fand: die Biografie des Kapellmeisters Johannes Kreisler. Teile dieses Textes hat er überschrieben, andere sind erhalten geblieben und aus Versehen mit ins gedruckte Buch geraten. So werden zwei verschiedene Geschichten parallel erzählt: Murrs chronologisch geordnete Autobiografie ist mit Fragmenten der Kreisler-Geschichte durchsetzt. An den Übergängen, die oft mitten im Satz liegen, stehen immerhin zur Orientierung des Lesers die Kürzel "Mak. Bl." (Makulatur-Blatt) und "M. f. f." (Murr fährt fort). Der Kreisler-Handlungsstrang ist mit zahlreichen Perspektivwechseln kunstvoll aufgebaut und darum für sich genommen schon nicht ganz unkompliziert. Verbunden sind die beiden Handlungsstränge durch die Figur des Meister Abraham, der in beiden Geschichten eine wesentliche Rolle spielt. Dass Murr zu Kreisler kommt, berichtet der Kater selbst am Ende seiner Autobiografie; die Biografie von Kreisler setzt mit diesem Ereignis ein. Der Herausgeber tritt im Vorwort auf, berichtet in einem Nachwort von Murrs Tod und meldet sich auch in der Geschichte selbst mit Randbemerkungen zu Wort.
Interpretationsansätze
- Der Roman ist eine Satire auf die politische Lage jener Zeit. Hoffmann nimmt u. a. den Adel aufs Korn, mit Figuren wie dem Fürsten Irenäus, der zwar kein Land mehr besitzt, aber ein prunkvolles Hofleben inszeniert, oder dem völlig untätigen Baron von Wipp, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen es gehört, aus dem Fenster zu spucken.
- Ebenso karikiert Hoffmann aber auch eine andere Seite des gesellschaftlich-politischen Spektrums: die Burschenschaften. Seine Katzburschen verkünden zwar hohe Ideale, aber in Wirklichkeit beschränken sich ihre Aktivitäten auf Schlägereien und den Konsum von Katzpunsch.
- Mit der Autobiografie eines selbstverliebten Katers hat Hoffmann zugleich eine Parodie auf den klassischen Bildungsroman geschaffen, wie er zu jener Zeit vor allem durch Goethes Wilhelm Meister repräsentiert wurde.
- Durch die Gegenüberstellung der beiden Handlungsstränge erreicht Hoffmann so manche ironische Brechung: So wird das Werben des Prinzen Hector um Hedwiga und Julia parallel zu Murrs Liebesgeschichten erzählt; und nachdem Kreisler im Park angeschossen wurde, folgt der Bericht von Murrs Duell mit seinem Nebenbuhler.
- Die Kreisler-Geschichte wird nur in Fragmenten erzählt, vieles wird nur angedeutet und bleibt unaufgelöst. Der Leser steht vor der Aufgabe, aus den Mosaiksteinen ein Bild zusammenzusetzen.
- Hoffmann stellt in diesem Text zwei Künstlertypen einander gegenüber: auf der einen Seite der egozentrische Kater Murr, der von der Qualität seiner Dichtungen absolut überzeugt ist, auf der anderen der innerlich zerrissene, unstete Kapellmeister Kreisler, der Züge von Hoffmann selbst aufweist.
Historischer Hintergrund
Adel, Burschen und Philister
Nach dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 und dem Ende der französischen Besatzung forderten liberale Kräfte eine politische Neuordnung Deutschlands: demokratische Reformen und die nationale Einheit des bis dahin in zahllose Kleinstaaten zersplitterten Landes. Aber bereits der Wiener Kongress von 1814/15, auf dem die politische Ordnung Europas neu festgelegt wurde, zerstörte diese Hoffnungen: Es folgte eine Zeit der Restauration, eine Rückkehr zur alten absolutistischen Gesellschaft. Wie vor der Zeit der Französischen Revolution besaß nur der Adel politische Macht, das Bürgertum war von jeglicher Mitbestimmung ausgeschlossen. Viele Bürger zogen sich daraufhin ins Private zurück und verzichteten auf politisches Engagement. Vor allem die Studenten wollten sich aber mit den herrschenden Verhältnissen nicht zufriedengeben. Sie organisierten sich in Burschenschaften und forderten weiterhin vehement demokratische Reformen und nationale Einheit; die Bürger, die sich mit den Verhältnissen arrangierten und nicht politisch aktiv sein wollten, bezeichneten sie als Philister. Nach dem Wartburgfest der Burschen 1817, auf dem u. a. reaktionäre Schriften verbrannt wurden, radikalisierte sich die Bewegung. Zwei Jahre später ermordete der Student Karl Ludwig Sand den konservativen Schriftsteller August von Kotzebue. Die Regierung reagierte darauf mit harter Unterdrückung der revolutionären Strömungen: Sie verbot die Burschenschaften und führte eine rigorose Zensur ein.
Entstehung
E. T. A. Hoffmann begann mit seiner Arbeit an den Lebens-Ansichten des Katers Murr im Jahr 1818. Ein Jahr später erschien der erste Band, 1821 folgte der zweite. Hoffmann hatte auch noch einen dritten Teil geplant, konnte diesen bis zu seinem Tod 1822 jedoch nicht mehr in Angriff nehmen. Die Figur des Kapellmeisters Kreisler taucht bereits in einem früheren Werk Hoffmanns auf, den Kreisleriana von 1814. Kreisler ist ein Selbstporträt des Musikers und Komponisten Hoffmann: Schon Kreislers Kindheit und Jugend weisen deutliche Parallelen zu Hoffmanns Biografie auf. Auch mit der unerfüllten Liebe Kreislers zu Julia verarbeitete Hoffmann eine eigene schmerzliche Erfahrung: 1811 hatte er sich unsterblich in eine seiner Musikschülerinnen verliebt, die 15-jährige Julia Marc. Deren Eltern, die eine Beziehung zu dem wesentlich älteren und zudem verheirateten Mann um jeden Preis verhindern wollten, suchten eiligst einen anderen Gatten für die Tochter. 1812 wurde Julia mit einem Hamburger Kaufmann verheiratet. Diese Enttäuschung konnte Hoffmann für den Rest seines Lebens nicht verwinden. Auch Kater Murr hat ein historisches Vorbild: Hoffmanns eigener Kater trug diesen Namen. Als er 1821 starb, verschickte Hoffmann eine Todesanzeige an seine Freunde; ein ähnlicher Nachruf auf den erdichteten Kater Murr findet sich im Nachwort des Herausgebers im Roman. Ein literarisches Vorbild für den Roman war Ludwig Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater. E. T. A. Hoffmann verarbeitete im Kater Murr auch die politischen Umbrüche jener Jahre, die er als Jurist aus nächster Nähe miterlebte. Während seiner Zeit als Mitglied einer Kommission zur Untersuchung staatsfeindlicher Umtriebe erlebte er nicht nur die Radikalität der revolutionären Studenten, sondern auch deren Unterdrückung durch die unerbittliche Staatsgewalt, die er aus seiner liberalen Haltung heraus nicht unterstützen konnte.
Wirkungsgeschichte
Beim Erscheinen der Lebens-Ansichten des Katers Murr reagierte die Kritik zunächst verhalten. Die formale Gestaltung des Werks, mit der Hoffmann seiner Zeit weit voraus war, wurde in ihrer Bedeutung verkannt. Wie sehr die ungewöhnliche Struktur des Romans über lange Zeit Kritiker und Leser verwirrte, zeigt sich auch darin, dass noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Versuch unternommen wurde, das Werk zu "bereinigen": Die beiden Handlungsstränge wurden als getrennte Bücher herausgegeben, die Kreisler-Erzählung gar chronologisch geordnet. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die formale Komposition und ihre Bedeutung für die moderne Literatur entsprechend gewürdigt. Als störend empfand man zu Hoffmanns Zeit auch den fragmentarischen Charakter des Buches; bereits 1826 unternahm Hermann Schiff mit seinem Werk Nachlass des Katers Murr den Versuch einer Fortsetzung.
Von seinem Thema her war der Roman richtungsweisend für andere Schriftsteller: So stellte auch Gottfried Keller in seiner Novelle Spiegel, das Kätzchen eine Katze in den Mittelpunkt des Geschehens; und in Theodor Storms Märchen Bulemanns Haus besitzen zwei Katzen übernatürliche Fähigkeiten. Bis heute hat der Katzenroman einen festen Platz in der Literatur. Man denke z. B. an Nero Corleone von Elke Heidenreich oder an die Felidae-Romane von Akif Pirinçci.
Über den Autor
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann wird am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren. Die Eltern trennen sich bereits zwei Jahre später; der Junge lebt mit seiner Mutter fortan im Haus der Großmutter. Sein Onkel und Vormund sieht für den künstlerisch begabten Jungen eine Laufbahn als Rechtsanwalt vor. Hoffmann studiert also Jura, wagt nebenbei aber erste literarische Versuche, zeichnet und komponiert. 1798 verlobt er sich mit seiner Kusine, aber offensichtlich ohne große Zuneigung: Nachdem er zwei Jahre später eine Anstellung am Gericht in Posen erhalten hat, das damals wie der gesamte westliche Teil Polens zu Preußen gehört, lebt er bald mit einer Polin zusammen. 1802 heiratet er seine Lebensgefährtin. Kurz darauf wird ihm sein Zeichentalent zum Verhängnis: Er fertigt Karikaturen örtlicher Würdenträger an und fällt dadurch in Ungnade. Hoffmann, der kurz vor seiner Ernennung zum Regierungsrat steht, wird strafversetzt. Als Komponist und Zeichner relativ erfolglos, verfällt er mehr und mehr dem Alkohol. 1804 wird er als Regierungsrat nach Warschau geschickt; zwei Jahre später ziehen Napoleons Truppen in die Stadt ein und schaffen den preußischen Beamtenapparat ab. Hoffmann ist stellungslos und hält sich mit Mühe als Künstler über Wasser. Schließlich erhält er 1808 eine Anstellung am Theater in Bamberg. Endlich hat er auch als Komponist, Musikkritiker und Schriftsteller Erfolg. Zu seinen wichtigsten Werken gehören die Romane Die Elixiere des Teufels (1815/16) und Lebens-Ansichten des Katers Murr (1819 bis 1821) sowie die Erzählsammlungen Nachtstücke (1816/17) und Die Serapions-Brüder (1819 bis 1821). 1816 tritt er wieder in den Staatsdienst ein, 1819 wird er Mitglied einer Kommission, die staatsfeindliche Umtriebe untersucht. Da Hoffmann die staatliche Unterdrückung liberaler Strömungen als ungerecht empfindet, gibt er das Amt bald auf, kann es aber nicht lassen, seine Erfahrungen aus dieser Zeit in der Erzählung Meister Floh satirisch zu verarbeiten. Prompt wird ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Aber noch vor dessen Abschluss stirbt der von Alkohol und Krankheit gezeichnete Hoffmann am 25. Juni 1822 in Berlin.
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