Georg Büchner
Leonce und Lena
Ein Lustspiel
dtv, 2003
Was ist drin?
Zwei Stücke in einem: romantische Liebeskomödie und gesellschaftskritische Parodie des Absolutismus.
- Komödie
- Biedermeier
Worum es geht
Die Liebe in Zeiten der Langeweile
Mit Leonce und Lena hat Georg Büchner ein Stück geschrieben, das auf den ersten Blick wie eine typische romantische Komödie anmutet, sich jedoch schnell auch als bissiges Porträt der Zeit um 1830 entpuppt. Das Leben des jungen Kronprinzen Leonce ist geprägt von Langeweile und melancholischen Phasen, bis er sich entschließt, das Schloss zu verlassen, um der von seinem Vater geplanten Hochzeit mit Prinzessin Lena zu entgehen. Auf der Flucht treffen Lena und Leonce durch Zufall aufeinander und verlieben sich - ohne voneinander zu wissen, wer sie sind. Erst als sie inkognito vermählt werden, müssen beide erkennen, dass sich genau das erfüllt hat, wovor sie eigentlich geflohen sind. Büchners Stück ist ein wahrer Katalog von literarischen Zitaten und Verweisen, den zu durchdringen am Anfang etwas mühsam ist. Der relativ kurze Text verschließt sich einer eindeutigen Interpretation. Er bietet mit seinen zahlreichen Anspielungen bei jedem Lesen neue Eindrücke und gilt heute als eine der wichtigsten Komödien der deutschen Literatur.
Take-aways
- Leonce und Lena ist eine Komödie des jung verstorbenen Dichters Georg Büchner.
- Es ist die Geschichte zweier Königskinder, die von ihren Eltern zur Hochzeit gezwungen werden sollen, deshalb von zu Hause fliehen und sich ineinander verlieben.
- Prinz Leonce ist melancholisch und von seinem Leben gelangweilt.
- Sein Vater König Peter, der mit der Führung seines winzigen Reiches Popo vollkommen überfordert ist, ist eine Karikatur des absolutistischen Herrschers.
- Nachdem Leonce vor der geplanten Hochzeit geflohen ist, trifft er bei einem Gasthaus auf Lena, ohne zu wissen, dass sie diejenige ist, die er heiraten sollte.
- Als Lena seinen ersten Annäherungsversuch abweist, will sich Leonce umbringen, jedoch kann sein Freund Valerio ihn davon abhalten.
- Leonce und Lena verlieben sich und kehren verkleidet an König Peters Hof zurück, wo Valerio sie als Automaten vorstellt.
- Damit die Feierlichkeiten nicht abgesagt werden müssen, erklärt sich König Peter bereit, die beiden Puppen verheiraten zu lassen.
- Am Schluss des Stückes steht so ein scheinbar glücklicher Ausgang.
- Als romantische Komödie ist dieser Dreiakter zwar der klassischen Dramenform verpflichtet, durchbricht diese aber an einigen Stellen auch bewusst.
- Das Stück ist überaus reich an literarischen Zitaten und Anspielungen, es wurde darum erst spät als eigenständiges Werk ernst genommen und für die Bühne entdeckt.
- Georg Büchner hat weder die Veröffentlichung noch die Uraufführung erlebt, er starb kurz nach der Fertigstellung in Zürich.
Zusammenfassung
Das alltägliche Leben im Reich Popo
Leonce, der Kronprinz des Reiches Popo, liegt im Garten vor dem Schloss und langweilt sich. Er versucht, 365 Mal hintereinander auf denselben Stein zu spucken, und zählt Sandkörner. Leonce ist der Ansicht, dass alle menschlichen Handlungen letztendlich aus Langeweile resultieren und damit eigentlich jeder ein Müßiggänger ist, ohne es zu wissen. Er selbst weiß jedoch um diese Tatsache und beneidet alle anderen, die ignorant ihren Tätigkeiten nachgehen können. Als sein leicht angeheiterter Freund Valerio auftritt, beginnen die beiden sich mit Wortspielen über ihr langweiliges Dasein lustig zu machen. Valerio stellt fest, dass er lieber ein Narr oder ein Verrückter im Irrenhaus wäre, weil er dann immerhin überhaupt jemand wäre. Er muss eingestehen, dass seine einzigen Fähigkeiten der Müßiggang und die Faulheit sind. Während er angekleidet wird, philosophiert unterdessen König Peter, Leonces Vater, über sein Amt und seine Aufgaben. Er müsse für seine Untertanen denken, meint er, da diese nicht selbst dazu in der Lage seien. Er unterbricht seine Betrachtungen immer wieder, weil er den Ankleidevorgang kontrollieren muss, sodass er schließlich vollkommen verwirrt ist.
„Die Bienen sitzen so träg an den Blumen, und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden. Es krassirt ein entsetzlicher Müßiggang.“ (Leonce, S. 11)
Vor dem Staatsrat verkündet der König, dass sein Sohn Leonce sich verheiraten soll. Während der Rede muss er mehrmals innehalten, um sich zu besinnen. Immer, wenn er sich selbst laut reden hört, befürchtet er, es könne jemand anders sein, der da spricht. Nachdem er sich versichert hat, dass er wirklich er selbst ist, fragt er den Präsidenten und den Staatsrat nach deren Meinung. Über was genau sie ihre Meinung äußern sollen, verrät er ihnen allerdings nicht. Präsident und Staatsrat können den König jedoch beruhigen, indem sie ihm sagen, dass es vielleicht so sei, vielleicht aber auch nicht. Der König hat inzwischen das Thema der Versammlung vergessen und entlässt die Teilnehmer.
Eine Hochzeit wird angekündigt
Leonce lässt einen Saal abdunkeln, Kerzen anzünden und Rosen und Wein bereitstellen, weil er sich mit seiner Geliebten Rosetta treffen möchte. Als sie eintritt, klagt Leonce ihr sein Leid, immer gelangweilt sein zu müssen und nichts zu tun zu haben. Rosetta reagiert beleidigt und fragt, ob er sie denn nur aus Langeweile liebe. Er gesteht, dass Langeweile und Liebe für ihn ein und dasselbe sind. In seiner Melancholie stellt Leonce fest, dass eine sterbende Liebe viel schöner sei als eine werdende, und beschließt, seine Liebe zu Rosetta zu Grabe zu tragen. Er möchte sie nur noch im Geiste betrachten. Als Rosetta erkennt, dass Leonce diese Trennung ernst meint, entfernt sie sich traurig. Der Prinz bleibt zurück und sinnt darüber nach, wie aus dem ersten Liebesglück so schnell Resignation und wieder Langeweile werden kann. Er fragt sich, wie viele Frauen nötig sind, um alle Facetten der Liebe kennenzulernen. Wieder stellt er fest, dass sein Leben ihn nur langweilt und dass gerade das Wissen darum und die ewige Wiederkehr der immer gleichen Abläufe die Gründe für seine Melancholie sind. Da kommt Valerio unter dem Tisch hervor, wo er sich bisher versteckt gehalten hat. Er wirft Leonce vor, sich wie ein Narr zu verhalten, und schlägt vor, erst einmal etwas zu essen. Während des Essens überbieten sich beide wieder gegenseitig mit Bonmots und Wortspielen.
„Herr, ich habe die große Beschäftigung, müßig zu gehen, ich habe eine ungemeine Fertigkeit im Nichtsthun, ich besitze eine ungeheure Ausdauer in der Faulheit.“ (Valerio, S. 14)
Der Präsident tritt auf. Der ohnehin schon nervöse Mann wird immer fahriger, als Leonce ihn wiederholt auffordert, zu sagen, warum er gekommen sei. Schließlich verkündet der Präsident die Ankunft der Prinzessin von Pipi, die Leonces Braut werden soll. Der Präsident teilt dem Prinzen außerdem mit, dass auch die Staatsgeschäfte am Tag der Hochzeit an ihn übergeben werden sollen. Leonce lässt seinem Vater ausrichten, dass er alles tun werde, mit Ausnahme dessen, was er bleiben ließe, und schickt den Präsidenten fort. Leonce bereut bereits kurz darauf, den Boten so schroff abgewiesen zu haben, und fragt Valerio nach dessen Meinung zu diesen Entwicklungen. Valerio hält es für eine lustige Angelegenheit, König zu sein und von jedem verehrt zu werden. Doch Leonce möchte sich andere Ziele setzen und fordert Valerio auf, Vorschläge zu machen. Dieser spricht sich dafür aus, dass sie gelehrte Wissenschaftler werden, doch Leonce winkt ab. Auch die Vorschläge, Held, Genie oder nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu werden, verwirft er rasch. Als Valerio nichts mehr einfällt, sagt er resigniert, dass sie dann wohl zum Teufel gehen müssten, doch Leonce hat eine bessere Idee: Sie wollen nach Italien gehen.
Flucht vor der Zwangsheirat
Lena sitzt betrübt im Garten. Ihr wird anscheinend zum ersten Mal wirklich bewusst, dass ihr Hochzeitstag nun vor der Tür steht. Sie wünscht sich, dass die sie umgebende Natur sie verstecken möge, um so ihrem Schicksal zu entgehen, und fragt sich, warum gerade sie gezwungen wird, jemanden zu heiraten, den sie nicht kennt und nie gesucht hat. Ihre Gouvernante versucht die Unglückliche zu trösten, doch Lena ist so vertieft in ihre Trauer und Wut über die Ungerechtigkeit, dass nichts sie aufheitert. Die Gouvernante kann es nicht ertragen, Lena so zu sehen, und entwickelt einen Fluchtplan.
„Was? Was? Die Menschen machen mich confus, ich bin in der größten Verwirrung.“ (König Peter, S. 16)
Unterdessen haben Valerio und Leonce sich bereits auf den Weg nach Italien gemacht. Sie entschließen sich, an einem Wirtshaus zu rasten. Leonce fühlt sich erdrückt von der plötzlichen Weite und Freiheit außerhalb des Schlosses. Valerio kann nicht verstehen, warum der Prinz sich weigert, König zu werden und eine schöne Prinzessin zu heiraten. Sarkastisch fragt Valerio den Freund, warum er sich nicht längst umgebracht habe, um diesem Schicksal zu entkommen. Leonce erwidert, dass er auf der Suche nach der idealen Frau sei und dieses Ideal nicht verraten dürfe. Sein Wunschbild entspricht einer Frau, die alle klassischen Attribute, wie ein griechisches Profil und einen vollen Mund, mit geistiger Einfalt verbindet.
„,So liebst du mich aus Langeweile?’ - ‚Nein, ich habe Langeweile, weil ich dich liebe. Aber ich liebe meine Langeweile wie dich. Ihr seid eins.’“ (Rosetta und Leonce, S. 20)
Kurz darauf treffen auch Lena und die Gouvernante, nun ebenfalls auf der Flucht, während ihrer Suche nach einer Bleibe für die Nacht im Wirtshaus ein. Sie müssen erkennen, dass ihr Plan doch schwerer umzusetzen ist, als sie dachten. Während die Gouvernante eingestehen muss, dass die Welt abscheulich ist, und sich fragt, ob die Flucht die richtige Entscheidung war, freut sich immerhin Lena über die neu gewonnene Freiheit und die Schönheit der Natur.
Das erste Treffen
Valerio und Leonce sitzen im Garten vor dem Wirtshaus und beobachten die anderen Gäste, die den Tag genießen. Leonce stellt fest, dass er nicht, wie diese alten Herren, sich selbst als alt und die Welt als zu jung empfindet, sondern zu jung für die alte Welt ist. Er bemitleidet sich selbst, empfindet die ihn umgebende Natur als bedrohlich und meint, in der Abenddämmerung Gestalten zu sehen. Valerio dagegen fühlt sich pudelwohl und vergleicht die Welt mit einem Kartentisch, an dem Gott und Teufel miteinander spielen. Er selbst sei dabei der Bube, Leonce der König und ihnen fehle nur noch eine Dame, um das Spiel perfekt zu machen. In diesem Moment treten Lena und die Gouvernante hinzu. Valerio begrüßt die Gouvernante mit einer frechen, abfälligen Bemerkung und gibt zu, dass sie nicht ganz seinen Vorstellungen von der herbeigewünschten Dame entspricht. Leonce und Lena beginnen ein Gespräch. Da sie sich nie zuvor begegnet sind und sich einander nicht vorstellen, erfahren sie nicht, wer der jeweils andere ist. Als Lena ins Haus zurückgeht, erkennt Leonce, dass er wieder melancholisch war, obwohl er doch eigentlich nicht mehr schwermütig sein möchte. Er ist wie verzaubert von den wenigen Sätzen, die Lena zu ihm gesagt hat, und beginnt, sich in die Prinzessin zu verlieben. Valerio reagiert mit Unverständnis darauf und nennt Leonce einen Narren.
Beginn einer Liebe
Zurück in ihrem Zimmer erkennt die Gouvernante schnell, dass auch Lena sich auf den ersten Blick in Leonce verliebt hat. Sie rät ihr, ihn ganz schnell zu vergessen. Doch Lena muss immerzu an Leonce denken und entschließt sich, in den Garten zu gehen, weil das Zimmer sie zu erdrücken droht. Draußen im Garten bemerkt der Prinz die junge Frau und nähert sich ihr leise. Lena betrachtet versonnen den Mond und vergleicht ihn mit einem toten Engel, der allein zwischen den Sternen liegt. Leonce flüstert ihr etwas zu. Auf Lenas Frage hin, wer dort spreche, antwortet Leonce, dass er ein seliger Traum sei. Der seligste Traum sei der Tod, erwidert Lena, woraufhin sich Leonce zu erkennen gibt. Er sagt, er wolle ihr Todesengel sein, und küsst sie, doch Lena entwindet sich seinem Griff und läuft fort.
„Aber warum schlägt man einen Nagel durch zwei Hände, die sich nicht suchten? Was hat meine arme Hand gethan?“ (Lena, S. 36)
Leonce ist überwältigt von seinen Gefühlen und will sich in seiner Verzweiflung in den Fluss stürzen. Im letzten Moment kann Valerio ihn aufhalten. Der Freund überzeugt den unglücklichen Prinzen, dass es unnötig und dumm wäre, nun, da er die Liebe gefunden habe, Selbstmord zu begehen. Unwillig legt sich Leonce im Gras zum Schlafen nieder. Am nächsten Tag teilt er Valerio mit, dass er Lena heiraten möchte. Er hat seine Einstellung zur Liebe und zu den Frauen vollkommen geändert und sieht jetzt ein, dass seine frühere Haltung arrogant und die Suche nach Perfektion auf eine Illusion gegründet war. Valerio stellt daraufhin fest, dass Leonce ja noch nicht einmal wisse, wer die junge Frau sei, genauso wenig wie sie wisse, wer er sei. Valerio bietet Leonce nichtsdestotrotz an, dafür zu sorgen, dass er noch am selben Tag vor den Augen seines Vaters mit der Fremden verheiratet werde, wenn Valerio im Gegenzug von Leonce zum Minister ernannt werde. Leonce gibt ihm sein Wort.
Die Hochzeitszeremonie
Vor dem Königsschloss haben sich unterdessen der Landrat, der Schulmeister und einige Bauern in Erwartung der Hochzeit versammelt. Der Schulmeister ist beauftragt worden, die Bauern dem Programm entsprechend Aufstellung nehmen zu lassen und dafür zu sorgen, dass sie sich nicht kratzen und angemessen gerührt wirken. Zur Belohnung hat er einen Versammlungsort gewählt, an dem sie die Düfte aus der nahen Schlossküche riechen können, um wenigstens einmal eine Ahnung davon zu bekommen, wie köstlich ein Braten duftet. Nachdem er die Anwesenden ein letztes Mal das einstudierte "Vivat!" hat rufen lassen, ist alles für das Eintreffen des Hofstaats vorbereitet.
„Teufel! da sind wir schon wieder auf der Grenze. Das ist ein Land, wie eine Zwiebel, nichts als Schaalen, oder wie ineinandergesteckte Schachteln, in der größten sind nichts als Schachteln und in der kleinsten ist gar nichts.“ (Valerio, S. 40)
Auch im großen Saal des Schlosses wartet man auf den Beginn der Feierlichkeiten. Als der König eintritt, gibt er bekannt, dass sowohl der Prinz als auch die Prinzessin vermisst werden. Er gibt Befehl, sie zu suchen und die Grenzen bewachen zu lassen. Da das Königreich Popo so klein ist, lässt sich dieser Befehl bequem von den Fenstern des Saals aus befolgen. Doch außer einem Hund, der wohl auf der Suche nach seinem Herrn durch das Reich gelaufen ist, können König Peters Bedienstete nichts Außergewöhnliches entdecken. Der König ist verwirrt: Schließlich hat er zwei Dinge beschlossen: dass er sich freut und dass an diesem Tag die Hochzeit gefeiert wird. Der Präsident kann bestätigen, dass beides so ins Protokoll aufgenommen wurde. Nun hat König Peter Angst, sich zu kompromittieren, wenn er den gefassten Beschluss nicht ausführt, und beginnt darum sofort, sich zu freuen. Der zweite Teil ist jedoch schon schwieriger in die Tat umzusetzen, besonders da das Brautpaar nach wie vor unauffindbar ist. Da entdeckt einer der Diener vier Personen, die gerade über die Grenze kommen.
Die Automaten
Der maskierte Valerio tritt vor den König und nimmt seine Maske ab, was den Regenten noch tiefer in Verwirrung stürzt. Valerio sagt, er habe zwei Automaten mitgebracht, einen weiblichen und einen männlichen, die so langlebig und hochwertig gearbeitet seien, dass man sie nicht von echten Menschen unterscheiden könne. Die Puppen könnten essen, sprechen und schlafen, hätten einen Sinn für Moral, seien gebildet und könnten sogar singen. Gerade in diesem Moment, so führt er aus, beginne sich der Mechanismus der Liebe zu äußern. Der König ist begeistert und beschließt, die Automaten an Stelle des Brautpaars zu vermählen, damit er seinen Beschluss doch noch in die Tat umsetzen und sich freuen kann. In höchster Eile werden die beiden "Automaten" vom Hofprediger vermählt.
„O Valerio, und ich bin so jung, und die Welt ist so alt.“ (Leonce, S. 43)
Als Leonce ebenfalls seine Maske abnimmt und Peter seinen Sohn erkennt, fühlt er sich betrogen. Der König will die Hochzeit für ungültig erklären lassen. Dann enthüllt auch Lena ihr Gesicht und die beiden Vermählten müssen erkennen, dass sie sich (durch Zufall oder Vorsehung?) genau in die Person verliebt haben, vor der sie eigentlich fliehen wollten. Der zutiefst gerührte König übergibt sogleich die Amtsgeschäfte an das junge Paar, um sich zurückzuziehen und sich endlich ganz dem Denken widmen zu können. Leonce entschuldigt sich bei den Anwesenden für die Verzögerungen und verspricht, die gesamte Zeremonie am nächsten Tag zu wiederholen. Als sich alle entfernen, fragt er Lena, was sie nun tun wollen. Er meint zu wissen, was sie sich wünscht: alle Uhren und Kalender abzuschaffen, um nur noch nach der Natur zu leben. Sodann müsse das gesamte Reich mit Spiegeln umstellt werden, damit es nie mehr Winter werde. Auch der neu ernannte Staatsminister Valerio hat schon Pläne: Er will ein Dekret erlassen, das harte Arbeit, Schwielen und Schweiß verbietet und alle dazu anhält, das Leben zu genießen.
Zum Text
Aufbau und Stil
Das Stück ist in drei Akte gegliedert, wobei der erste und der zweite jeweils aus vier Szenen bestehen und der dritte in drei Szenen unterteilt ist. Neben der für Dramen seit Aristoteles charakteristischen Einheit der Handlung wird die ebenfalls geforderte Einheit der Zeit relativ streng eingehalten, da sich die gesamte Handlung über nur wenige Tage erstreckt. Die Einheit des Ortes wird dagegen nicht gewahrt, Außen- und Innenszenen wechseln sich ab. Entsprechend seiner Annäherung an klassische Formen ist auch das Personal des Stücks recht übersichtlich: Nur elf Personen haben eigenen Text. Büchners Sprache zeichnet sich durch ungeheuren Witz und einen Anspielungsreichtum aus, der auch heute noch verblüffend spritzig und originell wirkt. Vor allem die zahlreichen Wortspiele, die der Autor Valerio und Leonce in den Mund gelegt hat, zeigen eine große Fülle von Einfällen, die sich scheinbar spontan und ungekünstelt im Gespräch entwickeln. Hinter Büchners leichtem und ironischem Tonfall offenbart sich jedoch auf spielerische Weise auch so manche tiefgründige Lebenswahrheit. Ironische und satirische Elemente sind generell wichtige stilistische Merkmale des Stücks. Sie zeigen sich besonders deutlich in der Darstellung des höfischen Lebens und Leonces melancholischen Phasen.
Interpretationsansätze
- Das Stück steht als Lustspiel in der Tradition der Romantik, von der Büchner nachweislich beeinflusst wurde. Die Liebesgeschichte von Leonce und Lena, die Verwirrungen und das abschließende Versteckspiel für die erschwindelte Heirat sind typische Szenen dieser literarischen Form, die Büchner jedoch an vielen Stellen auch bewusst parodiert.
- Leonce und Lena kann zudem als Satire auf die politischen Verhältnisse des reaktionären Deutschland aufgefasst werden. Besonders König Peter kann als Karikatur der absolutistischen Herrscher gelesen werden. Seine Rolle illustriert die für diese Staatsform typische Selbstverliebtheit und das rückwärtsgerichtete Denken.
- Im Zentrum des Stücks stehen die klar gezeichneten psychologischen Studien von Büchners Figuren. Jede einzelne Konstellation lässt sich dabei als ein Gegensatzpaar deuten. So können etwa Valerio und Leonce für Lebensfreude und Melancholie, Leonce und Lena für Vorsehung und Zufall, Leonce und König Peter für Revolution und Reaktion stehen. Es wird also eine Welt voller Widersprüche gezeigt, zwischen denen sich die Liebesgeschichte der beiden Hauptfiguren entwickelt. Die Widersprüche werden am Ende nicht etwa aufgelöst, sondern scheinen allenfalls kurzzeitig miteinander versöhnt.
- Die Themen Langeweile und Melancholie werden im Stück immer wieder behandelt. Die Figuren Leonce und Valerio können als Beispiele für die Jugendlichen der 1830er Jahre gelten, deren Weltschmerz und Langeweile typische Reaktionen auf die verkrusteten gesellschaftlichen Strukturen waren.
- Leonce und Lena ist eine fast unentwirrbare Zitat-Collage, in der sich Büchners vielfältige literarische Vorbilder und Einflüsse erkennen lassen. Neben redensartlichen und sprichwörtlichen Anspielungen finden sich unzählige Bezüge zu Shakespeare. Hatte der Autor in seinen Werken Lenz und Dantons Tod ganze Passagen aus Geschichtsbüchern und anderen Abhandlungen zitiert, sind es in Leonce und Lena vor allem literarische Quellen, die Büchner geschickt und originell in sein Stück einwebte.
Historischer Hintergrund
Die Epoche des Vormärz
Die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts waren eine Zeit des politischen Umbruchs in Europa. Während in Frankreich der absolutistische König bereits durch die Französische Revolution 1789 entthront worden war, waren im Deutschen Reich noch immer reaktionäre Herrscher an der Macht. Die Vielstaaterei und die Missachtung der Menschenrechte wurden vor allem von den Studentenverbindungen angeprangert. Die Karlsbader Beschlüsse von 1819, die die nationalen und liberalen Bestrebungen in Deutschland durch Überwachung und Zensur bekämpften, erzwangen den inneren Frieden, konnten jedoch die Entwicklungen nicht wirklich aufhalten. In dieser Atmosphäre wurden bereits früh Pläne für die Revolution geschmiedet, die im März 1848 vonstattengehen sollte. Die Jugend reagierte nicht nur mit einem Engagement in diesen oppositionellen Bewegungen, sondern vielfach auch mit Resignation und Melancholie auf die gesellschaftliche und politische Stagnation. Georg Büchner schrieb in einem Brief von 1834: "Ich war im Äußeren ruhig, doch war ich in Schwermut verfallen; dabei engten mich die politischen Verhältnisse ein, ich schämte mich, ein Knecht mit Knechten zu sein, einem vermoderten Fürstengeschlecht und einem kriechenden Staatsdiener-Aristokratismus zu Gefallen." Die Epoche des Vormärz (also die Zeit vor der Märzrevolution von 1848) war dementsprechend einerseits durch die Entwicklung neuer demokratisch-liberaler und nationaler Ideale, anderseits durch eine nach innen gerichtete, melancholische Weltsicht geprägt. Neben Büchner gehörten auch Autoren wie Christian Dietrich Grabbe, Ludwig Börne, Hoffmann von Fallersleben oder Heinrich Heine zur literarischen Bewegung des Vormärz, die die herrschenden Verhältnisse kritisierte.
Entstehung
Leonce und Lena entstand als Beitrag für ein Preisausschreiben, zu dem die Cotta’sche Buchhandlung 1836 aufgerufen hatte. Büchner verpasste den Abgabetermin jedoch um zwei Tage und erhielt das Manuskript ungeöffnet zurück. Es liegen kaum Informationen darüber vor, wann Büchner das ursprünglich ein- oder zweiaktige Stück zu einem Dreiakter erweitert hat und inwieweit der Inhalt nach der Einsendung überarbeitet wurde. Büchners Originale sind nämlich nicht erhalten, es liegen lediglich zwei editierte Fassungen vor, die auf seinen Manuskripten beruhen. Die erste Fassung entstammt einem Teilabdruck des Stücks aus dem Jahr 1838 in der Zeitschrift Telegraph für Deutschland, die Karl Gutzkow herausgab. Zwölf Jahre später veröffentlichte der Bruder des Dichters, Ludwig Büchner, dessen nachgelassene Schriften, darunter auch Leonce und Lena. Beide Fassungen unterscheiden sich erheblich, wobei unklar ist, ob dies vornehmlich auf unterschiedliche Manuskripte oder auf die Eingriffe der Herausgeber zurückzuführen ist.
Büchners Lustspiel vereint zahlreiche Einflüsse, die aus der schier unüberschaubaren Menge an Zitaten und Anspielungen deutlich werden. Die Forschung ist sich heute jedoch einig, dass es besonders zwei Werke sind, die als wichtigste Vorlagen für das Stück gelten dürfen: Zum einen handelt es sich dabei um Fantasio (1834) von Alfred de Musset und zum anderen um Clemens Brentanos Ponce de Leon (1804). De Musset inspirierte Büchner dazu, die psychologischen Aspekte und Leonces von Langeweile und Melancholie geprägte Weltsicht in den Mittelpunkt seines Stücks zu rücken. Der Einfluss von Brentanos Stück zeigt sich dagegen eher im Grundaufbau der Geschichte, die sich ganz ähnlich in Ponce de Leon wiederfindet. Daneben sind u. a. auch Einflüsse der Werke William Shakespeares deutlich erkennbar.
Wirkungsgeschichte
Leonce und Lena wurde und wird von den Literaturwissenschaftlern und Kritikern sehr unterschiedlich bewertet. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, wie viele Deutungsansätze allein die vielfältigen Zitate erlauben. So reichte die Reaktion auf Büchners Stück in der Vergangenheit denn auch von offener Ablehnung über Ignoranz bis hin zu Anerkennung und Hochachtung. Schon früh entbrannte unter den Kritikern ein Streit darüber, ob das Stück vornehmlich romantische Liebeskomödie oder satirische Regime- und Gesellschaftskritik sei. Die Virtuosität, mit der der Autor Zitate verarbeitet, wurde nicht von allen als dichterische Originalität oder gar Genie anerkannt. Urteile wie das, dass es sich bei dem Stück um eine wenig ansprechende Fingerübung oder eine blasse romantische Komödie handle, waren daher besonders im 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht selten. Daneben zeigten sich einige Kritiker schockiert von Büchners zuweilen drastischer Regimekritik. Man geht davon aus, dass sein Bruder Ludwig Büchner aus diesem Grund die Fassung von 1850 radikal gekürzt und geändert hat. Nach einem langen Desinteresse des Theaters an Büchners Stück wurde es erst 1895 uraufgeführt, etwa 60 Jahre nach dem Tod des Autors. Heute wird das Drama zwar differenzierter betrachtet, findet aber immer noch weitaus weniger Beachtung als Büchners andere Werke, etwa Dantons Tod, Lenz oder Woyzeck. Dabei haben gerade die kritischen Töne und die kunstvollen Zitat-Collagen noch immer nicht an Aktualität verloren. Das Stück wurde dreimal fürs Fernsehen verfilmt.
Über den Autor
Georg Büchner wird am 17. Oktober 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren. Sein Vater ist Arzt und seine Mutter eine sehr belesene, am geistigen Klima der Zeit interessierte Frau. Büchner nimmt 1831 in Straßburg ein Medizinstudium auf. Das Kleinstadtklima behagt ihm überhaupt nicht. Er wird melancholisch und erkrankt häufig. Erst die Beschäftigung mit der Geschichte der Französischen Revolution holt ihn aus seiner Lethargie heraus. 1832 verlobt er sich in Straßburg heimlich mit Wilhelmine (Minna) Jaeglé, der Tochter seines Vermieters. Im gleichen Jahr nimmt er am Hambacher Fest teil, dem Höhepunkt bürgerlich-liberaler Opposition gegen die Restauration. 1834 setzt er in Gießen sein Medizinstudium fort, gründet die „Gießener Gesellschaft der Menschenrechte“ und schart Gleichgesinnte um sich mit dem Ziel, die reaktionäre Strömung im Großherzogtum Hessen zu bekämpfen. Nachdem seine sozialrevolutionäre Flugschrift Der hessische Landbote in mehreren Hundert Exemplaren verteilt worden ist, wird seine Wohnung auf den Kopf gestellt und er wird bald sogar steckbrieflich gesucht. Büchner flieht nach Straßburg. 1836 siedelt er nach Zürich über, wo er sein Studium beendet und Privatdozent für Anatomie wird. Im Juli 1835 erscheint die Buchausgabe von Büchners Drama über die Französische Revolution, Dantons Tod. Drei Monate später beginnt er die Niederschrift der Erzählung Lenz, die der Dichter Karl Gutzkow, Büchners langjähriger Freund und politischer Mitstreiter, 1839 publizieren wird. Erst 1878 erscheint hingegen das Fragment gebliebene Theaterstück Woyzeck, das Büchner Ende 1836 beginnt, wegen einer Erkrankung aber nicht fortsetzen kann. Als der Arzt Typhus diagnostiziert, eilt Büchners Verlobte von Straßburg nach Zürich. Zwei Tage nach ihrem Eintreffen, am 19. Februar 1837, stirbt Büchner im Alter von nur 23 Jahren.
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