Arthur Schnitzler
Liebelei
Schauspiel in drei Akten
Fischer Tb, 2010
Was ist drin?
Ein „süßes Wiener Mädel“ zerbricht an der bitteren Wahrheit über die Männer.
- Drama
- Fin de siècle
Worum es geht
Kaum Lärm um viel
Der Kunst, mit vielen Worten nichts zu sagen, begegnen wir heute überall: in Parlamenten, Talkshows und Meetings. Viel seltener ist der umgekehrte Fall, und genau deshalb ist Arthur Schnitzlers unprätentiöser, reduzierter Stil so eindrücklich. Sicher, man könnte seitenlange Abhandlungen schreiben über die Objektivierung der Frau um 1900 oder über das Schicksal der oft aus einfachen Verhältnissen stammenden Chormädchen in Wiens zahlreichen Theatern, die schlichtweg als Prostituierte abgestempelt wurden. Oder aber man lässt die Figuren mit wenigen Worten unglaublich viel sagen, so wie der Autor es in Liebelei tut: Da ist der Vater, der glaubt, seiner Tochter wegen ihrer schönen Stimme einen Platz im Chor verschaffen zu können. Die neidische Nachbarin entgegnet: „Freilich, mit der Figur!“ Wie kein anderer beherrschte Schnitzler die Kunst, gesellschaftliche Missstände und zwischenmenschliche Tragödien ohne viel Lärm auf die Bühne zu bringen.
Take-aways
- Liebelei ist die Tragödie eines jungen Mädchens, das jenseits seiner Standesgrenzen Liebe sucht und grausam enttäuscht wird.
- Inhalt: Der Student Fritz hat ein kompliziertes Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Zur Ablenkung amüsiert er sich mit dem Wiener Vorstadtmädchen Christine, doch diese verliebt sich ernsthaft in ihn. Als der gehörnte Ehemann Fritz zum Duell auffordert, erwacht dessen Interesse an dem Mädel – doch zu spät, er wird erschossen. Christine erfährt, dass sie für Fritz nur ein Zeitvertreib war, und flüchtet verzweifelt.
- Das 1895 uraufgeführte Stück brachte Arthur Schnitzler den Durchbruch als Bühnenautor.
- Schnitzler, der selbst einige Affären hatte, machte den Typus des süßen Wiener Mädels als literarische Figur weltberühmt.
- Um die Jahrhundertwende geriet das Weltbild der Menschen ins Wanken. Viele Männer kompensierten ihre Unsicherheit, indem sie an althergebrachten Frauenbildern festhielten.
- Schnitzler thematisierte als einer der Ersten die Entfremdung der Frau von der männerdominierten Gesellschaft.
- Er gilt als Meister des Dialogs und wichtigster Vertreter der Wiener Moderne.
- Schnitzler zeichnet die Figuren mit großer psychologischer Schärfe. Jeder Blick und jede Geste, jedes gesagte Wort ist von Bedeutung, genauso jedes fehlende.
- Liebelei steht in der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels, das eine nicht standesgemäße Liebesgeschichte zum Thema hat.
- Zitat: „Zum Erholen sind sie da. Drum bin ich auch immer gegen die so genannten interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm.“
Zusammenfassung
Alles neu macht der Mai
An einem milden Maiabend in Wien kehren die beiden Studenten Fritz Lobheimer und Theodor Kaiser nach einem Tag im Grünen zurück in Fritz’ Stadtwohnung. Theodor versucht seinen Freund zu überreden, zur Beruhigung eine wenig Zeit auf dem Landgut von Fritz’ Eltern zu verbringen. Denn dessen Nerven sind wegen einer Affäre mit einer verheirateten Frau zum Zerreißen gespannt. Die Geliebte glaubt sich verfolgt und sieht an jeder Straßenecke Spione. Fritz versucht, diesen Verdacht mit der hysterischen Natur der Frau zu erklären, während Theodor ihm rät, die unheilvolle Verbindung sofort zu beenden. Dieser zieht flüchtige, unverbindliche Beziehungen zu Frauen vor, die sein Leben erleichtern und nicht verkomplizieren, so wie Mizi aus der Vorstadt. Theodor hat Fritz einige Wochen zuvor mit Mizis Freundin Christine bekannt gemacht. Nun hat er die beiden Mädchen zur Überraschung seines Freundes für diesen Abend eingeladen. Zuerst erscheint Mizi an der Haustür, voll beladen mit Lebensmitteln. Christine begleitet noch ihren Vater, einen Violinisten, zum Theater und will später nachkommen. Mizi blättert in einem Fotoalbum und ist ganz verzückt, als sie darin Fritz in schmucker Dragoneruniform abgebildet sieht. Sie bittet Theodor, zur nächsten Verabredung in Uniform zu erscheinen. Im August habe er ohnehin eine Waffenübung, antwortet dieser. Doch Mizi winkt ab: Wer denkt schon so weit voraus?
Ausgelassene Stimmung
Mizi schimpft mit Fritz, weil er am Abend zuvor nach der Theatervorstellung nicht mit ihnen gekommen ist. Er versucht sich mit Verpflichtungen gegenüber seinen Bekannten herauszureden. Aber das Mädchen weiß genau, dass er nur Augen für eine gewisse Dame in einem schwarzen Samtkleid hatte. Dann erscheint Christine. Auch sie möchte wissen, wer die Dame in der Loge war, aber Fritz weicht ihr aus. Christine ist es mit Fritz ernst, sie erklärt treuherzig, er bedeute ihr alles auf der Welt. Dem jungen Mann ist das unangenehm. Während die Mädchen das mitgebrachte Essen herrichten, gibt Theodor im Gespräch unter vier Augen noch einmal seine Ansicht zum Besten, dass man Frauen nur als netten Zeitvertreib sehen sollte.
„Zum Erholen sind sie da. Drum bin ich auch immer gegen die so genannten interessanten Weiber. Die Weiber haben nicht interessant zu sein, sondern angenehm.“ (Theodor, S. 109)
Christine versucht ein weiteres Mal, die Wahrheit über die Dame im schwarzen Kleid zu erfahren, aber Fritz erinnert sie an ihre Abmachung: keine Fragen. Er selbst hält sich jedoch nicht daran. Als er mehr über Christine wissen will, gibt sie bereitwillig Antwort: Sie kann Klavier spielen, hat eine schöne Stimme und verdient sich ein Zubrot durch das Abschreiben von Musiknoten. Mizi, die bis vor einem Jahr in einem Modistengeschäft gearbeitet hat, versteht das nicht. Mit so einer Stimme gehöre man doch ins Theater, meint sie. Theodor albert herum, die Stimmung wird ausgelassener. Mizi und Fritz trinken Brüderschaft mit einem Kuss. Als Theodor mit Christine dasselbe tun will, ziert sie sich zunächst, gibt dann aber nach. Fritz versucht, ein bekanntes Lied auf dem Klavier zu spielen, bringt aber nichts zustande, obwohl Mizi ihm hilft. Dann improvisiert er. Theodor und Mizi tanzen ausgelassen, als es klingelt. Fritz blickt angespannt auf. Sein Freund schlägt vor, es lässig zu ignorieren, schließlich sei es schon spät. Aber Fritz geht nachschauen. Aufgeregt kehrt er zurück und schickt seine Freunde ins Nebenzimmer, um mit dem Besuch allein zu sein.
Die Herausforderung
Ein elegant gekleideter Herr tritt ein und bittet um Entschuldigung für die Störung. Es seien nur ein paar Freunde da, wiegelt Fritz ab. Freundlich deutet der Herr auf die Damenkleider und erkundigt sich, ob es sich um einen Maskenscherz handle. Wesentlich kühler sagt er dann, seine Frau habe ihren Schleier bei Fritz vergessen. Er wirft ein Paket mit Fritz’ Briefen auf den Tisch und fordert die Briefe seiner Frau von ihm zurück. Er wolle nicht, dass man sie „später“ bei ihm finden werde. Fritz versichert, dass das nicht der Fall sein werde. Obwohl keiner von beiden das Wort in den Mund nimmt, ist klar, dass der betrogene Ehemann den Liebhaber seiner Frau zum Duell auffordert. Er stehe zur Verfügung, sagt Fritz nur. Als sein Gast gegangen ist, ruft Fritz Theodor zu sich.
„Für so ein süßes Mäderl geb’ ich zehn dämonische Weiber her.“ (Theodor, S. 117)
In flapsiger Art versucht dieser, die Sache herunterzuspielen. Doch Fritz erkennt den Ernst der Lage. Theodor und Lensky, ein anderer Freund, sollen ihm als Sekundanten zur Seite stehen. Damit die Mädchen nichts bemerken, bitten sie sie wieder hinein. Fritz klimpert einen Walzer auf dem Klavier. Christine bemerkt seufzend, dass sie auch gerne so spielen würde. Plötzlich ist Fritz wie ausgewechselt: Er möchte alles über sie erfahren, will wissen, wo und wie sie wohnt und ob sie vor ihm schon einmal jemanden lieb hatte. Natürlich nicht, versichert sie. Das Mädchen genießt seinen herzlichen Tonfall und sein erwachtes Interesse. Als Theodor sich anschickt, sie nach Hause zu begleiten, und Christine von Fritz wissen will, was er noch vorhabe, fällt er wieder in die gewohnte Rolle zurück. Sie solle sich abgewöhnen, ihn auszuhorchen. Sie verabreden sich für den nächsten Tag um sechs Uhr abends.
Die Nachbarschaft sieht dich
Christine macht sich gerade zum Ausgehen fertig, als ihre Nachbarin Katharina Binder sie zu einem Musikabend einlädt. Christine lehnt dankend ab. Dann erkundigt sich die Frau nach Freikarten für das Theater, in dem Christines Vater als Musiker arbeitet. Unaufhörlich redet sie auf die wenig gesprächige Christine ein. Offenbar möchte sie diese mit dem Cousin ihres Mannes verkuppeln, weshalb sie dessen feste Anstellung und sein ansehnliches Gehalt hervorhebt. Christine versucht vergeblich, sie loszuwerden. Ungefragt gibt die Nachbarin ihr den Rat, vorsichtig zu sein. Was das den heißen solle, will Christine wissen. Ihr Mann habe sie mit einem eleganten Herrn gesehen, sagt Katharina, fügt aber sogleich an, dass es sich sicher um eine Verwechslung handle, denn „so eine“ sei doch das häusliche, bescheidene Fräulein Christine nicht. Dann legt sie nach: Selbst der Cousin habe davon nichts wissen wollen, der lege für sie die Hand ins Feuer. Die Nachbarin macht eine vielsagende Pause. Ob sie nicht doch mitkommen wolle? Nein, antwortet Christine.
Man ist nur einmal jung
Christines Vater Hans Weiring betritt gut gelaunt das Zimmer und schenkt seiner Tochter einen duftenden Fliederzweig, den er auf dem Weg in einem Park gepflückt hat. Katharina rümpft die Nase: Wenn das alle täten ... Christine verlässt die beiden unter dem Vorwand, mit Mizi verabredet zu sein. Nun setzt die Nachbarin ihre Überzeugungsversuche beim Vater fort: Warum Christine denn nichts von ihrem Cousin mit dem festen Gehalt wissen wolle? Weiring ist dafür nicht empfänglich. Man sei schließlich nur einmal jung, und er habe nichts dagegen, dass seine Tochter ihre Jugend genieße. Am Ende komme dann ja doch der Strumpfwirker, stichelt er in Anspielung auf den Beruf von Katharinas Mann. Ob sie vor ihrer Ehe nicht auch das Leben genossen habe? Unsinn, meint die Nachbarin, am Schluss bleibe eh nichts als Reue. Da muss er an seine vor Kurzem verstorbene jüngere Schwester denken, die er nach dem frühen Tod der Eltern versorgt und beschützt hat – im Rückblick wohl zu sehr. Denn als er erkannte, dass aus dem jungen, fröhlichen Mädel eine alte Jungfer geworden war, war der Zug für sie abgefahren. Zur Überraschung der beiden tritt Mizi ins Zimmer. Sie versichert, nicht mit Christine verabredet gewesen zu sein. Katharina fragt, ob der Hut neu sei. Nein, noch von vorigem Frühjahr, nur neu aufgeputzt, antwortet Mizi kühl. Dann kommt Christine mit verweintem Gesicht zurück und klagt über Kopfschmerzen. Weiring ist besorgt. Er bitte Mizi, bei seiner Tochter zu bleiben, und fordert die neugierige Nachbarin auf, die beiden Mädchen allein zu lassen.
Besuch in der Vorstadt
Mizi findet es nur gerecht, dass Fritz Christine hat sitzen lassen – schließlich sollte man die Männer ihrer Ansicht nach nie so verwöhnen, wie ihre Freundin es tut. Mizi hat ihre erste enttäuschte Liebe längst hinter sich und hat sich fest vorgenommen, ihr Herz nicht mehr zu verschenken. Schon gar nicht an einen feinen Herrn, der ein Mädel wie sie nur als lustigen Zeitvertreib sehe, ohne jemals an Heirat zu denken. Aber Christine will das nicht hören. Sie ahnt zwar, dass ihre Liebe nicht ewig dauern wird, möchte aber wenigstens für die Zeit, die sie währt, an deren Wahrhaftigkeit glauben. Fritz tritt ein, und Christine stürzt in seine Arme. Mizi verdrückt sich mit vielsagender Miene. Er wolle sehen, wie sie wohne, erklärt Fritz seinen Besuch. Die bescheidene, aber gemütliche Wohnung mit ihrem Blick auf die Dächer der Wiener Vorstadt entzückt ihn. Anerkennend begutachtet er Christines Bücherregal, in dem Werke von Schiller und Hauff sowie Meyers Konversationslexikon bis zum Buchstaben G stehen. Sie schaue sich wohl die Bilder darin an, meint er herablassend, erkennt aber kurz darauf nicht einmal ein Gemälde, das den von Weiring verehrten Schubert darstellt. Dann will er schon wieder gehen. Christine spürt, dass große Sorgen auf ihm lasten, und drängt ihn zu reden. Fritz weicht aus, sagt, dass er am nächsten Tag wegfahren werde. Christine ist enttäuscht. Sie erträgt es nicht, rein gar nichts über ihn zu erfahren. Er schwadroniert über Augenblicke der Ewigkeit, küsst sie, schwärmt von der Weltferne ihrer kleinen Wohnung – und erhält eine bedingungslose Liebeserklärung zum Dank zurück.
Abschied
Es klopft an der Tür. Dieses Mal ist es Theodor. Fritz fragt ihn flüsternd, ob er etwas über seine Geliebte erfahren habe. Nein, das habe er nicht, flüstert sein Freund zurück, aber er sei gekommen, ihn zu holen, damit er sich einen Tag vor dem Duell ausruhe. Mit lauter Stimme lobt Theodor die gemütliche Wohnung, obwohl sie für seinen Geschmack etwas zu hoch gelegen sei. Dann drängt er die beiden zum Abschiednehmen. Während Christine im Nebenzimmer Streichhölzer für Theodor holen geht, gerät Fritz seinem Freund gegenüber ins Schwärmen: Ob dieses Mädel vielleicht doch für ihn bestimmt gewesen sei? Oder lasse er sich etwa nur von der sentimentalen Stunde täuschen? Theodor hat hierfür überhaupt kein Verständnis. Er drängt erneut zum Aufbruch. Fritz verabschiedet sich mit einem „Leb wohl“. Christine antwortet „Auf Wiedersehn“, woraufhin Fritz noch einmal ohne seinen Freund zurückkehrt, sie an sich drückt und wiederholt: „Leb wohl!“
Angespanntes Warten
Im gleichen Zimmer, um die Mittagszeit: Christine sitzt am Fenster und näht. Lina, Katharinas neunjährige Tochter, erkundigt sich nach den Freikarten fürs Theater, die Weiring besorgen wollte. Ihr Vater sei noch nicht da, antwortet Christine und versichert auf Linas freundliche Nachfrage, dass ihre Kopfschmerzen verschwunden seien. Die Kleine gibt sich mit Mizi die Klinke in die Hand. Ob sie einen Brief von Theodor erhalten habe, fragt Christine angespannt. Nein, warum auch, antwortet Mizi. Ihr kommen die zwei Tage seit der Abreise der beiden Männer keineswegs wie eine Ewigkeit vor. Christine hat ihrem Vater inzwischen alles gebeichtet und der hat es still und gefasst aufgenommen. Mizi misstraut den beiden feinen Herren. Ihrer Ansicht nach war die angebliche Reise nur ein Vorwand dafür, sie zu verlassen. Es ist ihr im Übrigen gleichgültig. Dass die beiden sich niemals ernsthaft in ein Mädchen aus der Vorstadt verlieben würden, war ihr von Anfang an bewusst. Christine hingegen ist überzeugt, dass Fritz sie wirklich lieb hat. Sie überredet ihre widerstrebende Freundin, bei Theodor nachzuschauen, ob die beiden zurückgekehrt sind.
Tod und Verrat
Etwas später tritt Weiring mit sorgenvoller Miene ins Zimmer. Er scheint etwas erfahren zu haben, wovon seine Tochter noch nichts weiß, und versucht, ihr Fritz auszureden. Christine ist verwirrt. Ob ihr Vater sie nicht verstanden habe? Er möge sie fortjagen, wenn er ihr nicht verzeihen wolle, aber ihrer Liebe entsagen – niemals. Weiring gibt nicht auf: Das Leben liege doch noch vor ihr. Eines Tages werde sie jemanden finden, der ihre Liebe wirklich verdiene. Bei diesen Worten wird sie noch misstrauischer. Sie spürt, dass ihr Vater ihr etwas verschweigt, und will fortlaufen, um Fritz zu suchen. Dabei rennt sie geradewegs in Mizis Arme, die mit dem schwarz gekleideten Theodor im Schlepptau erscheint. Ungläubig starrt Christine ihn an. Er schaut weg. Mit einem Mal begreift sie und schreit laut auf.
„Wir hassen nämlich die Frauen, die wir lieben – und lieben nur die Frauen, die uns gleichgültig sind.“ (Theodor, S. 117)
Theodor rückt nur widerwillig mit den Einzelheiten heraus: Fritz sei im Duell gefallen, er wisse nicht, warum. Oder doch, ja, aus einem nichtigen Grund. Nein, nicht für eine Frau ... Aber er kann Christine nichts vormachen. Sie hat verstanden, dass sie für Fritz bestenfalls eine vergnügliche Fußnote war. Theodor raunt Mizi zu, sie hätte ihm diese Szene ersparen sollen. Nun möchte Christine Fritz ein letztes Mal sehen, erfährt aber, dass dieser schon am Morgen im engsten Kreis seiner Freunde und Verwandten begraben wurde. Sie verliert immer mehr ihre Fassung, je mehr ihr bewusst wird, welche Rolle sie in Fritz’ Leben spielte – nämlich gar keine. Jetzt verliert auch Theodor die Fassung. Das habe er nicht geahnt, stammelt er mit tränenerstickter Stimme. Entschlossen fordert Christine ihn auf, sie zu Fritz’ Grab zu führen. Ihr Vater redet beruhigend auf sie ein und bittet sie, bis zum nächsten Tag zu warten. Auch Mizi rät ihr von einem Besuch am Grab ab, aus Angst, sie könnte beim Gebet auf Fritz’ Geliebte treffen. „Ich will dort nicht beten“, sagt Christine mit starrem Blick und stürzt davon. Weiring schickt Mizi und Theodor hinterher. Er schleppt sich zum Fenster und sieht bang hinaus, wohl ahnend, dass er sein geliebtes Mädchen nie wiedersehen wird.
Zum Text
Aufbau und Stil
Liebelei ist ein Schauspiel in drei Akten. Der erste und längste spielt in Fritz’ eleganter Wiener Stadtwohnung. Alle handelnden Personen treten in dieser Exposition entweder selbst auf oder werden im Gespräch erwähnt. Im zweiten Akt lernen Fritz und die Zuschauer Christines bescheidene Bleibe über den Dächern der Vorstadt kennen. Im dritten schließlich kommt es mit der Nachricht von Fritz’ Tod und Christines angedeutetem Selbstmord zur Katastrophe. Der Stil ist einfach und umgangssprachlich, gewürzt mit einer Prise Wienerisch. Schnitzler zeichnet die Figuren in wenigen Strichen mit großer psychologischer Schärfe und Tiefe. Jeder Blick und jede Geste, jedes gesagte und unterlassene Wort entblößt Seelen, bohrt Finger in Wunden oder ist einfach unfreiwillig komisch. Der Germanist Richard Alewyn würdigte Schnitzler zu Recht als einen der wenigen „Meister des Gesprächs“ in der deutschsprachigen Literatur.
Interpretationsansätze
- Im Fin de Siècle schuf man im Wesentlichen zwei Kategorien für Frauen: Zu Christine passt die der „Femme fragile“, eine scheinbar kindliche Unschuld, die Schutz braucht, um nicht zu zerbrechen, die aber mit ihrem Handeln klare Ziele verfolgt. Fritz’ verheiratete Geliebte ist eine typische „Femme fatale“: sinnlich, hysterisch und todbringend.
- Beide Typen sah man als wenig geeignet für unbeschwerte sexuelle Abenteuer. Deshalb schuf sich das Großbürgertum mit dem „süßen Mädel“ aus der Wiener Vorstadt eine Muse für den vergänglichen Augenblick. Als Gegenleistung für ihre Dienste verlangten Mädchen wie Mizi nichts anderes, als kurz am glamourösen Leben der Reichen teilzuhaben. Fritz hält anfangs auch Christine für ein „süßes Mädel“ – ein Irrtum, der für sie tragisch endet.
- Schnitzler stellt die Frau als Produkt männlicher Denkschablonen dar: von sich selbst entfremdet, machtlos und ohne eigene Identität. Einerseits kritisiert er die Doppelmoral und den gesellschaftlichen Konservatismus seiner Zeit. Andererseits beweist seine Biografie, dass er selbst nicht dagegen gefeit war: Schnitzler hatte viele Geliebte, darunter einige „süße Mädel“. Er forderte von ihnen Treue und war nicht bereit, selbst treu zu sein. Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit war symptomatisch für die Spannungen zwischen den Geschlechtern. Sigmund Freuds Erforschung des Unbewussten, die stärkere Betonung der weiblichen Sexualität und der politische Niedergang der Donaumonarchie nahmen den Männern den Halt. Selbst fortschrittliche Intellektuelle fielen da oft in traditionelle Denkmuster zurück.
- Liebelei steht in der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels, das wie Lessings Emilia Galotti oder Schillers Kabale und Liebe eine nicht standesgemäße Liebesgeschichte zum Thema hat. Allerdings geht es bei Schnitzler nicht mehr um Konflikte zwischen Adligen Bürgern, sondern um die Klassenunterschiede der Moderne. Im Gegensatz zu den gut 100 Jahre älteren Vorbildern bleibt das Ende hier offen: Christine rennt mit gebrochenem Herzen aus dem Haus. Vielleicht um sich umzubringen – vielleicht aber auch nicht.
- Liebelei kann auch als missglückter Ausbruchsversuch gelesen werden: Die kleinbürgerliche Christine hofft vielleicht insgeheim, dass ihr durch die Beziehung zu Fritz ein sozialer Aufstieg ins Großbürgertum gelingt. Dafür sprechen ihre Sehnsucht, Klavier spielen zu können, und ihr Bildungshunger. In ihrer Naivität begreift sie zu spät, dass die Liebe für Frauen ihres Standes ein Luxus ist.
Historischer Hintergrund
Die Frau im Fin de Siècle
Das Wien an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wirkte wie ein Treibhaus der Künste. Am politischen Himmel des Vielvölkerstaats Österreich braute sich zwar ein gewaltiges Gewitter zusammen, und die rasch voranschreitende Industrialisierung und Technisierung verunsicherte die Menschen. Doch in den Kaffeehäusern und Salons des Fin de Siècle blühten Literatur, Musik und Malerei auf. Aus dem Humus des Vergangenen, so die Hoffnung, würde etwas Neues, Besseres hervorgehen. Mitte der 1890er Jahre stand hierfür die Literatengruppe Junges Wien um Hermann Bahr. Er traf sich u. a. mit Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal, Peter Altenberg und Felix Salten im Café Griensteidl und blies zum Aufbruch in die literarische Moderne des 20. Jahrhunderts. Die Gruppe wollte den bis dahin beherrschenden Naturalismus in der Literatur überwinden und sich den menschlichen Empfindungen zuwenden. Nicht die objektive Außenwelt, sondern subjektive Sinneseindrücke rückten in den Mittelpunkt des Interesses.
Das Bürgertum reagierte auf die Veränderungen jener Zeit u. a. mit dem dogmatischen Festhalten an der alten Geschlechterordnung. „Anständige“ Frauen mussten als Jungfrauen in die Ehe gehen; Ehefrauen setzten mit einem Seitensprung ihre bürgerliche Existenz und das Leben des Liebhabers aufs Spiel. Umgekehrt waren voreheliche sexuelle Erfahrungen für Männer ein Muss, und außereheliche Affären wurden bewundert. Die Frau galt als dem Mann diametral entgegengesetzt. Pseudowissenschaftliche Pamphlete sollten ihre angebliche geistige und körperliche Unterlegenheit belegen, darunter die 1900 von dem Neurologen Paul Julius Möbius veröffentlichte Studie Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. In der Kampfschrift Geschlecht und Charakter kam der pathologische Frauenhasser Otto Weininger 1903 zu dem Schluss: „Das Weib besitzt kein Ich, das Weib ist das Nichts.“
Entstehung
Die Hoteliersgattin Olga Waissnix, in die Arthur Schnitzler sich 1886 während eines Kuraufenthalts verliebte, brachte das Dilemma der vornehmen Bürgersfrau auf den Punkt: „Alles an uns ist Toilette und am liebsten möchte man unseren armseligen Herzen, die die liebe Natur ja ganz so erschaffen hat, wie die der Männer, noch Handschuhe anziehen“, klagte sie in einem ihrer Briefe. Sie hatte Angst vor den Folgen einer Beziehung zu Schnitzler. Ihr Mann erlitt Nervenkrisen und drohte dem Nebenbuhler mit Duellen. Was blieb, war eine jahrelange, intensive Korrespondenz. Olga Waissnix drängte Schnitzler, seiner schriftstellerischen Berufung zu folgen: „Hervorragende Geister müssen ringen, damit die Dutzendmenschen, die sie zuerst anfeindeten, es dann recht bequem haben. Sie gehören zu den Kämpfern des 20. Jahrhunderts!“
Wirkungsgeschichte
Den Gegentyp zu Olga bildet das „süße Mädel“, als dessen literarischer Schöpfer Schnitzler gilt. In seiner Autobiografie beschrieb er es als „verdorben ohne Sündhaftigkeit, unschuldsvoll ohne Jungfräulichkeit, (...) als Bürgertöchterchen immerhin nicht ganz wohl geraten, aber als Liebchen das bürgerlichste und uneigennützigste Geschöpf, das sich denken lässt.“ 1887 begegnete es ihm erstmals in Gestalt seiner Geliebten Jeanette Heeger. Schnitzler schätzte zwar deren Sinnlichkeit und Anspruchslosigkeit, ernstere Absichten verfolgte er aber ebenso wenig wie die Schürzenjäger in seinen Theaterstücken und Novellen: „Es wird was Hübsches zum Erinnern sein“, schrieb er in sein Tagebuch. 1894 begann er, ein Stück mit dem Titel Das arme Mädchen zu schreiben, änderte den Namen aber später in Liebelei um//. // Das Schauspiel wurde am 9. Oktober 1895 am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Der Direktor Max Burckhard spielte auf Risiko, denn bis dahin war kein Stück eines Vertreters der Gruppe Junges Wien in dem traditionsreichen Haus zur Aufführung gelangt. Sein Mut zahlte sich aus: Das Publikum war begeistert, es war Schnitzlers Durchbruch als Bühnenautor. Trotz des Erfolgs sorgte sich der Kritiker Alfred Freiherr von Berger um die zarten Gemüter alter Burgtheaterbesucher, die sich seiner Ansicht nach gefragt haben dürften, „durch welchen Zufall sich dieses Vorstadtstück auf die Bühne verirren konnte, auf der Schiller und Grillparzer heimisch sind“.
Der Erfolg zementierte Schnitzlers Ruf als wichtigster Vertreter der Wiener Moderne, was seine konservativen Gegner ärgerte. Sie wollten nicht akzeptieren, dass ein Jude die österreichische Literatur repräsentieren sollte. Schnitzler bezeichnete sich einmal als den „am meisten beschimpften Dichter deutscher Sprache“. Heute gilt er als einer der ganz Großen, der mit literarischen Mitteln intuitiv vorwegnahm, was Sigmund Freud den Menschen mithilfe der Psychoanalyse entlockte. Liebelei wurde mehrmals verfilmt, u. a. 1933 von Max Ophüls mit Magda Schneider und 1958 von Pierre Gaspard-Huit mit Magda Schneiders Tochter Romy Schneider in der Rolle der Christine.
Über den Autor
Arthur Schnitzler wird am 15. Mai 1862 als Sohn des jüdischen Klinikdirektors Johann Schnitzler in Wien geboren. Schon früh packen ihn die Leselust und das Interesse an der Schriftstellerei. Obwohl der Vater die literarischen Ambitionen seines Sohnes fördert, studiert Arthur auf dessen Wunsch Medizin in Wien. 1882 folgt ein Jahr beim Militär als Sekundararzt. 1885, mit 23, promoviert er in Medizin. In den folgenden Jahren arbeitet er als Assistenzarzt in verschiedenen Wiener Kliniken. Nach dem Tod des Vaters eröffnet er eine Privatpraxis. 1893 erscheint sein Dramenzyklus Anatol. Eine tiefe Freundschaft mit Hugo von Hofmannsthal beginnt. Schnitzler arbeitet vor allem für die Bühne: Sein Reigen von 1897 erregt einen Skandal wegen des vermeintlich pornografischen Inhalts und bleibt lange verboten. Mit der Novelle Lieutenant Gustl tut sich Schnitzler als Prosaschriftsteller hervor, allerdings kostet ihn die angebliche Verunglimpfung des Militärs seinen Offiziersrang. 1903 heiratet er seine Lebensgefährtin Olga Gussmann, mit der er bereits einen Sohn hat. In den folgenden Jahren kommen mehrere seiner Schauspiele zur Uraufführung, u. a. Der einsame Weg, Der grüne Kakadu und Das weite Land. Immer wieder ecken seine Werke bei der Zensur an: Neben dem Reigen betrifft das vor allem den Einakter Haus Delorne, der 1904 noch am Abend vor der Uraufführung verboten wird, und die Komödie Professor Bernhardi, die 1912 zwar in Berlin, nicht aber in Wien aufgeführt werden darf. Bei Kriegsausbruch 1914 bekennt sich Schnitzler zum Pazifismus: Im Unterschied zu vielen seiner Schriftstellerkollegen bricht er nicht in Kriegseuphorie aus. Nach der Trennung von seiner Frau im Jahr 1921 erzieht Schnitzler seine Kinder allein. 1922 macht er die nähere Bekanntschaft Sigmund Freuds, der in der Psychoanalyse zu ähnlichen Erkenntnissen kommt wie Schnitzler mit den Mitteln der Literatur. 1924 verwendet er die Technik des inneren Monologs in der Novelle Fräulein Else. 1926 erscheint die Traumnovelle. Schnitzler stirbt am 21. Oktober 1931.
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