Karl Popper
Logik der Forschung
Mohr Siebeck, 2005
Was ist drin?
Forschung ist nur dann gute Forschung, wenn sie sich widerlegen lässt: Poppers revolutionäres Werk krempelte die moderne Wissenschaftstheorie um.
- Wirtschaftstheorie
- Moderne
Worum es geht
Wie kommt wissenschaftlich gültige Erkenntnis zustande?
In Logik der Forschung vollzog Karl Popper eine radikale Abkehr von der bislang üblichen Wissenschaftstheorie. Diese hatte immer versucht, Hypothesen oder Theorien zu verifizieren und so zu begründen. Dem stellte Popper sein Prinzip der Falsifizierbarkeit entgegen, das bis heute in der Forschung verwendet wird: Nur die Theorie, für die im Prinzip ein Gegenargument oder ein Gegenbeispiel gefunden werden kann, ist eine wissenschaftliche Theorie. Wenn ein Forscher also einen Satz wie "Alle Raben sind schwarz" formuliert hat, dann muss er beginnen, Gegenbeispiele zu suchen. Findet er sie, so ist das gut, denn darüber entwickelt sich die Wissenschaft weiter: Sie hangelt sich von Vermutung zu Widerlegung und wieder zu neuer Vermutung. Nur Theorien, die viele Falsifizierungsversuche überstehen, bewähren sich - für immer gültig sind sie dennoch nicht, denn vielleicht findet sich ja doch noch ein Gegenargument. Mit seiner neuen Wissenschaftstheorie nahm Popper den empirisch arbeitenden Forschern seiner Zeit eine schwere Last von den Schultern: Viele hatten große Probleme damit, dass neue Theorien wie etwa die Relativitätstheorie das Weltbild der Physik in Frage stellten. Popper zufolge ist das aber gar kein Problem für die Wissenschaft, sondern ein Zeichen für ihren ganz normalen Fortgang: Entwicklung gibt es nur, wenn nichts ewige Gültigkeit hat.
Take-aways
- Poppers Logik der Forschung, ein Klassiker der Wissenschaftstheorie, führte ein neues Kriterium dafür ein, was Wissenschaft ausmacht: die Falsifizierbarkeit.
- Sie besagt, dass eine Theorie nur dann wissenschaftlichen Wert hat, wenn sie sich im Prinzip widerlegen lässt.
- Das Kriterium löste das von früheren Philosophen vertretene Kriterium der Verifizierbarkeit - also das endgültige Beweisen - von Theorien ab.
- In der Wissenschaft geht es laut Popper nicht um ewige Gültigkeit, sondern darum, Hypothesen immer wieder zu verwerfen und sich so der Wahrheit zu nähern.
- Popper lehnt die Induktion als Methode wissenschaftlicher Arbeit ab: Vom Besonderen lasse sich nie auf das Allgemeine schließen.
- Er kritisierte Theorien wie etwa den Marxismus und die Psychoanalyse, weil sie sich seiner Meinung nach gegen Einsprüche und Gegenargumente immunisierten.
- Die Falsifizierbarkeit wird bis heute in der empirischen Forschung - die über Beobachtung und Experiment zu ihren Theorien kommt - verwendet.
- Die Logik der Forschung entstand aus dem Austausch Poppers mit dem berühmten "Wiener Kreis" der 1920er und 1930er Jahre.
- Poppers Ruhm als Wissenschaftstheoretiker geht auf dieses Buch zurück, das der Startschuss für seine wissenschaftliche Karriere war.
- Popper begründete damit die Philosophie des "Kritischen Rationalismus".
- Nach dem Erscheinen des Buches 1934 überarbeitete er es oft und wendete damit die Methode der ständigen Weiterentwicklung auch auf seine eigene Theorie an.
- Popper wanderte 1937 aus Wien nach Neuseeland aus und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg Professor in London, britischer Staatsbürger und 1965 geadelt.
Zusammenfassung
Warum die Forschung eine neue Wissenschaftstheorie braucht
Wenn Forscher zu wissenschaftlichen Erkenntnissen kommen wollen, dann nutzen sie meist die Methode der Induktion: Sie beobachten bestimmte Phänomene in der Natur oder auch Experimente in ihrem Labor und schließen daraus auf allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten. Ein einfaches Beispiel: Beobachte ich viele weiße Schwäne, dann schließe ich daraus, dass Schwäne weiß sind. Aber ist ein solcher Schluss berechtigt? Darf ich aus "Ich sehe nur weiße Schwäne" auf den Satz schließen: "Alle Schwäne sind weiß"?
„Die Tätigkeit des wissenschaftlichen Forschers besteht darin, Sätze oder Systeme von Sätzen aufzustellen und systematisch zu überprüfen; in den empirischen Wissenschaften sind es insbesondere Hypothesen, Theoriensysteme, die aufgestellt und an der Erfahrung durch Beobachtung und Experiment überprüft werden.“ (S. 3)
Solche induktiven Schlüsse, vom Besonderen aufs Allgemeine, stehen wissenschaftlich gesehen auf tönernen Füßen. Anders ist das bei deduktiven Schlüssen vom Allgemeinen aufs Besondere, also von einer Gesetzmäßigkeit auf den Einzelfall: Aus "Alle Menschen sind sterblich" folgt "Ich bin sterblich". Für diesen logisch gültigen Schluss braucht es aber eine Gesetzmäßigkeit als Ausgangspunkt. Und gerade die hat der Wissenschaftler ja noch nicht, sondern muss sie erst über Einzelbeobachtungen herleiten.
Das Induktionsproblem der Wissenschaft
Die Wissenschaft steht vor einem "Induktionsproblem": Wie kommt sie eigentlich aus der Beobachtung von Einzelfällen zu wissenschaftlichen, allgemein gültigen Aussagen? Was unterscheidet sie etwa von der Dichtkunst, die ja auch Sätze über Erfahrungen formuliert, aber eben ohne wissenschaftlichen Anspruch auf Allgemeingültigkeit? Lässt sich das induktive Vorgehen überhaupt rechtfertigen - und zwar so, dass auch diese Rechtfertigung selbst wissenschaftlichen Kriterien genügt? Nun könnte man versuchen, das Induktionsprinzip einfach auf sich selbst anzuwenden, indem man es auf induktive Weise begründet. Etwa so: "Ich beobachte, dass das Induktionsprinzip zu vielen gültigen wissenschaftlichen Theorien geführt hat - also gilt: Das Induktionsprinzip ist immer das gültige Prinzip der Wissenschaft." Doch mit einem solchen Vorgehen landet man in einem so genannten unendlichen Regress: Die Frage, was an der Induktion wissenschaftlich ist, wird wieder nicht geklärt, sondern stellt sich aufs Neue; man müsste diese jetzt wieder induktiv beantworten und diese Antwort dann wieder und so fort, bis ins Unendliche.
„Die Theorie ist das Netz, das wir auswerfen, um ‚die Welt’ einzufangen, - sie zu rationalisieren, zu erklären und zu beherrschen. Wir arbeiten daran, die Maschen des Netzes immer enger zu machen.“ (S. 36)
Der deutsche Philosoph Immanuel Kant hat versucht, diese ewige Schleife zu durchbrechen. Er nahm an, dass die Bedingungen, wie wir Erkenntnis aus Erfahrung gewinnen können, selbst nicht durch Erfahrung begründet sind. Sie sind vielmehr Bedingungen "a priori" (vor der Erfahrung, rein aus dem menschlichen Geist heraus), nicht "a posteriori" (aus der Erfahrung). Diese Begründung ist zwar geistvoll, aber unbefriedigend, weil dogmatisch. Und warum sollte die moderne Forschung, die ja undogmatisch arbeiten will, ausgerechnet in ihren Grundprinzipien einem Dogma folgen? Das Induktionsprinzip kann daher als gescheitert angesehen werden - selbst in seiner weichsten Form, wenn ein Forscher dem Wahrscheinlichkeitsprinzip folgt, wie es viele tun. Etwa so: "Ich sehe viele weiße Schwäne, also ist es am wahrscheinlichsten, dass die Regel gilt: ‚Alle Schwäne sind weiß’." Damit wäre Wissenschaft aber eine Wahrscheinlichkeitsforschung, keine Wahrheitsforschung.
Das Kriterium der Falsifizierbarkeit
Die Lösung liegt darin, bei der Begründung der Gültigkeit von wissenschaftlichen Aussagen nicht induktiv, sondern deduktiv vorzugehen. Die neue Methode nennt sich "hypothetisch-deduktive Methodik der Nachprüfung". Mit ihr stellt ein Forscher eine Hypothese auf und überprüft sie dann deduktiv, d. h. er testet, ob sie den Gesetzen der deduktiven Logik entspricht: etwa ob sich aus ihr Widersprüche ergeben, oder ob sie tautologisch ist - also zwar richtig ist, aber ähnlich wie der Ausdruck "weißer Schimmel" keine neue Erkenntnis über die Welt vermittelt. Außerdem kann der Wissenschaftler seine Hypothese praktischer Bewährung unterziehen: Er kann ein Experiment machen.
„Während wir keine endgültige Sicherheit von der Wissenschaft verlangen und deshalb auch keine erreichen, sucht der Konventionalist in der Wissenschaft ein ‚System letztbegründeter Erkenntnisse’.“ (S. 56)
Anstatt also induktiv aus der Beobachtung vieler weißen Schwäne auf den Satz "Alle Schwäne sind weiß" zu schließen und sich zurückzulehnen, muss der Forscher jetzt erst richtig zu arbeiten anfangen und die Theorie nach allen Regeln der deduktiven Kunst auf Herz und Nieren prüfen. Wenn ihm jetzt ein schwarzer Schwan begegnet, wird er prüfen, ob seine Regel falsch oder ob dieser Schwan ein Mutant und damit eine Ausnahme von der ansonsten richtigen Regel ist. Er sucht also aktiv nach Gegenbeispielen für seine Theorie - er versucht, sie zu falsifizieren, nicht, sie zu verifizieren. Gleichzeitig führt dieses Vorgehen dazu, dass der Forscher seine Hypothesen immer auf eine Weise formuliert, die sie falsifizierbar macht: Das heißt, dass er sie nicht gegen Gegenbeispiele immunisiert, indem er diese einfach wegdiskutiert oder dogmatisch für ungültig erklärt. Auch dies trägt dazu bei, dass die Hypothese wissenschaftlichen Kriterien genügt - selbst wenn sie irgendwann widerlegt wird, was ja nur der natürliche Gang der Forschung ist. Jede Hypothese ist damit immer nur richtig auf Zeit. Erst wenn sie ausgiebiger Überprüfung standhält, gilt sie als bewährt - das heißt aber noch lange nicht, dass sie ewig gültig ist.
Die Abgrenzung der Wissenschaft von der Pseudowissenschaft
Der Vorteil dieser Methode ist, dass sie mit der Falsifizierbarkeit ein Kriterium liefert, um Wissenschaft von Pseudowissenschaft oder Metaphysik abzugrenzen, also von Gedankenspielen, die nichts mit der wirklichen Welt dort draußen zu tun haben. Die induktive Methode konnte das nicht und hatte damit ein Abgrenzungsproblem. Der Positivismus glaubte zwar, dieses Problem überwunden zu haben. Diese Lehre geht davon aus, dass Forscher sich nur um das Gegebene (positiv hängt mit lat. ponere zusammen - setzen, stellen, legen) zu kümmern haben, also um das, was sie in der Welt vorfinden und mit eigenen Augen beobachten können. Sie lässt nur solche Begriffe als wissenschaftlich gelten, die aus der Erfahrung stammen, also Beobachtungen oder Experimente. Damit glaubt der Positivismus, sich gegen unwissenschaftliche Gedankenspielerei gewappnet zu haben. Aber wenn das stimmte, dann wären auch Theorien wie etwa die Relativitätstheorie nicht wissenschaftlich, sondern nur Metaphysik, denn sie beschreiben ja nicht, "was jemand sieht". Jeder allgemeine Satz, der sich nicht auf Konkretes bezieht, wäre somit unwissenschaftlich - keine gute Grundlage für eine Wissenschaftstheorie, der es doch um Verallgemeinerungen geht. Statt allgemeine Sätze misstrauisch zu beäugen, sollte besser ein Kriterium definiert werden für die Wissenschaftlichkeit allgemeiner Sätze. Dieses Kriterium ist die Falsifizierbarkeit: Ist der Satz so formuliert, dass man im Prinzip ein Gegenbeispiel finden kann?
Verschiedene Arten von Sätzen
Es gibt unterschiedliche Formen allgemeiner Sätze. Wissenschaftliche Sätze, also Naturgesetze oder Theorien, haben die Struktur von "All-Sätzen", etwa: "Alle Raben sind schwarz". Dieser Satz bedeutet, logisch umgeformt, das Gleiche wie: "Es gibt keinen Raben, der weiß ist". Daran zeigt sich, dass wissenschaftliche Theorien wie Verbote formulierbar sind ("Es darf keinen Raben geben, der weiß ist"). Solche Sätze behaupten nicht, dass etwas existiert, sondern, dass etwas nicht existiert. Hier zeigt sich, wie sie falsifizierbar sind: Indem man nur ein einziges Objekt findet, das als Gegenbeispiel dient, also beispielsweise einen einzigen weißen Raben. Man sucht die Welt daher nicht nach allen schwarzen Raben ab, um den Satz zu verifizieren - was auch unmöglich ist, denn alle schwarzen Raben dieser Welt wird man nie finden. Stattdessen sucht man nach einem weißen Raben, was meist ein leichteres Unterfangen ist.
„Wir hoffen, mit Hilfe eines neu zu errichtenden wissenschaftlichen Systems neue Vorgänge zu entdecken; an dem falsifizierenden Experiment haben wir höchstes Interesse, wir buchen es als Erfolg, denn es eröffnet uns Aussichten in eine neue Welt von Erfahrungen; und wir begrüßen es, wenn diese uns neue Argumente gegen die neuen Theorien liefert.“ (S. 56)
Logisch gesprochen, wird ein universeller "Es gibt nicht"-Satz (z. B.: "Es gibt kein Perpetuum mobile") durch einen besonderen Satz falsifiziert (z. B.: "Der dort und dort befindliche Apparat ist ein Perpetuum mobile"). Solche besonderen Sätze, auch Basissätze genannt, formulieren konkrete Beobachtungen. Hier zeigt sich auch, was einen wissenschaftlichen von einem unwissenschaftlichen Satz unterscheidet. Ein Beispiel für einen nicht falsifizierbaren Satz ist: "Es gibt weiße Raben". Hier lässt sich kein Basissatz finden, der diesem widerspricht; ein schwarzer oder roter Rabe ist kein Gegenbeispiel, das den Satz falsifizieren würde. Also ist der Satz unwissenschaftlich.
Varianten der Falsifizierbarkeit
Von der Falsifizierbarkeit sind nicht nur Gesetze und Theorien, sondern auch Folgerungen aus diesen betroffen. Wenn eine solche Folgerung falsifiziert wird, dann wird auch das Gesetz oder die Theorie falsifiziert. Das kann man sich mit folgendem Beispiel klar machen: Aus dem Satz: "Alle Raben sind schwarz" kann ich folgern: "Dieser Rabe dort ist schwarz". Logisch gesprochen: "Wenn alle Raben schwarz sind, dann ist dieser Rabe dort auch schwarz", oder: "Wenn p, dann q". Wenn sich nun die Folgerung, also q, als unwahr herausstellt und vor meinen Augen ein weißer Rabe über die Wiese spaziert - dann ist auch das "Gesetz", dass alle Raben schwarz sind, falsifiziert. In der Sprache der Logik: "Wenn nicht q, dann nicht p". Die Falsifizierbarkeit funktioniert also wie eine klassische Ableitungsregel der Logik, der so genannte Modus tollens.
„So ist die empirische Basis der objektiven Wissenschaft nichts ‚Absolutes’, die Wissenschaft baut nicht auf Felsengrund. Es ist eher ein Sumpfland, über dem sich die kühne Konstruktion ihrer Theorien erhebt; sie ist ein Pfeilerbau, dessen Pfeiler sich von oben her in den Sumpf senken - aber nicht bis zu einem natürlichen, ‚gegebenen’ Grund.“ (S. 88)
Theorien unterscheiden sich überdies durch unterschiedliche Grade der Falsifizierbarkeit: Manche Theorien sind besser falsifizierbar, d. h. besser prüfbar als andere: etwa dann, wenn sie mehr über die Erfahrungswirklichkeit aussagen. Das tun sie, indem sie mehr Basissätze formulieren, die nicht eintreten dürfen, ohne dass die Theorie widerlegt wird.
Gegen Konventionalismus und Psychologismus
Die neue Methode der Falsifizierung ist nicht "konventionalistisch" - womit ein wissenschaftliches Weltbild gemeint ist, das nicht mit der Natur als solcher umgeht, sondern damit, was wir unter dieser Natur verstehen, also welche Übereinkunft ("Konvention") wir darüber getroffen haben, wie wir die Welt sehen. Für den Konventionalisten bezieht sich die Naturwissenschaft nicht auf die Natur, sondern auf eine rein begriffliche Konstruktion, die wir uns von der Natur gemacht haben. Die neue Methode sieht das völlig anders: Der Wissenschaftler soll sich der Natur als solcher aussetzen und seine Theorien ständig in Frage stellen lassen, statt immer weiter an einem allumfassenden, unumstößlichen System von Gesetzen zu feilen. Die Erkenntnis ist im Fluss und muss es bleiben; wer etwas anderes annimmt, macht sich etwas vor, weil er nicht genau hinschaut, wie die Dinge wirklich sind.
„Wir könnten dann sagen, dass die Theorie, deren Klasse der Falsifikationsmöglichkeiten ‚größer’ ist, mehr Gelegenheit hat, durch mögliche Erfahrung widerlegt zu werden als die andere Theorie: sie ist ‚in höherem Grade falsifizierbar’.“ (S. 90)
Aber was bedeutet "hinschauen, wie die Dinge wirklich sind"? Sobald ein Wissenschaftler Aussagen über die Welt macht, hat er ein Problem: Er formuliert etwa einen Satz wie "Hier steht ein Glas Wasser" und glaubt, dass er damit nur dieses Glas Wasser beschreibt. In Wahrheit steckt aber viel mehr in diesem Satz: nämlich sein allgemeines Wissen über Gläser ("sind durchsichtig, können als Behältnis dienen"), Wasser ("ist flüssig") etc. Eine unmittelbare Beschreibung dessen, "was ist", funktioniert gar nicht. Das ist deswegen ein Problem, weil diese Sätze als Basissätze dienen sollen, also als Aussagen, mit deren Hilfe eine Theorie falsifiziert werden kann.
„Theorien sind nicht verifizierbar; aber sie können sich bewähren.“ (S. 237)
Manche Theoretiker meinen, dass diese Basissätze dennoch gültig sind, weil sie die unmittelbare Wahrnehmung eines Forschers beschreiben. Doch die unmittelbare Wahrnehmung eines Menschen beweist in der Wissenschaft gar nichts und ist reiner Psychologismus. Andere, wie etwa der Logiker Rudolf Carnap, glauben, dass diese Sätze gar nicht in erster Linie die Zustände in der Welt "protokollieren", sondern sich wiederum auf andere Sätze über die Welt beziehen. Auch diese Haltung ist abzulehnen: Basissätze bekommen vielmehr dadurch ihre Gültigkeit, dass die Folgerungen aus diesen Sätzen intersubjektiv - also unter den Forschern - ausgehandelt werden. Dabei ist nicht mehr wichtig, was der Forscher wahrgenommen hat, sondern ob das Wahrgenommene eine Bedeutung als Gegenbeispiel hat: Ist der Satz "Anton ist ein Rabe, und der ist weiß" ein Gegenbeispiel zur Theorie "Alle Raben sind schwarz"? Das müssen die Wissenschaftler mit der hypothetisch-deduktiven Methode aushandeln.
Das Kriterium der Einfachheit
Viele Forscher suchen nach der möglichst einfachen Erklärung für ein Problem. Was ist von diesem Kriterium der Einfachheit zu halten? Ist eine einfache Theorie besser als eine komplizierte? Oder ist das vielleicht nur ein ästhetisches Urteil ("Einfach ist schöner")? Das Problem lässt sich lösen, indem man "Einfachheit" mit "Grad der Falsifizierbarkeit" identifiziert: Je besser sich eine Theorie prüfen lässt, desto wissenschaftlicher ist sie - und desto einfacher. Dadurch wird plausibel, warum einer in diesem Sinne einfachen Theorie immer der Vorzug vor einer weniger einfachen gegeben werden sollte.
Zum Text
Aufbau und Stil
Das Buch hat zwei Teile; der erste besteht aus zwei, der zweite aus acht Kapiteln. Im ersten Teil benennt Popper die Grundprobleme der zeitgenössischen Wissenschaftstheorie. Im zweiten Teil legt er dann seine eigene Theorie dar, inkl. ihrer Anwendung auf ein konkretes Problem, die moderne Quantenmechanik. Dem Werk vorangestellt sind zahlreiche Vorworte zu den immer wieder überarbeiteten Neuauflagen, was die wechselhafte Veröffentlichungsgeschichte des Manuskripts widerspiegelt. Im Anhang folgen einige Definitionen und ergänzende Bemerkungen zum eigentlichen Text. Ein weiterer, neuer Anhang, der 30 Jahre später hinzugefügt wurde, enthält formale Ausarbeitungen von Poppers Theorie, aber auch Zusätze, Antworten auf Kritik etc. bis in die 1980er Jahre. Poppers Sprache ist - trotz des abstrakten Gegenstands - beeindruckend klar und der Text somit seinem Credo verpflichtet, dass Philosophie verständlich zu sein habe; nebulöse Worthülsen wie bei manchen anderen Philosophen sucht der Leser hier vergebens. Allerdings setzt Popper voraus, dass man einige Fachbegriffe kennt (etwa: "a priori"). Sehr lesefreundlich ist auch, dass Popper vor jedem Kapitel kurz anreißt, was den Leser im Folgenden erwartet.
Interpretationsansätze
- Die Logik der Forschung lieferte ein neues Fundament für die Wissenschaftstheorie: Wie kommt ein Forscher zu wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen? Zentral ist hier Poppers Kriterium der Falsifizierbarkeit von wissenschaftlichen Aussagen, das das Kriterium der Verifizierbarkeit ersetzte und geradezu einen Paradigmenwechsel in der Wissenschaftstheorie bedeutete.
- Falsifizierbarkeit heißt: Eine Hypothese oder Theorie ist nur dann wissenschaftlich, wenn sie so formuliert ist, dass es im Prinzip möglich ist, ein Gegenargument für sie zu finden. Nicht falsifizierbare Theorien sind unwissenschaftlich. Falsifizierbarkeit heißt auch, dass sich ein Experiment zumindest denken lässt, mit dem man eine Theorie überprüfen kann, auch wenn man erst in Zukunft die notwendigen Mittel dazu hat. Beispiel: Die absolute Relativitätstheorie behauptet, die Gravitation würde Lichtstrahlen krümmen. Diese Behauptung wurde 1915 von Einstein aufgestellt, konnte aber erst 1919 erstmals wirklich getestet werden.
- Die Folge: Selbst Naturgesetze sind nur Hypothesen, die nie verifiziert werden können, die aber ihrer Widerlegung harren. Dieser Ansatz traf den Nerv der Zeit: Relativitätstheorie und Quantenmechanik hatten das Weltbild vieler Forscher erschüttert, weil sie "Unumstößliches" in Frage stellten. Poppers Antwort darauf: Die Krise ist der Normalzustand der Wissenschaft; sie ist kein Grund zur Sorge, sondern Ansporn, um weiterzuforschen.
- Popper verlangt von den Wissenschaftlern etwas, das psychologisch sehr schwierig ist, nämlich die Suche nach widerlegenden Fällen. Dabei ist doch ein Wissenschaftler, der eine bestimmte Theorie vertritt, meistens nur daran interessiert, ausschließlich bestätigende Fälle zu suchen.
- Poppers Lehre - die keineswegs von allen Wissenschaftstheoretikern akzeptiert wurde - zeigt gewisse Ähnlichkeiten zur Evolutionstheorie: In einem ständigen Prozess von Hypothese und Widerlegung entwickeln sich diejenigen wissenschaftlichen Theorien, die sich am besten bewährt haben, während die anderen, falsifizierten auf der Strecke bleiben.
Historischer Hintergrund
Wien in den 1920ern und 1930ern
Nach dem Ersten Weltkrieg brach die Donaumonarchie auseinander: Die Tschechoslowakei und Ungarn traten aus dem Staatsverband aus, Wien war nun nicht mehr Zentrum eines Vielvölkerstaates, sondern nur noch Österreichs. Die republikanische Idee war in der Gesellschaft wenig verankert. Die Folge war eine allgemeine Verunsicherung; radikale Strömungen gewannen Zulauf, viele wandten sich dem Marxismus zu, auch der Faschismus begann Fuß zu fassen. Inflation, Börsenkrach und Wirtschaftskrise ließen in den 20er Jahren viele Menschen verelenden. Doch es war auch eine Zeit der Reformen: Im "Roten Wien" entstanden durch steuerliche Umverteilung von Reich zu Arm zahlreiche Gemeindebauten, die mit größeren Wohnungen, Kindergärten und Bibliotheken in die Geschichte des Arbeiterwohnbaus eingingen. Auch die Wissenschaft blühte, und an der Wiener Universität traf sich der "Wiener Kreis", ein Zusammenschluss von Forschern verschiedener Richtungen, um die Fundamente einer modernen Wissenschaftstheorie zu diskutieren. Doch auf die wachsende wirtschaftliche und innenpolitische Zerrüttung antwortete Österreich mit einem autoritären Regime, dem "Austrofaschismus" unter Engelbert Dollfuß. 1934 herrschte sogar für einige Tage Bürgerkrieg: Sozialdemokraten wehrten sich im Straßenkampf gegen die Übergriffe der Regierung. Gleichzeitig wuchs das antiintellektuelle und antisemitische Ressentiment in der Bevölkerung. 1936 wurde der Philosoph und Spiritus Rector des Wiener Kreises Moritz Schlick von einem Studenten erschossen, wofür die Öffentlichkeit Schlick selbst verantwortlich machte - er sei schließlich Jude (was er nicht war). In den folgenden Jahren mussten die meisten Mitglieder des Kreises - wie viele andere Künstler, Forscher und Intellektuelle auch - emigrieren; ihre Ideen etablierten sich vor allem in den USA und England.
Eine erhebliche Rolle für Poppers Ideen spielten die Umwälzungen in der Physik um die Jahrhundertwende (19./20 Jh.). 200 Jahre lang war man davon überzeugt gewesen, dass man mit Isaac Newtons Mechanik die ewigen und unumstößlichen Bewegungsgesetze der Welt gefunden hatte. Plötzlich kamen Relativitätstheorie und Quantenmechanik und erschütterten die Physik in ihren Grundfesten. Naturwissenschaftler und Philosophen waren unschlüssig, was eine solch grundlegende Revolution zu bedeuten hatte.
Entstehung
Mit etwa 28 Jahren entschloss sich der Hauptschullehrer Karl Popper, ein grundlegendes Werk zur Wissenschaftstheorie zu schreiben, das die in seinen Augen falschen Annahmen des Wiener Kreises korrigieren sollte. Die Idee dazu war aus langen Diskussionen mit Mitgliedern desselben entstanden. Popper war aber von Moritz Schlick, der den Kreis informell leitete, niemals zur den legendären Donnerstagstreffen der Runde eingeladen worden, was ihn immer schmerzte; womöglich war sein kompromissloser Diskussionsstil und seine Art, heftige Kritik zu üben, daran schuld. Der größte Teil des Werks entstand 1931 und 1932; die erste Fassung nannte sich Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie. Danach zirkulierte der Text bei den Mitgliedern des Wiener Kreises; schnell war klar, dass der junge Lehrer eine fundamentale Arbeit verfasst hatte. Popper fand jedoch keinen Verleger und machte die Sache auch dadurch kompliziert, dass er den Text ständig ergänzte. Glücklicherweise empfahl schließlich Moritz Schlick das Manuskript zur Veröffentlichung in einer von ihm herausgegebenen Reihe. Doch der Verlag verlangte Kürzungen, zu denen Popper nicht fähig oder willens war. Schließlich griff sein Onkel und Mentor Walter Schiff ein, kürzte den Text und verlieh ihm dabei besonders am Anfang seine eigene Handschrift. Endlich erschien das Buch 1934. In den Folgejahren kam es zu vielen Neuauflagen und Überarbeitungen. Sein ursprüngliches Manuskript veröffentlichte Popper erst 1979 unter dem ersten Titel.
Wirkungsgeschichte
Die Logik der Forschung wurde zum Standardwerk der modernen Wissenschaftstheorie und begründete Poppers Ruhm als Erkenntnistheoretiker. Das Buch verschaffte ihm Anerkennung in der Fachwelt und internationale Kontakte, wodurch seine akademische Karriere erst möglich wurde. Der Text wurde intensiv diskutiert, insbesondere in der Hauszeitschrift des Wiener Kreises, wobei es nicht nur positive Reaktionen wie etwa die von Rudolf Carnap gab: Otto Neurath und der von Popper immer außerordentlich scharf kritisierte Philosoph Hans Reichenbach schrieben harte Kritiken. Albert Einstein würdigte das Werk in einem Brief an Popper, was diesen mit großem Stolz erfüllte - auch wenn Einstein einige Einwände hatte, was die Relativitäts- und Quantentheorie betraf. Poppers Werk hatte Auswirkungen auf jede empirisch arbeitende Wissenschaft: Das Falsifikationsprinzip hat sich als Kriterium dafür, ob eine Theorie wissenschaftlich oder nur pseudowissenschaftlich ist, weitgehend durchgesetzt. Es war außerdem der Grundbaustein für Poppers Philosophie des Kritischen Rationalismus. In ihr geht er von der Fehlbarkeit menschlicher Erkenntnis aus und kennzeichnet Theorien, die sich bewusst gegen Kritik und Gegenargumente immunisieren, als Pseudowissenschaft (Psychoanalyse, Marxismus). Prominente Gegner Poppers waren die beiden Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen) und Paul Feyerabend (Wider den Methodenzwang), die gegen das Falsifikationsprinzip einwandten, Wissenschaftler würden ihr Tun niemals so hinterfragen wollen oder auch können, wie Popper es forderte; gerade die Grundannahmen eines Theoriegebäudes würden sich nicht so einfach falsifizieren lassen.
Über den Autor
Karl Popper stammt aus einer wohlhabenden, jüdischen, bürgerlich-intellektuellen Wiener Familie. Er wird am 28. Juli 1902 geboren; seine Erziehung atmet den Geist der Aufklärung und eines sozialreformerischen Liberalismus. Der Vater ist Rechtsanwalt, die Mutter entstammt der Musikerfamilie Schiff. Schon als Kind zeigt Karl Popper sich von philosophischen Problemen fasziniert. 1918 verlässt er vorzeitig die Schule, schreibt sich als Gasthörer an der Universität ein und schlägt sich mit Gelegenheitsarbeiten durch. Nach einem kurzen Intermezzo mit dem Marxismus wendet er sich strikt von dieser Theorie ab. Er macht eine Tischlerlehre, studiert kurz am Konservatorium, hält sich dann aber musikalisch für zu wenig begabt. Er holt die Matura nach und macht eine Ausbildung zum Grundschullehrer. 1925 beginnt er eine höhere Lehrerausbildung und promoviert parallel dazu an der Wiener Universität. 1929 schließt er seine Dissertation ab und wird Hauptschullehrer für Physik und Mathematik. 1930 heiratet er seine Mitschülerin Josefine Anna Henninger ("Hennie"). Die Ehe bleibt kinderlos. Als der Antisemitismus in Österreich untragbar wird und Popper das Arbeitsverbot droht, wandert er mit Hennie nach Neuseeland aus. Er muss seine Familie zurücklassen; 16 seiner Verwandten werden von den Nazis ermordet. In Christchurch bekommt er seine erste akademische Stelle. Der Faschismus macht aus ihm einen politischen Philosophen; 1945 erscheint sein berühmtes Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 1946 erhält er eine Dozentur an der renommierten London School of Economics, 1949 wird er dort Professor für Logik und Wissenschaftstheorie sowie britischer Staatsbürger. 1965 erhebt ihn die Krone in den Adelsstand. Der so genannte Positivismusstreit, ausgelöst 1961, macht seine Gegenposition zu jüngeren Philosophen wie Jürgen Habermas deutlich. 1977 schreibt Popper zusammen mit dem Neurophysiologen John C. Eccles Das Ich und sein Gehirn; er publiziert weiter bis ins hohe Alter. Popper stirbt am 17. September 1994 in London.
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