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Märchen und Geschichten

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Märchen und Geschichten

Reclam,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
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Was ist drin?

Andersens Märchenklassiker – für Kinder allein viel zu schade!


Literatur­klassiker

  • Kunstmärchen
  • Moderne

Worum es geht

Metaphysik der Unschuld

„The Child is father of the Man“, dichtete der englische Romantiker William Wordsworth, drei Jahre bevor auf der dänischen Insel Fünen jenes sonderbare Kind geboren wurde, dessen spätere Existenz wirklich in denselben Farben gemalt schien, die seine Kindheit angemischt hatte: Hans Christian Andersen. Wer Andersens Klassiker liest, nimmt, zugleich mit der Dichtung, auch den Dichter zu sich, Andersens eigenartige Persönlichkeit, die sich in jeder Zeile bemerkbar macht. Sein lebenslanges Außenseitertum spiegelt sich im Missratenen Entchen (wie das hässliche Entlein in dieser Ausgabe heißt), sein stoisches Ertragen einer feindlichen Welt im Standhaften Zinnsoldat, sein Festhalten an der Unschuld der Kindheit in der Schneekönigin, sein Leiden am Illusionären dieser Unschuld in der Kleinen Meerjungfrau. Bei aller Naivität ist Andersens scharfer Verstand unübersehbar. Seine kleinen Meisterwerke sind schlicht und doppelbödig zugleich und gewissermaßen eine Pioniertat: Dank ihm kam Mitte des 19. Jahrhunderts das Kindliche erstmals ernsthaft zur Sprache.

Take-aways

  • Die Märchen und Erzählungen des dänischen Dichters Hans Christian Andersen sind ein literarhistorischer Meilenstein auf dem Weg von der Romantik in die Moderne.
  • Inhalt: Eine kleine Nixe stirbt an ihrer Liebe zu einem Menschenprinzen; ein Kind entlarvt die Eitelkeit eines prunksüchtigen Kaisers; ein armes Mädchen erfriert in der Silvesternacht, man findet es mit einem Lächeln auf den Lippen; ein unförmiges Entenküken wird von seinesgleichen verstoßen und entpuppt sich später als herrlicher Schwan – und viele weitere Geschichten.
  • Andersens Märchen sind sogenannte Kunstmärchen. Im Gegensatz zu mündlich überlieferten Volksmärchen gelten sie als literarische Werke.
  • Andersen hat die formalen Freiheiten des Genres überaus kreativ genutzt und auch ungewohnte Sujets als Märchen bearbeitet.
  • Andersen ist der Erfinder des „Dingmärchens“. Darin treten eigentlich unbelebte Gegenstände als Akteure auf.
  • Sein Erzählstil ist voller Lautmalerei, Wortspiele und Umgangssprache.
  • Andersen improvisierte auch Märchen vor Publikum, besonders vor Kindern, und fertigte dazu meisterhafte Scherenschnitte an.
  • Mit seinen Auftritten revanchierte er sich – zeitlebens Junggeselle ohne eigenen Haushalt – für die Großzügigkeit seiner Förderer und Gastgeber.
  • Auf Reisen durch Europa genoss Andersen die uneingeschränkte Begeisterung seiner Fans, während er in der Heimat immer wieder von Kritikern angefeindet wurde.
  • Zitat: „Die Prinzessin kam aus dem Kupferschloss und wurde Königin, und das gefiel ihr sehr! Die Hochzeit dauerte acht Tage, und die Hunde saßen mit am Tisch und machten große Augen.“

Zusammenfassung

Der Tannenbaum

Im Wald steht ein junger Tannenbaum. Wenn im Herbst die Holzfäller kommen, große Tannen fällen und mit dem Schlitten abtransportieren, wundert er sich, wo die Bäume hingelangen und sehnt sich ihnen hinterher. Ein Storch berichtet ihm im Frühling, er habe auf dem Meer Schiffe gesehen mit neuen Mastbäumen, die nach Tanne dufteten. Im Winter werden wieder Tannen gefällt. Spatzen erzählen dem Tannenbaum, die gefällten Bäume würden in warme Stuben gebracht und mit Kerzen geschmückt. Das will der kleine Tannenbaum auch. Er ist voller Hoffnung, dass er nächste Weihnachten an der Reihe ist. Womöglich ist das Schmücken auch bloß eine Vorstufe zu einem noch herrlicheren Dasein!

„(...) gerade in dem Augenblick, als er Feuer schlug und die Funken aus dem Flintstein herausflogen, sprang die Tür auf, und der Hund mit den Augen, groß wie Teetassen, den er drunten im Baum gesehen hatte, stand vor ihm und sagte: ,Was befiehlt mein Herr?‘“ (S. 17)

Sein Wunsch erfüllt sich: Ein Jahr später wird er zum Weihnachtsbaum. Man stellt ihn in einen prächtigen Saal. Bedienstete schmücken ihn. Auf seine Spitze setzen sie einen goldenen Stern. Der Baum kann den Abend kaum erwarten. Doch als endlich die Kerzen angezündet werden, zittert er nervös und verbrennt sich gleich an einer Flamme. Angst überkommt ihn, er ist verwirrt. Dann stürmen die Kinder herein und reißen ihm Süßigkeiten und Geschenke von den Zweigen, ohne ihn weiter zu beachten. Ein Mann setzt sich unter den Baum und erzählt den Kindern ein Märchen. Der Baum ist begeistert. Jetzt freut er sich auf morgen. Er hofft, dass er neu geschmückt wird und wieder eine Geschichte zur hören kriegt.

„Die Prinzessin kam aus dem Kupferschloss und wurde Königin, und das gefiel ihr sehr! Die Hochzeit dauerte acht Tage, und die Hunde saßen mit am Tisch und machten große Augen.“ (S. 21)

Es kommt aber anders: Man schleppt ihn auf den Dachboden und stellt ihn in eine dunkle Ecke. Der Baum ist verstört, tröstet sich aber schließlich mit der Hoffnung, er werde nächstes Frühjahr wieder ausgepflanzt. Doch bald wird es einsam. Niemand kümmert sich mehr um ihn. Den Mäusen auf dem Dachboden erzählt er von früher und erkennt dadurch, wie gut er es damals eigentlich hatte. Gleichzeitig redet er sich aber seine jetzige Situation schön, schwankt zwischen Wehmut und Hoffnung. Im Frühling wird er vom Dachboden geholt und in den Hof gebracht. Kurz genießt er dort Licht und Luft und Blumen. Dann aber kommen die Kinder und reißen ihm den goldenen Stern von der welken Spitze. Der Baum klagt und zagt. Dann wird er kleingehackt und verheizt.

Die kleine Meerfrau

Eine kleine Meerprinzessin lebt mit ihrem Vater als jüngste von sechs Schwestern auf dem Meeresgrund. Der Brauch will es, dass Nixen an ihrem 15. Geburtstag vorübergehend das Wasserreich verlassen dürfen, um sich im Menschenreich umzusehen. Nacheinander machen die Schwestern diesen Geburtstagsausflug und bringen herrliche Geschichten mit. Endlich ist die Jüngste an der Reihe. Im Abendrot liegt ein Schiff. Die kleine Meerfrau schaut durch ein Fenster hinein und erblickt einen schönen jungen Prinzen. Sofort entbrennt sie in Liebe zu ihm. In einem Sturm kentert das Schiff. Unter Einsatz ihres Lebens rettet die Meerfrau den Prinzen und trägt den Bewusstlosen an den Strand. Aus einem Versteck beobachtet sie, wie Menschen sich um den erwachenden Prinzen kümmern. Immer wieder kehrt sie später zu der Stelle zurück, in der Hoffnung den Prinzen wiederzusehen – ohne Erfolg. Als die Schwestern von ihrem Kummer erfahren, zeigen sie der kleinen Meerfrau das Schloss des Prinzen, wo sie ihn wieder trifft. Sie verzehrt sich vor Sehnsucht danach, Teil der Menschenwelt zu sein. Von ihrer Großmutter erfährt sie, dass die Menschen zwar viel kürzer leben als die Wasserleute, dass sie aber eine unsterbliche Seele haben, die nach dem Tod in den Himmel aufsteigt. Die kleine Meerfrau wünscht sich auch so eine unsterbliche Seele. Das, so die Großmutter, wäre nur möglich, wenn ein Mensch sie lieben und heiraten würde.

„(...) aber die Jüngste war die Schönste von allen, ihre Haut war so klar und rein wie ein Rosenblatt, ihre Augen so blau wie der tiefste See, aber wie alle übrigen hatte sie keine Füße, der Körper endete in einem Fischschwanz.“ (S. 56)

In ihrer Not sucht die Meerjungfrau eine Hexe auf. Diese macht ihr ein Angebot: Sie könne ihr den Fischschwanz wegzaubern und ihr Beine geben. So könne der Prinz sich in sie verlieben. Die mit der Verwandlung verbundenen Schmerzen können die kleine Meerfrau so wenig schrecken wie die Tatsache, dass es kein Zurück gibt: Denn wenn der Prinz sich nicht in sie verliebt, sondern eine andere heiratet, erwartet sie der Tod. Als Lohn nimmt die Hexe der Meerfrau ihre wunderschöne Stimme: Sie schneidet ihr die Zunge heraus. Die kleine Meerfrau schwimmt zum Schloss des Prinzen und trinkt das Elixier der Hexe. Die Schmerzen der Verwandlung rauben ihr die Sinne. Am nächsten Morgen findet sie der Prinz am Strand und nimmt sich ihrer an. Er bewundert ihre Schönheit, schenkt ihr herrliche Kleider, macht sie zu seiner Gefährtin. Er hat eine dunkle Erinnerung an den Schiffbruch, und fast meint er, in der stummen Schönen seine Retterin zu erkennen. Doch daran, sie zu heiraten, denkt er nicht. Und ohne Stimme kann sie sich ihm nicht verständlich machen. Eines Tages segelt der Prinz zum Nachbarkönig, dessen Tochter er heiraten soll. Die kleine Meerfrau nimmt er mit. Als er die Prinzessin erblickt, glaubt er, sie sei seine Retterin. Gleich schenkt er ihr sein Herz und heiratet sie. Damit ist es um die kleine Meerfrau geschehen. Zwar bieten die Schwestern ihr einen Zauberdolch an, den sie dem Prinzen ins Herz stoßen soll, um so in ihr altes Nixendasein zurückzukehren, doch sie schleudert das Messer in die Wellen, stürzt hinterher und zergeht im Sonnenaufgang zu Schaum. Nach ihrem Tod wird sie zu den Töchtern der Lüfte erhoben und erhält so die Möglichkeit, sich durch gute Taten dereinst eine unsterbliche Seele zu verdienen.

Die neuen Kleider des Kaisers

Zwei Gauner kommen ins Reich eines modebegeisterten Kaisers. Sie behaupten, Weber zu sein und einen Stoff von höchster Qualität herstellen zu können. Dieser Stoff habe die Eigenschaft, für alle unsichtbar zu sein, die nicht für ihr Amt taugten. Der Kaiser horcht auf. Mithilfe eines solchen Stoffes könnte er ja endlich die dummen Minister von den weniger dummen unterscheiden! Er gibt den Gaunern also den Auftrag, den Stoff zu weben, mitsamt einer üppigen Anzahlung. Die beiden legen los. Nach einer Weile schickt der Kaiser einen „alten, ehrlichen Minister“, der den Webern bei der Produktion ihres Wunderstoffs über die Schulter schauen soll. Der Minister sieht nur leere Webstühle. Die Gauner tun aber so, als webten sie eifrig. Aus Angst, sich als der Einzige zu offenbaren, der den Stoff nicht sieht, spielt der Minister das Spiel mit und lobt das herrliche Gewebe.

„Was nämlich hier im Meer gerade schön ist, dein Fischschwanz, das finden sie da oben auf der Erde hässlich, sie wissen es nun einmal nicht besser, man muss dort zwei klobige Stümpfe haben, die sie Beine nennen, um schön zu sein.“ (die Großmutter zur kleinen Meerjungfrau, S. 68)

Nicht anders ergeht es dem nächsten Beamten, der im Auftrag des Kaisers nach dem Fortgang der Arbeit sehen soll. Inzwischen ist der fantastische Stoff zum Stadtgespräch geworden. Nun muss sich der Kaiser selbst überzeugen. Auch er sieht rein gar nichts, verleiht den beiden Gaunern aber einen Orden und lobt ihre Arbeit. Es steht eine große Prozession bevor, der Kaiser will sich in seinen neuen Kleidern dem Volk zu zeigen. Also legen die Gauner eine Nachtschicht ein und gehen ans Schneidern. Am nächsten Morgen kommt der Kaiser zur Anprobe. Er zieht sich aus, schlüpft in die „Kleider“ und bewundert sich vor dem Spiegel. Die Höflinge überschlagen sich vor Begeisterung. Auch die Schleppenträger machen gute Miene zum bösen Spiel und tun so, als trügen sie eine unsichtbare Schleppe. Die Prozession setzt sich in Bewegung. Der Jubel ist groß. Niemand wagt, etwas zu sagen. Nur ein kleines Kind spricht aus, was alle sehen: Der Kaiser ist ja nackt! Das Volk stimmt lauthals zu. Der Kaiser aber zieht die Prozession bis zum Ende durch.

Der standhafte Zinnsoldat

Ein kleiner Junge bekommt eine Schachtel Zinnsoldaten geschenkt. Einem davon fehlt ein Bein, was seine Standfestigkeit aber nicht mindert. Der Junge stellt die ganze Kompanie in Reih und Glied auf einen Tisch, gleich neben ein Spielzeugschloss aus Papier, in dessen Tür eine niedliche Tänzerin auf einem Bein steht. Ihr anderes, emporgestrecktes Bein übersieht der einbeinige Zinnsoldat, und wegen der scheinbaren Übereinstimmung findet er Gefallen an ihr. Natürlich ist aber der Standesunterschied zu bedenken. Er ist ja nur einfacher Soldat und sie eine feine Dame aus einem Schloss. Dennoch behält er sie fest im Blick, auch als des Nachts die anderen Spielsachen um ihn herum Kapriolen schlagen. Anderntags stellt ihn der kleine Junge ans Fenster. Von dort fällt er auf die Straße hinab. Zwar eilt der Junge hinterher, er kann den Zinnsoldaten aber nicht mehr finden.

„Ein letztes Mal sah sie den Prinzen mit halb gebrochenem Blick an, stürzte sich vom Schiff hinab ins Meer, und sie fühlte, wie ihr Leib sich in Schaum auflöste.“ (über die Meerjungfrau, S. 80)

Zwei Straßenjungen entdecken ihn zwischen den Pflastersteinen. Sie bauen ihm ein Boot aus Papier und schicken ihn damit im Regen den Rinnstein hinab. Der Zinnsoldat lässt sich von der turbulenten Fahrt nicht aus der Ruhe bringen. Unter einer Gullyplatte stößt er auf eine Ratte, die Ausweis und Weggeld verlangt. Doch er fährt standhaft weiter, unbekümmert um ihr wütendes Gezänk. Der Rinnstein endet in einem Kanal. Mitsamt dem Boot stürzt der Zinnsoldat den Katarakt hinab. Da nützt ihm all seine Standhaftigkeit nichts: Ein Fisch verschluckt ihn. Er hält aber durch, bis der Fisch auf dem Tisch ausgerechnet jener Familie landet, von deren Fenster die Odyssee des Soldaten ihren Anfang genommen hat. Die Leute wundern sich über ihn und schließlich schmeißt ihn eines der Kinder in den Ofen. Von da sieht er die Tänzerin. Auch sie erblickt ihn, doch schon schmilzt er dahin. Ein Luftzug weht nun das Papiermädchen ebenfalls in den Ofen. Soldat und Tänzerin vergehen gemeinsam. Von ihm bleibt ein herzförmiger Zinnklumpen, von ihr eine versengte Paillette.

Das missratene Entchen

Eine Ente hat ein Nest voller Eier ausgebrütet. Nur ein besonders großes Ei mag noch nicht brechen. Endlich schlüpft doch ein Küken daraus, doch es ist groß und hässlich. Immerhin kann es schwimmen, stellt die Entenmutter erleichtert fest und macht ihren Frieden mit dem missratenen Entchen. Auf dem Entenhof kommt das missratene Entchen nicht gut an. Die Mutter nimmt es vor den anderen Enten in Schutz. Trotzdem muss es allerhand einstecken. Nicht nur die Enten, auch der Puter und die Hühner machen ihm das Leben schwer. Selbst die Geschwister und schließlich gar die Mutter wenden sich von ihm ab. Also kehrt das Entchen dem Hof den Rücken zu und wandert hinaus in die Fremde.

„,Aber er hat ja gar nichts an‘, sagte ein kleines Kind. ,Gott im Himmel, hört die Stimme der Unschuld‘, sagte der Vater; und der eine flüsterte dem anderen zu, was das Kind sagte.“ (S. 87)

Ein paar halbstarke Wildgänseriche wollen das im Schilf versteckte Entchen überzeugen, mit ihnen zu kommen, doch noch bevor sie ausgeredet haben, sind sie tot. Es ist Jagdsaison. Schüsse peitschen übers Moor. Plötzlich sieht sich das Entchen einem Jagdhund gegenüber, der es aber verschmäht. Das Entchen kommt zu einer Bauernkate. Darin lebt eine alte Frau mit einer Henne und einem Kater. Die Frau ist kurzsichtig und hält das große Entchen für eine erwachsene Ente. In der Hoffnung auf Enteneier behält sie es. Der Kater bildet sich auf sein Schnurren viel ein, die Henne auf ihre Eier. Da das Entchen beides nicht bieten kann, wird es von ihnen mit Herablassung behandelt. Deshalb beschließt es weiterzuziehen. Eines Tages zu Herbstanfang begegnet es einer Gruppe Schwäne, die auf dem Weg in ihr Winterquartier sind. Das Entchen fühlt sich mit unwiderstehlicher Gewalt zu diesen herrlichen Geschöpfen hingezogen. Doch da sind sie schon wieder fort. Der Winter bricht herein. Es wird klirrend kalt und das Entchen ist dem Tod nah. Einmal friert es im Eis fest. Doch ein Bauer kommt und rettet es aus seiner Not. Endlich bringt die Frühlingssonne wieder etwas Wärme. Das Entchen breitet seine Flügel aus – und kann plötzlich fliegen! Es landet inmitten blühender Apfelbäume und Fliederbüsche. Hier findet es die Schwäne wieder. Seine Bewunderung für sie ist stärker als die Angst, von ihnen wegen seiner Hässlichkeit zu Tode gehackt zu werden, und so schwimmt es zu ihnen hinüber. In Erwartung eines tödlichen Schnabelhiebs senkt es den Kopf. Dabei erblickt es sein Spiegelbild im Wasser, und siehe da: Es ist selbst ein wunderschöner Schwan! Das sagen auch die Kinder am Ufer und füttern den Neuankömmling mit Brot und Kuchen. Die anderen Schwäne nehmen ihn zärtlich in ihrer Mitte auf. Das „missratene Entchen“ ist endlich glücklich.

Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern

Ein kleines Mädchen läuft am Silvesterabend barfuß durch die Kälte. Seine Füße sind halb erfroren. Es hat am Tag versucht, Schwefelhölzer zu verkaufen, doch ohne Erfolg. Während es vor Hunger fast vergeht, begehen, hinter festlich erleuchteten Fenstern, die Menschen das Jahresende mit duftendem Gänsebraten. Das Mädchen hockt sich an eine Hauswand und krümmt sich vor Kälte. Nach Hause will es nicht. Da es nichts verkauft hat und also kein Geld mitbringt, hat es nur Schläge zu erwarten. Um sich wenigstens ein bisschen zu wärmen, reißt das Mädchen eines der Zündhölzer an und legt die Hände um die leuchtende Flamme. Plötzlich sieht es sich vor einem wärmenden Ofen. Doch als das Hölzchen erlischt, verschwindet auch der Ofen. Also zündet das Mädchen ein zweites an. In seinem Schein sieht es sich in einem Wohnzimmer. Die Tafel ist prächtig gedeckt, das Festmahl dampft aus porzellanenen Schüsseln. Doch mit dem Licht des Hölzchens erlischt auch dieser Anblick. Ein drittes Hölzchen enthüllt den herrlichsten Weihnachtsbaum. Das Mädchen sitzt darunter. Gerade will es nach der Herrlichkeit greifen, da geht auch diese Flamme aus, und aus dem warmen Kerzenlicht wird das kalte Funkeln des Sternenhimmels. Eine Sternschnuppe fällt. Das Mädchen erinnert sich an seine verstorbene Großmutter. Für diese war eine Sternschnuppe ein Zeichen dafür, dass jemand gestorben war. Noch ein Schwefelholz. Da steht die Großmutter vor ihm. „Oh nimm mich mit!“, ruft das Mädchen in seiner Verzweiflung und reißt alle restlichen Hölzer an, um das rettende Bild festzuhalten. Die Großmutter erstrahlt in hellem Glanz. Sie nimmt das Mädchen auf und fährt mit ihm zum Himmel. Der Morgen findet das Mädchen tot an der Hauswand, „mit roten Wangen und einem Lächeln um den Mund“.

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Aufbau und Stil

Andersens Märchen werden dem Genre des Kunstmärchens zugerechnet. Im Gegensatz zum mündlich tradierten Volksmärchen ist das Kunstmärchen die Schöpfung eines einzelnen Autors. Zudem unterscheidet es sich von jenem durch eine vielschichtigere Konstruktionsweise sowie durch die Möglichkeit, nahezu beliebige Inhalte in Märchenform darzustellen. Hans Christian Andersen hat von dieser Möglichkeit reichlich Gebrauch gemacht, viele seiner Märchen sind eigentlich fantastische Kurzgeschichten, Parabeln, Allegorien, Satiren, Prosagedichte, halbe Romane; andere wiederum erweitern das Spektrum des Märchenhaften um die Wunder des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts. Die größte Innovation aber liegt darin, dass Andersen nicht nur Menschen, sondern auch Gegenstände als Protagonisten einsetzt, etwa zum Leben erwachte Spielsachen. Andersen verfügte über einen animistischen Glauben an eine Beseeltheit aller Dinge und über große Lust an freier Improvisation, die sich im Aufbau seiner Märchen niederschlägt. Die Handlung schreitet oft eher assoziativ als konstruktiv voran, was ein Moment der Unberechenbarkeit erzeugt. Auch stilistisch überlässt sich Andersen seiner theatralischen Neigung und lässt seine Figuren reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Typisch ist seine Lautmalerei: „Knack!“ heißt es da, „Wutsch!“, „Platsch!“ oder „Phh!“, die Nachtigall singt „Zizizi! Klukklukkluk!“. Die völlige Unbekümmertheit des Dichters um formale Traditionen erzeugt einen Grundton zwischen kindlicher Naivität und überlegener Ironie. Dabei beherrscht er nahezu sämtliche poetische Register, mal ist er zärtlich, mal scharf, mal sentimental, mal analytisch, mal harmlos, mal abgründig.

Interpretationsansätze

  • Die Helden in Andersens Märchen sind oft Außenseiterfiguren, wie das Missratene Entchen, oder besitzen, wie die Kleine Meerfrau, eine unvereinbare Doppelnatur, die sie zur ewigen Sehnsucht verdammt. In diesen Figuren hat Andersen seine eigene Problematik künstlerisch gestaltet.
  • Die kindliche Perspektive der Märchen wird zwar als bewusstes Stilmittel eingesetzt, etwa um – wie in Die neuen Kleider des Kaisers – einen satirischen Effekt zu erzielen. Im Grunde ist es aber die ureigene Perspektive Andersens, der zeitlebens nicht vollständig erwachsen wurde und etwa seine Sexualität nie auslebte.
  • Der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist eines der Hauptmotive der Märchen. Andersen selbst wuchs in Armut und sozialer Unsicherheit auf, was er zwar in feiner Gesellschaft gern unterschlug, jedoch an seinen Märchenfiguren sozusagen stellvertretend verarbeitete.
  • Andersens Märchen verbinden Romantik und Moderne: Sie knüpfen an die romantische Vorliebe für Schauergeschichten, Volkssagen und exotische Fabeln an, mit ihren Sujet- und Formexperimenten weisen sie aber auch auf literarische Strömungen voraus, die erst viel später, etwa in Kafkas Werken, zur Blüte kommen.
  • Die Märchen nehmen den Grundgedanken der Psychoanalyse vorweg, den Sigmund Freud erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickeln sollte: die Annahme eines unbewussten Seelenanteils, der in Träumen, freiem Assoziieren oder künstlerischem Schaffen zum Ausdruck kommt.

Historischer Hintergrund

Dänemark, „ein lieblich Land im Schatten breiter Buchen“

Dänemark war einmal eine europäische Großmacht. Nach der Kalmarer Union von 1397, einem dänisch dominierten Bündnis zwischen Dänemark, Norwegen und Schweden, beherrschten die Dänen den gesamten Ostseeraum. Von dieser Herrlichkeit war Anfang des 19. Jahrhunderts nicht mehr allzu viel übrig. Das 17. Jahrhundert, mit dem Dreißigjährigen Krieg, hatte den Aufstieg Schwedens zur skandinavischen Hegemonialmacht gebracht, das 18. Jahrhundert den Triumph Preußens auf dem Kontinent. Mit Napoleons Eroberungsfeldzügen wurde fast ganz Europa unter das französische Joch gezwungen. Nur England, mit seiner überlegenen Flotte, widerstand. Unter diesen Umständen war das unbedeutende Dänemark gezwungen, zwischen den Konfliktparteien zu lavieren. König Christian VIII. entschied sich zunächst für Neutralität. Doch damit verärgerte er die Engländer; eine britische Flotte nahm 1807 Kopenhagen ein. Nun suchte Dänemark sein Heil im Bündnis mit Napoleon. Das aber wurde den Dänen nach dessen Niederlage übel angerechnet. Durch den Wiener Kongress 1814 verlor Dänemark Norwegen an Schweden, war sowohl politisch als auch finanziell ruiniert und brauchte etliche Jahre, um wieder auf die Beine zu kommen. Kulturell jedoch folgte eine Blütezeit, die Goldene Ära Dänemarks: Søren Kierkegaard begründete die Existenzphilosophie, Hans Christian Andersen etablierte mit seinen epochalen Märchenschöpfungen das kleine Königreich auf der literarischen Weltkarte, der Physiker Hans Christian Ørstedt entdeckte den Elektromagnetismus und schuf damit die Grundlage für den Beginn des wissenschaftlichen Zeitalters und der industriellen Revolution, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Leben der Menschen umfassend verändern sollten.

Entstehung

Im Lauf seines Lebens schrieb Andersen rund 160 Märchen. Lange ging die Forschung davon aus, dass sein erster Versuch in diesem Genre von 1830 stammt. Einem Gedichtband, der in diesem Jahr erschien, hatte Andersen das Märchen Der Tote beigegeben. Im Dezember 2012 jedoch kam ein bisher unbekanntes Manuskript Andersens an den Tag, das vermutlich zwischen 1822 und 1826 verfasst wurde: das kurze Märchen Tællelyset (Das Talglicht). Zu dieser Zeit drückte Andersen noch die Schulbank. Mit größerem Ernst widmete er sich den Märchen etwa ab 1834. Er publizierte zunächst drei Hefte unter dem Titel Märchen, für Kinder erzählt, erschienen von 1835 bis 1837. Sie enthielten insgesamt neun Märchen, darunter Däumelinchen, Die kleine Meerfrau und Die neuen Kleider des Kaisers. Doch erst allmählich schwamm sich Andersen stilistisch frei. Lagen den frühen Märchen meist noch bekannte Sagen oder Erzählungen anderer Autoren zugrunde, ließ er immer mehr seiner eigenen Fantasie freien Lauf. Auch entwickelte Andersen jetzt sein Markenzeichen, die „Dingmärchen“, in denen eigentlich unbelebte Gegenstände als denkende, sprechende und handelnde Figuren auftraten: Der Tannenbaum, Der standhafte Zinnsoldat, Das Geldschwein und andere. Viele der Märchen schrieb Andersen während seiner Aufenthalte in den Landhäusern seiner Freunde und Förderer, wo er Gelegenheit hatte, die Wirkung seiner jüngsten Erzeugnisse an mehr oder weniger willigen Zuhörern zu erproben. Andersen legte großen Wert auf eine natürliche Sprachmelodie, deren Prüfstein der mündliche Vortrag war. Er galt als virtuoser Vorleser, der mit Leib und Seele in seinen Geschichten aufging. Besonders Kinder liebten den kauzigen „Onkel Andersen“ und seine versponnenen Dichtungen. Bis ins hohe Alter blieb er als Märchenautor produktiv. Sein letztes Märchen Was die alte Johanne erzählte schrieb er drei Jahre vor seinem Tod.

Wirkungsgeschichte

Obwohl Andersen 1835 bereits ein über die Grenzen Dänemarks hinaus bekannter Autor war, entpuppten sich die Märchen, für Kinder erzählt zunächst als Ladenhüter. Auch die Kritik nahm sie kaum zur Kenntnis. Die wenigen Rezensionen waren durchweg Verrisse. Der Grund dafür war Andersens kühner Bruch mit den etablierten Formen des Märchengenres. Zum ersten Mal überhaupt betraten Kinder die Bühne der Literatur als eigenständige Personen, sie waren weder kleine Erwachsene, sprich unfertige Menschen, noch jene Repräsentanten des Göttlichen auf Erden, zu denen die Romantik sie idealisierte. Selbst aufgeklärte Zeitgenossen störten sich außerdem am mündlichen Stil der Andersen-Märchen (ähnlich wie im 20. Jahrhundert der expressiven Comicsprache eine verderbliche Wirkung auf Kinder nachgesagt wurde). Die Moral des Biedermeier betonte den Hierarchie-Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen. Andersens Märchen indes begegnen ihren Lesern, gleich welchen Alters, auf Augenhöhe. Erst um 1840 nahm seine märchenhafte Revolution Fahrt auf. Die Bücher wurden Bestseller, in viele Sprachen übersetzt und ihr Autor der wohl berühmteste Schriftsteller seiner Heimat. Wo auch immer Andersen auf seinen Reisen durch Europa abstieg, bat man ihn, aus seinen Märchen zu lesen. So auch auf Schloss Hohenschwangau, wo der siebenjährige Ludwig II. von Bayern an den Lippen des dänischen Dichters hing, während dieser von Nixen, Nachtigallen und wilden Schwänen fabulierte. Der Rest ist Geschichte. Ludwig wurde zum Märchenkönig und Andersen zu einem der meistgelesenen Autoren der Welt. Heute sind viele der Märchen geradezu ikonische Klassiker. Jeder kennt Die Prinzessin auf der Erbse, Das missratene Entlein, Die kleine Meerjungfrau, und sei es nur durch die zahllosen Verfilmungen wie Disneys Arielle oder aus Musicals, Opern und Theaterstücken.

Über den Autor

Hans Christian Andersen wird am 2. April 1805 im dänischen Odense geboren. Sein Vater, ein einfacher Schuster, stirbt 1816. Um den bedrückenden Lebensumständen zu entkommen, geht Andersen wenig später nach Kopenhagen. Der wunderliche, überaus extravertierte Jüngling fühlt sich zur Bühne berufen. Mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein versucht er sich als Tänzer, Sänger und Schauspieler, doch ohne Erfolg. Seine unbestreitbare Originalität schafft ihm aber bald Förderer, und er wird auf Staatskosten zur Schule geschickt. Dort leidet sein weiches Gemüt unter dem Regiment des cholerischen Direktors Meisling, sein dichterisches Schaffen jedoch profitiert, insofern Andersen darin ein Ventil für seine Seelenqualen entdeckt. 1827 macht er mit dem Gedicht Das sterbende Kind auf sich aufmerksam. 1829 erscheint ein erster Roman, der wohlwollend aufgenommen wird. Doch erst der Erfolg des Romans Improvisatoren (Der Improvisator, 1835) macht ihn finanziell unabhängig. Mit den Eventyr, fortalte for Børn (Märchen, für Kinder erzählt), die ab 1835 erscheinen, wird Andersen endgültig zur weltliterarischen Größe. Allerdings hat der Sonderling auch mit der Ablehnung durch seine Landsleute zu kämpfen. Im Ausland erstrahlt sein Ruhm dagegen ungetrübt. Auf zahlreichen Reisen durch Europa genießt Andersen die Huldigungen seiner Bewunderer. Der lebenslange Junggeselle ist bis zu seinem Tod stets unterwegs oder irgendwo zu Gast, erst mit 61 schafft er sich ein eigenes Bett an. Die Gastfreundschaft vergilt er mit Lesungen aus seinen Märchen, Gelegenheitsgedichten sowie meisterhaften Scherenschnitten, Zeichnungen und Collagen, die er für die Kinder seiner Gastgeber anfertigt. Er selbst fühlt sich zeitlebens als Kind. Das Altern setzt ihm daher besonders stark zu, macht ihn zum unberechenbaren Egozentriker. Am 4. August 1875 stirbt Andersen in Kopenhagen und wird mit großem Pomp beigesetzt.

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