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Märchen und Geschichten
Buch

Märchen und Geschichten

Kopenhagen, 1835 bis 1872
Diese Ausgabe: Reclam, 2012 Mehr

Literatur­klassiker

  • Kunstmärchen
  • Moderne

Worum es geht

Metaphysik der Unschuld

„The Child is father of the Man“, dichtete der englische Romantiker William Wordsworth, drei Jahre bevor auf der dänischen Insel Fünen jenes sonderbare Kind geboren wurde, dessen spätere Existenz wirklich in denselben Farben gemalt schien, die seine Kindheit angemischt hatte: Hans Christian Andersen. Wer Andersens Klassiker liest, nimmt, zugleich mit der Dichtung, auch den Dichter zu sich, Andersens eigenartige Persönlichkeit, die sich in jeder Zeile bemerkbar macht. Sein lebenslanges Außenseitertum spiegelt sich im Missratenen Entchen (wie das hässliche Entlein in dieser Ausgabe heißt), sein stoisches Ertragen einer feindlichen Welt im Standhaften Zinnsoldat, sein Festhalten an der Unschuld der Kindheit in der Schneekönigin, sein Leiden am Illusionären dieser Unschuld in der Kleinen Meerjungfrau. Bei aller Naivität ist Andersens scharfer Verstand unübersehbar. Seine kleinen Meisterwerke sind schlicht und doppelbödig zugleich und gewissermaßen eine Pioniertat: Dank ihm kam Mitte des 19. Jahrhunderts das Kindliche erstmals ernsthaft zur Sprache.

Zusammenfassung

Der Tannenbaum

Im Wald steht ein junger Tannenbaum. Wenn im Herbst die Holzfäller kommen, große Tannen fällen und mit dem Schlitten abtransportieren, wundert er sich, wo die Bäume hingelangen und sehnt sich ihnen hinterher. Ein Storch berichtet ihm im Frühling, er habe auf dem Meer Schiffe gesehen mit neuen Mastbäumen, die nach Tanne dufteten. Im Winter werden wieder Tannen gefällt. Spatzen erzählen dem Tannenbaum, die gefällten Bäume würden in warme Stuben gebracht und mit Kerzen geschmückt. Das will der kleine Tannenbaum auch. Er ist voller Hoffnung, dass er nächste Weihnachten an der Reihe ist. Womöglich ist das Schmücken auch bloß eine Vorstufe zu einem noch herrlicheren Dasein!

Sein Wunsch erfüllt sich: Ein Jahr später wird er zum Weihnachtsbaum. Man stellt ihn in einen prächtigen Saal. Bedienstete schmücken ihn. Auf seine Spitze setzen sie einen goldenen Stern. Der Baum kann den Abend kaum erwarten. Doch als endlich die Kerzen angezündet werden, zittert er nervös und verbrennt sich gleich an einer Flamme. Angst überkommt ihn, er ist verwirrt. Dann stürmen die Kinder herein und reißen ihm Süßigkeiten und Geschenke von den Zweigen, ohne ihn weiter zu beachten. ...

Über den Autor

Hans Christian Andersen wird am 2. April 1805 im dänischen Odense geboren. Sein Vater, ein einfacher Schuster, stirbt 1816. Um den bedrückenden Lebensumständen zu entkommen, geht Andersen wenig später nach Kopenhagen. Der wunderliche, überaus extravertierte Jüngling fühlt sich zur Bühne berufen. Mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein versucht er sich als Tänzer, Sänger und Schauspieler, doch ohne Erfolg. Seine unbestreitbare Originalität schafft ihm aber bald Förderer, und er wird auf Staatskosten zur Schule geschickt. Dort leidet sein weiches Gemüt unter dem Regiment des cholerischen Direktors Meisling, sein dichterisches Schaffen jedoch profitiert, insofern Andersen darin ein Ventil für seine Seelenqualen entdeckt. 1827 macht er mit dem Gedicht Das sterbende Kind auf sich aufmerksam. 1829 erscheint ein erster Roman, der wohlwollend aufgenommen wird. Doch erst der Erfolg des Romans Improvisatoren (Der Improvisator, 1835) macht ihn finanziell unabhängig. Mit den Eventyr, fortalte for Børn (Märchen, für Kinder erzählt), die ab 1835 erscheinen, wird Andersen endgültig zur weltliterarischen Größe. Allerdings hat der Sonderling auch mit der Ablehnung durch seine Landsleute zu kämpfen. Im Ausland erstrahlt sein Ruhm dagegen ungetrübt. Auf zahlreichen Reisen durch Europa genießt Andersen die Huldigungen seiner Bewunderer. Der lebenslange Junggeselle ist bis zu seinem Tod stets unterwegs oder irgendwo zu Gast, erst mit 61 schafft er sich ein eigenes Bett an. Die Gastfreundschaft vergilt er mit Lesungen aus seinen Märchen, Gelegenheitsgedichten sowie meisterhaften Scherenschnitten, Zeichnungen und Collagen, die er für die Kinder seiner Gastgeber anfertigt. Er selbst fühlt sich zeitlebens als Kind. Das Altern setzt ihm daher besonders stark zu, macht ihn zum unberechenbaren Egozentriker. Am 4. August 1875 stirbt Andersen in Kopenhagen und wird mit großem Pomp beigesetzt.


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