Abbé Prévost
Manon Lescaut
Diogenes Verlag, 2008
Was ist drin?
Ein Skandalroman aus dem 18. Jahrhundert.
- Liebesroman
- Aufklärung
Worum es geht
Fatales Liebeslos im feudalen Frankreich
Von Abbé Prévosts unzähligen Schriften hat sich über die Jahrhunderte nur eine etablieren können: der Roman Manon Lescaut. Er erzählt von einer Femme fatale, die einen tugendhaften adligen Klosterschüler all seine Pläne verwerfen lässt, obwohl sie ihn wiederholt betrügt. Die 1731 publizierte Geschichte war wie für die Oper geschaffen und wurde denn auch mehrfach vertont. Bis heute rühren die beiden blutjungen Durchbrenner, die sich zwar lieben, deren Glück aber nie lange hält, das Publikum zu Tränen – auf Bühnen und Leinwänden ebenso wie in gedruckter Form. Mit seiner kompromisslosen Fokussierung auf die Gefühle des armen Glücksritters ist der Roman darüber hinaus auch literaturgeschichtlich relevant.
Take-aways
- Manon Lescaut ist die unglückliche Liebesgeschichte eines armen Adligen und eines bürgerlichen Mädchens im frühen 18. Jahrhundert.
- Inhalt: Der Chevalier des Grieux, ein Klosterschüler, brennt mit der jungen Schönheit Manon Lescaut durch. Bald verlässt sie ihn für ältere, reichere Männer. Die zwei finden aber wieder zusammen und kommen nach einem Betrug ins Gefängnis. Als Manon deportiert wird, folgt des Grieux ihr treu nach Amerika. Dort sind sie für kurze Zeit glücklich, ehe Manon stirbt.
- Der Roman ist das einzige Werk des Vielschreibers Abbé Prévost, das einen hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat.
- Die erste in Frankreich erschienene Ausgabe wurde 1733 als „sittengefährdend“ beschlagnahmt.
- Die Geschichte enthält viel Autobiografisches, etwa das Pech in Liebesdingen, die chronische Geldnot oder die Mühen des Autors mit gesellschaftlichen Konventionen.
- Literaturgeschichtlich bemerkenswert ist der Fokus auf die Gefühlswelt des männlichen Helden, der allein seinem Herzen folgt.
- Das Buch gilt als Wegbereiter der Empfindsamkeit, einer Strömung des 18. Jahrhunderts.
- Manon Lescaut war ein beliebter Stoff für zahlreiche Opern, Theater und Filme.
- Abbé Prévost führte ein äußerst abenteuerliches Leben: Er lebte in verschiedenen Ländern, kämpfte in einer Reihe von Kriegen und trat in mehrere geistliche Orden ein.
- Zitat: „Ich hatte zwar alles verloren, was andere Menschen für wertvoll erachten, das ist wahr. Aber ich besaß Manons Herz, das einzige Gut, das ich schätzte.“
Zusammenfassung
Ein unglückliches Paar
Der Erzähler trifft den jungen Chevalier des Grieux erstmals in einem Flecken bei Passy in Nordfrankreich. Dieser begleitet und beschützt ein auffallend schönes Mädchen, das als eine von zwölf Dirnen zur Ausschiffung nach Amerika unterwegs ist. Der Chevalier des Grieux beklagt sein Unglück und erzählt, er begleite seine Geliebte, seit sie in Paris abgereist sei, und habe vergeblich versucht, sie zu befreien. All sein Geld hat er den Wächtern gegeben, nur um ihr nahe zu sein und mit ihr reden zu können. Der Erzähler hat Mitleid und gibt dem jungen Mann ein paar Münzen. Dann besticht er die Wachen, damit sie das junge Paar wenigstens bis Le Havre in Ruhe lassen. Der Chevalier dankt ihm herzlich dafür.
„Ich will Ihnen nicht nur mein Unglück und meine Leiden erzählen, Sie sollen auch meine Verirrungen und meine entehrendsten Schwächen kennen lernen.“ (Chevalier des Grieux, S. 12 f.)
Zwei Jahre später treffen sich der Erzähler und des Grieux in Calais wieder. Der Chevalier, soeben aus Amerika zurückgekehrt, ist ärmlich gekleidet und bleich.. Er erzählt, was ihm seit der ersten Begegnung widerfahren ist.
Zwei Teenager brennen durch
Als der Chevalier des Grieux 17 Jahre alt ist und gerade sein Philosophiestudium in Amiens beendet hat, wird ihm empfohlen, dem Malteserorden beizutreten. Zunächst will er aber die Ferien bei seinen Eltern verbringen. Vor der Abreise geht er zum Abschied mit seinem Freund Tiberge spazieren. Tiberge, drei Jahre älter, muss in Amiens bleiben, weil seine Eltern so arm sind, dass sie ihn nicht unterbringen können. Plötzlich sieht der Chevalier ein bezaubernd schönes Mädchen aus einer Kutsche steigen. Mit einem Schlag ist er bis zum Wahnsinn entflammt. Er erfährt, dass sie Manon Lescaut heißt und einige Jahre jünger ist als er. Ihre Eltern, so erzählt sie ihm, wollen sie gegen ihren Willen ins Kloster schicken. Spontan verspricht er ihr, sie zu befreien. Sie vereinbaren, heimlich in einer Postkutsche nach Paris zu flüchten und dort zu heiraten. Dem Freund Tiberge erzählt der Chevalier zwar von seinem Plan, nicht aber, dass er ihn bereits früh am nächsten Morgen ausführen will.
„Wir scherten uns nicht um die Gebote der Kirche und wurden Mann und Frau, ohne lange zu überlegen.“ (S. 22)
Am Abend des folgenden Tages sind die beiden flüchtigen Verliebten bereits in Saint-Denis, wo sie in einem Gasthof absteigen. Ihre Heiratspläne haben sie vergessen; sie schlafen miteinander, ohne sich um die religiöse Konvention zu kümmern. Je besser der Chevalier Manon kennen lernt, desto mehr verliebt er sich in sie. Die beiden mieten in Paris eine möblierte Wohnung, die sie während drei leidenschaftlicher Wochen kaum einmal verlassen. Dann stellen sie fest, dass ihr Geld nicht mehr lange reichen wird. Der Chevalier will sich mit seinem Vater aussöhnen und das Mädchen heiraten. Doch Manon ist dagegen.
Getrennt durch Verrat
Doch das Geld geht nicht aus, und der Chevalier wundert sich, wieso. Eines Tages entdeckt er zufällig Manons Geldquelle: Der Steuerpächter Monsieur de B... aus dem Nachbarhaus schleicht über die Hintertreppe aus ihrem Schlafzimmer. Des Grieux ist bestürzt. Er wartet und hofft darauf, dass sie von sich aus alles aufklärt. Doch beim Abendessen weint sie stattdessen und küsst ihn zärtlich zum Abschied, als drei Lakaien seines Vaters durch die Tür kommen und ihn mitnehmen. Sein älterer Bruder wartet in einer Kutsche auf ihn und bringt ihn nach Hause.
„Das Gift der Wollust hat dich vom rechten Weg abgebracht. Was für ein Verlust für die Tugend!“ (Tiberge zu des Grieux, S. 39)
Dort wird der Flüchtling weniger unfreundlich empfangen als erwartet. Sein Vater hofft, er werde Manon vergessen und zur Vernunft kommen. Er macht sich lustig über seinen Sohn, auf dessen Aufenthaltsort ihn Monsieur de B... persönlich hingewiesen hat. Der Chevalier fällt aus allen Wolken. Kann es sein, dass Manon ihn verraten hat? Da er immer noch zurück nach Paris will, lässt ihn sein Vater in einer Kammer bewachen. Sechs Monate lang bleibt er eingesperrt und verzweifelt an der Sehnsucht nach Manon und am Hass auf B... Nur im Studium findet er etwas Ruhe. Tiberge besucht ihn und erzählt, er habe Manon und B... zusammen im Theater gesehen.
Die zweite Flucht
Der Chevalier beschließt, sich einer geistlichen Karriere zu widmen und ein gottgefälliges Leben zu führen. Gemeinsam mit Tiberge studiert er im Seminar von Saint-Sulpice Theologie. Sein Vater glaubt ihn von allen leidenschaftlichen Anwandlungen geheilt. So kommt der Chevalier nach Paris, wo er sich eifrig dem Studium widmet. Ein Jahr lang geht es gut. Als er seine These in der Sorbonne verfechten soll, hat er Manon fast vergessen. Sie jedoch wohnt dem Vortrag bei, ohne dass er es merkt. Als er zurück in Saint-Sulpice ist, überrascht sie ihn mit einem Besuch. Manon ist unterdessen 18, schöner und strahlender als je zuvor. Nach Tränen und Vorwürfen seinerseits fällt sie ihm um den Hals und küsst ihn überschwänglich. Sie bereut, ihn betrogen zu haben und schwört, ihm künftig treu zu sein. Sie beteuert, mit B... nie glücklich gewesen zu sein. Schließlich schmilzt der Chevalier dahin. Er verwirft alle Pläne für ein geistliches Leben. Ein zweites Mal brechen die beiden gemeinsam Hals über Kopf in einer Kutsche auf. Mit Manons Schmuck und ihrem Geld mieten sie am nächsten Tag in Chaillot bei Paris ein Haus.
Geldsorgen und Glück im Spiel
Das Glück des Chevaliers scheint vollkommen. Mit seinem Geldvorrat könnten er und Manon, wenn sie sparsam sind, zehn Jahre lang in Chaillot leben. Doch die Sparsamkeit gehört nicht zu Manons Tugenden. Schon nach einem Monat geben die beiden viel Geld für Vergnügungen aus, und im Winter mieten sie zusätzlich eine Wohnung in Paris. Das Paar ist bereits so gut wie pleite, als plötzlich Manons Bruder auftaucht. Der rohe Gardist schlägt dem Chevalier frech vor, Manon für den Unterhalt sorgen zu lassen, indem er sie adligen Lüstlingen ausleihen soll. Als Alternative könne er sich auch im Glückspiel versuchen. Angesichts dieser Optionen pumpt der Chevalier erst mal seinen alten Freund Tiberge an. Sie treffen sich im Garten des Palais Royal. Der Chevalier muss sich zwar einige Moralpredigten anhören, doch der treue Tiberge nimmt schließlich extra für ihn einen Kredit auf. Dann zeigt sich, dass das Geld erneut nicht ausreicht. So tut sich der Chevalier mit Manons Bruder zusammen. Mit Betrügereien in Spielklubs machen sie schnell beträchtliche Gewinne.
„Manon hing leidenschaftlich am Vergnügen, und ich liebte wiederum sie mit leidenschaftlicher Liebe.“ (S. 52)
Doch der Wohlstand währt nur kurz. Ein Diener und eine Zofe rauben Geld, Schmuck und Kleider des Paars und brennen durch. Manon lässt sich heimlich von ihrem Bruder überreden, sich von dem alten Lüstling G... M... für ihre Gesellschaft bezahlen zu lassen. Eines Nachts ist sie verschwunden. Sie lässt einen Brief zurück, in dem sie ihre Liebe zum Chevalier beschwört und doch die Notwendigkeit zur Untreue rechtfertigt. Des Grieux, erneut verlassen, ist völlig durcheinander und zu Tode betrübt.
Eingesperrt und ausgebrochen
Der Chevalier findet Manon in einem Haus, das G... M... für sie gemietet hat. Dort schmieden die zwei den Plan, den alten Lebemann auszunehmen. Bei einem Abendessen gibt sich der Chevalier als Manons tölpelhafter jüngerer Bruder aus. Die jungen Leute amüsieren sich sehr, als sie G... M... eine beträchtliche Summe abnehmen und sich anschließend aus dem Staub machen. Aber schon am nächsten Morgen wird das Paar verhaftet und getrennt abgeführt. Der Chevalier wird in die Besserungsanstalt Saint-Lazare gebracht, wo er Reue heuchelt. Nach zwei Monaten besucht ihn dort G... M..., der von seiner angeblichen Besserung erfahren hat. Er erzählt dem Chevalier, dass Manon unterdessen im Dirnenheim des Spitals Zucht und gute Sitten lerne. Darauf verliert der junge Büßer die Fassung und springt G... M... an die Gurgel. Eine frühe Entlassung wegen guter Führung kann er jetzt vergessen. Mithilfe von Tiberge nimmt er Kontakt zu Manons Bruder auf, der eine Pistole ins Gefängnis schmuggelt. Der Chevalier überwältigt den Anstaltsleiter und wagt den Ausbruch. Beim Gittertor erschießt er den Hausknecht, der sich auf ihn geworfen hat. Als er endlich draußen ist, kann er nur noch daran denken, auch Manon zu befreien.
„Kein Mädchen machte sich jemals weniger aus Geld; aber sie hatte keinen ruhigen Augenblick mehr, sobald sie befürchten musste, sie könnte kein Geld haben.“ (über Manon, S. 66)
Mithilfe des einflussreichen Monsieur de T... sowie dank Bestechungsgeld und Männerkleidern gelingt es dem Chevalier und Manons Bruder, Manon aus dem Dirnenheim zu entführen. Doch während der riskanten Flucht wird ihr Bruder von einem Mann auf offener Straße erschossen. Mit den letzten Francs in der Tasche lassen sich der Chevalier und Manon in einen Gasthof bringen. Dort schwören sie sich erneut die Treue. Am nächsten Tag leiht des Grieux sich bei Tiberge und Monsieur de T... Geld. Man erklärt ihm die Umstände der Ermordung von Manons Bruder – das Motiv des Mörders waren Spielschulden – und versichert ihm, dass wegen des Ausbruchs niemand etwas zu befürchten habe. Ruhig, vergnügt und solvent kehrt der Chevalier zu Manon nach Chaillot zurück.
Aufs Neue getrennt
Manon scheint des Grieux leidenschaftlicher denn je zu lieben. Selbst ein italienischer Fürst, der um sie wirbt, kann ihn nicht eifersüchtig machen. Sie gibt dem Freier vor seinen Augen einen Korb. Doch dann verliebt sich der Sohn von G... M..., der zudem ein Bekannter von Monsieur de T... ist, bei einem Abendessen in Manon. Er bietet dem Chevalier eine fürstliche Pension an, falls dieser ihm Manon überlasse. Manon will zum Schein auf die Avancen des jungen Mannes eingehen. Gleichzeitig schmieden sie und der Chevalier einen Plan, um an das Geld zu kommen, ohne sich zu trennen. Sie verabreden sich beim Theater, um von dort gemeinsam zu fliehen. Doch Manon taucht nicht auf. Stattdessen erwartet den Chevalier beim Treffpunkt ein hübsches Mädchen mit einem Brief von ihr. Manon schreibt, die Kleine möge ihn für ihre Untreue entschädigen und ihn trösten.
„Ich beschloss also, meine Ausgaben immer so einzurichten, dass ich jederzeit imstande war, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, und ich wollte lieber auf tausenderlei nötige Dinge verzichten, als selbst ihre überflüssigen Anschaffungen und Ausgaben einzuschränken.“ (über Manon, S. 67)
Der Chevalier sinnt darauf, seine Geliebte zurückzuerobern. Das junge Mädchen, das Manon ihm als Ersatz offeriert hat, lässt er stehen. Nachts schleicht er sich stattdessen in Manons Schlafzimmer in ihrem neuen Heim. Aufgrund einer listigen Idee von Monsieur de T... lässt der Chevalier den jungen G... M... von vier Leibgardisten über Nacht festhalten, damit er in dessen Bett mit Manon eine Nacht verbringen kann. Doch ein Diener des Rivalen alarmiert den alten G... M.... Obwohl der Sohn wie geplant entführt worden ist, wird die Nacht des Chevaliers mit der Geliebten von der Polizei unterbrochen.
Begleitete Deportation
Diesmal wird das Liebespaar in einer Kutsche ins Gefängnis Châtelet geführt. Die beiden werden in zwei gesonderte Zellen nebeneinander gesteckt. Der Chevalier bekommt Besuch von seinem Vater und legt bei ihm Beichte über sein lasterhaftes Leben ab. Der Vater versucht darauf, beim Polizeipräsidenten sowie bei G... M... und seinem Sohn Gnade zu erwirken. Doch statt die Liebenden zu vereinen, beschließen die drei Männer gemeinsam, dass Manon bei der ersten Gelegenheit nach Amerika deportiert werden soll.
„Nun braucht sich ein Herz gewiss nicht lange zu besinnen, um zu fühlen, dass von allen Genüssen, von allen Lüsten die Wonnen der Liebe die süßesten sind.“ (S. 103)
Als der Chevalier alleine freikommt, zerwirft er sich wieder heftig mit seinem Vater. Mit neuem geborgtem Geld heuert er drei Leibgardisten an, um den bewachten Zug der Büßerinnen auf dem Weg zum Hafen zu überfallen. Doch der Überfall misslingt, und so bezahlt der Chevalier die Wächter, damit er seine Geliebte wenigstens auf ihrem Weg begleiten kann. In Le Havre verkauft er sein Pferd und geht mit Manon auf das Schiff nach Amerika.
Tragisches Ende in Übersee
In New Orleans werden die Einwanderer empfangen. Wie schon auf dem Schiff geben der Chevalier und Manon vor, verheiratet zu sein. Sie gewinnen die Gunst des Gouverneurs und führen dank seiner Freundschaft bald einen einfachen Haushalt mit zwei Bediensteten. In der neuen Welt ergeht es ihnen so gut, dass sie sich entschließen, tatsächlich zu heiraten. Doch als der Gouverneur erfährt, dass Manon nicht mit dem Chevalier verheiratet ist, will er sie mit seinem Neffen Synnelet vermählen, der sich in sie verliebt hat. Der Chevalier kann den Gouverneur nicht umstimmen, und er liefert sich mit Synnelet ein Degenduell. Er siegt und glaubt, den Rivalen erstochen zu haben.
„Letzten Endes ist die Liebe ein guter Meister.“ (S. 134)
Manon und ihr Liebhaber müssen Hals über Kopf fliehen. Zu Fuß wollen sie durch Indianergebiet zu den englischen Kolonien, doch die Strapazen der Flucht sind für Manon zu viel. Sie stirbt geschwächt, nicht ohne dem Chevalier noch einmal ihre Liebe zu beteuern. Der Chevalier bleibt 24 Stunden auf der toten Manon liegen, küsst sie zum Abschied und begräbt sie schließlich mit bloßen Händen. Dann legt er sich auf das Grab, um selbst zu sterben.
„Ich habe in meinem ganzen Leben festgestellt, dass der Himmel immer die Zeit gewählt hat, wo mein Glück am allerfestesten gegründet schien, um mich mit seinen härtesten Schlägen zu strafen.“ (S. 144)
Doch es ist ihm nicht vergönnt, Manon auf dieser letzten Reise zu folgen. Die Verfolger aus New Orleans finden ihn und machen ihm den Prozess. Da Synnelet gar nicht tot ist, fällt das Urteil milde aus. Sechs Wochen später entsteigt Tiberge einem Schiff, das in New Orleans anlegt. Die Freunde kehren zusammen nach Frankreich zurück.
Zum Text
Aufbau und Stil Die knapp 250 Seiten lange Geschichte vom Chevalier des Grieux und Manon Lescaut ist in zwei Teile gegliedert. Hauptsächlich wird aus der Sicht des Chevaliers berichtet. Diese Ich-Erzählung ist allerdings durch eine Klammer am Beginn und am Ende des ersten Teils in eine kurze Rahmenerzählung eines anderen Ich-Erzählers eingebettet, der dem Chevalier unterwegs per Zufall begegnet. Die Handlung spielt größtenteils in und um Paris am Anfang des 18. Jahrhunderts. Adlige, die der Chevalier in seinem Bericht erwähnt, sind anonymisiert, etwa „Monsieur de T...“ oder „G... M...“.
Der Ton des Berichts ist entsprechend seinem tragischen Ende leicht desillusioniert, oft klagt der Chevalier nicht ohne Pathos über die Keulenschläge des Schicksals, die ihn trafen. Obwohl seine leidenschaftlichen Gefühle für seine Geliebte immer wieder auflodern, berichtet er weitgehend in nüchterner Sprache. Dieser ernsthafte und schlichte Grundton des Romans unterscheidet sich frappant von der witzigen Frechheit und stilistischen Brillanz, die man sonst aus der Rokokozeit kennt.
Interpretationsansätze
- Abbé Prévost verhalf der leidenschaftlichen Liebe zu einem Comeback in der Weltliteratur. Erstmals seit der Antike wurde in einem Buch den mitunter pubertären Gefühlsregungen alles andere untergeordnet. Prévost stellte den Hedonismus und die sexuellen Genüsse über die gesellschaftliche Moral und war damit ein direkter Vorläufer von Jean-Jacques Rousseau und dessen antiaufklärerischer Losung der Empfindsamkeit – die u. a. auch in Goethes Werther zum Ausdruck kommt. Manon Lescaut steht zudem am Anfang einer Reihe französischer Liebesromane, die die Befreiung der bürgerlichen Liebeswahl feiern.
- Der Roman zeigt das Doppelgesicht der Liebe, die beglückend, aber auch ruinös sein kann: Durch die Begegnung mit Manon gerät der Chevalier des Grieux auf die abschüssige Bahn. Erst schlägt er seine geistliche Karriere in den Wind, dann wird er zum Betrüger und sogar Mörder, schließlich muss er seinen Liebestraum irgendwo in der amerikanischen Prärie buchstäblich begraben.
- Die Abenteuergeschichte eines Pechvogels, der in Liebe und Beruf scheitert und dabei ständig mit Gesetz und Gesellschaft in Konflikt gerät, lässt sich auch autobiografisch deuten. So reihte Autor Prévost in seinem wilden Leben unglückliche Liebschaften aneinander, nahm notorisch Reißaus aus der gesellschaftlichen Enge, lebte stets über seine Verhältnisse und kam in England gar ins Gefängnis (allerdings erst drei Jahre nach der Publikation von Manon Lescaut).
- Der Roman übt bei allem Unterhaltungswert auch Gesellschaftskritik. Manon Lescaut ist ein frühes Exemplar einer Femme fatale. Die eindrücklich gezeichnete Schönheit, die nicht treu sein kann, wird trotz ihrer Fehler als positive Figur dargestellt. Damit protestiert der Autor indirekt gegen die Scheinheiligkeit seiner Gesellschaft, in der hehre Moralvorstellungen mit einer Blüte des Mätressenwesens einhergingen.
Historischer Hintergrund
Es gärt im Absolutismus
Die Revolution von 1789 war noch weit weg, doch schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigten sich in Frankreich Vorboten der Aufklärung. Das Regime des Absolutismus erhielt Risse.
Nach dem Tod des Sonnenkönigs Ludwig XIV. übernahm 1715 sein Urenkel Ludwig XV. als Fünfjähriger das Zepter. Bis zu seinem Tod 1774 herrschte der Adel praktisch unangefochten. Doch das Bürgertum – der neben Adel und Klerus bis dahin rechtlose dritte Stand – tat sich mehr und mehr hervor. Zu Reichtum gekommene Bürger gewannen an Einfluss und verlangten politische Mitsprache. Während der König nach alter Art mit Zwangsrekrutierten und Söldnern an vielen Fronten Krieg führte, sowohl auf fernen Kontinenten wie auch innerhalb des zersplitterten Europas, wuchs im Lauf des 18. Jahrhunderts der Einfluss der Opposition ebenso wie die Unzufriedenheit des Volkes. Die Armut der Bauern kontrastierte mehr und mehr mit dem Prunk der höfischen Hochkultur, die ihren Zenit überschritten hatte.
Das gesellschaftliche Moralgefüge wurde von der politischen Fäulnis erfasst und geriet aus dem Gleichgewicht. Die Vorherrschaft des Klerus und traditionelle Wertvorstellungen wurden hinterfragt und in der Literatur thematisiert. Schriftsteller wie Voltaire und Jean-Jacques Rousseau – beide Zeitgenossen von Abbé Prévost, mit denen er Kontakt pflegte – klagten die sozialen Missstände an. Das abgehobene Regime reagierte mit Repression auf jegliche Kritik. So blieb dem zu Beginn seiner Herrschaft noch viel gepriesenen König am Ende nur der Beiname „der Ungeliebte“.
Entstehung
Nach turbulenten Lehr- und Wanderjahren zwischen Kloster und Schlachtfeldern und einer Flucht nach England strandete Abbé Prévost 1731 im gesellschaftlich und publizistisch liberalen Holland. Im Schatten der strengen französischen Zensur veröffentlichte er dort den fünften und sechsten Band seines Romans Mémoires et Aventures d’un homme de qualité qui s’est retiré du monde (etwa: „Erinnerungen und Abenteuer eines Adligen, der sich von der Welt zurückgezogen hat“). Prévost steckte dauernd in finanziellen Schwierigkeiten und wurde notgedrungen zum Vielschreiber, um für seinen Lebensunterhalt aufzukommen.
Als siebten Band der Mémoires schrieb er in kurzer Zeit den Roman Manon Lescaut, der 1731 in Amsterdam erstmals erschien. Ein Grund für seine knappe Kasse mag die Beziehung zu der Haager Kurtisane Lenki Eckhardt gewesen sein. Möglicherweise bot diese unglückliche und leidenschaftliche Liebe die Vorlage zur literarischen Femme fatale Manon Lescaut. Überliefert ist jedenfalls, dass Prévost 1733 wieder zurück nach London fliehen musste, weil er zusammen mit seiner Geliebten in Holland Schulden angehäuft hatte.
Wirkungsgeschichte
Aus Abbé Prévosts sehr umfangreichem Werk ist der kurze Roman Manon Lescaut der einzige Text, der in die Literaturgeschichte eingegangen ist. Die Wirkung war seinerzeit gewaltig. Prévost konnte jedoch nicht lange vom Erlös der Veröffentlichung leben. Bereits 1733 erschien in Paris ein Nachdruck, der aber umgehend als „sittengefährdend“ beschlagnahmt wurde. Jahre später überarbeitete Prévost seine Geschichte des unglücklichen Chevaliers des Grieux. Eine leicht moralisierte Fassung erschien 1753. Im Gegensatz zur ersten Version, wo der Schluss offener gehalten ist, wird des Grieux hier Priester.
Im 19. Jahrhundert wurde Manon Lescaut in Frankreich erstmals auf die Theaterbühne gebracht. Der melodramatische Stoff war außerdem wie für die Oper gemacht. 1884 feierte Jules Massenets Oper Manon in Paris Premiere. 1893 brachte Giacomo Puccini seine Manon Lescaut in Turin zur Erstaufführung. Das Werk gilt als Puccinis Durchbruch. 1952 schuf Hans Werner Henze mit Boulevard Solitude eine neue Opernversion des Stoffs.
Im 20. Jahrhundert folgten weitere Dramatisierungen, etwa 1921 jene von Carl Sternheim, und bereits 1909 eine erste Verfilmung. 1949 wurde der Film Manon von Henri-Georges Clouzot mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Clouzot versetzte die fatale Liebesgeschichte der Romanvorlage in die politischen Verstrickungen des Zweiten Weltkriegs. Der Romanstoff wurde auch in Tanzproduktionen umgesetzt. 2007 etwa inszenierte der in Deutschland lebende chinesische Choreograf Xin Peng Wang Manon Lescaut als Ballett.
Über den Autor
Abbé Prévost wird am 1. April 1697 als Antoine-François Prévost d’Exiles in Hesdin, einem Ort im nordfranzösischen Artois, geboren. Er ist der Sohn eines Richters. Im Alter von 15 Jahren überwirft er sich mit seinem Vater. Er bricht die Studien im örtlichen Jesuitenkolleg ab und lässt sich für den Spanischen Erbfolgekrieg als Soldat rekrutieren. 1713 holt er in Paris den Schulabschluss nach und tritt dem Jesuitenorden bei. Diesen verlässt er aber rasch wieder, um im französisch-spanischen Krieg 1718 zu kämpfen. Nach einem Liebesabenteuer desertiert er und flüchtet zurück in den Klerus: Er legt 1721 ein neues Gelübde im Benediktinerorden ab, studiert Theologie und wird Priester. 1727 schickt man Prévost nach Paris in das Kloster Saint-Germain-des-Près, wo er an der Gallia christiana, einem historischen Gemeinschaftswerk der Benediktiner, mitarbeitet. Lieber allerdings schleicht sich Prévost aus dem Kloster, um Abenteuerromane zu schreiben. Der Erlös aus den Büchern ermöglicht ihm die Flucht über Holland nach London, wo er zum Anglikanismus konvertiert und als Hauslehrer arbeitet. Weil die Liebe zur Schwester seines Schülers nicht geduldet wird, flieht Prévost nach Holland. 1731 erscheint in Den Haag eine erste Fassung des Romans L’Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (Manon Lescaut), wohl inspiriert durch eine unglückliche Liaison mit einer Kurtisane, für die er sich verschuldet. Die unsteten Jahre führen ihn zurück nach London, wo er wegen Wechselbetrugs ins Gefängnis kommt und erneut ausgewiesen wird. Ab 1735 arrangiert er sich mit der katholischen Kirche, wird wiederum Benediktiner und schließlich Hausgeistlicher in Paris. Prévost bleibt literarisch äußerst produktiv und schreibt unzählige Romane, Sachbücher und Übersetzungen aus dem Englischen. Er stirbt am 23. November 1763 auf einem Waldspaziergang bei Chantilly.
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