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Minna von Barnhelm

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Minna von Barnhelm

oder das Soldatenglück

dtv,

15 Minuten Lesezeit
10 Take-aways
Text verfügbar

Was ist drin?

Lessings Geniestreich revolutionierte das deutsche Theater: In einer verzwickten Komödie um Ehre, Krieg, Geld und Liebe holt sich Minna ihren Bräutigam zurück.


Literatur­klassiker

  • Komödie
  • Aufklärung

Worum es geht

Weibliche List und preußische Soldatenehre

Zwei Liebende, die erst sich selbst und dann ihre Ringe nicht erkennen, ein durchtriebener Wirt und eine Kammerjungfer mit spitzer Zunge: Das klingt nach platten Gags und wilden Zoten. Doch nicht bei Lessing: Seine Komödienfiguren dem Gespött der Zuschauer auszusetzen, liegt ihm fern. Heiteres und Ernstes zeigt er nebeneinander und schafft mit den beiden Hauptfiguren Minna und Tellheim zwei echte Menschen mit individuellen Zügen und inneren Widersprüchen. Major von Tellheim wird nach dem Siebenjährigen Krieg unehrenhaft aus der preußischen Armee entlassen und blickt einer ungewissen Zukunft entgegen. Weil ihm seine Ehre über alles geht, diese aber verletzt wurde, kann er das Heiratsversprechen nicht einlösen, das er Minna von Barnhelm gegeben hat. Sie ist extra aus Sachsen nach Berlin gereist, um sich seiner zu versichern. Der Berliner Gasthof wird zum Schauplatz eines Verwirrspiels, bei dem Minna ihren Tellheim durch eine List davon überzeugen will, wie lächerlich es doch ist, sein Glück wegen gekränkter Ehre zu zerstören. Am Ende wird natürlich alles gut: Die Komödie war ein großer Erfolg für Lessing und ein hervorragendes Testfeld für seine Dramentheorie.

Take-aways

  • Lessings Minna von Barnhelm ist seit der Uraufführung im Jahr 1767 eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Komödien.
  • Inhalt: Major von Tellheim wird nach dem Siebenjährigen Krieg unehrenhaft aus dem Militär entlassen und hat kaum noch Geld. Er kommt im selben Gasthaus unter wie seine Verlobte Minna, die den Major sucht. Doch weil Tellheim sich ihrer unwürdig glaubt, flieht er ihre Nähe. Um ihm sein maßlos übersteigertes Ehrgefühl vor Augen zu führen, greift Minna zu einer List. Schließlich wird Tellheim rehabilitiert, er bekommt sein Vermögen zurück und kann Minna das Jawort geben.
  • Es handelt sich um ein Lustspiel, jedoch mit komplexen Charakteren und einem ernsten Konflikt.
  • Die Handlung setzt ein gewisses Vorwissen über den Siebenjährigen Krieg voraus.
  • Lessing war während des Krieges Gouvernementssekretär eines Generals und erlebte, wie Soldaten und Offiziere nach Friedensschluss ihre Existenz bedroht sahen.
  • Er verfasste das Stück als Versuch, seine eigene Dramentheorie in die Praxis umzusetzen.
  • Zugleich entspricht das Drama dem klassischen Modell: Es umfasst fünf Akte und wahrt die Einheit von Zeit, Ort und Handlung.
  • Der Stil ist äußerst vielseitig: Neben Minnas gehobenem Ton geben die Dialoge Soldatenjargon, Dialekte und von französischem Akzent gefärbte Sprache wider.
  • Minna von Barnhelm feierte vor allem in Berlin große Erfolge und konnte sich auch im 19. und 20. Jahrhundert auf deutschen Bühnen behaupten.
  • Zitat: „Ich soll Ihnen verzeihen, daß ich noch Ihre Minna bin? Verzeih Ihnen der Himmel, daß ich noch das Fräulein von Barnhelm bin!“

Zusammenfassung

Der verdrängte Gast

Diener Just ist sauer. Nach einer durchwachten Nacht hat er einen Groll auf den Wirt des Gasthauses, in dem er und sein Herr, Major von Tellheim, abgestiegen sind. Da kann der Wirt noch so beflissen seine guten Manieren spielen lassen und Just ein Glas nach dem anderen eingießen: Der Diener nimmt ihm sehr übel, dass er seinen Herrn – in dessen Abwesenheit – in ein schlechteres Zimmer umquartiert hat, um das schöne Zimmer einer zahlungskräftigeren Dame zu vermieten. Mit den Finanzen des Majors scheint es nicht zum Besten zu stehen, zudem wurde er nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs unehrenhaft aus dem Militär entlassen. Als der Major hinzukommt und Just anweist, den Wirt auszubezahlen, wird dieser immer unterwürfiger. Der Grund hierfür wird schon bald deutlich: Als der Wirt für die Umquartierung des Majors dessen Zimmer ausgeräumt hat, ist ihm ein praller Geldbeutel in die Hände gefallen. Und da der Major nun ankündigt, das Wirtshaus verlassen zu wollen, fürchtet der Wirt um den Kunden, der offenbar doch noch solvent ist.

Der großherzige Major

Unter vier Augen verrät Tellheim seinem Diener aber, dass er ganz und gar zahlungsunfähig ist. Das Geld im Beutel verwahre er nur für seinen alten Wachtmeister Paul Werner und er werde es nicht antasten. Auch Just solle ihm seine Rechnung schreiben, denn er könne ihn nicht weiter beschäftigen. Bevor Just protestieren kann, betritt eine Dame das Lokal. Es ist die Witwe Marloff, deren verstorbener Mann der Stabsrittmeister des Generals gewesen ist. Er hat bei Tellheim Schulden gemacht und seine Frau vor seinem Tod damit beauftragt, diese zurückzuzahlen. Tellheim ist beschämt und tut so, als ob es keinerlei Schuldschein und folglich auch keine Schulden gäbe. Die Witwe versteht sein ungeschicktes Suchen nach dem Schuldschein richtig und dankt dem Major für seine Großherzigkeit. Weinend vor Rührung geht sie ab. Tellheim zieht den Schuldschein hervor und vernichtet ihn.

Der letzte Ausweg aus der Geldnot

Daraufhin erscheint Just, der Tellheim seine Abrechnung überreicht. Dieser liest sie und will die 22 Taler schon begleichen, da weist ihn sein Diener auf die Rückseite hin. Dort hat er die Summe ausgerechnet, die er angeblich seinerseits Tellheim schuldig ist: Sie übersteigt die Schulden des Majors um ein Vielfaches. Tellheim muss schmunzeln und Just nimmt ihm das Versprechen ab, ihn bei sich zu behalten, denn er wolle ihm auf jeden Fall dienen. Der Major stimmt zu. Da betritt ein Bediensteter der Dame, die Tellheims Zimmer bekommen hat, die Stube und möchte sich im Namen seiner Herrin beim Major für die Unannehmlichkeiten entschuldigen. Seine Herrin suche in der Stadt ihren Verlobten; den Namen der Dame kann der Bedienstete zum allgemeinen Erstaunen nicht nennen. Der Major will schnellstens fort: Er zieht einen kostbaren Ring aus der Tasche und weist Just an, diesen beim Wirt zu versetzen und damit die Rechnung zu bezahlen. Nach Tellheims Abgang erscheint sein ehemaliger Wachtmeister Paul Werner: Er gibt Just einen weiteren Beutel mit Geld für den Major, aber Just beteuert, dass dieser die Münzen nicht annehmen werde. Werner plant eine Reise nach Persien, um dort als Söldner gegen die Türken zu kämpfen. Er braucht einfach den Krieg. Soldat durch und durch, kann er auch nichts mit Justs Racheplänen gegen den Wirt anfangen, lässt sich aber dennoch detailliert berichten, wie dieser mit dem Major umgesprungen ist.

Befragung durch den Wirt

Unterdessen unterhält sich die Dame, die Tellheim aus seinem Zimmer verdrängt hat, mit ihrer Zofe Franciska. Ihr Name ist Minna von Barnhelm, und es wird schnell klar, dass es der Major ist, den sie sucht: Tellheim ist Minnas Verlobter. Die beiden haben sich während des Krieges kennen gelernt, aber der letzte Brief nach dem Friedensschluss liegt schon so lange zurück, dass Minna Tellheim suchen gegangen ist. Franciska mutmaßt allerlei: Er könnte tot oder in die Arme einer anderen geflüchtet sein ... Da klopft es an der Tür. Es ist der Wirt, der einige Erkundigungen über seine Gäste einholen möchte, um diese ins Protokoll für die hiesige Polizei einzutragen. Er erfährt, dass die Dame aus Sachsen kommt und dass ihr Onkel, Graf von Bruchsall, ihr binnen 24 Stunden nachfolgen werde. Dieser werde seine Fragen erheblich besser beantworten können, meint Minna. Das sieht der Wirt ein und klappt sein Befragungsbuch zu.

Minna begegnet Tellheim

Minna möchte wissen, wie es dem Major geht, der für sie das Zimmer hat räumen müssen. Der Wirt spricht verächtlich über ihn: Er sei ja bloß ein abgedankter Offizier ohne Geld und Habe. Aber immerhin habe er ihn noch ausbezahlt – mit diesen Worten zeigt er den beiden Frauen den Ring, den Tellheim bei ihm versetzen ließ, wobei er bemerkt, dass Minna einen ganz ähnlichen am Finger trägt. Beim Anblick des Rings – ihres Verlobungsrings – wird Minna blass: Einerseits freut sie sich, Tellheim so nahe zu sein, andererseits ist sie schockiert darüber, dass er den Ring versetzt hat. Minna behält das Schmuckstück, und die Frauen schicken den verdatterten Wirt mit der Aufforderung hinaus, er solle sofort den Major zu ihnen bringen. Der Wirt kommt jedoch nur mit Just zurück, der sehr mürrisch auf Minnas Fragen antwortet. Sie gibt sich ihm nicht als die Braut des Majors zu erkennen, sondern nennt sich seine Schwester. Just durchschaut das falsche Spiel und geht missgelaunt ab, er verrät aber noch, dass sich der Major im Kaffeehaus befinde. Der Wirt macht sich nun auf, den Major zu holen. Als Minna Tellheim sieht, fällt sie ihm gleich in die Arme. Er aber bleibt distanziert. Mühsam ringt Minna dem Major ab, dass er sie noch liebe und keine andere habe. Schließlich rückt er damit heraus, dass er sich ihrer nicht mehr würdig fühle: Der Tellheim, in den sie sich verliebt habe, sei ein prächtiger Offizier mit guten Aussichten gewesen. Jetzt sei er nur noch ein Abgedankter, ein Krüppel und Hungerleider. Minna nimmt diesen verletzten Stolz nicht für bare Münze und geht fast spaßhaft damit um. Tellheim ist das zu viel: Er flieht.

Dialog der Diener

Tellheim muss sich erklären. Weil er es von Angesicht zu Angesicht nicht vermag, schreibt er einen Brief an Minna, den er Just mitgibt. Dieser will ihn Minna überreichen, gerät aber an die spitzzüngige Franciska. Bei ihr erregt er mit seiner mürrischen Art Spott und Ironie. Das Mädchen befragt Just nach den anderen Dienern des Majors und lässt durchblicken, dass diese viel freundlicher gewesen seien als er. Just gibt lakonisch zurück, dass es mit ihnen allen ein schlechtes Ende genommen habe: Der Kammerdiener Wilhelm habe den Major verlassen und sei mit dessen Garderobe getürmt, der Jäger Philipp habe ein Komplott angezettelt und befinde sich nun in Festungshaft in Spandau, der Kutscher Martin sei mit dem einzigen Reitpferd des Majors abgehauen und der Laufbursche Fritz habe auf dessen Kosten Schulden gemacht und laufe derzeit vor dem Galgen davon. Just empfiehlt sich, und die Kammerjungfer kommt zu der Erkenntnis, dass sie Justs Treue gegenüber dem Major wohl etwas unterschätzt hat.

Franciska und Paul Werner

Auf dem Weg zu ihrer Herrin passt der Wirt Franciska ab. Er hat das Zerwürfnis zwischen Minna und Tellheim offenbar belauscht und hofft nun, mehr darüber zu erfahren. Forsch kanzelt Franciska ihn ab, auch weil er so besorgt um den Ring ist und bereits damit droht, ihn auf Minnas Rechnung setzen zu lassen. In diesem Augenblick kommt Paul Werner hinzu und rüffelt den Wirt dafür, dass er den Major des Zimmers verwiesen hat. Der Wirt macht wie üblich Ausflüchte, erinnert Franciska noch einmal an den Ring und geht ab. Als Werner sich mit der Kammerzofe unterhält, stellt er Tellheims finanzielle Situation ganz anders dar, als dieser es getan hat: Der Major habe Geld wie Heu und er, Werner, bringe ihm noch etwas, um seine eigenen Schulden abzuzahlen. Den Ring habe der Major wohl deshalb verkauft, weil er das Verlöbnis lösen wolle. Weiter berichtet er von der Langeweile der Offiziere im Winterquartier und erwähnt, dass sich daraus zwangsläufig Liebschaften ergeben würden. Während Franciska zu Minna eilt, soll Werner auf sie warten. Die beiden scheinen Gefallen aneinander gefunden zu haben.

Tellheims Stolz

Doch dann überlegt es sich Werner doch anders und geht schnurstracks zum Major. Er will ihm das Säckchen Geld unterschieben, unter dem Vorwand, dass es sich um die Schuldzahlung der Witwe Marloff handle. Natürlich durchschaut Tellheim diesen Plan, war doch die Witwe bereits bei ihm. Er lobt Werner für dessen Hilfsbereitschaft, ist aber zu stolz, Geld von ihm anzunehmen. Franciska tritt hinzu und übergibt Tellheim einen Brief von Minna. Er glaubt, es sei ihre Antwort auf sein Schreiben, doch er irrt sich: Es ist sein eigener Brief. Minna scheint seine Zeilen nicht einmal gelesen zu haben. Stattdessen will sie seine Rechtfertigung aus seinem eigenen Mund hören: bei einer Kutschfahrt um drei Uhr nachmittags. Tellheim passt das überhaupt nicht.

„Oder meynt Er, daß ein abgedankter Officier nicht auch ein Officier ist, der Ihm den Hals brechen kann?“ (Just zum Wirt, S. 15)

Minna, die den Brief heimlich doch gelesen hat, möchte Tellheim einen Streich spielen, um ihn von seinem Stolz zu heilen: Sie plant, sich ihm bei dem Treffen in der Kutsche als enterbt, mittellos und unglücklich zeigen. Denn wenn sie ebenso arm ist wie er, da ist sie sich sicher, wird er sie wieder lieben und annehmen. In diesem Moment klopft es an der Tür. Es ist Riccaut de la Marlinière, ein abgedankter französischer Offizier, der den Major in seinem alten Zimmer sucht. In einem Kauderwelsch aus Deutsch und Französisch überbringt er die frohe Kunde, dass der Major schon bald rehabilitiert werde. Minna ist über die Nachricht sehr glücklich, und umso mehr bedauert sie den Franzosen, der ihr sein eigenes Pech schildert. Sie gibt ihm Geld für seine Spielleidenschaft, reagiert aber missbilligend, als sie erfährt, dass er falschspielt. Jetzt wird der Franzose ausfallend und verschwindet. Franciska tadelt Minna für ihre „Investition“: Das Geld werde sie nie wieder sehen.

Die Vorgeschichte

Endlich treffen sich Minna und Tellheim zu ihrer Aussprache. Seine Rechtfertigungen interessieren Minna nicht im Geringsten. Er sei arm und in seiner Ehre gekränkt? Das werde sich bald ändern, wenn ihr Onkel ihm die 2000 Goldmünzen zurückgeben werde, die er ihm einst vorgeschossen habe. Jetzt enthüllt sich, was genau zu Tellheims Abdankung geführt hat: Es war seine Aufgabe, die Kriegskontributionen bei den Sachsen einzutreiben. Hierbei sollte er äußerste Strenge walten lassen. Doch er war den Sachsen wohlgesinnt, akzeptierte deren Wechsel, einigte sich mit ihnen auf die niedrigste Kontributionssumme und streckte die 2000 Goldstücke aus eigener Kasse vor. Nach dem Friedensschluss vermutete der preußische König ein Komplott zwischen Tellheim und den Sachsen; er akzeptierte die Wechsel nicht und entließ ihn unehrenhaft. Tellheim hatte dadurch gleich drei Probleme: Er hatte nicht nur sein Vermögen und seine Ehre verloren, sondern auch die Möglichkeit, neue Einkünfte zu erzielen. Was Tellheim für Minna so attraktiv und liebenswert machte, war seine Güte gegenüber ihren Standesgenossen. Das Einzige, was ihrer Liebe zu ihm jetzt im Weg steht, ist „das Gespenst seiner Ehre“. Tellheim bleibt dabei: Er sei nichtswürdig und könne nicht von einem „Frauenzimmer“ abhängig sein. Minna trennt sich hierauf feierlich von ihm, nennt ihn einen Verräter und gibt ihm den Verlobungsring zurück.

Der Knoten löst sich

Tellheim ist völlig vor den Kopf gestoßen. Franciska erzählt ihm, dass Minna enterbt worden sei und von ihren Standesgenossen verachtet werde, weil sie keinen Mann angenommen habe. Diese Nachrichten lassen den Major frohlocken: Jetzt ist der Weg zu ihrem Herzen wieder frei. Er eilt zu Werner, borgt sich Geld und bittet ihn, den Ring vom Wirt zurückzukaufen. Was Tellheim nicht weiß: Er besitzt diesen Ring bereits, denn Minna hat ihm nicht ihren, sondern seinen eigenen zurückgegeben. Trotz mehrerer Hinweise von ihr bemerkt er dies jedoch nicht. Minna reagiert kühl auf Tellheims neuen Wagemut. Während des Gesprächs der beiden erscheint ein Feldjäger des Königs mit einem Brief: Darin wird Tellheim um Entschuldigung gebeten: Das Missverständnis sei aufgeklärt, seine Ehre voll wiederhergestellt, der Wechsel werde gezahlt, ebenso der Sold, und der König bitte ihn, wieder in seine Dienste zu treten. Tellheim taumelt vor Glück. Minna allerdings nicht: Sie meint, ihr Verhältnis sei jetzt wieder unausgeglichen – er reich, sie arm –, und lehnt jede Verbindung ab. Als Tellheim von Just erfährt, dass Minna seinen Ring bereits ausgelöst hat, wird er argwöhnisch und vermutet, Opfer eines Komplotts zu sein: Ist sie nur gekommen, um ihn auf den Arm zu nehmen und mit ihm zu brechen? Wütend stößt er auch Werner vor den Kopf, der ihm das mitgebrachte Geld daraufhin vor die Füße wirft. Mit dem Erscheinen von Minnas Onkel wendet sich das Blatt erneut. Tellheim will sie vor ihm, der Minna angeblich enterbt hat, beschützen. Jetzt erkennt Minna, dass sie ihr Spiel zu weit getrieben hat: Sie erklärt Tellheim alles und steckt ihm seinen Ring wieder auf den Finger. Alle versöhnen sich, und schließlich kommt es zu einem doppelten Jawort: Nicht nur Tellheim und Minna, sondern auch Werner und Franciska geben einander das Heiratsversprechen.

Zum Text

Aufbau und Stil

Obwohl sich Lessing in seinen dramaturgischen Schriften gegen die damals einflussreiche Dramenkonzeption von Johann Christoph Gottsched richtete, behielt er in Minna von Barnhelm doch die von Gottsched geforderten klassischen drei Einheiten bei: die Einheit der Zeit, des Ortes und der Handlung. Die Geschichte spielt an einem einzigen Tag, ausschließlich in einem Gasthaus in Berlin, und die Handlung macht keinerlei Sprünge. Die ebenfalls von Gottsched vertretene Ständeklausel (die bis auf Aristoteles zurückgeht) hingegen missachtet Lessing: Bei ihm treten nicht nur hochstehende Personen, sondern Vertreter aller Gesellschaftsklassen auf, und der adligen Hauptperson wird sogar der Spiegel vorgehalten. Der Aufbau in fünf Akten folgt ebenfalls dem klassischen Modell. Lessing benutzt zum einen eine mundartlich gefärbte Sprache; so werden etwa typische Redewendungen unter Soldaten wiedergegeben. Zum anderen äußert sich im etwas gespreizten Umgangston Minnas mit Fremden die offizielle Diktion. Im zweiten Auftritt des vierten Aktes bringt Lessing noch mehr Farbe in das Stück: Der französische Offizier Riccaut parliert in einem bunten Mischmasch aus Französisch und Deutsch mit starkem Akzent, das in einer Art Lautschrift wiedergegeben ist.

Interpretationsansätze

  • Das im Untertitel erwähnte „Soldatenglück“ bezeichnet bei Lessing nicht in erster Linie die Liebe, sondern vor allem die Ehre des Soldaten. Die verlorene Ehre hält Tellheim davon ab, Minna anzunehmen; sein gekränkter Stolz verhindert ein glückliches Wiedersehen. Minna macht sich darüber gehörig lustig, und ihrer List ist es – im Zusammenspiel mit allerlei lustspieltauglichen Verwicklungen – zu verdanken, dass Tellheim der Spiegel vorgehalten wird. Dennoch: Am Ende ist er wenig klüger und scheint nur bereit zur Heirat, weil er vollständig rehabilitiert wird.
  • Lessing vertritt eine neuartige Komödienkonzeption: „Die Komödie will durch Lachen bessern, aber nicht eben durch Verlachen“, so Lessing in seiner Hamburgischen Dramaturgie. Deswegen gibt er seine Hauptpersonen auch nicht der Lächerlichkeit preis: Man schmunzelt über sie, aber hat dennoch Mitgefühl.
  • Das Drama endet mit der Andeutung einer Doppelhochzeit: Zwei preußische Militärs heiraten zwei Frauen aus Sachsen. Hierdurch werden Sachsen und Preußen, die sich in der Realität spinnefeind gegenüberstanden, symbolisch versöhnt. Lessing selbst wurde 1757 aus seiner Wohnung in Leipzig geworfen, weil er Umgang mit preußischen Offizieren pflegte.
  • Tellheim und Riccaut sind spiegelbildlich aufgebaut: Der Franzose ist ein Zerrbild des moralisch und menschlich integren Tellheim. Wo Tellheim die Wahrheit sagt, seine Ehre hochhält, eher gibt als nimmt und die Schwachen schützt, handelt Riccaut genau umgekehrt: Er reagiert säuerlich auf Kritik, nimmt bereitwillig das Geld von Minna an, um es beim Spiel zu verprassen, und offenbart sich außerdem als Falschspieler.
  • So tiefgründig und vielschichtig die beiden Hauptpersonen sind: Alle Nebenfiguren sind platte Typen, die sich auf wenige Eigenschaften reduzieren lassen: der stets fröhliche Werner, der immer mürrische Just, der geldgierige Wirt und der betrügerische Franzose.

Historischer Hintergrund

Der Siebenjährige Krieg

Mit Minna von Barnhelm brachte Lessing erstmals aktuelle Zeitgeschichte auf die Bühne. Der Erfolg bei der Uraufführung war vor allem der zeitlichen Nähe zum Siebenjährigen Krieg (1756–1763) zu verdanken. Dieser hatte zwei Schauplätze: einen europäischen und einen in den amerikanischen Kolonien. Der europäische Konflikt drehte sich um Österreichs Pläne, das reiche Schlesien zurückzuerobern, das es Jahre zuvor an Preußen verloren hatte. Deshalb wird der Krieg auch als Dritter Schlesischer Krieg bezeichnet. Der Erzherzogin von Österreich, Maria Theresia, gelang es, eine Koalition mehrerer europäischer Großmächte um sich zu scharen: Russland, Schweden, Spanien, Sachsen und Frankreich standen auf ihrer Seite. Dieser bedrückenden Übermacht hätte Preußen nicht viel entgegenzusetzen gehabt, wenn sich Friedrich der Große nicht zu einem Präventivschlag entschlossen hätte. Der preußische König marschierte im Sommer 1756 in Sachsen ein und besetzte es. Anschließend marschierte Friedrichs Heer weiter nach Süden und nahm Böhmen ein, konnte es aber nicht lange halten. Dennoch: Längere Zeit konnten sich die Preußen und ihre Verbündeten, darunter Großbritannien, gut gegen die antipreußische Koalition verteidigen. 1759 wurde Preußen dann schwer geschlagen, ja Berlin wurde sogar von den Russen und Österreichern besetzt. Das Blatt wendete sich, als die russische Zarin 1761 starb und mit Zar Peter III. ein Bewunderer Friedrichs des Großen auf den Thron kam, der schon im Mai 1762 Frieden schloss. Nach einer Reihe weiterer Friedensschlüsse mit mehreren Koalitionspartnern kam es 1763 schließlich zwischen Österreich und Preußen zum so genannten Frieden von Hubertusburg. Ein gutes halbes Jahr später spielt die Handlung von Lessings Drama.

Entstehung

Zwischen Lessings Minna von Barnhelm und seinen vorherigen Lustspielen (Die Juden und Der Freigeist, beide 1749) vergingen knapp 20 Jahre. Eine lange Zeit, in der sich Lessing intensiv mit Fragen der Dramaturgie auseinandersetzte. Seine Überlegungen kulminierten in der Verfertigung von Minna von Barnhelm, wobei er sich bewusst von der Typenkomödie absetzte, deren Figuren nur da zu sein schienen, damit man über sie lacht. In der Hamburgischen Dramaturgie schreibt Lessing, dass das Leben im ständigen Wechsel von „Rührendem und Lächerlichen“ hin- und herschwanke. Nur die Lächerlichkeit zu betonen, reiche nicht aus, denn „die Komödie soll ein Spiegel menschlichen Lebens sein“. Keine schablonenhaften Abziehbilder, sondern reale, lebensechte Charaktere schwebten Lessing vor. Den Stoff, anhand dessen er seine Dramenkonzeption ausprobieren konnte, diktierte ihm das Leben: Von 1760 bis 1765 diente er als Gouvernementssekretär eines Generals in Breslau. Hier erlebte er den Siebenjährigen Krieg aus der Nähe, war in die Kriegspolitik eingeweiht und bekam auch die Zeit nach dem Friedensschluss mit. So sah er Soldaten und Offiziere, die, aus den Freikorpsverbänden entlassen, einer düsteren Zukunft ohne Einkommen entgegenblickten. 1764 begann er mit der Arbeit an der Komödie und stellte sie, nach einer längeren Krankheit, 1765 fertig. Nach Durchsicht und Beratung mit seinem Vertrauten Karl Wilhelm Ramler wurde das Stück zu Ostern 1767 veröffentlicht, und zwar in zwei Ausgaben: als Einzelwerk sowie im zweiten Teil eines Sammelbandes mit Lessings Lustspielen.

Wirkungsgeschichte

Minna von Barnhelm wurde am 30. September 1767 am Nationaltheater in Hamburg uraufgeführt – unter großen Schwierigkeiten, denn der Magistrat und der preußische Gesandte versuchten das als antipreußisch empfundene Stück zu verhindern. Zudem weigerte sich der Darsteller des Just zunächst, das Wort „Hure“ auszusprechen. Die Figur des Franzosen Riccaut wurde mit Skepsis betrachtet; deshalb fehlte sie bei den Aufführungen in Frankfurt und Wien. Diese ersten Produktionen kann man insgesamt als mäßig erfolgreich bezeichnen, zumindest im Vergleich mit der Berliner Aufführung im Frühjahr 1768: Mit fast 20 Terminen in zwei Monaten war der Erfolg für jene Zeit geradezu sensationell – Lessing avancierte regelrecht zum Star unter den Dramatikern. Erstaunlicherweise gab es mitten im Herzen von Preußen keinerlei Probleme mit dem Stück. Übersetzungen ins Französische, Englische und Italienische, Dutzende Aufführungen auf Wanderbühnen und die Publikation von insgesamt neun verschiedenen Drucken belegen, dass Lessings Drama den Nerv der Zeit traf und äußerst beliebt war. Die Handlung wurde zum Vorbild für über 250 andere Bühnenwerke bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (wie Literaturwissenschaftler akribisch nachgezählt haben). Ein Kalender von 1770 mit Kupferstichen einprägsamer Szenen machte das Drama und die Figuren gleichermaßen bekannt. Die Kritik feierte Lessings zeitgeschichtliches Werk – allerdings war es auch der Bezug zur Zeitgeschichte, der das Stück schon zehn Jahre nach der Premiere in Vergessenheit geraten ließ. Der Schriftsteller Christian Felix Weiße brachte es auf den Punkt: „Um wie viel verliert selbst die vortreffliche Minna, wenn man nicht mit den Umständen des damaligen Krieges bekannt ist.“ Entsprechend versuchte man später einen neuen Zeitbezug zu etablieren: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Minna beispielsweise als Heimkehrerstück auf die Bühne gebracht.

Über den Autor

Gotthold Ephraim Lessing wird am 22. Januar 1729 als Sohn eines Pfarrers im sächsischen Kamenz geboren. Er studiert Theologie, Medizin und Philosophie in Leipzig und Wittenberg. Bereits in seiner Jugend verfasst er Dramen: Sein erstes Stück Der junge Gelehrte wird 1748 uraufgeführt. Von 1748 bis 1755 ist er Mitarbeiter der Berlinischen Privilegierten Zeitung. Er entscheidet sich dafür, freier Schriftsteller zu werden. In Wittenberg beendet Lessing sein Studium mit der Magisterwürde, danach betätigt er sich in Berlin als Theater- und Literaturkritiker. Es entstehen mehrere Dramen, darunter die Lustspiele Der Freigeist und Die Juden (beide 1749) sowie das erste bürgerliche Trauerspiel Miss Sara Sampson (1755). Von 1755 bis 1758 lebt Lessing wieder in Leipzig. Zusammen mit Johann Gottfried Winkler macht er sich zu einer Bildungsreise durch Europa auf, die jedoch bei Beginn des Siebenjährigen Krieges abgebrochen werden muss. 1758 kehrt Lessing nach Berlin zurück und gründet dort 1759 zusammen mit dem Philosophen Moses Mendelssohn und dem Schriftsteller Friedrich Nicolai die Zeitschrift Briefe, die neueste Literatur betreffend. Lessing selbst veröffentlicht darin mehrere Essays, in denen er u. a. den französischen Klassizismus kritisiert und William Shakespeare als Vorbild für deutsche Dramatiker hervorhebt. Von 1760 bis 1765 fungiert er als Sekretär des Generals Tauentzien in Breslau. 1767 erscheint das Erfolgsstück Minna von Barnhelm. Im gleichen Jahr folgt Lessing der Einladung, als Dramaturg am Deutschen Nationaltheater in Hamburg zu arbeiten. Hier verfasst er sein Grundsatzwerk der Schauspielkunst, die Hamburgische Dramaturgie. Doch bereits ein Jahr später scheitert das Projekt Nationaltheater. Ab 1770 ist Lessing Bibliothekar der herzoglichen Bibliothek in Wolfenbüttel. Es erscheinen seine Dramen Emilia Galotti (1772) und Nathan der Weise (1779). 1776 heiratet er Eva König. Ihr gemeinsames Kind wird an Weihnachten 1777 geboren, stirbt aber schon einen Tag später; die Mutter folgt ihm wenige Tage später nach. Am 15. Februar 1781 stirbt Lessing in Braunschweig.

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